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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.04.2001
Aktenzeichen: 18 UF 6804/00
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, KostO


Vorschriften:

ZPO §§ 516 ff.
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 e Abs. 1
ZPO § 621 e Abs. 3
BGB § 1666
BGB § 1697
BGB § 1697 a
KostO § 30 Abs. 3 Satz 1
KostO § 31 Abs. 1 Satz 1
KostO § 131 Abs. 2
KostO § 131 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 18 UF 6804/00 18 UF 6805/00

In der Familiensache

hat der 18. Zivilsenat des Kammergerichts - Senat für Familiensachen - unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Kammergericht Erich, des Richters am Kammergericht Dr. Weber und der Richterin am Kammergericht Dr. Ehinger am 17. April 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Kindes und der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 14. Juli 2000 in seinem Ausspruch in Absatz 2 der Beschlussformel geändert wie folgt:

Es wird Vormundschaft angeordnet. Zum Einzelvormund für das Kind wird der Beteiligte zu 3. Herr bestimmt.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

1.

Nach der Scheidung 1993 zog der Vater von A in seine Heimatstadt Brennen, die beiden ehelichen Kinder A und M K blieben im Haushalt der Mutter in Berlin, die die elterliche Sorge ausübte. Im Laufe der folgenden Jahre hatte die Mutter erhebliche Erziehungsschwierigkeiten mit den Kindern, hinzu kamen massive Konflikte zwischen den Geschwistern. M K wechselte 1998 in den Haushalt des Vaters, kehrte aber schon Ende 1999 wieder zur Mutter zurück. Der Vater leidet an Lungenkrebs und sieht sich zur Erziehung der Kinder außerstande.

Auch für A ergaben sich im Zusammenleben mit der Mutter erhebliche Schwierigkeiten, die dazu führten, dass er seit 1997 häufig die Schule schwänzte und sich schließlich weigerte überhaupt die Schule zu besuchen. Er reagierte immer auffälliger und aggressiver im Umgang mit der Mutter und äußerte sogar Selbstmordabsichten mit der Folge, dass er vom 27. August - 9. Oktober 1998 und vom 12. Oktober 1998 - 26. Januar 1999 in der kinderpsychiatrischen Abteilung des Humboldt Krankenhauses behandelt werden musste. Eine von der Klinik empfohlene und von der Mutter gewünschte, sich an den Klinikaufenthalt anschließende Unterbringung des Jungen in einem Internat scheiterte an dem Widerstand des Jugendamts, das eine Internatsunterbringung nicht für ratsam hielt, da A eine andere Unterbringung benötige, bei der er mehr Zuwendung erhalte. Dem Jugendamt gelang es dann allerdings in den folgenden Monaten nicht, für den Jungen ein alternatives Hilfsangebot zu organisieren, so dass es wiederum zum Schuleschwänzen und heftigen Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Sohn kam.

Zwischenzeitlich hatte A über einen Schulkameraden die Beteiligten zu 3. und 4., Herrn K und Herrn F kennengelernt, die seit Jahren Pflegekinder betreuen. Nach näherem Kennenlernen entschied er sich, als weiteres Pflegekind dort in der Familie zu leben. Die Mutter schloss mit den Pflegevätern einen privaten Pflegevertrag, in dem auch vereinbart wurde, dass diesen das Sorgerecht für A übertragen werden soll. A lebt seit Juni 1999 in der Pflegestelle, in der noch 2 weitere männliche Jugendliche im Alter von 16 und 19 Jahren leben. Er hat sich seitdem ausgesprochen positiv entwickelt, besucht regelmäßig die Schule und hat auch wieder geregelten Kontakt zu seiner Mutter und Schwester. Das Jugendamt Reinickendorf hat es abgelehnt, den Pflegevätern für A eine Pflegeerlaubnis zu erteilen, da es diese nicht für kooperationsfähig hält und hat ihnen ferner eine mangelnde Vorbildfunktion vorgeworfen. So hätten diese in der Vergangenheit ihre Pflegekinder für schwerbeschädigt erklären lassen, nur um ihnen finanzielle Vorteile zu verschaffen.

Wegen der Versagung der Pflegeerlaubnis ist ein Verwaltungsgerichtsverfahren anhängig.

Mit Beschluss vom 14. Juli 2000 - 24 F 5315/77 und 24 F 3559/99 - entzog das Amtsgericht Pankow/Weißensee - Familiengericht - der Mutter die elterliche Sorge und ordnete Vormundschaft für A an. Die Anträge der Mutter und der Beteiligten zu 3. und 4. auf Übertragung der elterlichen Sorge für A auf deren Pflegeväter oder deren Bestimmung zum Vormund wies es zurück. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Das AG Wedding - 53 VII S 6806 - verfügte am 28. Juli 2000 die Bestellung des Jugendamt Wedding zum Vormund.

Die Mutter, A und die Beteiligten zu 3. und 4. legten Beschwerde gegen den Beschluss des AG Pankow/Weißensee vom 14. Juli 2000 ein. Im Anhörungstermin haben die Beteiligten zu 3. und 4. ihre Beschwerde zurückgenommen. A und seine Mutter haben ihre Rechtsmittel gegen den Entzug des Sorgerechts zurückgenommen und wenden sich mit ihrer Beschwerde nur noch gegen die Ablehnung der Auswahl eines Einzelvormundes durch das Familiengericht.

Sie sind der Auffassung, dass eine Amtsvormundschaft wegen der Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt nicht sinnvoll sei. Auch sei zu befürchten, dass das Jugendamt A gegen seiner Willen aus der Pflegestelle nehmen werde. A wünscht sich die Übertragung der Vormundschaft auf die Beteiligten zu 3 und 4.

Das Jugendamt hat einer Übertragung der Vormundschaft auf die Pflegeväter und der Auswahl eines anderen Einzelvormundes widersprochen, da es die Amtsvormundschaft für am besten geeignet hält. Bei den Beteiligten zu 3. und 4. befürchten sie eine Interessenkollision in den Funktionen als Pflegeväter und Vormünder. Im übrigen hätten sich beide in der Vergangenheit als unzuverlässig und eigenmächtig im Umgang mit den Behörden erwiesen. Wegen der weitere Besorgnisse wird auf die Jugendamtsberichte vom verwiesen.

Der Senat hat A, die Eltern und Pflegeväter sowie die weiteren Beteiligten persönlich angehört. Die weiteren als Einzelvormund vorgeschlagenen Personen wurden angeschrieben. Zur Übernahme der Vormundschaft hat sich der Halbbruder von Herrn K, Herr Herbert B bereit erklärt.

2.

Die Beschwerde der Mutter und von A die sich zunächst gegen den Beschluss insgesamt gerichtet hat, ist gemäß §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1, 621 e Abs. 3, 516 ff. ZPO zulässig und nach der teilweisen Rücknahme im Wesentlichen begründet.

Der Senat hält es vorliegend für sinnvoll und geboten gemäß § 1697 BGB einen Einzelvormund auszuwählen und bestimmt den Beteiligten zu 3., Herrn K, als Vormund für A. Nicht in Betracht kam die Auswahl von Herrn F da dieser aufgrund seiner Schwerbehinderung mit der Pflegestufe 2 schon aus gesundheitliche Gründen dazu nicht geeignet ist.

Das Familiengericht kann gemäß §§ 1697, 1697 a BGB in den Fällen, in denen es eine Vormundschaft anordnet auch den Vormund auswählen. Mit dieser Erweiterung der Kompetenz der Familiengerichte durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz soll die vom Familiengericht im Verlauf des Verfahrens gewonnene Sachkenntnis, nutzbar gemacht werden für die Auswahl eines Vormunds.

Vorliegend wollte das Amtsgericht zwar von seinem Auswahlrecht Gebrauch machen, sah sich aber mangels einer geeigneten Person an der Auswahl gehindert und hat die Auswahl dem Vormundschaftsgericht überlassen, das das Jugendamt Reinickendorf zum Amtsvormund bestellt hat.

Hiergegen wenden sich die Beschwerdeführer zu Recht, denn ist es zum Wohle des Jungen aus mehreren Gründen geboten einen Einzelvormund auszuwählen:

Für A erfüllt eine Vormundschaft am besten ihren Sinn, wenn er erlebt, dass die Person, die ihn täglich erzieht, auch rechtlich befugt ist, ihn zu erziehen. Angesichts seiner Erfahrungen in der Vergangenheit, die geprägt waren von einem Hin- und Herwechseln zwischen den Eltern, ist es von erzieherischem Vorteil, wenn die Zuordnung klar geregelt sind und zukünftig möglichst Streitigkeiten um Kompetenzen vermieden werden.

Gegen eine Amtsvormundschaft spricht, dass diese - jedenfalls so wie sie bisher für A erlebbar war - vom Schreibtisch her ausgeübt worden ist, ohne dass es zu persönlichen Kontakten zwischen Mündel und Vormund gekommen ist. Jedenfalls hat A seine Amtsvormünderin, die zwischenzeitlich schon nicht mehr für ihn zuständig ist, erstmalig im Anhörungstermin am 2. März 2001 kennengelernt. Hinzu kommt, dass sowohl die Mutter als auch die Pflegeväter erhebliche Probleme im Umgang mit dem Jugendamt gehabt haben, die noch teilweise fortdauern und die Alexanders Einstellung zum Jugendamt und der Begründung eines Vertrauensverhältnisses zum Amtsvormund im Wege stehen könnten.

So hat Kritik der Mutter hervorgerufen, dass - obwohl sie im Einvernehmen mit der Klinik einen Internatsbesuch des Jungen im Anschluss an die klinische Behandlung wünschte - das Jugendamt dieser Unterbringungsform widersprach, es ihm aber nicht gelang, eine alternative Erziehungshilfe zu organisieren. Den Aufenthalt des Jungen bei den Beteiligten zu 3. und 4., den dieser in Eigeninitiative herbeigeführt hat, duldet das Jugendamt zwar wegen der positiven Entwicklung von A eine Pflegeerlaubnis wird gleichwohl nicht erteilt. Da A diese Spannungen miterlebt hat, ist nachvollziehbar, dass er sich gegen die Anordnung einer Amtsvormundschaft wehrt, so dass erhebliche Zweifel bestehen, ob es einem Amtsvormund gelänge, das für die Vormundschaft erforderliche Vertrauensverhältnis zu dem Jungen aufzubauen, zumal in der Vorstellungswelt eines Jugendlichen Amtsvormundschaft und die für die Erziehungshilfe zuständigen Sozialarbeiter des Jugendamts eine Einheit darstellen, obwohl diese tatsächlich organisiatorisch getrennt und unabhängig voneinander arbeiten.

Unter Berücksichtigung sämtlicher Gesichtspunkte ist es deshalb im Interesse des Jungen geboten, die Vormundschaft auf einen Einzelvormund zu übertragen. Dazu sieht sich der Senat, der auch mit der Überprüfung der zugrundeliegenden Entscheidung gemäß § 1666 BGB befasst war, aufgrund der daraus gewonnenen Kenntnis der individuellen Verhältnisse auch in der Lage.

Unter den in Betracht kommenden Personen hält der Senat der Pflegvater G K am geeignetsten die Vormundschaft auszuüben, trotz der vom Jugendamt gegen ihn geäußerten Bedenken.

Der Vormund soll nach seinen persönlichen Verhältnissen und seiner Vermögenslage zur Führung der Vormundschaft geeignet sein sowie nach den sonstigen Umständen (§ 1779 Abs. 2 BGB). Herr H verdient seinen Lebensunterhalt mit der Pflege von Kindern und bietet aufgrund seiner beruflichen Ausbildung als Sozialpädagoge besonders gute Voraussetzungen für die Erziehung von A. Die bisherige Entwicklung des Jungen belegt seine Eignung.

Zwar mag Herr K nicht immer bequem im Umgang mit dem Jugendamt sein, gleichwohl hat hier das Interesse des Kindes an eindeutiger Zuordnung Priorität. Soweit ihm vorgeworfen wird, dass er es aus finanziellen Gründen darauf anlege, seine Pflegekinder zu Behinderten erklären zu lassen, spricht gegen ein eigenmächtiges und eigennütziges Handeln die Tatsache, dass Behinderungen im Rahmen eines objektiven amtsärztlichen Prüfungsverfahrens geklärt werden, das einer Parteiendisposition entzogen ist.

Bedenken an der Eignung ergaben sich aber für den Senat allerdings aus der Tatsache, dass die Pflegeväter A wegen eines verlängerten Kuraufenthalts nicht zur Schule schickten. Dies mag sich für A nicht unmittelbar nachteilig ausgewirkt haben, da zu dem Zeitpunkt schon feststand, dass er das Probehalbjahr nicht schaffen würde, gleichwohl ist von einem Vormund zu erwarten, dass er die ihm anvertrauten Kinder zu einem regelmäßigen Schulbesuch und gesetzestreuen Verhalten anhält, auch wenn dadurch seine eigenen Interessen zurückzustehen haben. Der Senat hat sich aber trotz dieser Bedenken aufgrund des in der persönlichen Anhörung gewonnenen Eindrucks für Herrn K entschieden, da von ihm zu erwarten ist, dass er zukünftig das Interesse des von ihm betreuten Kindes voranstellen und sich ein Schulversäumnis dieser Art nicht wiederholen wird. Er wird im Übrigen zu gewärtigen haben, dass er als Vormund trotz seiner selbständigen Stellung der gerichtlichen Kontrolle des Vormundschaftsgerichts unterliegt, die die Aufsicht über die Ausübung der Personen- und Vermögenssorge beinhaltet.

Die Bestellung des Beteiligten zu 3. zum Vormund wird in einem gesonderten Akt durch das Vormundschaftsgericht erfolgen, das im Übrigen in Vollziehung dieses Beschlusses die Amtsvormundschaft aufzuheben haben wird.

Das Beschwerdeverfahren ist gemäß § 131 Abs. 3 KostO gerichtsgebührenfrei; eine Anordnung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten (§ 13 a Abs. 1 FGG) ist nicht geboten. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf den §§ 31 Abs. 1 Satz 1, 131 Abs. 2, 30 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 KostO.

Ende der Entscheidung

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