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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 29.07.2008
Aktenzeichen: 1 W 73/08
Rechtsgebiete: RVG, RVG-VV
Vorschriften:
RVG § 2 Abs. 2 S. 1 Anl. 1 | |
RVG-VV Nr. 1008 | |
RVG-VV Nr. 2300 | |
RVG-VV Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 |
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 1 W 73/08
In Sachen
Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die sofortige Beschwerde der Kläger gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 3. Januar 2008 am 29. Juli 2008 beschlossen:
Tenor:
In Änderung des angefochtenen Beschlusses werden die nach dem Anerkenntnisteil - und Schlussurteil des Landgerichts Berlin vom 3. Dezember 2007 von dem Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten über den bereits festgesetzten Betrag hinaus in Höhe weiterer 347,29 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent-punkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Dezember 2007 festgesetzt.
Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte nach einem Wert bis zu 600 Euro zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
A.
Die sechs Kläger haben den Beklagten auf Räumung von Gewerbemietraum, Zahlung rückständiger und künftiger Miete sowie auf Zahlung der vorprozessual entstandenen Anwaltskosten in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Bei der Kostenfestsetzung hat der Rechtspfleger von den geltend gemachten Kosten die Hälfte der für 6 Auftraggeber berechneten Geschäftsgebühr (1,3 Geschäftsgebühr und 1,5 Erhöhungsgebühr nebst Umsatzsteuer) in Abzug gebracht. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Kläger. Sie wenden ein, dass auch die erhöhte Geschäftsgebühr maximal mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die erhöhte Verfahrensgebühr anzurechnen sei.
B.
I. Die sofortige Beschwerde der Kläger ist gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt und der Beschwerdewert von mehr als 200,00 EUR (§ 567 Abs. 2 ZPO) ist erreicht.
II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die Kläger rügen mit Recht, dass das Landgericht bei der Kostenfestsetzung die gemäß Nr. 1008 VV RVG auf einen Satz von 2,8 erhöhte Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) angerechnet hat, anstatt sie nach den Vorgaben der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG nur mit einem Gebührensatz von 0,75 anzurechnen.
1. Zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass dem Anwalt der sechs Kläger eine gemäß Nr. 1008 VV RVG um 1,5 erhöhte Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) neben der ebenfalls gemäß Nr. 1008 VV RVG um 1,5 erhöhten Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) erwachsen ist (Gerold/Schmidt - Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl., 2008, Nr. 1008 VV, Rn. 6; Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2. Aufl., 2007, S. 420; Schneider, AGS 06, 528 ff.; Enders, JurBüro 05, 449, 450 Ziff.3; LG Düsseldorf, MDR 2007, 1164). Verdient ein Rechtsanwalt, der mehrere Auftraggeber zunächst außergerichtlich und anschließend im Prozess vertritt, nacheinander eine Geschäfts- und eine Verfahrensgebühr, so sind beide Gebühren nach Nr. 1008 VV RVG zu erhöhen. Nichts anderes folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach sich bei mehreren Auftraggebern in derselben Angelegenheit die Verfahrens- oder die Geschäftsgebühr erhöht. Die Verwendung des Wortes "oder" erklärt sich daraus, dass in derselben Angelegenheit nur die eine oder die andere Gebühr erwachsen kann.
2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist aber auf die geltend gemachte (erhöhte) Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) die erhöhte Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) nur mit einem Satz von 0,75 anzurechnen.
Nach den Vorgaben der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG wird die Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303, soweit sie wegen desselben Gegenstandes entsteht, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 angerechnet. In der Literatur ist umstritten, zu welchem Ergebnis diese Anrechnungsvorschrift bei der nach Nr. 1008 VV RVG erhöhten Geschäftsgebühr führt.
a. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG werde von dieser Anrechnungsvorschrift nicht erfasst (Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., Vorbem. 3 VV, Rn. 87; Mock, RVG-Berater 2004, 87, 88f). Nr. 1008 VV RVG stelle einen eigenen Gebührentatbestand dar, der in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG nicht erwähnt werde.
b. Andere verlangen gleichfalls eine gesonderte Behandlung der Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG, wollen aber die Gebührenerhöhung analog der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG zur Hälfte, also mit 0,15 pro weiteren Auftraggeber anrechnen (Hergenröder, AGS 2007, 53, 55; AGS 2005, 275; RVGreport 2004, 363; N. Schneider, Das neue Gebührenrecht für Anwälte, § 14 Rn. 58ff., zitiert nach AnwK-RVG/Onderka/N.Schneider, 3. Aufl., Teil 3, VV Vorb.3 Rn. 206). Ansonsten könnte ein Anwalt aus Gebührengründen dazu verleitet sein, eine Streitsache gerichtlich auszutragen. Damit werde aber das Ziel des Gesetzgebers verfehlt, der bei der Konzeption des RVG auf eine Entlastung der Justiz bedacht gewesen sei.
c. Im Gegensatz zu diesen Meinungen wird überwiegend der Standpunkt vertreten, die erhöhte Geschäftsgebühr sei auch bei der Anrechnung nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG höchstens mit einem Satz von 0,75 zu berücksichtigen (Gerold/Schmidt - Müller-Rabe, a. a. O., Nr. 1008 VV, Rn. 256 ff.; Bischof, RVG, 2. Aufl., Nr. 1008 VV RVG, Rn. 93; Hansens in Hansens/Braun/Schneider, a. a. O., Teil 8, Rn. 139; ders., RVGreport 2004, 96; Enders, JurBüro 05, 449, 450 Ziff.3; LG Düsseldorf, MDR 2007, 1164). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.
Die Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG stellt keine eigenständige Gebühr dar (Senat, JurBüro 2007, 543 zu Nr. 2503 VV RVG). Zwar wird Teil 1 des RVG (Nr. 1000 bis 1009 VV RVG) mit der Vorbemerkung 1 eingeleitet, dass die Gebühren dieses Teils neben den in anderen Teilen bestimmten Gebühren entstehen. Diese allgemeine Bestimmung wird aber durch die speziellere Regelung der Nr. 1008 VV RVG verdrängt, wonach sich die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr "erhöht", wenn der Anwalt in derselben Angelegenheit mehrere Auftraggeber hat. Diese Formulierung lässt erkennen, dass auch die erhöhte Geschäfts- oder Verfahrensgebühr eine einheitliche Gebühr darstellt (Bischof, a.a.O., Nr. 1008 VV RVG, Rn. 93; Enders, JurBüro 05, 449, 450 Ziff. 3). Es kommt lediglich zur Erhöhung der jeweiligen Gebühr und nicht zur Begründung einer neuen, eigenständig zu behandelnden Gebühr.
Die erhöhte Geschäftsgebühr unterliegt den Vorgaben der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG. Sie ist daher zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, jedoch höchstens mit 0,75 zu berücksichtigen. Auch wenn dies bei einer üblichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG von 1,3 regelmäßig dazu führt, dass die Erhöhung der Gebühr aufgrund der Nr. 1008 VV RVG bei der Anrechnung nur zu einem kleinen Teil berücksichtigt und damit im Ergebnis zweimal gewährt wird, entspricht dies der gesetzlich vorgeschriebenen Anrechnung (LG Düsseldorf, MDR 2007, 1164). Für eine Erhöhung der maximal anzurechnenden Gebühr lässt das Gesetz keinen Raum. Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig. Insbesondere kann aus der Benennung der anzurechnenden Geschäftsgebühr "nach den Nummern 2300 bis 2303" - ohne Erwähnung der Nr. 1008 - nicht geschlossen werden, dass der anzurechnende Höchstbetrag von 0,75 bei der nach Nr. 1008 VV RVG erhöhten Geschäftsgebühr nicht gelten soll. Denn der Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs.4 Satz 1 VV RVG benennt nur den Tatbestand, der die Entstehung der Geschäftsgebühr regelt, während die Bestimmung des anzurechnenden Höchstsatzes nicht auf die Höhe der entstandenen Geschäftsgebühr, also auch nicht auf deren Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG abstellt. Das Ergebnis der vorgeschriebenen Anrechnung lässt sich auch mit dem Willen des Gesetzgebers vereinbaren. Der Gesetzgeber war zwar bestrebt, mit der Anrechnung der Geschäftsgebühr außergerichtliche Einigungen zu fördern und den Eindruck zu vermeiden, der Rechtsanwalt habe ein gebührenrechtliches Interesse an einem gerichtlichen Verfahren (BT-Drucks. 15/1971, S. 209, rechte Spalte). Er hat aber auch das Interesse der Anwaltschaft an einer aufwandsbezogenen Vergütung gesehen und wollte den unterschiedlichen Interessen mit der begrenzten Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG gerecht werden (BT-Drucks. 15/1971, a. a. O.). Weitere Differenzierungen der Anrechnungsvorschrift waren aus Gründen der Vereinfachung nicht vorgesehen (BT-Drucks. 15/1971, a. a. O.). 3. Danach ergibt sich folgende Berechnung der vom Beklagten den Klägern noch zu erstattenden Kosten:
Auf die geltend gemachte Verfahrensgebühr ist nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG eine 0,75 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (Gegenstandswert: 8.643,15 Euro), also 336,75 Euro anzurechnen. Von den geltend gemachten Verfahrenskosten ist daher der Betrag von 400,74 Euro (336,75 Euro + 19 % USt) abzuziehen.
Demgegenüber hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss den Betrag von 628,60 Euro nebst anteiliger USt, also 748,03 Euro in Abzug gebracht.
Die Differenz von (748,03 Euro - 400,74 Euro =) 347,29 Euro ist zugunsten der Kläger noch festzusetzen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Gerichtskosten fallen für die insgesamt erfolgreiche Beschwerde nicht an.
IV. Die Rechtsbeschwerde war nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die im vorliegenden Fall zu entscheidende Frage, in welcher Höhe die bei mehreren Auftraggebern des Anwalts angefallene Geschäftsgebühr auf die nachfolgende Verfahrensgebühr anzurechnen ist, betrifft eine Vielzahl von Verfahren. Sie ist in der Literatur umstritten.
Ende der Entscheidung
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