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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.09.2001
Aktenzeichen: 1 W 315/01
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 19
FGG § 68 b Abs. 1
FGG § 68 Abs. 3
Die Entscheidung, im Betreuungsverfahren ein Gutachten darüber einzuholen, ob der Betroffene an einer psychischen Krankheit leidet, ist für den damit nicht einverstandenen Betroffenen mit der Beschwerde anfechtbar (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 12.9.2000).
KAMMERGERICHT Beschluss

1 W 315/01

in der Betreuungssache

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die weitere Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der Zivilkammer 83 des Landgerichts Berlin vom 10. April 2001 in der Sitzung vom 11. September 2001 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Erstbeschwerde der Betroffenen unbegründet ist.

Gründe:

Das Rechtsmittel der Betroffenen ist zulässig.

Gegen Beschwerdeentscheidungen des Landgerichts in Betreuungssachen ist nach den allgemeinen Vorschriften die weitere Beschwerde gegeben (§§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1, Abs. 4 FGG). Ihre Statthaftigkeit ist dabei selbstständig zu beurteilen und nicht von der Frage abhängig, ob die Erstbeschwerde statthaft war (vgl. BayObLG NJW-RR 1994, 831 und FGPrax 2001, 78 mwNw; Bumiller/Winkler, FGG, 7. Aufl., § 27 Rdn 3; Keidel/ Kahl, FGG, 14. Aufl., § 27 Rdn. 7). Dies gilt auch dann, wenn das Beschwerdegericht -wie hier- die Erstbeschwerde als unzulässig verworfen hat (Bumiller/ Winkler, aaO; Keidel/ Kahl, aaO).

Die Betroffene gilt vorliegend nach der Vorschrift des § 66 FGG selbst dann als verfahrensfähig, wenn sie tatsächlich nicht geschäftsfähig sein sollte. Ihre Beschwerdeberechtigung folgt schon daraus, dass ihre Erstbeschwerde vom Landgericht verworfen worden ist (vgl. Senat FamRZ 1962, 531; BayObLG FGPrax 2001, 78 mwNw).

Die weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zwar ist die Erstbeschwerdeentscheidung des Landgerichts nicht frei von Rechtsfehlern, denn entgegen der Auffassung des Landgerichts war die Erstbeschwerde der Betroffenen nicht unzulässig. Der Senat kann vorliegend jedoch selbst in der Sache entscheiden und die weitere Beschwerde, da die Erstbeschwerde unbegründet war, mit einer dementsprechenden Maßgabe zurückweisen.

Das Landgericht hat in der Anordnung der psychiatrischen Begutachtung der Betroffenen durch Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 1. Februar 2001 eine nicht anfechtbare Verfügung gesehen und die Erstbeschwerde als unzulässig verworfen. Dies ist nach Auffassung des Senats rechtsfehlerhaft: Grundsätzlich sind zwar lediglich vorbereitende Zwischenverfügungen, zu denen auch Beweisanordnungen gehören, unanfechtbar (vgl. Senat OLGZ 1991, 406/ 408 und FGPrax 2000, 237/ 238; Bumiller/ Winkler, a.a.O., § 19 Rdn. 11 mwNw; Keidel/ Kahl, a.a.O., § 19 Rdn. 9). Nach allgemeiner Ansicht sind derartige Zwischenentscheidungen jedoch ausnahmsweise mit der einfachen Beschwerde anfechtbar, wenn sie -für sich allein betrachtet- bereits ein bestimmtes Verhalten vom Betroffenen verlangen und damit in so erheblichem Maß in seine Rechte eingreifen, dass ihre Anfechtbarkeit unbedingt geboten ist (vgl. Senat FGPrax 2000, 237/ 238; BayVGH BtPrax 1995, 179/ 180; BayObLGZ 1982, 167/ 169; BayObLG FamRZ 2000, 249/ 250 und FGPrax 2001, 78; OLG Stuttgart OLGZ 1975, 132; OLG Zweibrücken FGPrax 2000, 109; Keidel/ Kahl, aaO). Ob Anordnungen, die - wie hier - allein auf die psychiatrische Begutachtung eines Beteiligten zielen und keinerlei Verpflichtung zu einer bestimmten Verhaltensweise aussprechen, nach diesen Grundsätzen anfechtbar ist, wird in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beurteilt: Die ganz überwiegende Meinung hält solche Anordnungen für unanfechtbar, weil die Rechte des Betroffenen durch sie noch nicht verletzt würden: Eine bloße Begutachtungsanordnung mache dem Betroffenen keinerlei bestimmtes Verhalten zur Pflicht, weil seine Mitwirkung an der Untersuchung nicht erzwungen werden könne; unter diesen Umständen fehle es an einem unmittelbaren Eingriff in seine Rechte (vgl. OLG Hamm FamRZ 1989, 542/ 543; OLG Brandenburg FamRZ 1997, 1019; BayObLG FGPrax 2001, 78 und FamRZ 2000, 249/ 250; Bienwald, BetR, 3. Aufl., § 68b Rdn. 45; Bumiller/Winkler, aaO; Keidel/ Kahl, aaO). Anders wird dies von den Vertretern dieser Ansicht nur dann beurteilt, wenn sich aus der Beweisanordnung selbst bereits konkrete Verpflichtungen für den Betroffenen ergeben (vgl. dazu OLG Stuttgart OLGZ 1975, 132 f. -Ausspruch einer Verpflichtung zur Untersuchung; OLG Zweibrücken FGPrax 2000, 109 -Verpflichtung zum Erscheinen zur Untersuchung ohne rechtlichen Beistand), die sich auch erst durch Auslegung der dem Wortlaut nach insoweit unergiebigen Beweisanordnung ergeben können (vgl. BayObLG NJW 1967, 685 f.).

Der Senat hat dagegen in seinem Beschluss vom 12. September 2000 (FG Prax 2000, 237/238) die Auffassung vertreten, auch eine bloße Anordnung zur psychiatrischen Begutachtung des Betroffenen über die Notwendigkeit der Betreuung nach § 68 b Abs. 1 FGG greife schon derart schwer in die Rechtssphäre des Betroffenen ein, dass ihre Anfechtbarkeit geboten sei. An dieser Auffassung, wegen deren Begründung auf den genannten Beschluss verwiesen wird, wird nach erneuter Prüfung festgehalten. Die an der genannten Entscheidung geäußerte Kritik (BayObLG FGPrax 2001, 78) vermag nicht zu überzeugen: Die Folgerung, dass wegen der in § 68 b Abs. 3 FGG bestimmten Unanfechtbarkeit der Untersuchungs- und Vorführungsanordnung die dem zugrundeliegende Anordnung der Begutachtung anfechtbar sein muss (eine entsprechende Rechtslage bestand schon für die der Unterbringungsgenehmigung vorausgehende Begutachtung nach § 64 c FGG a.F.) beruht auf dem Verfassungsgebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Art. 19 Abs. 4 GG gewährt ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (BVerfGE 67, 437 58; BVerfG NJW 1997, 2163/ 2164). Dieser wird zwar in erster Linie von den jeweiligen Prozessordnungen gesichert. Dabei ist es den Instanzgerichten jedoch verboten, ein von der jeweiligen Rechtsordnung grundsätzlich eröffnetes Rechtsmittel -hier das der einfachen Beschwerde nach § 19 FGG- ineffektiv zu machen und für den Betroffenen leerlaufen zu lassen (vgl. BVerfG NJW 1998, 2813/ 2814). Nun ist zwar gegen Beweisanordnungen als bloße Zwischenentscheidungen verfahrensrechtlich die Beschwerde grundsätzlich nicht eröffnet; die in der obergerichtlichen Rechtsprechung allgemein anerkannte Ausnahme hiervon in solchen Fällen, in denen Zwischenentscheidungen in so erheblicher Weise in die Rechte eines Beteiligten eingreifen, dass ihre selbständige Anfechtbarkeit unbedingt geboten ist (vgl. Senat aaO m. Nachw.), beruht jedoch ebenfalls auf dem Gebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Diese in der Verfassung erklärte Garantie gebietet es daher, Beweisanordnungen, die auf die psychiatrische Untersuchung eines Betroffenen abzielen, als mit der einfachen Beschwerde nach § 19 Abs. 1 FGG anfechtbar anzusehen. Denn nach der Gegenansicht könnte der Betroffene gegen die Beweisanordnung selbst - und im Fall der Verweigerung der Untersuchung - auch gegen seine zwangsweise Vorführung - nicht isoliert und zeitlich vor Erzwingung der Untersuchung das Beschwerdegericht anrufen, sondern wäre darauf beschränkt, die später ergehende Endentscheidung des Vormundschaftsgerichts betreffend die Einrichtung der Betreuung anzufechten, was einen effektiven Rechtsschutz gegen die Begutachtung ausschlösse.

Gegenüber dem Verfassungsgebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen schwerwiegende Eingriffe in die Rechte des Betroffenen vermögen die etwaigen gesetzgeberischen Motive anläßlich der Einführung des § 68b Abs. 3 FGG nicht durchzuschlagen. Die Gesetzesmaterialen (BT-Drs. 11/4528 S. 215 und S. 232) lassen keinen konkreten Rückschluss darauf zu, ob der Gesetzgeber bei der Einführung des § 68b Abs. 3 FGG die Anfechtbarkeit von Beweisanordnungen in Verfahren auf Einrichtung einer Betreuung ausschließen wollte, denn diese Frage wird dort nicht angesprochen. Ebensowenig ergeben die Gesetzesmaterialien einen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber die sich durch Einführung der Unanfechtbarkeit der Vorführungsandrohung in § 68b Abs. 3 Satz 2 FGG ergebende Problematik, ob der Rechtsschutz dann nicht wegen des Gebots eines effektiven Rechtsschutzes auf die Beweisanordnung vorverlagert werden müsse, gesehen hat und den sich aus der herrschenden Auffassung ergebenden generellen Ausschluß einer Rechtsschutzmöglichkeit bewusst in Kauf nehmen wollte. Die allgemeine und grundsätzlich billigenswerte Zielsetzung des Gesetzgebers, die Rechtsmittel in Nebenverfahren zu beschränken, kann insoweit keine Geltung beanspruchen, als sie eine Verletzung des Verfassungsgebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes zur Folge hätte.

Ebensowenig überzeugt die Argumentation von Bienwald (BetR, 3. Aufl., § 68 b FGG, Rdn. 46), wonach die bloße Begutachtungsanordnung unanfechtbar sein soll, weil sie lediglich der Vollziehung des Gesetzes diene, nämlich von § 68b Abs. 1 FGG. Dabei wird jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, dass § 68b Abs. 1 FGG nur dann zur Einholung eines Gutachtens zwingt, wenn überhaupt Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Betreuung vorliegen.

Das Landgerichts hätte deshalb die Erstbeschwerde der Betroffenen nicht als unzulässig verwerfen dürfen, sondern einer sachlichen Prüfung unterziehen müssen. Das nötigt jedoch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Vielmehr ist eine Entscheidung in der Sache selbst durch das Gericht der weiteren Beschwerde dann zulässig, wenn nach dem bereits festgestellten Sachverhalt eine Sachentscheidung möglich ist und es darüber hinaus ausgeschlossen erscheint, dass nach einer Zurückverweisung die Vorinstanz zu einer abweichenden Sachentscheidung gelangen könnte (vgl.. Senat OLGZ 1970, 285/287 f.; ferner zur Revision NJW 1993, 2684/2685; 1992, 436/438; zustimmend Stein/Jonas-Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 565 Rdn. 24 mwNw und MK/Wenzel, ZPO, 2. Aufl., § 563 Rdn. 7). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Eine gegen die Anordnung einer psychiatrischen Begutachtung des Betroffenen in einem Betreuungsverfahren gerichtete Beschwerde hat nämlich nur dann Erfolg, wenn nach dem Inhalt der Akten, den bisher angestellten Ermittlungen und dem Ergebnis der persönlichen Anhörung des Betroffenen keinerlei Anhalt für die Annahme besteht, er leide an einer psychischen Krankheit (Senat FGPrax 2000, 237/ 238).

Hier bestehen jedoch nach dem Akteninhalt Anhaltspunkte für das Vorliegen einer paranoiden Persönlichkeitsstörung bei der Betroffenen, die sich dahin äußert, dass sie unauffällige Handlungen und Äußerungen Dritter, insbesondere von Behörden als Mißachtung bzw. Bedrohung empfindet. Dieser sich aus der Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Hantelmann vom 2. Mai 2000 ergebende Befund wird auf die bei den Akten befindlichen Schreiben der Betroffenen gestützt. Angesichts der Deutlichkeit dieser Anhaltspunkte erscheint es auch ausgeschlossen, dass im Fall einer Aufhebung und Zurückverweisung vom Landgericht eine andere, der Betroffenen günstigere Entscheidung als die Zurückweisung ihrer Erstbeschwerde getroffen würde. Der Senat kann daher die gebotene Sachentscheidung selbst treffen und die weitere Beschwerde der Betroffenen lediglich mit der Maßgabe zurückweisen, dass die Erstbeschwerde unbegründet ist (vgl. Senat OLGZ 1970, 285/ 287 f. ).

Zwar weicht die vom Senat vertretene Rechtsauffassung zur Zulässigkeit der Erstbeschwerde von den jeweils auf weitere Beschwerde ergangenen Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts (FGPrax 2001, 78 und FamRZ 2000, 249), des Oberlandesgerichts Hamm (FamRZ 1989, 542 f.) und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (FamRZ 1997, 1019) ab. Eine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof gemäß § 28 Abs. 2 FGG ist jedoch nicht veranlasst. Für die Zulässigkeit einer Vorlage nach § 28 Abs. 2 FGG ist erforderlich, dass es vom Rechtsstandpunkt des vorlegenden Gerichts auf die streitige Rechtsfrage für die Entscheidung ankommt, das vorlegende Gericht also bei Befolgung der abweichenden Ansicht zu einer anderen Fallentscheidung gelangen würde (vgl. BGH NJW 1982, 517; FamRZ 1977, 384/ 385 zu § 29 Abs. 1 Satz 2 EGGVG). Dies ist hier jedoch nicht der Fall: Sowohl nach der von den genannten Gerichten als auch nach der vom Senat vertretenen Auslegung des § 19 FGG ist die weitere Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Der Umstand, dass nach der vom Senat vertretenen Auffassung die Zurückweisung mit der Maßgabe zu erfolgen hat, dass die Erstbeschwerde unbegründet ist, stellt keine andere Fallentscheidung im vorgenannten Sinn dar.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3 KostO). Eine Entscheidung über die Erstattung von Auslagen (§ 13a Abs. 1 Satz 2 FGG) ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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