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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 29.08.2008
Aktenzeichen: 1 W 251/08
Rechtsgebiete: GG, AufenthG
Vorschriften:
GG Art. 19 Abs. 4 | |
AufenthG § 106 Abs. 2 |
2. Zur Frage, in welchem Umfang die Rechtskraft eines Haftbeschlusses der - im Rahmen eines Antrags auf Aufhebung der Haft nach § 10 FEVG begehrten - Feststellung entgegensteht, dass die angeordnete Haft rechtswidrig war.
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 1 W 251/08 1 W 339/08
In der Freiheitsentziehungssache betreffend
hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortigen Beschwerden des Betroffenen vom 9. Juni 2008 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 2. Juni 2008 - 84 T 193/08 B - und vom 25. Juli 2008 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 17. Juli 2008 - 84 T 249/08 B - durch den Richter am Kammergericht .... und die Richterinnen am Kammergericht ..... am 29. August 2008
beschlossen:
Tenor:
Die sofortigen weiteren Beschwerden werden zurückgewiesen.
Gründe:
A.
Ohne Erfolg begehrt der Betroffene im Verfahren 1 W 251/08 die Feststellung, dass die Anordnung von Abschiebehaft durch die Beschlüsse des Amtsgerichts Schöneberg vom 13. März 2008 und vom 17. März 2008 rechtswidrig war. I. Die am 10. Juni 2008 eingegangene sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 2. Juni 2008 - 84 T 193/08 B - ist gemäß §§ 22 Abs. 1, 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 und 4 FGG in Verbindung mit §§ 3 Satz 2, 7 Abs. 1 und 2 FEVG, § 106 Abs. 2 AufenthaltsG zulässig, insbesondere frist- und formgerecht.
II. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht nicht auf einer Rechtsverletzung, worauf die weitere Beschwerde allein mit Erfolg gestützt werden kann (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG in Verbindung mit § 546 ZPO).
1) Zu Recht hat das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts Schöneberg vom 24. April 2008 bestätigt und seinerseits den Antrag des Betroffenen, die Rechtswidrigkeit der mit Beschluss vom 13. März 2008 angeordneten einstweiligen Freiheitsentziehung festzustellen, für unzulässig gehalten.
Der Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 13. März 2008 darf mangels rechtzeitiger Anfechtung nicht nachträglich zum Gegenstand eines Feststellungsantrages gemacht werden. Der Betroffene hat gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schönberg vom 13. März 2008, mit dem einstweilige Freiheitsentziehung angeordnet worden war, kein Rechtsmittel eingelegt und die nach §§ 7 Abs. 1 FEVG, 106 Abs. 2 AufenthG gegebene sofortige Beschwerde nicht erhoben. Dieses Rechtsmittel wäre innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen ungeachtet der Tatsache zulässig gewesen, dass der Beschluss des Amtsgerichts Schönberg vom 13. März 2008 durch den Erlass des weiteren Haftbeschlusses vom 17. März 2008 prozessual überholt war. Denn in einem solchen Fall ist die sofortige Beschwerde auch mit dem Ziel zulässig, nachträglich die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen (seit BVerfG, NJW 1997, 2163 ständige Rspr.). Es ist zwar mit der grundgesetzlich verbürgten Effektivität des Rechtsschutzes grundsätzlich vereinbar, ein Rechtsschutzinteresse nur so lange als gegeben anzusehen, wie eine gegenwärtige Beschwer ausgeräumt oder einer Wiederholungsgefahr begegnet werden kann. Doch gebietet der nach Art. 19 Abs. 4 GG garantierte effektive Rechtschutz die Annahme eines Rechtsschutzinteresses in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe, in denen sich eine direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung vorgegebenen Instanzen kaum erlangen kann (BVerfG, NJW 1998, 2432 ff; BVerfGE 104, 220, 238 ff). Die Verhängung von Abschiebungshaft ist ein solcher Eingriff. Auch hatte im vorliegenden Fall die freiheitsentziehende Maßnahme nur drei Tage bestand, bevor sie durch die endgültige Anordnung der Abschiebungshaft ersetzt worden ist.
Nachdem der Betroffene gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 13. März 2008 aber kein Rechtsmittel eingelegt hat, steht die Rechtskraft dieses Beschlusses der Feststellung entgegen, dass die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung rechtswidrig war. Auch wenn bei Verhängung von Abschiebungshaft ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft grundsätzlich zu bejahen ist, erlaubt dies keinen Feststellungsantrag losgelöst vom bestehenden Rechtsschutzsystem (OLG München, OLGR München 2005, 772 -774). Es war dem Betroffenen möglich und zumutbar, den von der Verfahrensordnung vorgesehenen Weg der sofortigen Beschwerde zu beschreiten und den ergangenen Haftbeschluss anzufechten. Wird dies - wie hier - unterlassen gebietet es das Grundrecht des Betroffenen auf Gewährung von effektivem und lückenlosem Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) aber nicht, dass jene Beschlüsse, mit denen die Abschiebungshaft angeordnet wurde, nachträglich auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.
Der Standpunkt des Betroffenen, solche Feststellungsanträge seien nicht fristgebunden, wird nicht geteilt. Zwar rechtfertigt nach der neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts allein das bei Freiheitsentziehungen bestehende Rehabilitierungsinteresse den Feststellungsantrag auch prozessual überholter Maßnahmen (BVerfG, 2. Senat, 3. Kammer, Beschl. vom 31.10.2005 - 2 BvR 2233/04 - in juris m.w.N.) Die genannte Entscheidung des BVerfG befasst sich aber nur mit der Beschwerde gegen einen vollzogenen Haftbefehl nach § 114 StPO, die nicht befristet ist. Das Spannungsverhältnis zwischen der befristeten Anfechtungsmöglichkeit und dem Interesse an einer nachträglichen Überprüfung bei freiheitsentziehenden Maßnahme war nicht Gegenstand der richterlichen Prüfung.
2. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 24. April 2008 auch insoweit zurückgewiesen, als der Beschwerdeführer beantragt hat, die Rechtswidrigkeit des Haftbeschlusses vom 17. März 2008 festzustellen.
Das Landgericht hat diesen Feststellungsantrag ebenfalls als unzulässig gesehen, weil der Betroffene keine sofortige Beschwerde gegen den Haftbeschluss vom 17. März 2008 eingelegt habe, die auf einen Feststellungsantrag hätte umgestellt werden können. Auch sei keine Erledigung der Hauptsache eingetreten, da sich der Betroffene noch in Haft befinde. Das Amtsgericht habe auf den nach § 10 Abs. 1 FEVG gestellten Antrag hin nur prüfen müssen, ob die angeordnete Freiheitsentziehung vor Ablauf der Haftfrist aufgehoben werden musste, weil der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen sei.
Es ist fraglich, ob der so begründeten Auffassung des Landgerichts zugestimmt werden kann. Es trifft zwar zu, dass der Betroffene erst nach Ablauf der Frist für die sofortige Beschwerde mit Schriftsatz vom 9. April 2008 einen Antrag nach § 10 FEVG gestellt und beantragt hat, den Haftbeschluss vom 17. März 2008 aufzuheben. Auch wirkt die Aufhebung nur für die Zukunft ("ex nunc"). Die Aufhebung des Haftbeschlusses ist aber das "wesensgleiche" Plus zur Feststellung, dass die Abschiebungshaft rechtswidrig ist; mit der Aufhebung der Haft wird die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit praktisch umgesetzt (BVerfG, Beschl. vom 31.10.2005 - 2 BvR 2233/04 - a.a.O.). Insofern liegt es nahe, eine Entscheidung über die Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung jedenfalls für die Zeit nach Stellung eines Aufhebungsantrages als zulässig anzusehen. Ob das Gericht darüber hinaus aber befugt ist, im Rahmen eines Aufhebungsantrags gemäß § 10 Abs. 2 FreihEntzG, den ergangenen Haftbeschluss und die vollzogene Abschiebungshaft für von Anfang an rechtswidrig zu erklären - so aber OLG Düsseldorf (Beschluss vom 24.7.2002, bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang; kritisch hierzu OLG München, OLGR München 2005, 772 -774), erscheint angesichts der eingetretenen Rechtskraft des Beschlusses zweifelhaft.
Die Frage, welcher der genannten Rechtsauffassungen zu folgen ist, kann im vorliegenden Fall jedoch auf sich beruhen. Denn dem Landgericht ist darin zu folgen, dass der Beschluss vom 17. März und die aufgrund des Beschlusses vollzogene Haft nicht rechtswidrig war. Der Betroffene war zu diesem Zeitpunkt nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels und aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (§§ 58 Abs. 2, 50 Abs. 1, 4 Abs. 1 AufenthG). Dem Betroffenen war der Aufenthalt in der Bundesrepublik auch nicht nach § 55 Abs. 1 AsylVfG gestattet. Sein schriftlicher Antrag auf Gewährung von Asyl ging beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erst am 25. März 2008 ein. Da der Betroffene aber aus einem sicheren Drittstaat (Italien) eingereist war, war ihm der Aufenthalt im Bundesgebiet nicht schon mit der Stellung eines Asylgesuchs, sondern erst nach Stellung eines förmlichen Antrags nach § 14 AsylVfG gestattet, § 55 Abs. 1 S. 3 AsylVfG (Senat, Beschluss v. 22.1.2008 - 1 W 371/07 - zu Punkt IV am Ende). Es kommt damit auch nicht auf die vom Betroffenen aufgeworfene Frage an, ob er im Anhörungstermin vom 17. März 2008 ein Asylgesuch gestellt hat. Abgesehen davon, ist in seinen Äußerungen auch kein formloses Asylgesuch nach § 55 AsylVfG zu entnehmen. Da der Betroffene behauptete, aus Angola zu stammen, die (allenfalls) angegebenen Fluchtgründe sich aber auf Sierra Leone bezogen, wo er seit seinem 5. Lebensjahr gelebt haben will, ist es schon aus diesem Grund nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht seine Angaben nicht als mögliches Asylgesuch behandelt hat. Zudem enthalten auch die Aussagen des Betroffenen, "in Deutschland zu sein, weil er seine Eltern verloren habe" und "keine Papiere beibringen zu können, das Haus wurde zerstört", keinen Hinweis auf eine mögliche Verfolgung des Betroffenen.
Das Landgericht hat im Beschluss vom 2. Juni 2008 auch das Vorliegen des Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthaltsG rechtsfehlerfrei bejaht. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Beschwerdeführer unter Zuhilfenahme der Dienste eines Schleppers in die Bundesrepublik eingereist und hat hier weder einen festen Wohnsitz noch soziale Bindungen. Das trägt die Schlussfolgerung des Landgerichts, der Beschwerdeführer werde voraussichtlich seine Abschiebung in einer Weise behindern, welche nicht durch einfachen Zwang überwunden werden kann (BGH, NJW 1986, 3024; BGH, FGPrax 2000, 130). Die Entscheidung wird in diesem Punkt von der weiteren Beschwerde auch nicht angegriffen.
3. Dem Landgericht ist letztlich darin beizutreten, wenn es festgestellt hat, dass der Grund für die Freiheitsentziehung auch nach Erlass des Haftbeschlusses vom 17. März 2008 nicht weggefallen war und die Haft noch im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu Recht bestand. Der am 25. März 2008 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingegangene förmlich gestellte Asylantrag des Betroffenen stand der Fortdauer der Haft nicht entgegen, weil sich der Betroffene zum Zeitpunkt der Antragstellung in Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 AufenthG befunden hat (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVG).
Eine Rechtswidrigkeit der Sicherungshaft ergibt sich nicht aus einem Verstoß des Antragstellers gegen das Beschleunigungsgebot, wonach die Ausländerbehörde alle notwendigen Anstrengungen unternehmen muss, um den Vollzug der Abschiebehaft auf eine möglichst kurze Dauer zu beschränken (BGHZ 133, 235, 239; Renner, AuslRecht, 8. Aufl., § 62 Rn. 11). Es gereicht der Behörde nicht zum Vorwurf, dass sie erst nach Ablehnung des Asylantrages am 18. April 2008 ein Rückkehrdokument für den Betroffenen beantragt und ihn dann am 15. Mai der Botschaft Angola vorgeführt hat.
4. Die Feststellungen des Landgerichts sind ohne Verfahrensfehler getroffen worden. Das Landgericht durfte von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen, weil nicht zu erwarten war, dass eine nochmalige Anhörung zu neuen Erkenntnisse führen konnte.
Ende der Entscheidung
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