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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 22.08.2001
Aktenzeichen: 23 U 6712/99
Rechtsgebiete: AktG
Vorschriften:
AktG § 255 II |
Entscheidung wurde am 27.02.2003 korrigiert: Rechtsgebiete und Vorschriften geändert, Stichworte und amtlichen Leitsatz hinzugefügt
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes
Geschäftsnummer: 23 U 6712/99
Verkündet am: 22. August 2001
In dem Rechtsstreit
hat der 23. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. August 2001 unter Mitwirkung der Richter am Kammergericht Domke, Neubauer und Wagner für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 10. Juni 1999 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 90 des Landgerichts Berlin geändert:
Der in der Hauptversammlung der Beklagten vom 30. Dezember 1998 unter Tagesordnungspunkt 1 b) und 1 c) gefaßte Beschluß über die Einfügung einer neuen Ziffer 3 in § 3 der Satzung der Beklagten mit nachfolgendem Inhalt:
"Der Vorstand wird zur Erfüllung der dem Bankenkonsortium im Rahmen des Börsengangs der Gesellschaft eingeräumten bzw. einzuräumenden Mehrzuteilungsoption ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Gesamtkapital um bis zu 975.000,00 DM durch Ausgabe von bis zu 195.000 neuer, auf den Inhaber lautender Stammaktien ohne Nennwert (Stückaktien) gegen Bareinlage bis zum 30. September 1999 einmalig oder mehrmals zu erhöhen (genehmigtes Kapital II). Das Bezugsrecht der Aktionäre ist ausgeschlossen. Über die Ausgabe der neuen Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe entscheidet der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrates."
sowie die Ermächtigung des Aufsichtsrats, die Fassung des § 3 Ziffer 1 der Satzung nach vollständiger oder teilweiser Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals entsprechend der jeweiligen Ausnutzung des genehmigten Kapitals und, falls das genehmigte Kapital bis zum 30. September 1999 nicht vollständig ausgenutzt sein sollte, nach Ablauf der Ermächtigungsfrist anzupassen,
wird für nichtig erklärt.
Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Beklagte darf Sicherheit auch durch schriftliche, unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen Kreditinstituts leisten.
Der Wert der Beschwer wird auf 150.000 DM festgesetzt.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die aktienrechtliche Zulässigkeit einer durch Mehrheitsbeschluß der Hauptversammlung dem Vorstand erteilten Ermächtigung, zur Erfüllung einer im Rahmen des Börsengangs dem übernehmenden Bankenkonsortium bereits eingeräumten oder noch einzuräumenden Mehrzuteilungsoption (G) durch Ausschöpfung weiteren genehmigten Kapitals weitere Neuaktien zu schaffen und zu demselben Preis auszugeben, der im Bookbuilding-Verfahren als Emissionspreis der regulären Neuaktien ermittelt worden ist.
Die Beklagte ist ein seit dem 29. Januar 1999 am Neuen Markt börsennotiertes Medienunternehmen. Gegenstand der Erstplatzierung waren sowohl Altaktien aus Aktionärsbesitz als auch neue Aktien aus einer von der Hauptversammlung am 9. Oktober 1998 beschlossenen Barkapitalerhöhung in Höhe von 4 Mio. DM. Gegenstand des vorliegenden Anfechtungsverfahrens ist die Ermächtigung des Vorstands zu einer weiteren Kapitalerhöhung (genehmigtes Kapital II), die bereits auf der Hauptversammlung vom 9. Oktober 1998 beschlossen war, vom Registergericht aber nicht eingetragen worden ist. Zur Behebung der registergerichtlichen Bedenken hat die Hauptversammlung der Beklagten am 30. Dezember 1998 unter Aufhebung des früheren Beschlusses gegen die Stimmen der Klägerin beschlossen:
"Der Vorstand wird zur Erfüllung der dem Bankenkonsortium im Rahmen des Börsengangs der Gesellschaft eingeräumten bzw. einzuräumenden Mehrzuteilungsoption ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Gesamtkapital um bis zu 975.000,00 DM durch Ausgabe von bis zu 195.000 neuer, auf den Inhaber lautender Stammaktien ohne Nennwert (Stückaktien) gegen Bareinlage bis zum 30. September 1999 einmalig oder mehrmals zu erhöhen (genehmigtes Kapital II). Das Bezugsrecht der Aktionäre ist ausgeschlossen. Über die Ausgabe der neuen Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe entscheidet der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrates."
Der Beschluß ist am 5. Januar 1999 in das Handelsregister eingetragen worden (B 1 = Bd. I, Bl. 50, 51 d.A.). Mit Beschluß vom 9. Februar 1999 (B 2 = Bd. I, Bl. 52 d.A.) hat der Vorstand der Beklagten mit Zustimmung des Aufsichtsrats von der Ermächtigung Gebrauch gemacht, indem er das Grundkapital der Gesellschaft um weitere 975.000 DM erhöht und die 195.000 neuen Aktien, die ebenso wie die Neuaktien aus der regulären Kapitalerhöhung mit einem Gewinnbezugsrecht ab 1. Januar 1998 ausgestattet wurden, der den Börsengang als Konsortialführerin begleitenden Bayerischen Landesbank, welche bei Beschlußfassung am 30. Dezember 1998 mit 12,2 % der Aktien an der Beklagten beteiligt war, zu dem für die regulären Neuaktien ermittelten Emissionspreis von 38 Euro überlassen hat. Diese weitere Kapitalerhöhung ist am 24. Februar 1999 ins Handelsregister eingetragen worden (B 2 = Bd. I, Bl. 50, 51 d.A.).
Mit der am 1. Februar 1999 anhängig gemachten und am 22. Februar zugestellten Klage hat die Klägerin, die dem Ermächtigungsbeschluß als einzige Aktionärin mit 30 von 3.243.493 stimmberechtigten Aktien widersprochen und ihren Widerspruch zu Protokoll gegeben hat (Protokollauszug B 1 = Bd. I, Bl. 49 d.A.), den Antrag verfolgt, den Beschluß für nichtig zu erklären, hilfsweise die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit festzustellen.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. Juni 1999, dem Antrag der Beklagten entsprechend, abgewiesen. Gegen das ihr am 15. Juli 1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. August 1999 (Montag) Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist begründet.
Die Klägerin behauptet, die Bayerische Landesbank habe die Aktien aus der Mehrzuteilung auf Grund einer bereits am 9. Dezember 1998 mit dem Vorstand der Beklagten getroffenen Vereinbarung nach Börseneinführung zu einem Stückpreis von 5 DM, jedenfalls aber nicht mehr als 38 Euro, übernommen und zu den damaligen Börsenkursen von 110 Euro bis 150 Euro, also mit einem Gesamtgewinn von mehr als 30 Mio. DM, weiterverkauft.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. Dezember 1998 unter Tagesordnungspunkt 1 b) und 1 c) gefaßten Beschluß über die Einfügung einer neuen Ziffer 3 in § 3 der Satzung der Beklagten mit nachfolgendem Inhalt:
"Der Vorstand wird zur Erfüllung der dem Bankenkonsortium im Rahmen des Börsengangs der Gesellschaft eingeräumten bzw. einzuräumenden Mehrzuteilungsoption ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Gesamtkapital um bis zu 975.000,00 DM durch Ausgabe von bis zu 195.000 neuer, auf den Inhaber lautender Stammaktien ohne Nennwert (Stückaktien) gegen Bareinlage bis zum 30. September 1999 einmalig oder mehrmals zu erhöhen (genehmigtes Kapital II). Das Bezugsrecht der Aktionäre ist ausgeschlossen. Über die Ausgabe der neuen Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe entscheidet der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrates."
sowie die Ermächtigung des Aufsichtsrats, die Fassung des § 3 Ziffer 1 der Satzung nach vollständiger oder teilweiser Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals entsprechend der jeweiligen Ausnutzung des genehmigten Kapitals und, falls das genehmigte Kapital bis zum 30. September 1999 nicht vollständig ausgenutzt sein sollte, nach Ablauf der Ermächtigungsfrist anzupassen,
für nichtig zu erklären,
hilfsweise festzustellen, daß die Beschlüsse der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 30. Dezember 1998 unter Tagesordnungspunkt I.b) und I.c) mit dem vorstehend wiedergegebenen Inhalt nichtig sind,
äußerst hilfsweise festzustellen, daß die Beschlüsse der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 30. Dezember 1998 unter Tagesordnungspunkt I.b) und I.c) mit dem vorstehend wiedergegebenen Inhalt unwirksam sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte behauptet unter Berufung auf Zeugen, der die Mehrzuteilungsoption enthaltende Übernahmevertrag mit der Bayerischen Landesbank sei erst am 20./21. Januar 1999 kurz vor Aufnahme der Erstnotierung am 29. Januar 1999 unterzeichnet worden; der gesamte Erlös aus dem Emissionskurs von 38 Euro sei der Beklagten zugeflossen. Die Beklagte bestreitet, daß die Bayerische Landesbank als übernehmende Konsortialbank von der Differenz zwischen dem Emissionspreis (38 Euro) und den in den Tagen nach der Erstnotierung unstreitig wesentlich höher liegenden Börsenkursen profitiert habe; die zusätzlichen Aktien aus dem G seien vielmehr Neuaktionären zugeteilt worden, die bereits im Bookbuilding-Verfahren mehr Stücke gezeichnet hätten, als ihnen anteilig im Rahmen der Emission hätten zugeteilt werden können.
Zur Verteidigung des angefochtenen Beschlusses führt die Beklagte an, daß der sogenannte G integraler Bestandteil des Bookbuilding-Verfahrens sei; er gebe dem Bankenkonsortium die Möglichkeit, über das erste Emissionsvolumen hinaus nach der Börseneinführung zusätzliche Aktien in gleicher Ausstattung und zum gleichen Preis zu erwerben, um so die Nachfrage der Anleger optimal befriedigen und erforderlichenfalls extreme Kursausschläge nach oben durch Plazierung weiterer Aktien am Markt dämpfen zu können.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin wahrt die gesetzlichen Formen und Fristen und ist daher zulässig.
Die Berufung ist begründet. Der angefochtene Beschluß verstößt gegen § 255 II Aktiengesetz und ist daher auf die zulässige Anfechtungsklage der Klägerin für nichtig zu erklären.
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 246 Aktiengesetz zulässig. Die Klägerin ist anfechtungsberechtigt, da sie dem Beschluß widersprochen und ihren Widerspruch zu Protokoll gegeben hat (§ 245 AktG). Die Anfechtungsfrist (§ 246 AktG) ist gewahrt. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen werden.
Die Klage ist auch nicht wegen Mißbrauchs des Anfechtungsrechts unzulässig. Die Erhebung einer Anfechtungsklage im Sinne des § 246 AktG kann rechtsmißbräuchlich sein, wenn der Kläger damit das Ziel verfolgt, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann. Hierfür genügt die Erwartung, die Gesellschaft werde sich unter dem Druck der infolge der Klage befürchteten wirtschaftlichen Nachteile an ihn wenden und ihm Zahlungsangebote unterbreiten (BGH, NJW-RR 1991, 358, 360). Für eine derartige Motivation gibt es im vorliegenden Fall keinen tatsächlichen Anhaltspunkt. Insbesondere geben die Behauptungen der Beklagten über das Prozeßverhalten des Geschäftsführers der Klägerin in anderen Verfahren nichts her, was auf unlautere Absichten der Klägerin in diesem Anfechtungsprozeß schließen ließe. Nach dem Gesamteindruck des schlüssigen, mit ausführlichen Rechtsausführungen aufwendig begründeten Sachvortrags der Klägerin ist vielmehr davon auszugehen, daß es der Klägerin hier um die Klärung einer grundsätzlichen Rechtsfrage geht, die sie nur im Wege einer ernstgemeinten Anfechtungsklage erreichen kann.
2. Unter den von der Klägerin in den Vordergrund ihrer Rechtsausführungen gestellten formalen Gesichtspunkten ist gegen den angefochtenen Beschluß, der den Vorstand zu einer Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluß ermächtigt (§ 202 II, 203 I, 186 AktG), allerdings nichts einzuwenden. Denn nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Kapitalmaßnahmen, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, nur allgemein umschrieben und in dieser Form der Hauptversammlung bekanntgegeben werden; sie müssen ferner im Interesse der Gesellschaft liegen (BGHZ 136, 133 = NJW 1997, 2815).
Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt. Dem Wortlaut des Beschlusses sowie dem der Einladung zur Hauptversammlung beigefügten Bericht des Vorstandes ist mit großer Deutlichkeit zu entnehmen, wozu der Vorstand berechtigt sein soll und wozu die weitere Kapitalerhöhung dienen soll. Es läßt sich auch nicht in Abrede stellen, daß eine zusätzliche Kapitalschöpfung, wenn der Markt sie zu den Konditionen einer ohnehin beschlossenen Kapitalerhöhung hergibt, grundsätzlich im Interesse der Gesellschaft liegt.
3. Der Beschluß der Hauptversammlung der Beklagten vom 30. Dezember 1998 ist aber aus sachlichen Gründen gemäß § 255 II AktG anfechtbar.
Gemäß § 255 II AktG kann die Anfechtung, wenn das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen worden ist, auch darauf gestützt werden, daß der sich aus dem Erhöhungsbeschluß ergebende Ausgabebetrag unangemessen niedrig ist. Dieser Anfechtungsgrund liegt hier vor, weil der angefochtene Beschluß den Vorstand zu einer Ausgabe von Neuaktien zu einem unangemessen niedrigen Preis nicht nur ermächtigt, sondern eine Ausgabe der Aktien zu angemessen Preisen von Anfang an ausschließt.
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Hauptversammlung zwar grundsätzlich berechtigt, den Vorstand zur Festsetzung des Ausgabebetrags neuer Aktien zu ermächtigen. Denn nach § 204 Satz 1 AktG entscheidet der Vorstand u.a. über die Bedingungen der Aktienausgabe, soweit die Ermächtigung keine Bestimmung enthält. Da der Zeitpunkt der Aktienemission bei der Beschlußfassung der Hauptversammlung nicht feststeht, ist es auch nur konsequent, daß der Hauptversammlung im Gesetz die Möglichkeit eingeräumt wird, den Vorstand zur Festlegung des Ausgabebetrags zu ermächtigen (vgl. BGH, NJW 1997, 2815, 2817).
Wird das Bezugsrecht ausgeschlossen oder erteilt die Hauptversammlung dem Vorstand eine entsprechende Ermächtigung, muß der Vorstand jedoch bei der Bemessung des Ausgabebetrags die in § 255 II AktG gezogenen Grenzen, die dem Schutz der Aktionäre vor einer Verwässerung des inneren Wertes ihrer Aktien dienen, beachten (vgl. BGH a.a.O.).
Es ist offensichtlich, daß der Beschluß des Vorstands vom 9. Februar 1999, der K-Bank die G-Aktien zum Ausgabepreis von 38 Euro zu überlassen, obwohl zum damaligen Zeitpunkt Aktien der Beklagten an der Börse zu Kursen weit über 100 Euro gehandelt wurden, den Tatbestand des § 255 II AktG erfüllt.
In dem vorliegenden Falle geht es allerdings nicht um das Verhalten des Vorstands, sondern um eine Beschlußanfechtung, und nach einer im Schrifttum verbreiteten Ansicht kann ein Beschluß, der zum Ausgabepreis gar nichts aussagt, nicht wegen zu niedriger Festsetzung des Ausgabepreises angefochten werden (vgl. MK-AktG/Hüffer, 2. Aufl. 2001, § 255 Rz. 13 m.w.N.). Dem kann nicht gefolgt werden.
Richtig ist zwar, daß nach der zitierten neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine vollständige Übertragung der Entscheidungskompetenz auf den Vorstand zulässig ist. Richtig ist auch, daß dadurch Ermächtigungsbeschlüsse der Hauptversammlung der Anfechtung weitgehend entzogen und die gerichtliche Kontrolle auf eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns verlagert wird. Verletzt der Vorstand bei Inanspruchnahme der ihm erteilten Ermächtigung die ihm nach dem Gesetz und der Satzung obliegenden Pflichten, so kann ihm die Entlastung verweigert werden. Hat er sich unter Verletzung seiner Amtspflichten nicht an die Vorgaben des Ermächtigungsbeschlusses gehalten, kann er gemäß § 93 II AktG zur Leistung von Schadensersatz herangezogen werden. Ferner muß er damit rechnen, daß die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens zum Gegenstand einer Feststellungs- oder - soweit noch möglich - einer Unterlassungsklage, die beide gegen die Gesellschaft zu richten sind, gemacht wird (vgl. BGH. NJW 1997, 2815, 2816).
Die Verlagerung der gerichtlichen Kontrolle auf das Verhalten des Vorstands wird im Schrifttum zu Recht mit Skepsis betrachtet, insbesondere deswegen, weil die Zulässigkeit der als Ersatz für die Beschlußanfechtung angebotenen Rechtsbehelfe des überstimmten Minderheitsaktionärs im einzelnen ungeklärt ist (vgl. Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 522, 544). Auch wird ein Vorgehen gegen den Vorstand im Wege der Schadensersatzklage jedenfalls dann wenig Erfolg versprechen, wenn das Verhalten des Vorstands genau dem Inhalt des der Anfechtung entzogenen, von der (qualifizierten) Mehrheit der Aktionäre gebilligten Ermächtigungsbeschlusses entspricht.
Um einen wirksamen Rechtsschutz für überstimmte Minderheitsaktionäre zu gewährleisten, muß die Freistellung von Ermächtigungsbeschlüssen der Hauptversammlung von gerichtlicher Kontrolle auf die Fälle beschränkt werden, in denen ein gesetzmäßiges Verhalten des Vorstands nach dem Inhalt des Beschlusses überhaupt möglich ist, wenn der Vorstand also überhaupt die Chance hat, sich nicht nur der beschlußfassenden Mehrheit gegenüber, sondern gegenüber allen Aktionären rechtmäßig zu verhalten. Das war hier nicht der Fall.
Der angefochtene Beschluß erlaubt dem Vorstand nur scheinbar eine eigene, pflichtgemäße Entscheidung über die Ausgabe der neuen Aktien und die Bedingungen der Aktienausgabe. In Wahrheit hing die Entscheidung über die Ausgabe zusätzlicher Aktien und deren Ausgabepreis nicht vom Vorstand der Aktiengesellschaft ab, sondern stand ausschließlich im Ermessen der K-Bank, der zuvor die Mehrzuteilungsoption eingeräumt worden war, deren Erfüllung der alleinige und erklärte Zweck des Ermächtigungsbeschlusses war. Bei richtiger Betrachtung besteht der wesentliche Inhalt des angefochtenen Beschlusses gar nicht in der Ermächtigung zur Erfüllung einer Mehrzuteilungsoption, sondern darin, daß die Hauptversammlung eine vom Vorstand bereits zugesagte Mehrzuteilungsoption oder auch eine bisher nur geplante und förmlich erst noch zu vereinbarende Mehrzuteilungsoption bewilligt.
Sieht man den eigentlichen Inhalt des angefochtenen Beschlusses in der Bewilligung der Mehrzuteilungsoption (G), so liegt ein Verstoß gegen § 255 II AktG bei der hier vorliegenden Fallgestaltung auf der Hand. Es mag zutreffen, daß der sogenannte G seit einigen Jahren integraler Bestandteil jedes Bookbuilding-Verfahrens ist, aber nicht in der hier vorliegenden Ausgestaltung. In der Regel werden die zusätzlichen G-Aktien aus dem Besitz von Altaktionären zur Verfügung gestellt. So heißt es beispielsweise auf einer Website der Kreissparkasse Tübingen (www.ksk-tuebingen.de/rat/beg/greenshoe10.html):
G ("grüner Schuh") bezeichnet eine Mehrzuteilungsoption. Er kennzeichnet die Option einer K-Bank im Rahmen einer Neuemission zusätzliche Papiere des von ihr betreuten Unternehmens ausgeben zu können.
Die Aktien, die als G vorgesehen sind, werden von den Alteigentümern aus ihrem eigenen Aktienbesitz zur Verfügung gestellt. Das bedeutet, das die Bank, die im Konsortium den Börsengang begleitet, sich bei den Altaktionären zum Emissionskurs mit den Aktien eindecken kann.
Ein Beispiel: Bei der T-Emission wurden wenige Tage vor Zeichnungsschluss 100 Millionen Aktien als G zusätzlich ausgegeben. Der Emittent (Aktiengesellschaft) gewährt dem Bankenkonsortium diese Option, damit zusätzliche Nachfrage befriedigt werden kann bzw. um die Kursentwicklung zu stabilisieren.
Die Bezeichnung ist der US-Firma G M Company entlehnt, die dieses Verfahren vor Jahrzehnten erstmals einsetzte.
Wenn Altaktionäre eigene Aktien zu einem weit unter dem Börsenkurs liegenden Preis abgeben, so ist das unter dem Gesichtspunkt des § 255 II AktG unbedenklich. Hier liegt der Fall aber so, daß neue, im Wege der Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluß geschaffene Aktien zu unangemessen niedrigen Preisen ausgegeben werden sollten. Das verstößt gegen § 255 II AktG. Da ein G, wie die Beklagte selbst ausführt, nur ausgenutzt wird, wenn der Börsenkurs deutlich über dem Emissionskurs liegt, hat der hier angefochtene Beschluß seinem erklärten Inhalt nach den einzigen Zweck, dem Vorstand eine gesetzwidrige Ausgabe von Aktien zu unangemessen niedrigen Preisen zu ermöglichen. Daher kann der Beschluß keinen Bestand haben.
4. Da der angefochtene Beschluß bereits wegen Verstoßes gegen § 255 II AktG für nichtig zu erklären ist, bedarf die weitere Frage, ob auch ein Verstoß gegen § 243 II AktG (Stimmrechtsausübung zum Schaden der Gesellschaft oder anderer Aktionäre) vorliegt, keiner Entscheidung. Es bedurfte daher auch keiner Aufklärung der streitigen Frage, ob die auf Grund der Mehrzuteilungsoption zusätzlich ausgegebenen Aktien Drittinvestoren, die sie bereits vorher gezeichnet hatten, zum Emissionspreis zugeteilt worden sind oder ob die Bayerische Landesbank selbst sie zum damaligen Kurswert weiterveräußert hat.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 I, 108 I, 708 Nr. 10, 711, 546 II 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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