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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 28.12.2006
Aktenzeichen: 12 U 178/06
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 286 | |
ZPO § 513 Abs. 1 | |
ZPO § 522 Abs. 2 | |
ZPO § 529 | |
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1 |
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 12 U 178/06
In dem Rechtsstreit
hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß sowie die Richter am Kammergericht Spiegel und Dr. Wimmer am 28. Dezember 2006 beschlossen:
Tenor:
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Die Kläger erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.
Gründe:
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Nach § 513 Absatz 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.
1. Der Kläger macht mit der Berufung geltend, die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil sei unzutreffend, da das Landgericht den Bekundungen des Zeugen Schnnnn (Beifahrer im Pkw des Erstbeklagten) keinerlei Glauben hätte schenken dürfen, da sie in sich widersprüchlich seien und auch in Widerspruch zu den Aussagen der Zeugen Bnnn und Mnnnn (Mitfahrer im Pkw des Klägers) stünden.
Diese Argumentation verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Beweiswürdigung des Landgerichts aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und wird auch in der Sache vom Senat gebilligt.
a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 -; vgl. auch KG [22. ZS], KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533; Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269).
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 286 Rn 13).
Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 286 Rdnr. 3, 5).
b) An diese Regeln der freien Beweiswürdigung hat das Landgericht sich gehalten.
Auf die Erwägungen des Landgerichts auf S. 5-6 des abgefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Allein daraus, dass der Kläger selbst das Beweisergebnis anders wertet, folgt kein Rechtsfehler des Landgerichts.
Auch der Senat ist hinsichtlich des Beweisergebnisses derselben Auffassung wie das Erstgericht. Zutreffend hat das Landgericht hervorgehoben, dass die Unfallversion des Klägers nicht bewiesen ist.
Es steht auch nicht fest - wie der Kläger auf S. 2 der Berufungsbegründung meint -, dass der Erstbeklagte wegen in einer Entfernung von etwa 100 bis 150 m in rechten Fahrstreifen haltenden Fahrzeugen, seine Geschwindigkeit so weit hätte reduzieren müssen, dass er jederzeit sofort hätte anhalten können, also quasi sich ihnen nur in Schrittgeschwindigkeit hätte nähern dürfen, selbst wenn eines der Fahrzeuge ein großer Tanklastzug war; derartiges wird ohne konkreten Anlass nicht einmal gefordert für das Vorbeifahren an Fußgängern auf einer Verkehrsinsel (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 23. April 2002 - VI ZR 180/01 - NJW 2002, 2324 = DAR 2002, 348 = NZV 2002, 365 = VersR 2002, 911).
Der Erstbeklagte durfte vielmehr als Bevorrechtigter darauf vertrauen, dass keine wartepflichtigen Fahrzeuge - aus einer Grundstückseinfahrt kommend - gegen sein Fahrzeug geraten würden.
Soweit der Kläger meint, dem Zeugen Schnnnn sei nicht zu glauben, weil er erklärt habe, "der Unfall ist jetzt drei Jahre her, deshalb kann ich mich nicht mehr so gut erinnern", teilt der Senat diese Auffassung nicht.
Es ist normal und entspricht der Lebenserfahrung, dass die Erinnerung an einen Verkehrsunfall nach drei Jahren teilweise verblaßt, insbesondere hinsichtlich der Tatsachen außerhalb des Kernbereichs; wenn der Zeuge nicht mehr genau sagen konnte, ob der Lkw ein Tanklastzug war oder ob bei dem Lkw weitere Fahrzeuge standen. so spricht dies mehr für die Wahrheitsliebe des Zeugen als gegen die Überzeugungskraft seiner Aussage, dass der klägerische Fiat plötzlich aus der Ausfahrt kam und gegen die rechte Seite des Ford des Erstbeklagten gestoßen ist; dies stimmt auch mit dem vom Kläger persönlich beschriebenen und auch unstreitigen Schadensbild an den unfallbeteiligten Fahrzeuge überein.
Auch wenn die Mitfahrer des Klägers in ihren Aussagen vom 19. April und 11. Juli 2006 nicht ausdrücklich hervorgehoben haben, dass auch ihr Erinnerungsvermögen durch Zeitablauf verblaßt ist und sie sich nicht an alle Einzelheiten des Unfalls vom 19. Dezember 2003 erinnern konnten, trifft dies auch auf diese Zeugen zu:
Naturgemäß war auch die Erinnerung des Zeugen Mnnnn verblaßt, der z. B. nicht mehr wußte, ob im Fahrzeug des Klägers, in dem er selbst saß, sich vier Personen befanden oder nur drei.
Der Zeuge Bnnn konnte nicht mehr genau angeben, ob sich der Fiat des Klägers "im Moment des Anstoßes noch im Stand befand oder gerade im Anfahren war" (Protokoll vom 19. April 2006, S. 3); er wußte dann aber, "nachdem es geknallt hatte, haben wir wieder gestoppt" (Protokoll, aaO).
Für die Beweiswürdigung ist derartiges jedoch nicht ausschlaggebend, sondern vielmehr erheblich, dass sich die Angaben des Klägers und seiner Mitfahrer vor dem Landgericht einerseits und die Aussage des Erstbeklagten und seines Beifahrers andererseits im Kern unvereinbar gegenüberstehen.
Ohne dass es für die Entscheidung noch darauf ankommt, spricht nach Auffassung des Senats allerdings das vom Kläger geschilderte und auch unstreitige Schadensbild an den Fahrzeugen nach der Erfahrung des Senats, der speziell mit Verkehrsunfallsachen befaßt ist, eher für die von den Beklagten behauptete Möglichkeit; denn es war - ausweislich des eigenen Vorbringens des Klägers auf S. 2 f. der Klageschrift und des Tatbestandes des angefochtenen Urteils (UA 2) - nicht der Erstbeklagte, der mit seinem Ford gegen den klägerischen Fiat gefahren ist, sondern der Fiat (Kläger: Anstoßstelle an der Front mit Schwerpunkt links) ist gegen die rechte Seite des Ford gestoßen.
2. Entgegen der Auffassung des Klägers auf S. 2 der Berufungsbegründung hat das Landgericht seine Entscheidung auch zutreffend darauf gestützt, dass der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers als Grundstücksausfahrer spricht, weil sich der Unfall in einen unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit seinem Ausfahren aus einer Grundstücksausfahrt in die Fahrbahn ereignete.
Denn der Vorgang des Ausfahrens aus einem Grundstück in eine öffentliche Straße ist erst dann beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat oder verkehrsgerecht am Fahrbahnrand oder anderer Stelle abgestellt worden ist; das Ausfahren wird nicht schon dadurch beendet, dass das ausfahrende Fahrzeug etwa zwei bis drei Minuten in der Position gestanden hat, in der sich die Kollision ereignete (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Oktober 1980 - 1 U 42/80 - VRS 60, 420 = VersR 1981, 754; OLG Köln, Urteil vom 19. Juli 2005 - 4 U 35/04 - OLGR 2006, 7 = DAR 2006, 27 = VRS 109, 99 = VM 2006, 18 Nr. 19; Senat, Beschluss vom 27. November 2006 - 12 U 181/06 -).
Daher würde selbst dann der Anscheinsbeweis gegen den Kläger sprechen, wenn man von den - nicht bewiesenen - Angaben des Zeugen Bnnn ausginge, der klägerische Fiat habe jedenfalls mindestens 30 Sekunden bereits auf der Fahrbahn gestanden.
3. Im Übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
Es wird angeregt, die Fortführung des Rechtsmittels zu überdenken.
Ende der Entscheidung
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