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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.10.2008
Aktenzeichen: 22 W 64/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91a
Der Geschädigte, der seinen beschädigten Pkw hat reparieren lassen und bei Überschreitung des Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % die übersteigende Differenz der Reparaturkosten begehrt, hat die Kosten des erledigten Rechtsstreits nach § 91a ZPO zu tragen, wenn er vor Ablauf von sechs Monaten Klage erhoben hat und der Schädiger anschließend innerhalb einer angemessenen Prüfungsfrist nach Prüfung der Belege für eine weitere Eigennutzung (Integritätsinteresse) gezahlt hat.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 22 W 64/08

16.10.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 22. Zivilsenat des Kammergerichts am 16. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Ubaczek, die Richterin am Kammergericht Stecher und den Richter am Kammergericht C. Kuhnke beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird die Kostenentscheidung in dem am 29. Juli 2008 verkündeten Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 38/08 - geändert: Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Gebührenstreitwert des Beschwerdeverfahrens beträgt 3.700 €.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger hat von den Beklagten restlichen Schadenersatz wegen eines Verkehrsunfalls vom 2. November 2007 begehrt. Die Haftung ist dem Grunde nach unstreitig.

Die ermittelten Reparaturkosten überstiegen den Wiederbeschaffungswert, jedoch nicht um mehr als 30 %. Der Kläger ließ das Fahrzeug in der Zeit vom 19. bis 30. November 2007 reparieren.

Die Beklagte zu 2., die Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 1., zahlte deshalb zunächst entsprechend ihrem Schreiben vom 22. November 2007 den Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert. Sie führte in dem Schreiben ferner aus, höhere Reparaturkosten könnten erst dann ersetzt werden, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug reparieren lasse und das Fahrzeug mindestens 6 Monate ab Unfalldatum weiternutze. Ob dies der Fall sein werde, könne noch nicht beurteilt werden, weshalb anheimgestellt werde, zu gegebener Zeit an sie heranzutreten. Bis dahin könne lediglich der Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt werden.

Der Kläger hat dies nicht akzeptieren wollen und am 25. Februar 2008 Klage, die am 9. April 2008 zugestellt worden ist, eingereicht, mit der er die Differenz (8.131,17 €) zuzüglich merkantiler Wertminderung (500 €), Nutzungsausfall für 12 Tage (516 €) sowie einer Nebenkostenpauschale (25 €) und vorgerichtlichen Kosten (603,93 €) geltend gemacht hat.

Die Beklagte zu 2. hat zunächst die Nebenkostenpauschale sowie die vorgerichtlichen Kosten im April 2008 an den Kläger gezahlt. Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 5. Juni 2008 Nachweise für die fortbestehende Nutzung des Fahrzeugs vorgelegt hat, hat sie Ende Juni / Anfang Juli 2008 auch den Differenzbetrag zum Fahrzeugschaden zuzüglich Wertminderung gezahlt.

Die Parteien haben den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit für erledigt erklärt. Der Kläger hat seinen Nutzungsausfall (516 €) nebst Zinsen sowie Zinsansprüche auf den erledigten Teil weiterverfolgt.

Das Landgericht hat mit am 29. Juli 2008 verkündeten Urteil der Klage wegen der Zinsen, jedoch nur in gesetzlicher Höhe, stattgegeben und wegen des höheren Zinsanspruchs sowie des Nutzungsausfalls die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es den Beklagten nach §§ 91a, 92 Abs. 2 ZPO auferlegt. Der Schadenersatzanspruch würde nicht erst nach 6 Monaten, sondern dann fällig, wenn der Geschädigte die Reparaturkosten gezahlt hätte. Der Umstand, dass dieser Anspruch entfallen könnte, wenn der Geschädigte das Fahrzeug nicht mindestens 6 Monate weiternutze, sei durch eine Zahlung unter Vorbehalt des Nachweises und der Möglichkeit der Rückforderung zu berücksichtigen.

Gegen das ihnen am 7. August 2008 zugestellte Urteil haben die Beklagten am gleichen Tag sofortige Beschwerde (vom 5. August 2008) eingelegt und diese am 22. August 2008 sinngemäß dahin begründet, dass ein zunächst fälliger Anspruch nicht im Nachhinein entfallen könne und dem Geschädigten die Darlegungs- und Beweislast für den Schaden obliege.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 25. August 2008 nicht abgeholfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Beschlüsse des Landgerichts verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 91a Abs. 2; 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet und führt mit Rücksicht darauf, dass das Landgericht die Kostenentscheidung im Übrigen nur auf § 92 Abs. 2 ZPO gestützt hat und eine Abgrenzbarkeit fehlt, zu einer Gesamtkorrektur der Kostenentscheidung, wobei - wegen der zuerkannten Zinsen sowie der Erledigung zur 1. Zahlung von 628,93 € - § 92 Abs. 2 ZPO ergänzend anzuwenden ist.

Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, sind gemäß § 91a Abs. 1 ZPO dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen aufzuerlegen, weil die Klage erst kurz vor dem Eintritt des erledigenden Ereignisses genügende Erfolgsaussicht gehabt hätte und die Beklagten dem durch die (den Rechtsstreit insoweit erledigende) 2. Zahlung in Höhe von 8.631,17 € Rechnung getragen haben.

1. Durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes mit Urteil vom 22. April 2008 - VI ZR 237/07 - NJW 2008, 2183 ist zunächst geklärt, dass der Geschädigte auch bei durchgeführter Reparatur und Abrechnung auf Reparaturkostenbasis bei Überschreitung des Wiederbeschaffungswertes um nicht mehr als 30 %, Reparaturkosten im Regelfall nur verlangen kann bzw. das erforderliche Integritätsinteresse nachgewiesen hat, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall sechs Monate weiternutzt. Der abweichende Ansatz, dies gälte nur für die Abrechnung auf Gutachtenbasis, der den Entscheidungen des OLG Celle mit Beschluss vom 22. Januar 2008 - 5 W 102/07 - NJW 2008, 928 [zu § 91a ZPO] sowie des OLG Nürnberg mit Beschluss vom 7. August 2007 - 2 W 1109/07 - DAR 2008, 27 [zu § 93 ZPO] zu Grunde lag, lässt sich daher nicht mehr rechtfertigen.

2. Das OLG Düsseldorf hat deshalb zu Recht mit Beschluss vom 3. April 2008 - 1 W 6/08 - r+s 2008, 216 entschieden, dass auch bei Abrechnung auf Reparaturkostenbasis das Integritätsinteresse erst durch eine sechsmonatige Weiternutzung des Fahrzeuges nachgewiesen ist, der Schädiger erst nach Ablauf der Frist zahlen müsse und die Kosten des in der Hauptsache durch die innerhalb dieser Frist erfolgte Zahlung erledigten Rechtsstreits den Geschädigten treffen. Insoweit wird aber in der Literatur weitergehend diskutiert, welche Auswirkungen sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für die Fälligkeit des Anspruchs ergeben würden (vgl. Witschier NJW 2008, 898 [900]; ferner NJW-Spezial 2008, 41, 170, 299, 393 sowie zuletzt Kappus NJW 2008, 2184), was in der Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht näher erörtert worden ist. Ferner ist vorliegend erst nach Ablauf der 6-Monatsfrist gezahlt worden. Insoweit beurteilt der Senat die Sachlage wie folgt:

a) Die Klage wäre vorliegend nicht schon deshalb unbegründet gewesen, weil es an der Fälligkeit (bzw. richtigerweise den Voraussetzungen) des Anspruchs gefehlt hätte. Auch wenn im Ergebnis der Anspruch eine Weiternutzung von 6 Monaten voraussetzt, handelt es sich dem systematischen Ansatz nach um die verfahrensrechtliche Frage des Nachweises des bestehenden Integritätsinteresses. Es ist zwischen der materiellen Rechtslage (Bestehen und Fälligkeit) und der prozessualen Verfahrenslage (Nachweisbarkeit) zu unterscheiden. Aus dem Umstand, dass der Nachweis für das (frühere) Entstehen eines Anspruchs erst später gelingen kann, ergibt sich nichts zur materiell-rechtlichen Beurteilung der Fälligkeit und des Grundes des Anspruchs. Der Geschädigte ist mit dem Entstehen der Kosten berechtigt, den Schadenersatz zu verlangen. Er vermag seinen fälligen Anspruch im Prozess mangels Nachweises vor Ablauf von 6 Monaten jedoch im Regelfall nicht durchzusetzen.

b) Letztlich kann aber offen bleiben, ob bereits das Fehlen der Fälligkeit (bzw. richtigerweise des Grundes) des Anspruchs der Begründetheit der Klage entgegen gestanden hätte.

aa) Vorliegend hätte der Nachweis nicht hypothetisch früher geführt werden können, sodass das mögliche Ergebnis einer Beweisaufnahme bzw. eines Nachweises nicht zurückbezogen werden kann. Deshalb muss bei der hier zu treffenden Kostenentscheidung zu Grunde gelegt werden, dass der bisherige Sach- und Streitstand die Annahme der Begründetheit der Klage bis zum Vorliegen der Nachweise nicht gerechtfertigt hätte.

bb) Die nur kurze Zeit bestehende Erfolgsaussicht bis zur Erledigung durch Zahlung rechtfertigt aber nicht die Kostenlast der Beklagten, weil im Rahmen der Billigkeit § 93 ZPO entsprechend heranzuziehen ist (vgl. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 91a Rn. 24 und Rn. 25). Die Beklagten haben keine Veranlassung zur Klage gegeben, weil die Beklagte zu 2. berechtigterweise eine Nachprüfung in Aussicht gestellt hatte. Insoweit handelt es sich um die notwendige Überprüfungszeit bezüglich der Nachweise (vgl. Hartmann in: Baumbach u.a., ZPO, 66. Aufl., § 93 Rn. 53 ff.), weil vor Ablauf von 6 Monaten ein Nachweis des Integritätsinteresses ersichtlich ausschied und die Nachweise erst anschließend geprüft werden können. Die Zahlung ist vorliegend kurzfristig Ende Juni 2008 veranlasst worden, nachdem die Nachweise - ausweislich der Akte - mit Schriftsatz vom 5. Juni 2008 frühestens am 18. Juni 2008 (Absendungsvermerk vom 17. Juni 2008) den Beklagten vorlagen, und beim Kläger zwei Wochen nach dem Vorliegen der Nachweise am 3. Juli 2008 eingegangen. Eine Rechtfertigung für eine Klageerhebung bot sich demgemäß auch später nicht mehr.

cc) Die Kostenverteilung entspricht auch im Übrigen billigem Ermessen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist es einem Schuldner nicht zumutbar, einen nicht nachgewiesenen Schaden zu einem Zeitpunkt zu erstatten, zu dem ein Prozess für den Anspruchsteller ersichtlich erfolglos bleiben muss und noch nicht nachgewiesen werden kann, ob ein Anspruch in diesem Umfang überhaupt besteht. Die Ansicht des Landgerichts liefe - bei unberechtigten Ansprüchen - auf eine zwangsweise Verpflichtung des Schädigers zur (für den Geschädigten unberechtigten) Kreditgewährung hinaus. Es ist aber nicht plausibel begründbar, dass dem Geschädigten eine unberechtigte Eigenvorfinanzierung nicht zumutbar sein soll, während dem Schädiger eine unberechtigte Fremdvorfinanzierung zugemutet wird. Die dem wohl zu Grunde liegende Annahme, der Geschädigte würde einen Vorfinanzierungsschaden andernfalls nicht erstattet erhalten, teilt der Senat zudem nicht (s. a)).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

4. Der Wert des Beschwerdegegenstandes war nach den Kosten erster Instanz zu bemessen.

5. Die Rechtsbeschwerde war mit Rücksicht auf die zumindest in der Literatur bestehenden Unklarheiten zur Frage der Fälligkeit des Anspruchs bzw. zu den Auswirkungen auf die Kostenentscheidung nach §§ 91a, 93 ZPO zuzulassen, um eine einheitliche Rechtsprechung zu dieser Rechtsfrage, die in der Praxis der Versicherungen häufiger auftritt, zu sichern.

Ende der Entscheidung

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