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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 23.04.2001
Aktenzeichen: 12 U 971/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 246 | |
BGB § 847 Abs. 1 Satz 1 | |
BGB § 847 Abs. 1 | |
BGB § 849 | |
ZPO § 92 Abs. 1 | |
ZPO § 546 Abs. 2 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 711 | |
ZPO § 713 |
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes
Geschäftsnummer: 12 U 971/00
Verkündet am: 23. April 2001
In dem Rechtsstreit
hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. April 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, den Richter am Amtsgericht Dr. Wimmer und den Richter am Kammergericht Philipp für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 13. Dezember 1999 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 25.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 23. März 1998 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bei Auftreten weiterer noch nicht erkennbarer Spätfolgen aus dem Unfall vom 30. Juli 1994 auch hierfür ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen die Klägerin 15/22 und die Beklagte 7/22.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin % und die Beklagte 1/4 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Wert der Beschwer beträgt für die Klägerin 75.000,00 DM und für die Beklagte 25.000,00 DM.
Tatbestand:
Die am 22. April 1925 geborene Klägerin wurde am 30. Juli 1995 gegen 8.17 Uhr auf der Bundesautobahn 9, km 154,9, südliche Richtung, infolge eines Verkehrsunfalls erheblich verletzt. Sie war Beifahrerin im vom Halter S S geführten Personenkraftwagen M B B D. Gegen dieses Fahrzeug geriet infolge Unachtsamkeit die Fahrerin K F mit dem von dem Versicherungsnehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der D V A, gehaltenen Personenkraftwagen R H L. Es ist unstreitig, dass die Fahrerin des Personenkraftwagens F den Verkehrsunfall allein verursacht und verschuldet hat, deshalb die Beklagte u. a. für den gesamten immateriellen Schaden der Klägerin einzustehen hat (§ 3 Nr. 1 PflVG i. V. m. §§ 823, 847 Abs. 1 BGB).
Die Beklagte hat vorprozessual ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 DM an die Klägerin gezahlt.
Durch das am 13. Dezember 1999 verkündete Urteil hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bei Auftreten weiterer noch nicht erkennbarer Spätfolgen aus dem Unfall vom 20. Juli 1995 - gemeint ist 1994 - auch hierfür ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen. Soweit die Klägerin ferner ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 DM verlangt hat, hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass das von der Beklagten vorprozessual gezahlte Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 DM genüge. Wegen der Begründung der Entscheidung des Landgerichts im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Urteils Bezug genommen.
Gegen diese ihr am 3. Januar 2000 zugestellte Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer am 3. Februar 2000 bei Gericht eingegangenen Berufung, die sie mit am 3. März 2000 eingegangenem Schriftsatz begründet hat. Sie trägt unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen im ersten Rechtszug vor:
Das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass sie auch unter der Beeinträchtigung ihrer Sprache, der Wortfindung und des Sprachflusses als Unfallfolge andauernd leide. Gleiches gelte für die weitere Unfallfolge, dass sie nun die Fahreignung verloren habe mit der Konsequenz, dass sie vom gesellschaftlichen Leben in ihrem Heimatland, den USA, ausgeschlossen sei. Sie lebe dort in dem Bundesstaat Florida, einem Flächenstaat, in dem es faktisch keinen öffentlichen Personenverkehr gebe. Die Zersiedlung der Orte habe dazu geführt, dass Besorgungen und Besuche nur mit Hilfe eines Kraftfahrzeuges möglich seien.
Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass sie gerade aufgrund ihrer überdurchschnittlichen kognitiven Leistungsfähigkeit ihre Einschränkungen durch die Unfallfolgen in extremer Weise hilflos hinnehmen müsse. Deshalb liege ein überdurchschnittliches Genugtuungsinteresse vor.
Schließlich habe sich das Landgericht mit den herangezogenen Entscheidungen unzutreffend auseinandergesetzt. Die angeführte lfd. Nr. 1777 der Entscheidungssammlung Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 18. Aufl., betreffe einen Fall, in dem der Geschädigte sich ein Mitverschulden von 50 % habe anrechnen lassen müssen, so dass ohne Mitverschulden nach dieser Entscheidung ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 DM in Betracht komme. Zudem sei das Landgericht nicht auf die unter lfd. Nrn. 1896, 1897 und 1946 wiedergegebenen Entscheidungen eingegangen. Das Landgericht hätte die im Zeitpunkt seiner Entscheidung feststehenden Folgen, insbesondere die begründete Angst vor weiteren epileptischen Anfällen - zu denen es mehrfach gekommen sei - berücksichtigen müssen. Sie leide angesichts ihres Alters unter lebenslang dauernden Beeinträchtigungen und der ganz erheblichen Reduzierung der Lebensfreude im Verlauf ihres Lebensabends.
Was die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes anbelange, sei eine Genugtuung für sie als Bürgerin der U selbst in einem reduzierten Zustand nur dann gegeben, wenn sie selbst in der Lage sei, in dem ihr zugesprochenen Schmerzensgeld überhaupt eine ansatzweise Genugtuung zu erkennen. Es müsse sich um einen Betrag handeln, bei dem es sich nicht um ein scheinbares Almosen handele. Unter Berücksichtigung der psychischen Folgen und der physischen Bewegungseinschränkungen sowie der Genugtuungsfunktion sei ein Schmerzensgeld von insgesamt 150.000,00 DM als Minimum angemessen, zumal dieser Betrag gerade 5 % desjenigen Betrages ausmache, der ihr nach der Rechtsprechung der USA zustehen würde.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 DM für den Zeitraum ab dem 30. Juli 1994 hinsichtlich der bislang aufgetretenen Folgen aus dem Unfall vom 30. Juli 1994 zu bezahlen nebst 4 % Zinsen ab dem 1. April 1996.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der Entscheidung des Landgerichts sei zu folgen. Es sei von allen im Gutachten des Sachverständigen D H vom 7. Juni 1999 ermittelten Unfallfolgen auszugehen. Danach sei die Klägerin berechtigt, wieder ein Kraftfahrzeug zu führen. Soweit ihr nun Fahrpraxis fehle, wäre diese durch entsprechende Nachschulung überwindbar. Allerdings habe der Sachverständige P C Z in seinem Gutachtern vom 18. Juni 1998 auf eine Veränderung des linken Hüftgelenks und des linken Kniegelenks bei der Klägerin hingewiesen. Beide Beeinträchtigungen wirkten sich auf die Fähigkeit, Kraftfahrzeuge zu führen, negativ aus (Beweis: Sachverständigengutachten, Bl. 161).
Die Überlegungen des Landgerichts zur Höhe des Schmerzensgeldes seien nicht zu beanstanden. Die Genugtuungsfunktion stehe bei der Bemessung von Schmerzensgeldern im Falle eines Verbrechens oder grober Fahrlässigkeit besonders im Vordergrund. Vorliegend gehe es bei der Klägerin um Folgen eines Fehlverhaltens im Straßenverkehr, wie es jedem unterlaufen könne.
Immerhin gebe es auch Entscheidungen, durch die im Falle von Epilepsie oder der Möglichkeit späterer Epilepsie als Unfallfolge Schmerzensgelder von lediglich 20.000,00 DM bis 40.000,00 DM zuerkannt worden seien.
Die Akten 8/8 Cs 53 Js 10854/94 des Amtsgerichts Weißenfels haben dem Senat zur Information vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg. Der Klägerin steht wegen der bei dem Verkehrsunfall am 30. Juli 1994 erlittenen Verletzungen und Folgen ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 75.000,00 DM zu, so dass die Beklagte abzüglich der vorprozessual geleisteten 50.000,00 DM restliche 25.000,00 DM zu zahlen hat (§ 3 Nr. 1 PflVG i. V. m. §§ 823, 847 Abs. 1 BGB, 287 ZPO).
1. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist von seiner Doppelfunktion auszugehen (vgl. BGHZ 18, 149; KG DAR 1987, 151 = VerkMitt 1986, 69 = VRS 72, 331, 333). Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung dafür schuldet, was er ihm angetan hat. Der Entschädigungs- und Ausgleichsgedanke steht im Vordergrund. Die wesentliche Grundlage für die Höhe der Bemessung des Schmerzensgeldes bilden das Maß und die Dauer der Lebensbeeinträchtigung, die Größe, Heftigkeit und die Dauer der Schmerzen und Leiden sowie die Dauer der Behandlung und der Arbeitsunfähigkeit, die Übersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufes, die Fraglichkeit der endgültigen Heilung sowie ferner der Grad des Verschuldens und die Gesamtumstände des Falles.
Bei Verletzungen infolge Verkehrsunfalls wird die Höhe des Schmerzensgeldes in erster Linie - entsprechend der im Vordergrund stehenden Ausgleichsfunktion - durch das Maß der dem Verletzten durch den Unfall zugefügten Lebensbeeinträchtigung bestimmt. Bei der Bemessung der Höhe ist die besondere Natur des Schmerzensgeldanspruchs zu berücksichtigen. Dieser ist vom Gesetzgeber lediglich formal als Schadensersatzanspruch ausgestaltet, seinem Inhalt aber jedenfalls nicht ein solcher der üblichen, d. h. auf den Ausgleich von Vermögensschäden zugeschnittenen Art. Immaterielle Schäden betreffen gerade nicht in Geld messbare Güter, wie im Streitfall die körperliche Unversehrtheit der Klägerin. Daher lassen sie sich niemals in Geld ausdrücken und kaum in Geld ausgleichen. Die Eigenart des Schmerzensgeldanspruchs hat zur Folge, dass dessen Höhe nicht auf Heller und Pfennig bestimmbar und für jedermann nachvollziehbar begründbar ist. Auch deswegen eröffnet der in § 847 Abs. 1 Satz 1 BGB vorgeschriebene Maßstab der Billigkeit dem Richter einen Spielraum, den er durch eine Einordnung des Streitfalles in die Skala der von ihm in anderen Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder ausfüllen muss (KG DAR 1987, 151; VerkMitt 1996, 44 Nr. 60; KG, Urteile vom 29. November 1999 - 12 U 7113/96 -; 13. April 2000 -12 U 7999/97 -).
2. Als Grundlage für die Schätzung des Schmerzensgeldes (§ 287 ZPO) dient - vorrangig vor einer theoretischen Genugtuungsfunktion - die Dauer der stationären Behandlung der Klägerin vom 30. Juli bis 17. August 1994 im Kreiskrankenhaus W sowie das vom Landgericht eingeholte Sachverständigengutachten des N und F D E H vom 7. Juni 1999 (Bl. 79-105).
a) Die auf dessen erhobenen Befunden gestützten Erörterungen und Folgerungen sind widerspruchsfrei und wirken einleuchtend und folgerichtig; ihnen ist uneingeschränkt zu folgen. Auch die Parteien haben keine Einwände gegen das Gutachten dieses Sachverständigen erhoben. Damit ist mit dem Sachverständigen D H davon auszugehen, dass die Klägerin ein Schädelhirntrauma 1. Grades erlitten hat, das durch ein Durchgangssyndrom überlagert war. Zudem war eine blutige Hirnkontusion mit einem Begleitödem (Hirnschwellung) ohne raumfordernde Wirkung eingetreten. Anfang 1995, als sich die Klägerin in den USA aufhielt, bekam sie plötzlich (posttraumatische) epileptische Anfälle, die notfallmäßig zu deren stationären Aufnahme führten. Im Krankenhaus zeigte sie bei Untersuchungen Wortfindungsstörungen, Paraphasien - sog. Danebenreden, entweder mit einzelnen Buchstaben und Silben oder sinngemäß -; seither traten häufiger Anfälle auf, die zu einer antikonvulsiven Dauertherapie führten. Die epileptischen Anfälle sind auf eine Narbe zurückzuführen, die die Klägerin nach dem bei dem Verkehrsunfall erlittenen Hirntrauma entstanden war. Es ist eine antiepileptische Dauertherapie erforderlich. D. h. die Klägerin muss auf unbegrenzte Zeit Medikamente einnehmen, um die Anfälle zu unterdrücken. Die Klägerin wird inzwischen mit dem Medikament Tegretal mit dem Wirkstoff Carbamazepin behandelt. Unter dieser Medikamentation ist sie mit 600 mg und einem Wirkspiegel in der unteren therapeutischen Grenze anfallfrei. Die medikamentöse Behandlung erfordert eine kontinuierliche Blutbildkontrolle und gelegentliche Kontrolle der Leberfunktion.
Einleuchtend führt der Sachverständige D H weiter aus, dass die Klägerin aus verkehrsmedizinischer Sicht wegen des Anfallsleidens drei Jahre lang - von 1995 bis 1998 - kein Kraftfahrzeug habe führen dürfen. Weil sie aber seit mehreren Jahren anfallfrei geblieben sei und eine Dosierung von 600 mg Carbamazepin auf die Cognition nach allen Erfahrungen nicht sehr groß sei, sei sie grundsätzlich -wieder- als noch ausreichend fahrtauglich einzuschätzen. Dem stehe allerdings entgegen, dass die Klägerin - im Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen - 74 Jahre alt sei, zwar eine Fahrerlaubnis seit vielen Jahrzehnten besitze, sie aber nach ihren Angaben in der letzten Zeit vor dem Unfall nur sehr wenig gefahren sei. Nach fünf Jahren ohne Fahrpraxis sei ihr eine Rückkehr und ein Wiedererwerb der notwendigen Routine, die für eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr geboten sei, vermutlich auf Dauer versperrt. Dies sei in Deutschland in Flächenbereichen - außerhalb großstädtischer Bereiche - und insbesondere in Amerika eine deutliche Beeinträchtigung der Beweglichkeit und Entfaltungsmöglichkeit.
Die Klägerin leide weiterhin anhaltend unter den Beschwerden, nämlich unter den Anfällen, Beeinträchtigungen ihrer Sprache, Wortfindung und des Sprachflusses sowie noch erkennbar unter der Epilepsie bzw. dem Erfordernis der Dauertherapie. Auf die theoretische - nicht auszuschließende - Möglichkeit einer weiteren Verschlechterung, etwa für den Fall eines großen epileptischen Falls mit Sturz und erneuter Hirntraumatisierung müsse hingewiesen werden. Die Erwerbsminderung betrage theoretisch - da die Klägerin nicht berufstätig sei - nach dem derzeitigen Befund 70 %. Allerdings wäre die Klägerin nach dem vorliegenden Befund, auch wenn sie jünger wäre und noch im Berufsleben stünde, nicht mehr arbeits- und einsatzfähig.
Hiernach sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch die Wortfindungsstörungen und Paraphasien, aber auch die Sorge zu berücksichtigen, dass trotz medikamentöser Versorgung die Möglichkeit eines großen epileptischen Anfalls mit Sturz und erneuter Hirntraumatisierung nicht auszuschließen sind. In angemessener Weise ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sein wird, ein Kraftfahrzeug zu führen. Zwar hat der Sachverständige nur erklärt, dass der Klägerin diese Möglichkeit "vermutlich" auf Dauer versperrt, bleiben wird. Doch ist zu bedenken, dass diese Möglichkeit von Jahr zu Jahr geringer geworden ist. Zwar macht die Beklagte geltend (vgl. S. 2 der Berufungserwiderung, Bl. 161), dass die Klägerin es versäumt habe, durch Nachschulung wieder Fahrpraxis zu erlangen; jedenfalls könne sie sich noch nachschulen lassen. Doch ist zu bedenken, dass der Klägerin wegen der erlittenen Anfälle im Hinblick auf ihr Alter kein Vorwurf gemacht werden kann, dass sie in dieser Richtung keine Initiative entfaltet hat. Allerdings ist zu beachten, dass die Klägerin selbst nach ihren Angaben vor dem Unfall nur noch in geringem Maße ein Kraftfahrzeug geführt hat. In diesem Zusammenhang kann der Beklagten zwar darin gefolgt werden, dass sich auf einen Kraftfahrer Veränderungen eines Hüftgelenks und eines Kniegelenks negativ beim Führen eines Fahrzeuges auswirken können. Doch macht die Beklagte selbst nicht geltend, dass dies generell das Führen eines Fahrzeuges ausschließen würde. Deshalb ist insoweit kein Sachverständigengutachten auf Antrag der Beklagten einzuholen gewesen.
Auch die zuletzt angeführten Umstände sind neben den vom Landgericht hervorgehobenen Verletzungen und Beeinträchtigungen bei der Schätzung des angemessenen Schmerzensgeldes zu berücksichtigen, also alle zuvor aufgrund des Sachverständigengutachtens angesprochenen Beschwerden.
b) Mit der Klägerin ist ferner davon auszugehen, dass auch die Genugtuungsfunktion Einfluss auf die Höhe des Schmerzensgeldes hat. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt dieser Funktion allerdings besondere Bedeutung erst dann zu, wenn das Verschulden des Schädigers besonders schwer wiegt (KG, Urteil vom 6. Juli 1995 - 12 U 2402/94 - S. 8 unten). Dass das Verschulden der Fahrerin F besonders schwer wiege, hat die Klägerin nicht im Einzelnen dargetan. Derartiges lässt sich jedenfalls nicht zweifelsfrei den Akten 8/8 Cs 53 Js 10854/94 des Amtsgerichts Weißenfels (= BA) entnehmen. Zwar ist es auf Unachtsamkeit zurückzuführen, dass die Fahrerin P des Personenkraftwagens H - L gegen ein anderes Fahrzeug geraten ist, weshalb letzteres gegen den Personenkraftwagen fuhr, in dem sich die Klägerin befunden hat. Doch lässt sich nichts dafür anführen, dass sie den Unfall etwa infolge leichtfertigen, gleichgültigen Verhaltens, also etwa grob fahrlässig verursacht hat. Dafür gibt es auch keine Anhaltspunkte in dem gegen die Fahrerin ergangenen rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Weißenfels vom 19. April 1995 wegen fahrlässiger Körperverletzung (60 Tagessätze zu je 25,00 DM). Ferner ließe sich dagegen anführen, dass sich in dem Personenkraftwagen H - L auch deren Töchter A und A P befanden, die bei dem Unfall gleichfalls schwer verletzt wurden, wie der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige vom 30. Juli 1994 und dem Vermerk der Staatsanwaltschaft Halle vom 1. März 1995 (BA Bl. 3 f., 77) zu entnehmen ist, und es nicht naheliegend erscheint, dass eine Mutter von vornherein durch grob fahrlässige Fahrweise ihre Kinder hätte gefährden wollen.
c) Der Hinweis der Klägerin auf ihre überdurchschnittliche kognitive Leistungsfähigkeit ist zwar bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu beachten, führt aber nicht in besonderem Maße zur Erhöhung desselben.
d) Ohne Einfluss auf die Höhe des Schmerzensgeldes muss bleiben, dass die Klägerin auch die Staatsbürgerschaft der USA besitzt. Denn § 847 Abs. 1 BGB ist nicht dahin zu verstehen, dass die Schmerzensgelder für Geschädigte zu unterscheiden sind, welche Rechte und Ansprüche ihnen im Heimatland zustünden, ob nach dem Recht des Heimatlandes es überhaupt kein Schmerzensgeld - etwa in der Türkei - oder ob es einen besonders hohen Ausgleich gibt. Damit erübrigen sich Überlegungen, ob in den USA und in welchen Bundesstaaten bei dem Ersatzanspruch zwischen Schmerzensgeld und Schadensersatz überhaupt unterschieden wird. Weil sich der Unfall in Deutschland ereignet hat, findet deutsches Recht Anwendung mit der Folge, dass die von hiesigen Gerichten entwickelten Maßstäbe Gültigkeit haben diese Grundsätze hat der erkennende Senat beachtet, wenn er das der Klägerin zustehende Schmerzensgeld auf insgesamt 75.000,00 DM geschätzt hat. Dieser Betrag darf von der Klägerin nicht als sog. Almosen verstanden werden.
3. Nach allem kann die vom Landgericht (UA. S. 5 f.) angeführte Rechtsprechung als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Höhe des Schmerzensgeldes angesehen werden. Die unter den lfd. Nrn. 1725, 1740 und 1777 aus Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 18. Aufl., wiedergegebenen Entscheidungen sind in der 19. Aufl., 1999, unter den lfd. Nrn. 1932, 1949 und 1991 (= OLG Frankfurt VersR 1987, 823 Ls) aufgeführt.
In diesen Fällen sind den Geschädigten jeweils 50.000,00 DM zugebilligt worden. Im letzteren Fall hat das OLG Frankfurt ein hälftiges Mitverschulden des Geschädigten berücksichtigt. Dies rechtfertigt nicht schon die Annahme, dass deshalb der Klägerin insgesamt wenigstens 100.000,00 DM zustehen müssten. In jenem Fall hat eine 38jährige Verkäuferin ein schweres Schädelhirntrauma mit großen epiduralen und subduralen Hämatomen links erlitten. Es bestand eine mehrwöchige Bewusstlosigkeit und Lebensgefahr. Es trat eine wenn auch nicht gravierende Wesensveränderung ein. Deshalb lassen sich diese Schäden nicht mit den von der Klägerin erlittenen Verletzungen und Folgen - da keine Wesensveränderung vorliegt - vergleichen. Entsprechendes gilt für den Fall unter lfd. Nr. 1947 (UA. S. 6; in der 19. Aufl.: lfd. Nr. 2194), wie durch die vom Landgericht zutreffend angeführten Verletzungen und Folgen - im Vergleich zu den von der Klägerin erlittenen Schäden - deutlich wird.
Allerdings ist zuvor aufgezeigt worden, dass neben den vom Landgericht berücksichtigten Verletzungen und Beschwerden der Klägerin die Wortfindungsstörungen und semantischen Paraphasien, die Sorge vor einem nicht auszuschließenden großen epileptischen Anfall nebst Hirntraumatisierung und der Nachteil, auch nicht mehr selten ein Kraftfahrzeug führen zu können, gleichfalls bei der Schätzung des Schmerzensgeldes Bedeutung beizumessen ist. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die angeführten Entscheidungen bis zu 15 Jahre alt sind, was bereits wegen der Geldentwertung einen Zuschlag rechtfertigt (vgl. Hacks/Ring/Böhm, a. a. O., S. 15). Unter Berücksichtigung aller Umstände erscheint ein Schmerzensgeld von insgesamt 75.000,00 DM angemessen, aber auch ausreichend (§ 287 ZPO).
Hierfür kann die Entscheidung des OLG Bamberg vom 15. Dezember 1992 angeführt werden, das einem 13jährigen Jungen wegen Epilepsiebereitschaft sowie Hüftverletzung und sehr langer stationärer Behandlung, aber keiner lebenslänglichen Beeinträchtigung und keiner Minderung der Erwerbsfähigkeit 60.000,00 DM zugebilligt hat (Beck'sche Schmerzensgeld-Tabelle von Slizyk, 3. Aufl., 1997, S. 483 Nr. 1773). Hiervon abweichend dauern die Leiden der Klägerin fort bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von theoretisch 70 % und der zutreffenden Aussage des Sachverständigen D H dass die Klägerin auch im Falle jüngeren Alters wegen der Unfallfolgen nicht mehr in der Lage wäre, einer Arbeit nachzugehen. Deshalb erscheint der Betrag von 75.000,00 DM gerechtfertigt.
Die Klägerin stützt sich noch auf Hacks/Ring/Böhm, a. a. O., 18. Aufl., lfd. Nrn. 1887, 1886 und 1946 = 19. Aufl., lfd. Nrn. 2122, 2121 und 2193. In diesen Fällen haben die Gerichte auf Schmerzensgelder in Höhe von 80.000,00 DM - nebst immateriellem Vorbehalt - und 120.000,00 DM erkannt. Es genügt der Hinweis, dass in diesen Fällen die Geschädigten in erheblichem Umfang weitere Verletzungen und Frakturen bzw. eine Halbseitenlähmung, Augenmuskellähmung und ein schweres Schädelhirntrauma erlitten haben, so dass ein Vergleich mit den Verletzungen und Beschwerden der Klägerin ausscheidet.
Die von der Beklagten angeführten Entscheidungen - OLG Frankfurt VersR 1981, 1131 f.; OLG Düsseldorf VersR 1992, 11321; OLG Köln r + s 1987, 254 f. - sind nicht geeignet, es bei den von ihr gezahlten 50,000,00 DM zu belassen, da die in diesen Fällen angesprochenen, von den Geschädigten erlittenen Verletzungen weniger vergleichbar sind.
4. Weil die Klägerin nicht aufgezeigt hat, die Beklagte zum 1. April 1996 in Verzug gesetzt zu haben und auf das Schmerzensgeldbegehren §§ 849, 246 BGB nicht anwendbar sind, stehen ihr 4 % Zinsen erst seit Klageerhebung, dem 23. März 1998 (Bl. 24), zu (§ 284 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB a. F.).
5. Wegen offensichtlicher Unrichtigkeit ist der Senat anstelle des Landgerichts berechtigt, das Datum - 1994, nicht 1995 - im immateriellen Vorbehalt zu berichtigen (§ 319 ZPO).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO.
Ende der Entscheidung
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