Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 09.06.2006
Aktenzeichen: 12 U 91/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 517
ZPO § 522 Abs. 1
Scheitert die Übermittlung der Berufungsschrift per Telefax am vorletzten Tag vor Ablauf der Berufungsfrist wegen eines Defektes an der Telekommunikationsanlage des Prozessbevollmächtigten, so ist dieser verpflichtet, alle anderen noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um ein Fristversäumnis zu verhindern.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 91/06

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß sowie die Richter am Kammergericht Spiegel und Dr. Wimmer am 9. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers vom 8. Mai 2006 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers gegen das am 30. März 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wedding - 17 C 655/04 - wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Der Kläger hat gegen das ihm am 5. April 2006 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Wedding vom 30. März 2006 durch einen bei dem Landgericht Berlin am 23. April 2006 eingegangenen Schriftsatz Berufung zum Landgericht Berlin eingelegt.

Mit Verfügung vom 2. Mai 2006, eingegangen bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers am Donnerstag, 4. Mai 2006, hat das Landgericht vorsorglich darauf hingewiesen, dass "in Ansehung von § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels bestehen, soweit dieses beim hiesigen Gericht eingelegt ist. Wird die Berufung an das hiesige Gericht zurückgenommen?". Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2006, eingegangen am 9. Mai 2006, erklärte die Prozessbevollmächtigte des Klägers: "... wird die Klage zurückgenommen. Es wird um Verweisung an das Kammergericht gebeten".

Ebenfalls mit Schriftsatz vom 8. Mai 2006, eingegangen bei dem Kammergericht am 9. Mai 2006, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und gleichzeitig gegen das am 30. März 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wedding, zugestellt am 5. April 2006, Berufung eingelegt.

Zur Begründung ist ausgeführt: Aufgrund des richterlichen Hinweises vom 2. Mai 2006, eingegangen am 4. Mai 2006, habe die Berufungsschrift auf Anweisung der Prozessbevollmächtigten des Klägers umgehend an das zuständige Berufungsgericht, Kammergericht Berlin, gesandt werden sollen. Aufgrund technischer Störungen der Telekom sei jedoch die telefonische Kommunikation der Prozessbevollmächtigten des Klägers kollabiert, und zwar sowohl per Telefon, Fax als auch Internet. Die Prozessbevollmächtigte habe die Firma EDV-Beratung Tnnn Wnnnn zu Hilfe gezogen um die Übermittlung zu gewährleisten. Auf die eidesstattliche Versicherung des Weidmann vom 8. Mai 2006 werde Bezug genommen. Ferner verweist der Kläger auf ein Schreiben der Deutsche Tnnn vom 8. Mai 2006 betreffend einen Montagenachweis.

Da sich seine Prozessbevollmächtigte aufgrund auswärtiger Termine am 4. und 5. Mai 2006 nicht in Berlin befunden habe, sondern als Dozentin in der "Akademie am Meer" Volkshochschule Klappholttal, 25992 List/Sylt, tätig gewesen sei, und die Handakten naturgemäß nicht mitgeführt habe, sei es auch nicht möglich gewesen, die Berufungsschrift auf einem Außengerät zu erstellen.

Die Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers zur Wiedereinsetzung entgegengetreten und beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen.

Die Sachakten sind am 6. Juni 2006 bei dem Kammergericht eingegangen.

II.

1. Die Berufung des Klägers war nach § 522 Abs. 1 ZPO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen.

Denn der Kläger hat sein Rechtsmittel nicht innerhalb der Frist des § 517 ZPO bei dem zuständigen Gericht eingelegt.

Die einmonatige Berufungsfrist begann mit der Zustellung des angefochtenen Urteils am 5. April 2006 und endete mit Ablauf des 5. Mai 2006. Binnen dieser Frist ist eine Berufungsschrift des Klägers bei dem Kammergericht, welches - wegen des allgemeinen Gerichtsstandes des in Polen wohnhaften Klägers im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereiches des GVG - das zuständige Berufungsgericht war, nicht eingegangen.

2. Dem Kläger war auf seinen Antrag auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren.

Denn es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger, der sich ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, ohne sein Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist (Notfrist) einzuhalten, § 233 ZPO.

Sein Vorbringen zu Störungen der Telekommunikationsanlage seiner Prozessbevollmächtigten am 4. und 5. Mai 2006 ist nicht geeignet, ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten auszuschließen. Ebenso wenig ist diese durch ihre Ortsabwesenheit am 4. und 5. Mai 2006 entschuldigt.

a) Scheitert die Übermittlung einer Berufungsschrift per Telefax wegen Defektes an der Telekommunikationsanlage des Prozessbevollmächtigten einer Partei zu einem Zeitpunkt, in dem noch eine andere fristgerechte Übermittlung zumutbar erfolgen konnte, so ist der Prozessbevollmächtigte verpflichtet, alle anderen noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um ein Versäumen der Frist zu verhindern (BGH, Beschluss vom 26. Juni 1996 - IV ZB 5/96 - NJW-RR 1996, 1275; BGH, Beschluss vom 6. März 1995 - II ZB 1/95 - NJW 1995, 1431; BAG, Urteil vom 14. September 1994 - 2 AZR 95/94 - NJW 1995, 743; BayObLG, Beschluss vom 1. Oktober 1997 - 3Z BR 371/97 - NJW-RR 1998, 418).

b) Diese Pflicht hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers versäumt.

Nach der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages nebst Anlagen sollte nach Eingang des richterlichen Hinweises des Landgerichts am Donnerstag, 4. Mai 2006, "die Berufungsschrift, auf Anweisung der Unterzeichnenden, umgehend an das zuständige Berufungsgericht, Kammergericht Berlin, zugesandt werden", was an Störungen der Telekommunikationsanlage der Prozessbevollmächtigten gescheitert sei.

Dies vermag die Fristversäumnis nicht zu entschuldigen. Der Kläger trägt nicht vor und macht auch nicht glaubhaft, wann konkret seine Prozessbevollmächtigte eine Berufungsschrift an das Kammergericht gefertigt und unterzeichnet haben soll, die nach Eingang des Hinweises des Landgerichts am 4. Mai 2006 auf deren Anweisung "umgehend" an das Kammergericht habe gesandt werden sollen; auch der angeblich Angewiesene wird nicht benannt. Das Vorbringen ist auch deshalb nicht überzeugend, weil gleichzeitig vorgetragen wird, die Prozessbevollmächtigte des Klägers habe sich am Donnerstag, 4. Mai 2006, nicht in Berlin, sondern auf Sylt aufgehalten. Auch ergibt sich aus dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung des Theodor Wnnnn , die Prozessbevollmächtigte habe ihn am 4. Mai 2006 angerufen und beauftragt, die Übermittlung fristgebundener Schriftsätze zu beaufsichtigen, weil es in den vergangenen Wochen zu gelegentlichen technischen Störungen gekommen sei, nichts Konkretes zu einem Versuch, eine Berufungsschrift des Klägers vom 4. Mai 2006 an das Kammergericht per Telefax zu übermitteln.

Selbst wenn aber davon ausgegangen wird, die Prozessbevollmächtigte habe am 4. Mai 2006 eine Berufungsschrift gefertigt und unterzeichnet, deren Übermittlung zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt am 4. Mai 2006 an Störungen der Telefaxanlage gescheitert ist, gilt Folgendes:

Es ist nicht erklärt oder entschuldigt, dass die Prozessbevollmächtigte zwar am Donnerstag, 4. Mai 2006, Theodor Wnnnn wegen befürchteter Störungen einer Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per Telefax hat anrufen können (vgl. eidesstattliche Versicherung des Theodor Weidmann vom 8. Mai 2006), aber nicht dafür gesorgt hat, dass die Berufungsschrift im Falle einer Störung auf andere Weise, nämlich z. B. per Boten oder sogar per Post bis zum Ablauf der Berufungsfrist am Folgetage, Freitag, 5. Mai 2006, 24.00 Uhr, bei dem Kammergericht eingegangen ist.

Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung des Theodor W vom 8. Mai 2006 wusste die Prozessbevollmächtigte des Klägers, dass es in den Wochen zuvor schon zu gelegentlichen Störungen der Telekommunikationsanlage gekommen war. Umso mehr war sie gehalten, beispielsweise Theodor Wnnnn , den sie nach dessen Erklärung beauftragt hatte, "die Übermittlung fristgebundener Schriftsätze zu beaufsichtigen", anzuweisen, bei einer Störung der Anlage diese fristgebundenen Schriftsätze auf andere Weise (mittels eines anderen Telefaxgerätes oder per Boten) an das bezeichnete Gericht zu übermitteln.

c) Es entlastet den Kläger, der sich das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss, § 85 Abs. 2 ZPO, auch nicht, dass diese am Donnerstag, 4. Mai, und Freitag, 5. Mai 2006, nicht in Berlin, sondern auf Sylt tätig gewesen ist.

Nach dem Inhalt der Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung konnte sie möglicherweise dennoch den am 4. Mai 2006 eingegangenen richterlichen Hinweis des Landgerichts zur Kenntnis nehmen und die Anweisung erteilen, die Berufungsschrift umgehend an das Kammergericht zu senden. Sie konnte ferner Theodor Wnnnn telefonisch mit der Beaufsichtigung der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze beauftragen, weil es in den Wochen zuvor gelegentlich zu Störungen der Telekom-Anlage gekommen ist.

In einem solchen Fall hätte sie jedenfalls auch eine Anweisung geben müssen, wie im Falle einer erneuten Störung zu verfahren ist. Sie hätte insbesondere durch eine geeignete Anweisung dafür Sorge tragen müssen, dass die Berufungsschrift jedenfalls bis zum Ablauf des Folgetages, Freitag, 5. Mai 2006, dem Kammergericht auf geeignete Weise übermittelt werden sollte, was ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen wäre.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück