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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.05.2004
Aktenzeichen: 5 Ws 236/04
Rechtsgebiete: StPO, StrVollstrO, StGB
Vorschriften:
StPO § 360 Abs. 2 | |
StrVollstrO § 41 Abs. 1 Satz 1 | |
StGB § 57 Abs. 2 Nr. 2 |
5 Ws 236/04
In den Strafsachen
wegen räuberischen Diebstahls u.a.
hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 19. Mai 2004 beschlossen:
Tenor:
Die sofortigen Beschwerden des Verurteilten gegen die Beschlüsse des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 2. April 2004 werden verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Gründe:
Der Verurteilte verbüßt zur Zeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von "zwölf Monaten" (richtig wäre: einem Jahr, § 39 StGB) aus dem Urteil des Schöffengerichts Tiergarten in Berlin vom 21. August 2002 (29 VRs 80 Js 786/02) wegen räuberischen Diebstahls und Diebstahls in drei Fällen. Das Urteil ist seit dem 16. Juli 2003 rechtskräftig. Die Hälfte der Strafe war am 30. März 2004 verbüßt; das Strafende ist auf den 28. Januar 2005 notiert.
Die Einzelstrafen aus dem Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 21. August 2002 hat dasselbe Gericht durch Urteil vom 16. Juli 2003 (22 Ju Js 2849/02) in eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren einbezogen. Das Landgericht hat am 20. Oktober 2003 auf die auf das Strafmaß beschränkte Berufung des Angeklagten das Urteil vom 16. Juli 2003 dahin abgeändert, daß die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, die am 7. April 2004 auf die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt wurde. Inzwischen hat der Senat das Urteil vom 20. Oktober 2003 im Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Unmittelbar vor (§ 454 b Abs. 2 StPO) der Vollstreckung aus dem Urteil des Schöffengerichts Tiergarten in Berlin vom 21. August 2002 verbüßte der Verurteilte nach Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung zwei Drittel einer Jugendstrafe von zehn Monaten wegen räuberischen Diebstahls, Raubes und räuberischer Erpressung aus dem Urteil des Jugendschöffengerichts Tiergarten vom 25. Oktober 2000 (29 VRs 11 Ju Js 1382/00). Diese Freiheitsstrafe wurde seit dem 17. Juni 2003 in der Justizvollzugsanstalt Tegel vollstreckt. Die Hälfte der Strafe war am 11. Dezember 2003 verbüßt; das Strafende ist auf den 28. September 2004 notiert.
Der Beschwerdeführer hat beantragt, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 21. August 2002 mit sofortiger Wirkung auszusetzen. Diesen Antrag hat die Staatsanwaltschaft mit Bescheid vom 11. Februar 2004 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichteten Einwendungen des Verurteilten hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluß verworfen. Die Strafvollstreckungskammer hat es zudem abgelehnt, die Restfreiheitsstrafen zur Bewährung auszusetzen. Die sofortigen Beschwerden (§§ 458 Abs. 1 Alt. 3, 462 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) des Verurteilten haben keinen Erfolg.
1.
Der Beschwerdeführer wendet gegen die Vollstreckung des Urteils des Schöffengerichts Tiergarten vom 21. August 2002 ein, daß die rechtskräftige Gesamtfreiheitsstrafe von "zwölf Monaten" durch die Einbeziehung der zugrundeliegenden Einzelstrafen in die durch das Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 16. Juli 2003 gebildete Gesamtstrafe ihre Vollstreckbarkeit verloren habe. Er macht geltend, möglicherweise einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu erleiden, wenn die Vollstreckung der Strafe fortgesetzt wird, obwohl diese nach der Einbeziehung noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Die Strafvollstreckungskammer hat die Unterbrechung der Strafvollstreckung zu Recht abgelehnt. Nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum bleiben bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung die in einem anderen Verfahren rechtskräftig festgesetzten Einzel- bzw. Gesamtfreiheitsstrafen bis zur Rechtskraft der (neuen) Gesamtstrafenentscheidung ohne weiteres vollstreckbar (vgl. OLG Frankfurt NJW 1956, 1932; OLG Köln NJW 1955, 1935; Paulus in KMR, § 449 Rdn. 20; Fischer in KK, StPO 5. Aufl., § 449 Rdn. 20; Wendisch in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 449 Rdn. 33; Wolf in Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO 8. Aufl., § 19 Rdn. 5 f.; Bringewat, Strafvollstreckung, Rdn. 27; siehe auch BGH NJW 1956, 110). Dies folgt aus dem verfahrensrechtlichen Vollstreckungsgebot. Danach müssen Urteile vollstreckt werden, wenn sie rechtskräftig sind und einen der Vollstreckung zugänglichen und bedürftigen Inhalt haben, wobei eine Verpflichtung zur alsbaldigen Vollstreckung besteht (vgl. Bringewat, a.a.O., Rdn. 28; Wendisch, a.a.O., Rdn. 6; Paulus, a.a.O., Rdn. 2; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 449 Rdn. 2). Die Vollstreckung einer rechtskräftigen Strafe steht nämlich nur ausnahmsweise und nur bei entsprechender gesetzlicher Regelung im Ermessen der Vollstreckungsbehörde (vgl. Bringewat, a.a.O.; Wendisch, a.a.O., Rdn. 7). So ist nach § 360 Abs. 2 StPO eine Unterbrechung der Vollstreckung bei der Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens möglich. Für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung fehlt dagegen eine entsprechende Regelung. Daraus folgt, daß die Einbeziehung einer rechtskräftigen Einzelstrafe in eine noch nicht rechtskräftige Gesamtstrafe eine Durchbrechung des Grundsatzes der nachdrücklichen Vollstreckung nicht rechtfertigt. Für die Strafzeitberechnung sieht § 41 Abs. 1 Satz 1 StrVollstrO daher vor, daß eine begonnene Einzelstrafenvollstreckung nach Rechtskrafteintritt der Gesamtstrafe als Vollstreckung der Gesamtstrafe zu werten ist, wobei der bis zur Rechtskraft der Gesamtstrafen-Entscheidung verbüßte Teil auf die Gesamtstrafe angerechnet werden muß (vgl. BayObLG NJW 1957, 1810). Daher ist eine Unterbrechung der Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 21. August 2002 nicht angezeigt.
Eine andere Entscheidung folgt auch nicht aus der Beschränkung der Revision auf die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung. Die von der Rechtsprechung für die Bejahung der fortdauernden Vollstreckbarkeit gewählte Begründung, die im ersten Verfahren verhängte Strafe verliere ihre Selbständigkeit erst in dem Augenblick, in dem die Einbeziehung und die Bildung der Gesamtstrafe rechtskräftig feststehen (vgl. OLG Köln, a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.), steht dem nicht entgegen.
Zwar ist durch die Revisionsbeschränkung (horizontale) Teilrechtskraft eingetreten (vgl. BGHSt 10, 71, 72; 30, 340, 342; BGH StV 1981, 607; OLG Frankfurt, NStZ-RR 1997, 45; 1998, 341, 342) bzw. eine innerprozessuale Bindungswirkung entstanden (vgl. Meyer-Goßner, § 353 StPO Rdn. 20 und Einl. 188; Hanack in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl.; § 353, Rdn. 26). Dies ist aber mit der (Voll-)Rechtskraft nicht vergleichbar (vgl. Meyer-Goßner, § 318 StPO, Rdn. 31). Die (horizontale) Teilrechtskraft bzw. die innerprozessuale Bindungswirkung hindert nämlich weder die Einstellung des Verfahrens wegen eines Prozeßhindernisses (vgl. BGH DAR 78, 160 (S); Meyer-Goßner, Einl. 151 m. weit. Nachw.) noch die Abänderung des Schuldspruchs bei nachträglicher Gesetzesänderung (vgl. BGHSt 20, 116; Meyer-Goßner, § 354a StPO Rdn. 5 m. weit. Nachw.). Milderungen der Rechtsfolgen sind vielmehr auch dann noch zu berücksichtigen, wenn nur noch über die Strafaussetzungsfrage zu entscheiden ist (vgl. BGHSt 26, 1). Die hiesige Einbeziehung und Bildung der Gesamtstrafe ist damit gleichfalls noch nicht rechtskräftig festgestellt. Vielmehr entscheidet erst der Eintritt der (Voll-)Rechtskraft, ob die Gesamtstrafe und damit die Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 21. August 2001 Bestand haben wird. Solange dies nicht der Fall ist, bestehen daher gegen die Vollstreckung der Strafe auch keine Bedenken.
In der Fortsetzung der Vollstreckung liegt auch keine unzumutbare Härte. Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 21. August 2002 rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von "zwölf Monaten" ohne Bewährung verurteilt worden. Dabei wurde eine Strafaussetzung zur Bewährung geprüft und im Ergebnis verneint. Diese Entscheidung wurde mit dem Eintritt der Rechtskraft unabänderlich (vgl. Meyer-Goßner, Einl. 169), so daß allein die Möglichkeit einer Korrektur der Entscheidung die Unterbrechung der Vollstreckung nicht rechtfertigt. Die Rechtslage ist nämlich nicht anders als bei einem Nichtrevidenten, bei dem die Vollstreckung eines rechtskräftigen Strafurteils auch nicht allein dadurch ausgeschlossen ist, daß ein Mitverurteilter Revision eingelegt hat (vgl. Paulus, Rdn. 12; Meyer-Goßner, Rdn. 10; Wendisch, Rdn. 19; Fischer, Rdn. 12 - jeweils zu § 449 StPO). Es gilt vielmehr der Grundsatz der nachdrücklichen Vollstreckung. Eine Einschränkung kann hier daher nur aus dem Freiheitsgrundrecht des Art. 2 GG hergeleitet werden. Gefährdet wäre dieses aber nur, wenn in der zurückverwiesenen Sache eine begründete Aussicht auf die Bewilligung einer Strafaussetzung zur Bewährung bestehen würde. Dies ist aber wegen der erheblichen Vorstrafen des Beschwerdeführers und seines mehrfachen Bewährungsversagens nicht zu erwarten (vgl. Urteil des Senats vom 12. Mai 2004 - (5) 1 SS 25/04 (16/04) -).
2.
Eine Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe kommt nicht in Betracht, da keine besonderen Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorliegen. Eine Strafaussetzung bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe setzt vielmehr voraus, daß die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung im Strafvollzug das Vorliegen besonderer Umstände ergibt, wobei auch Gesichtspunkte der Schuldschwere (vgl. KG, Beschlüsse vom 22. Mai 2001 - 5 Ws 233/01 - und vom 17. Oktober 1997 - 5 Ws 576/97 -; Gribbohm in LK, StGB 11. Aufl., § 57 Rdn. 54; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl., § 57 Rdn. 29), der Generalprävention (vgl. BGHR StGB § 57 Abs. 2 - Versagung 1) und damit der Verteidigung der Rechtsordnung (vgl. OLG München NStZ 1987, 74) in die Gesamtwürdigung einfließen. Dabei sind an eine Aussetzung strenge Maßstäbe anzulegen. Besondere Umstände sind nur solche, die im Vergleich mit gewöhnlichen Milderungsgründen von besonderem Gewicht sind (vgl. KG ZfStrVo 1996, 247 m. weit. Nachw.).
Die gebotene Gesamtabwägung ergibt keine besonderen Umstände, die eine Strafaussetzung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB rechtfertigen. Sie führt zur Zeit sogar auch noch zu einer eher ungünstigen Prognose (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Der Senat hat bereits in seinem Beschluß vom 8. Januar 2004 - 5 Ws 667/03 - dargelegt, daß beim Beschwerdeführer erhöhte Anforderungen an eine günstige Prognose zu stellen sind. Der Verurteilte hat durch sein strafrechtlich relevantes Verhalten nämlich schon erkennen lassen, daß bei ihm erhebliche tatursächliche Charakterschwächen vorliegen (vgl. KG, Beschluß vom 3. April 2001 - 5 Ws 150/01 -). Darüber hinaus ist er bereits bewährungsbrüchig geworden und hat dadurch bewiesen, daß der von ihm vermittelte günstige Eindruck falsch war (vgl. KG, Beschluß vom 16. Juni 2000 - 5 Ws 419-420/00 -). Die in den neuerlichen Straftaten des Beschwerdeführers sichtbar gewordene Einstellung gegenüber seinen Mitmenschen und der Rechtsordnung kann auch durch sein bisheriges ordnungsgemäßes Verhalten im Vollzug nicht ausgeglichen werden. Dieses zeigt nur, daß der Verurteilte sich unter den strengen Regeln des Vollzuges beanstandungsfrei verhalten kann. Für seine Führung in Freiheit lassen sich daraus keine tragfähigen Schlüsse ziehen (vgl. KG ZfStrVo 1996, 245). Auch der Wille, sich künftig an Gesetze zu halten, genügt allein nicht. Der Verurteilte muß vielmehr Tatsachen schaffen, die seine Befähigung ausweisen, künftig Tatanreizen zu widerstehen (vgl. KG, NStZ-RR 2000, 170 und Beschluß vom 30. Oktober 2002 - 5 Ws 572-573/02 - m.w.N.).
Maßgeblich ist dabei eine günstige Entwicklung während des Vollzuges, die von besonderem Gewicht sein müßte. Hierzu hat der Senat in seinem Beschluß vom 8. Januar 2004 bereits ausgeführt, daß der beanstandungsfreien Erfüllung der Arbeitspflicht in der anstaltseigenen Schlosserei dabei kein Aussagewert zukommt. Entscheidend ist vielmehr vor allem die Behebung von tatursächlichen Persönlichkeitsdefiziten, wie sie bei dem Beschwerdeführer zutage getreten sind. Tatsachen, die zwischenzeitlich eine derartig günstige Entwicklung belegen könnten, sind aber weder vorgetragen noch erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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