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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 21.10.1999
Aktenzeichen: 12 U 8303/95
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, StVG
Vorschriften:
BGB § 823 | |
BGB § 847 | |
BGB § 249 | |
BGB § 398 | |
ZPO § 286 | |
ZPO § 287 | |
ZPO § 287 Abs. 1 | |
ZPO § 144 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 711 | |
ZPO § 543 Abs. 2 | |
StVG § 7 Abs. 1 | |
StVG § 18 Abs. 1 |
2. Bei derartigen Unfällen spricht kein Beweis des ersten Anscheins für eine unfallbedingte HWS-Verletzung.
3. Für den Beweis der Ursächlichkeit des Unfalls für eine behauptete HWS-Verletzung gilt der Maßstab des § 286 ZPO, nicht die Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 1 ZPO.
Kammergericht
Urteil
Vom 21.10.1999
12 U 8303/95 24.O.541/93 Landgericht Berlin
hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Hartig sowie die Richter am Kammergericht Grieß und Philipp für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 18. Oktober 1995 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000,00 DM.
Gründe
Mit der Klage macht die Klägerin aus abgetretenem Recht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Zedenten, ihres Sohnes Rechtsanwalt P., aus Verkehrsunfällen geltend, an denen jeweils der Zedent und ein Versicherungsnehmer der Beklagten beteiligt waren. Am 13. Dezember 1990 in B., am 1. September 1992 in L. und am 22. Oktober 1992 in II ereigneten sich Auffahrunfälle, bei denen jeweils ein Versicherungsnehmer der Beklagten auf das von dem Zedenten geführte Fahrzeug auffuhr. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Am 31. Januar 1991 schlossen der Zedent und die Beklagte einen Abfindungsvergleich (Bl. 50) wegen der Schäden des Zedenten aus dem Schadensfall am 13. Dezember 1990 "vorbehaltlich verletzungsbedingter Spätschäden".
Mit schriftlichem Vertrag vom 4. Dezember 1993 trat der Zedent sämtliche ihm aus den oben genannten Verkehrsunfällen zustehenden Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche an die Klägerin ab. Die Klägerin hat behauptet, der Zedent habe bei den oben genannten Verkehrsunfällen jeweils ein Halswirbelsäulen-Schleudertrauma erlitten; Beeinträchtigungen wegen des Schleudertraumas aus dem Unfall am 13. Dezember 1990 seien seit Februar/März 1991 nicht mehr aufgetreten; infolge des Unfalls am 1. September 1992 sei er bis zum 9. Oktober 1992 arbeitsunfähig gewesen; der Unfall am 22. Oktober 1992 habe eine Arbeitsunfähigkeit bis 5. November 1992 zur Folge gehabt.
Unfallbedingt sei ihm Verdienstausfall für die Zeit vom 1. September 1992 bis 4. Dezember 1992 sowie vom 7. Dezember 1992 bis 30. April 1993 entstanden, da er einen mit der Treuhandanstalt geschlossenen Beratervertrag (Bd. I, Bl. 12) ab 1. September 1990 nicht habe erfüllen können, sodass dieser von der Treuhandanstalt gekündigt worden sei (Bd. I, Bl. 32).
Wegen der Einzelheiten der klägerisschen Schadensberechnung wird auf die Seiten 9 und 10 der Klageschrift (Bd. I, Bl. 9 und 10 d. A.) nebst Anlagen (Bd. I, Bl. 12 - 57 d. A.) sowie die weiteren von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu den Gerichtsakten gereichten Unterlagen (Bd. I, Bl. 96 - 100, 110-117, 174-194 d. A.) verwiesen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 5.000,00 DM nebst 13,5 % Zinsen ab dem 6. Januar 1994 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 64.701,59 DM zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie auch für künftige Folgeschäden des Herrn Rechtsanwalts P , Schadensersatz zu leisten, welche diesem aus drei Unfallereignissen mit Versicherungsnehmern der Beklagten entstanden sind, nämlich: Unfall am 13. Dezember 1990 in Berlin, Versicherungsnehmer B; Unfall am 1. September 1992 in Leipzig, Bu, Unfall vom 22. Oktober 1992 in Ilberstedt Versicherungsnehmer H. soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen: Die Abtretung sei rechtsmissbräuchlich. Der Zedent sei infolge des Unfalls am 1. September 1992 nicht verletzt worden. Hinsichtlich des Unfalls am 13. Dezember 1990 sei der Zedent abgefunden. Für den leichten Auffahrunfall am 22. Oktober 1992 bestehe kein Anspruch auf Schmerzensgeld. Auch seien die Ansprüche der Höhe nach nicht dargetan und begründet. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 24. August 1994 (Bd. I, Bl. 133 f. d. A.) durch Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das schriftliche Unfallrekonstruktionsgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. ... W. vom 9. Mai 1995 (Bl. 150 - 165 d. A.) nebst dessen ergänzender schriftlicher Stellungnahme vom 22. Juni 1995 (Bd. I, Bl. 207 d. A.).
Durch am 18. Oktober 1995 verkündetes Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe den ihr obliegenden Nachweis einer unfallbedingten Verletzung des Zedenten nicht geführt, denn aufgrund des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen vom 9. Mai 1995 stehe fest, dass das vom Zedenten geführte Fahrzeug eine unfallbedingte Geschwindigkeitserhöhung von 5 km/h erfahren habe; eine derartige Geschwindigkeitsänderung sei aus medizinischer Sicht jedoch nicht geeignet, ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule zu verursachen; dies sei der Kammer sowohl aus in früheren Verfahren erstatteten Sachverständigengutachten als auch aus der Fachliteratur bekannt und entspreche auch der Rechtsprechung anderer Gerichte. Auch die von der Klägerin eingereichten ärztlichen Berichte über den Zedenten stünden dem nicht entgegen, da in diesen für eine unfallbedingte HWS-Verletzung kein objektivierbarer Befund benannt werde; vielmehr stützten sämtliche ärztliche Atteste sich ausschließlich auf subjektive Äußerungen des Zedenten. Gegen dieses ihr am 4. November 1995 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 1. Dezember 1995 bei Gericht eingegangenen Berufung, die sie - nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist - mit einem am 1. Februar 1996 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Sie trägt vor: Das Urteil des Landgerichts sei in seiner Beweiswürdigung nachhaltig fehlerhaft; denn es stütze sich im Kern lediglich auf ein verkehrstechnisches Gutachten, welches ausschließlich auf der Grundlage einiger Fotografien der unfallbeteiligten Fahrzeuge angefertigt worden sei, sowie auf die Stellungnahme eines Gutachters in einem Prozess vor dem Landgericht München I. Dagegen habe das Landgericht die von ihr angebotenen und vorgelegten Beweismittel, insbesondere die Befunde behandelnder Ärzte, entgegen den eindeutigen und übereinstimmenden Diagnosen eines Schleudertraumas nicht entsprechend verarbeitet und die behandelnden Ärzte auch nicht als Zeugen vernommen.
Auch habe das Landgericht nicht den unfallverletzten Zedenten selbst als Zeugen über dessen Beschwerden vernommen oder weitere Zeugen aus dem Umfeld des Verletzten. Das Landgericht habe auch nicht das von ihr eingereichte Urteil des Landgerichts Baden-Baden gewürdigt.
Die Klägerin legt ein Gutachten des Dipl.-Ing. ... H. vom 25. März 1997 (Bd. I, Bl. 265 ff.) vor, welches eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung des Saab am 1. September 1992 von 10 - 15 km/h bescheinigt.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils der Klage stattzugeben sowie die Beklagte zu verurteilen, an sie 4 % Zinsen aus 64.701,59 DM seit dem 6. Januar 1994 zu zahlen, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor: Die subjektiven Empfindungen und Zustände des Zedenten seien ärztlicherseits nicht in dem erforderlichen Maße objektiviert; darüber hinaus erleide jeder Mensch, der entweder schwer körperlich oder auch nur stundenlang am Schreibtisch sitzend beruflich tätig sei oder längere Zeit Auto fahre, Verspannungen der Hals- und Rückenmuskulatur (Beweis hilfsweise: Einholung eines physiotherapeutischen Sachverständigengutachtens). Darüber hinaus stehe aufgrund der Ausführungen des Landgerichts fest, dass die vom Zedenten behaupteten Beschwerden aufgrund des Unfalls am 1. September 1992 nicht hätten eintreten können.
Der Senat hat gemäß Beschluss vom 10. Juli 1997 (Bd. II Bl. 37 R), ergänzt durch Beschluss vom 29. Juni 1998 (Bd. II Bl. 94), Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. Ing. ... R. und Dr. med. C. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des technischen Sachverständigen Prof. Dr. Ing. I. R. vom 12. Dezember 1997 (Bd. II Bl. 47 ff.) nebst ergänzender Stellungnahme vom 27. März 1998 (Bd. II Bl. 85 ff.) sowie auf das fachorthopädische Gutachten des Privatdozenten Dr. med. C. vom 15. Februar 1999 (Beistück) Bezug genommen.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg, weil das Urteil des Landgerichts richtig ist und ihr Vorbringen im Berufungsverfahren ein anderes Ergebnis nicht rechtfertigt.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht ihres Sohnes, des Rechtsanwalts ... P. Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, §§ 823, 847 BGB, § 3 Nr. 1, 2 Pflichtversicherungsgesetz in Verbindung mit § 398 BGB nicht zu, weil sie nicht beweisen konnte, dass der Zedent ... unfallbedingt eine Körper- oder Gesundheitsverletzung erlitten und dies zu dem geltend gemachten materiellen und immateriellen Schaden geführt hat.
Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass die von der Klägerin behaupteten Verletzungen des Zedenten ab 1. September 1992 nach ihrem eigenen Vorbringen nicht durch den Unfall am 13. Dezember 1990 verursacht wurden; denn nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin auf Seite 8 der Klageschrift waren die aufgrund des Unfalls am 13. Dezember 1990 behaupteten Beschwerden Ende Januar 1991 abgeklungen und Dauerschäden nicht eingetreten; so versah nach dem Vortrag der Klägerin der Zedent ... in der Zeit von März 1991 bis April 1992 beschwerdefrei seinen Dienst als Leiter des Rechtsamtes des Landkreises B. zu voller Zufriedenheit des Landratsamtes.
Zutreffend hat das Landgericht die Klage auch insoweit abgewiesen, als sie darauf gestützt ist, P. habe als Fahrer des von seiner Ehefrau, ..., gehaltenen Pkw Saab 9000 CD Turbo, amtliches Kennzeichen ..., am 1. September 1992 gegen 7.10 Uhr dadurch ein Halswirbelsäulenschleudertrauma erlitten, dass der von M., B. geführte, bei der Beklagten haftpflichtversicherte Pkw Lada 1300 mit dem amtlichen Kennzeichen ..., auf der J.-allee in L. auf das Heck des Saab aufgefahren ist.
Denn auch nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme hat die Klägerin ihre Behauptung nicht bewiesen, dass ihr Sohn ... durch diesen Auffahrunfall die behauptete Körperverletzung (HWS-Schleudertrauma) erlitten hat.
Dasselbe gilt entsprechend für die von der Klägerin behauptete Körperverletzung (Schleudertrauma) infolge des von ihr auf Seite 6 f. der Klageschrift (I, 6 f.) geschilderten Verkehrsunfalls vom 22. Oktober 1992 in Ilbersdorf, bei welchem B. H. mit dem von H. H. gehaltenen Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen BBG-KH 45, der bei der Beklagten haftpflichtversichert ist, von hinten leicht auf den vom Zedenten geführten Pkw Saab mit dem amtlichen Kennzeichen ... aufrutschte, wobei der Aufprall geringer war als bei dem Unfall am 1. September 1992.
1. Da die Beklagte jede unfallbedingte Körper- oder Gesundheitsverletzung des Sohnes der Klägerin bestreitet, ist die entsprechende Behauptung der Klägerin, ihr Sohn habe am 1. September 1992 durch den Unfall ein HWS-Schleudertrauma erlitten, beweisbedürftig. Für die Richtigkeit ihrer Behauptung trägt die Klägerin die Beweislast, da sie geltend macht, der Zedent sei durch den Unfall verletzt worden.
a) Der Klägerin kommt insoweit ein Anscheinsbeweis nicht zugute.
Mit Hilfe des Anscheinsbeweises kann bei typischen Geschehensabläufen aufgrund einer bestimmten Wirkung eine bestimmte Ursache oder aufgrund einer bestimmten Ursache eine bestimmte Folge als bewiesen angesehen werden; der Anscheinsbeweis setzt jedoch voraus, dass ein Tatbestand feststeht, bei dem die behauptete Ursache oder Folge typischerweise gegeben ist, beruht also auf einer Auswertung von Wahrscheinlichkeiten, die aufgrund der Lebenserfahrung anzunehmen sind (BGH VersR 1986, 343; NJW-RR 1988, 789, 799; VersR 1991, 195; NJW 1996, 1828 = MDR 1996, 794 = NZV 1996, 277). Der Anscheinsbeweis ist dagegen nicht anwendbar, wenn individuell geprägte Geschehensabläufe zu beurteilen sind (vgl. Senat, VerkMitt 1996, 76 = NZV 1996, 94; Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Auflage 1999, vor § 249 Rdnr. 165).
Zwar mag ein Auffahrunfall aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung generell geeignet sein, ein HWS-Syndrom hervorzurufen, sodass der Beweis des ersten Anscheins den Aufprall auf das Heck eines Fahrzeuges als Ursache für ein HWS-Syndrom eines Insassen des vorderen Fahrzeuges erscheinen lassen kann (vgl. LG Heidelberg DAR 1999, 75).
Dies gilt jedoch nach Auffassung des Senats nicht für Auffahrunfälle mit einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung des angestoßenen Fahrzeuges im Bereich von bis zu 15 km/h.
Denn nach dem derzeitigen Stand der medizinischen und biomechanischen Forschung ist eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von bis zu 10 km/h unter biomechanischen Aspekten nicht geeignet, eine HWS-Schädigung hervorzurufen; dies hat der vom Senat beauftragte medizinische Sachverständige, der Orthopäde Privatdozent Dr. C. auf Seite 20 - 27 seines überzeugenden Gutachtens vom 15. Februar 1999 nachvollziehbar dargelegt, wobei der Sachverständige sogar die "Harmlosigkeitsgrenze" bei einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 11 km/h zieht; die sogenannte Harmlosigkeitsgrenze einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung des angestoßenen Fahrzeuges von 10 km/h ist auch in anderen Untersuchungen bestätigt worden und wird von der Rechtsprechung zunehmend anerkannt (vgl. KG VersR 1997, 1416; OLG Hamburg r + s 1998, 63; OLG Hamm VersR 1999, 990 mit weiteren Nachweisen; Lemcke, r + s 1996, 445).
Im vorliegenden Fall ist der vom Senat beauftragte technische Sachverständige Prof. Dr. R. in seinem Gutachten vom 12. Dezember 1997 (II, 47) mit Ergänzung vom 27. März 1998 (II, 85) nachvollziehbar und überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung des angestoßenen Saab habe maximal 8 km/h betragen, der errechnete Minimalwert liege bei 3,6 km/h, am wahrscheinlichsten seien Werte von 5 bis 6 km/h (Gutachten Seite 10, Bd. II, 56); entsprechend ist bereits der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. W. auf Seite 6 seines Gutachtens vom 9. Mai 1995 (I, 155) zu dem Ergebnis gekommen, die Geschwindigkeitserhöhung des Saab habe bei 5 km/h gelegen.
Der Eintritt der behaupteten Verletzung (Halswirbelsäulenschleudertrauma) entspricht im Bereich derartiger Geschwindigkeiten nicht einer Wahrscheinlichkeit aufgrund der Lebenserfahrung (vgl. oben), wie dies für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderlich ist.
Ein Anscheinsbeweis zugunsten der Klägerin würde im Übrigen auch dann ausscheiden, wenn die Geschwindigkeitsänderung - wie der Privatgutachter der Klägerin, der Dipl.-Ing. H., in seinem Gutachten vom 15. März 1997 (I, 265) meint - im Bereich von 10 bis 15 km/h gelegen haben sollte, wovon der Senat jedoch aufgrund der gerichtlich eingeholten Gutachten nicht ausgeht. Denn in dem Bereich kollisionsbedingter Geschwindigkeitsänderungen von 10 bis 15 km/h ist eine HWS-Verletzung zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht stets als wahrscheinlich zu erwarten (so auch Mattem u. a. in dem von der Klägerin eingereichten Aufsatz Bd. I, 272 ff.; Lemcke, r + s 1996, 445; vgl. auch KG VersR 1997, 1416, 1417).
Jedenfalls spricht aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung bei einem Auffahrunfall mit einer Geschwindigkeitsänderung des angestoßenen Fahrzeuges im Bereich von bis zu 15 km/h nicht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass ein Insasse im angestoßenen Fahrzeug kollisionsbedingt eine HWS-Verletzung erlitten hat.
Die Klägerin muss die Ursächlichkeit des Unfalls vom 1. September 1992 für die von ihr behauptete Verletzung des Körpers oder der Gesundheit ihres Sohnes somit ohne Hilfe eines Anscheinsbeweises beweisen.
b) Für den Beweis der Ursächlichkeit des Unfalls für die Rechtsgutverletzung, also den Ersterfolg (haftungsbegründende Kausalität), gilt der Maßstab des § 286 ZPO (BGH NJW 1998, 3417; OLG Hamm VersR 1999, 990; OLG Hamburg r + s 1998, 63; KG VersR 1997, 1416; OLG Düsseldorf r + s 1997, 457); das bedeutet, dass das Gericht nicht nur von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, sondern von der Wahrheit der behaupteten Tatsache zu überzeugen ist; hierfür genügt ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er Zweifeln schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
Die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO kommt der Klägerin - in Abweichung von der Auffassung des Landgerichts auf Seite 4 des angefochtenen Urteils - insoweit nicht zugute; denn nur die Kausalität zwischen einer feststehenden Verletzung des Rechtsgutes (Körper oder Gesundheit) und der Weiterentwicklung oder dem Umfang der Schädigung fällt als haftungsausfüllende Kausalität unter § 287 ZPO (BGH NJW 1998, 3417, vgl. auch Lemcke, NZV 1996, 337, 338) mit der Folge, dass nur hierfür der Beweis einer überwiegenden oder erheblichen Wahrscheinlichkeit genügt.
2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Klägerin den ihr obliegenden Beweis nicht erbracht, dass die von ihr behauptete Körperverletzung ihres Sohnes dem Unfall vom 1. September 1993 zuzurechnen ist.
a) Die Klägerin hat ihre Behauptung nicht bewiesen, der Saab sei durch den Aufprall des Lada aus dem Stand auf 10 bis 15 km/h beschleunigt worden. Zwar ist ihr Privatgutachter Dipl.-Ing. ... H. in seinem Gutachten vom 25. März 1997 (Bd. I, Bl. 265 - 271) zu diesem Ergebnis gelangt.
Nach dem überzeugenden Gutachten des vom Senat beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. ... R. vom 12. Dezember 1997 (Bd. II, Bl. 47 ff.) nebst ergänzender Stellungnahme vom 27. März 1998 (Bd. II, Bl. 85 ff.) ist der Senat jedoch davon überzeugt, dass die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung des Saab durch den Lada am wahrscheinlichsten im Bereich von 5 bis 6 km/h lag, wobei der Minimalwert bei 3,6 km/h anzusetzen ist (Gutachten Seite 10, 11).
Die Einwendungen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 4. März 1998 (Bd. II, Bl. 78 f.) sind durch die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 27. März 1998 ausgeräumt. Für die Richtigkeit der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. R. spricht im Übrigen, dass bereits der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. Ulrich Wanderer in seinem Gutachten vom 9. Mai 1995 (Bd. I, Bl. 150 ff.) die kollisionsbedingte Geschwindigkeitserhöhung des Saab aufgrund des Anstoßes durch den Lada im Bereich von 5 km/h angesiedelt hat.
b) Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass die von ihrem Sohn nach dem Unfall am 1. September 1992 beklagten Beschwerden, die in der ärztlichen Bescheinigung des Orthopäden Dr. G. (Klinik für Orthopädie der Universität Leipzig) ohne Datum (Anlage K 5, Bd. I, Bl. 26) beschrieben sind, durch den Aufprall des Lada auf den Saab am 1. September 1992 verursacht wurden.
aa) Nach dem Ergebnis des vom Senat eingeholten Gutachtens des Orthopäden Privatdozent Dr. med. C. vom 15. Februar 1999 (Bd. II, Beistück), dessen widerspruchsfreien, überzeugenden und gut nachvollziehbaren Ausführungen der Senat folgt, steht fest, dass unter Berücksichtigung der vom technischen Sachverständigen Prof. Dr. R. ermittelten kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung des Saab von maximal 8 km/h, höchstwahrscheinlich von 5 bis 6 km/h, aus orthopädischer Sicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Verletzungsmöglichkeit der Halswirbelsäule bestanden hat und daher mit großer Wahrscheinlichkeit auch keine Verletzung aus orthopädischer Sicht entstanden ist (Gutachten Seite 28 ff.); dabei hat der Sachverständige den Sohn der Klägerin untersucht und die von diesem beschriebene Sitzposition im Unfallzeitpunkt (im Sitz aufgerichtet und in den Rückspiegel schauend) ebenso berücksichtigt (Gutachten Seite 29 ff.) wie die Tatsache, dass die dem Sachverständigen zur Verfügung stehende Bildgebung nach dem Unfall am 1. September 1992 degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule des Sohnes der Klägerin nachwies (Gutachten Seite 19, 21 - 24).
bb) Zutreffend weist die Klägerin auf Seite 4 ihres Schriftsatzes vom 30. Juni 1999 (II, 152) darauf hin, dass der medizinische Sachverständige Dr. C. die von ihrem Sohn gegenüber dem Arzt Dr. G. nach dem Unfall am 1. September 1992 geäußerten Beschwerden nicht anzweifelt (Gutachten Seite 31 f.).
Der gerichtliche Sachverständige führt dazu jedoch dann weiter aus, dass diese Beschwerden nicht mit dem Unfall vom 1. September 1992 in Verbindung gebracht werden könnten, denn derartige Beschwerden würden tagtäglich in der orthopädischen Ambulanz geäußert auch von Patienten, die keinen Unfall erlitten hätten (so auch Lemcke, r + s 1998, 328, 329); auch die Klägerin selbst trägt auf S. 6 ihres Schriftsatzes vom 1. Februar 1996 (Bd. I, Bl. 247) vor, Symptome einer HWS-Verletzung könnten auch ohne jede äußere Einwirkung auftreten.
cc) Der Sohn der Klägerin war weder zum Unfallablauf noch zu seinen gegenüber Dr. G. geäußerten Beschwerden als Zeuge zu hören; denn der Unfallablauf ist unstreitig und die geäußerten Beschwerden unterstellt der Senat - ebenso wie der medizinische Sachverständige Dr. C. - als wahr. Dazu ist auch eine Vernehmung von Dr. G. nicht geboten.
dd) Allein der zeitliche Zusammenhang des Auftretens der Beschwerden und des Arztbesuchs des Sohnes der Klägerin mit dem Auffahrunfall am 1. September 1998 reicht zum Beweise der Unfallursächlichkeit der Kollision für ein HWS-Schleudertrauma vor dem Hintergrund der sicher bewiesenen Geschwindigkeitsänderung des angestoßenen Saab von 3,6 km/h und einer wahrscheinlichen Geschwindigkeitsänderung von 5 bis 6 km/h (vgl. Gutachten R. Seite 10, Bd. II, Bl. 56) nicht aus (so auch OLG Hamburg, r + s 1998, 63; OLG Hamm VersR 1999, 990, 991; vgl. auch OLG Hamm, r + s 1998, 325: Bei kollisionsbedingter Geschwindigkeitsänderung von 6 km/h ist aus orthopädischer Sicht eine Schädigung der Halswirbelsäule nicht vorstellbar; der BGH hat die Revision durch Beschluss vom 13. Januar 1998 - VI ZR 94/97 - nicht angenommen).
Vor diesem Hintergrund ist allein der zeitliche Zusammenhang zwischen Arztbesuch und Unfall umso weniger für die Überzeugungsbildung im Sinne der Klägerin ausreichend, als der Sachverständige Dr. C. bei dem am 4. April 1947 geborenen und im Unfallzeitpunkt am 1. September 1992 45 Jahre alten Sohn der Klägerin degenerative Veränderungen nach dem Unfall in der ihm vorliegenden Bildgebung dokumentiert fand (Gutachten Seite 19), was die Klägerin nicht bestreitet.
ee) Der Sachverständige Dr. C. weist auf Seite 32 seines Gutachtens darauf hin, es entziehe sich der orthopädischen Begutachtung, inwiefern die vom Sohn der Klägerin nach dem Unfall am 1. September 1992 beklagten Beschwerden möglicherweise als psychosomatische Reaktion zu interpretieren sind. Derartiges vermag auch der Senat nicht positiv festzustellen, zumal die Klägerin - trotz des vorbezeichneten Hinweises im Gutachten des Dr. C. - derartiges nicht behauptet, darlegt und unter Beweis stellt. Nur wenn ein Kläger seinen Anspruch auf psychoreaktive Folgen der Verletzungshandlung stützt und hierfür Beweis anbietet, muss das Gericht diesen Behauptungen nachgehen (vgl. BGH NJW 1997, 1640 = DAR 1998, 67). Steht dann ein psychisch vermittelter Gesundheitsschaden als Folge fest, ist ein Anspruch allerdings ausgeschlossen, wenn die neurotische Fehlhaltung in einem groben Missverhältnis zum schädigenden Ereignis steht, zu dem sie keinen inneren Bezug mehr hat, also Ausdruck einer offensichtlich unangemessenen Erlebnisverarbeitung ist (vgl. BGHZ 132, 341, 346 = NJW 1996, 2425 = VersR 1996, 990; NJW 1998, 810; NJW 1998, 813).
Die Beweislast dafür, dass sich durch den Unfall letztlich nur das eigentliche Lebensrisiko des Geschädigten verwirklicht hat, der sich in eine Neurose flüchtet, trägt der Schädiger (BGH NJW 1986, 777, 779 linke Spalte; BGH NJW 1998, 810, 812). Da die Klägerin trotz des vorliegenden Hinweises im Sachverständigengutachten ihren Anspruch weder auf die Behauptung psychosomatischer Unfallfolgen stützt noch dafür Beweis antritt, ist der Senat auch nicht nach § 144 ZPO verpflichtet, von Amts wegen insoweit ein Sachverständigengutachten einzuholen.
3. Bei dem Unfall vom 22. Oktober 1992 in Ilbersdorf (I, 6) oder Ilberstedt (I, 33) erfolgte nach dem Vorbringen der Klägerin der Anstoß gegen das Heck des Saab mit relativ geringer Wucht, jedenfalls weniger stark als am 1. September 1992; daher kann ein HWS-Schleudertrauma (vgl. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Facharztes für Orthopädie Dipl.-med. O. A. vom 22. Oktober 1992 (I, 37) aufgrund dieses Unfalls im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen nicht als erwiesen angesehen werden.
4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO.
Ende der Entscheidung
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