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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.08.2005
Aktenzeichen: 5 Ws 341/05 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG, StPO, JuKoV


Vorschriften:

StVollzG § 50 Abs. 1 Satz 3
StVollzG § 116 Abs. 1
StVollzG § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
StVollzG § 50
StVollzG § 43
StVollzG § 44
StVollzG § 50 Abs. 1 Satz 3
StPO § 464a Abs. 1 Satz 2
JuKoV § 10 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5 Ws 341/05 Vollz

In der Strafvollzugssache

wegen Haftkostenbeitrages

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 11. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Gefangenen wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 25. Mai 2005 aufgehoben, soweit darin die Verpflichtung des Gefangenen zur Entrichtung eines Haftkostenbeitrages festgestellt wird. Im übrigen wird die Sache zu neuer Entscheidung an das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - zurückverwiesen.

Die Bescheide des Leiters der Justizvollzugsanstalt Heiligensee werden aufgehoben.

Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens und die dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen in beiden Rechtszügen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe:

Der Gefangene befindet sich seit dem 6. Januar 2004 in Strafhaft und geht in der Justizvollzugsanstalt Heiligensee einer geringfügigen Beschäftigung in der Anstaltsbücherei nach. Er erhält hierfür bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 13,5 Stunden Bezüge nach dem StVollzG in Höhe von 65,22 Euro monatlich. Zudem bezieht er seit Februar 2004 ein monatliches Arbeitslosengeld I von 973,72 Euro. Durch die angefochtenen Bescheide macht der Anstaltsleiter einen auf § 50 Abs. 1 Satz 3 StVollzG gestützten monatlichen Haftkostenbeitrag in Höhe von 76,50 Euro, beginnend ab September 2004, geltend. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wendet sich der Gefangene gegen die Erhebung des Haftkostenbeitrages und begehrt die Rückzahlung eventuell bereits geleisteter Beiträge nebst Zinsen. Durch den angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer die Anträge des Gefangenen zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt er die Verletzung sachlichen Rechts.

Das Rechtsmittel erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Der Senat hält klärende Ausführungen zu der - obergerichtlich noch nicht entschiedenen - Frage für geboten, ob der Haftkostenbeitrag auch dann erhoben werden darf, wenn der Gefangene sonstige Einkünfte (hier: Arbeitslosengeld I) bezieht und zugleich Bezüge nach dem StVollzG erhält. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet; denn sowohl der Leiter der Justizvollzugsanstalt als auch die Strafvollstreckungskammer haben die Verpflichtung des Gefangenen zu Unrecht auf § 50 Abs. 1 Satz 3 StVollzG gestützt. Von einem Gefangenen, der - wie der Beschwerdeführer - Bezüge nach dem StVollzG erhält, darf gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVollzG kein Haftkostenbeitrag erhoben werden. Das gilt unabhängig davon, ob der Gefangene noch sonstige Einkünfte erzielt.

1. Grundsätzlich haben Gefangene Haftkostenbeiträge zu entrichten. Denn die Regelung in § 50 StVollzG knüpft an den strafprozessualen Grundgedanken an, wonach dem Verurteilten die Kosten des Strafverfahrens zur Last fallen (§ 465 StPO). Nach § 464a Abs. 1 Satz 2 StPO gehören zu diesen Kosten auch diejenigen, die durch Vollstreckung der Rechtsfolgen der Tat entstehen (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl. § 50 Rdn. 2; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 464a Rdn. 3). Dazu würden an sich auch die durch den Betrieb einer Justizvollzugsanstalt entstehenden Personal- und Sachkosten gehören. Allerdings sind Strafgefangene in der Regel nicht in der Lage, die tatsächlichen Aufwendungen auch nur annähernd zu tragen. Die Auferlegung der Haftkosten in solcher Höhe liefe dem Vollzugsziel der Resozialisierung zuwider. Deshalb beschränkt § 50 StVollzG die Zahlungspflicht auf einen Haftkostenbeitrag in Höhe der Aufwendungen, die durch den Lebensunterhalt, die Unterbringung und Verpflegung des Gefangenen verursacht werden (vgl. Calliess/Müller-Dietz aaO; Keck, NStZ 1989, 309). Für Kosten des Vollzuges von Haftanordnungen, denen das Vollzugsziel der Resozialisierung fremd ist, hat der Gesetzgeber folglich diese Beschränkung auf einen anteiligen Haftkostenbeitrag nicht angeordnet (vgl. OVG Lüneburg NdsRPfl 2004, 227, 230 für die Abschiebehaft). Zudem bestimmt § 50 StVollzG, unter welchen Voraussetzungen Haftkostenbeiträge überhaupt nicht erhoben werden dürfen.

2. Nach § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVollzG sind diejenigen Gefangenen von der Erhebung eines Haftkostenbeitrages freigestellt, die ein Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG oder Ausbildungsbeihilfe nach § 44 StVollzG erhalten. Sein Wortlaut enthält keine Einschränkungen. Auch in der Rechtsprechung ist die Vorschrift bereits einschränkungslos angewendet worden (vgl. FG Berlin zu § 50 a.F. StVollzG NStE Nr. 1 zu § 50 StVollzG). In diese Gruppe fällt der Beschwerdeführer, da er in der Justizvollzugsanstalt Heiligensee einer ihm zugewiesenen Arbeit nachgeht. Auf deren Umfang kommt es nicht an, da das Gesetz keine Mindestarbeitsleistung anordnet.

Mit der Freistellung Pflichtarbeit verrichtender Gefangener von den Haftkosten trägt der Gesetzgeber der geringen Höhe des Arbeitsentgelts Rechnung. Die ohne Beschränkungen angeordnete konkrete Gestaltung ist eine Folge des Nettoprinzips: Das Arbeitsentgelt bestimmt sich - anders als in Österreich - nicht aus einem Bruttobetrag, von dem die Haftkosten abgezogen werden. Sondern es setzt sich aus einer nominell eher niedrigen Vergütung und der Befreiung vom Haftkostenbeitrag zusammen, so daß dem Gefangen der Nettobetrag ohne Abzug zugute kommt (vgl. Arloth/Lückemann aaO § 43 Rdn. 3). Die Addition beider Beträge bildet das dem Gefangenen zugewendete Gesamteinkommen.

In dieser Weise war die Freistellung bereits bis zur Änderung des § 50 StVollzG durch Art. 11 Nr. 1 des Gesetzes über elektronische Register und Justizkosten für Telekommunikation (ERJuKoG) vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I, 3422) in § 10 Abs. 1 Satz 1 JuKoV geregelt: In der verrichteten Arbeit des Gefangenen, die sich dieser nicht auswählen kann und auf deren Umfang und Ertrag er keinen Einfluß hat, wird unter der Voraussetzung, daß der Gefangene sie ordentlich erbringt, ein genügendes Äquivalent für die Kosten der Vollstreckung gesehen (vgl. OLG Nürnberg NStZ-RR 1999, 190). Denn Arbeit im Strafvollzug, die dem Gefangenen als Pflichtarbeit zugewiesen wird, ist nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel und entspricht damit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 GG, wenn sie angemessene Anerkennung findet. Diese Anerkennung muß nicht notwendig finanzieller Art sein. Sie muß aber geeignet sein, dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftig eigenverantwortetes und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen (vgl. BVerfGE 98, 169; BVerfG NStZ 2003, 109, 110). Die Bezahlung der Arbeit, die ihr zuzurechnende Freistellung vom Haftkostenbeitrag und die nicht-monetären Anteile bilden zusammen das komplizierte, fragile Konstrukt (vgl. Senat, Beschluß vom 21. Juni 2005 - 5 Ws 574/04 Vollz -) der gesetzlichen Anerkennung der Arbeitsleistung. Die Freistellung ist bei der Würdigung der "derzeit noch gewahrten" Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Arbeitsentgelts (vgl. BVerfG NStZ 2003, 109, 111) als zusätzlicher Vorteil zu berücksichtigen (vgl. Arloth/Lückemann, StVollzG § 50 Rdn. 6).

3. § 50 Abs. 1 Satz 3 StVollzG läßt sich nicht auf § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVollzG anwenden. Sein Wortlaut bezieht sich, indem er die Nummern 2 und 3 des § 50 Abs. 1 Satz 2 StVollzG wiederholt, nur auf diese. Gefangene, die ohne Verschulden nicht arbeiten können (§ 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVollzG) oder zu Arbeit nicht verpflichtet sind (§ 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVollzG), haben nach § 50 Abs. 1 Satz 3 StVollzG den Haftkostenbeitrag zu entrichten, wenn sie auf diese Zeit entfallende Einkünfte beziehen. Diese Regelung, die insbesondere Renten-, Zins- und Mieteinkünfte erfaßt, bestimmt die Gegenausnahme nur zu § 50 Absatz 1 Satz 2 Nrn. 2 und 3 StVollzG (vgl. Arloth/ Lückemann aaO, § 50 Rdn. 7), nicht aber zu § 50 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 StVollzG. Nur für diese beiden Fallgestaltungen der nicht arbeitenden Gefangenen bestimmt § 50 Abs. 1 Satz 3 StVollzG seinem Wortlaut nach, daß sie den Haftkostenbeitrag zu entrichten haben, wenn sie auf diese Zeit entfallende Einkünfte beziehen.

Auch Sinn und Zweck der Regelung gebieten eine eng am Wortlaut haftende Anwendung. Die Freistellung von den Haftkostenbeiträgen für Gefangene, die Bezüge nach dem StVollzG erhalten, ist Bestandteil des Arbeitsentgelts und keine Sozialleistung. Es muß daher bedeutungslos bleiben, ob sie darüber hinaus noch weitere Bezüge, wie beispielsweise Arbeitslosengeld, erhalten. Eine Einschränkung dahingehend, daß nur diejenigen Gefangenen von den Haftkosten freigestellt werden, die nur Bezüge nach dem StVollzG erhalten (so Schwind/Böhm, StVollzG 3. Aufl. § 50 Rdn. 2 ohne nähere Begründung), sieht das Gesetz - wie gezeigt - nicht vor. Eine derartige Einschränkung ist auch nicht möglich, weil dann unberücksichtigt bliebe, daß die Freistellung von den Haftkostenbeiträgen ein Teil des verdienten Entgelts ist (vgl. BVerfG aaO; OLG Nürnberg aaO; Arloth/Lückemann aaO, § 43 Rdn. 3 und § 50 Rdn. 6) und der Gefangene nur deshalb, weil ihm in sonstiger Weise verdiente Einkünfte zufließen (hier: ALG I, eine Versicherungsleistung, für die er zuvor Pflichtbeiträge eingezahlt haben muß), durch die Aufrechnung seines Arbeitsentgelts mit dem Haftkostenbeitrag in dessen Höhe (im Streitfall: vollständig) ohne Verdienst bliebe, was verfassungswidrig wäre (vgl. BVerfGE 98, 169 = NJW 98, 3337). Würde er zu dem Haftkostenbeitrag herangezogen, entfiele in diesen Fällen eine über die - die Verfassungsmäßigkeit nicht ausreichend konstituierende - geringe Nettobezahlung hinausgehende (und durch den Haftkostenbeitrag wieder - ggf. teilweise - aufgezehrte) Anerkennung.

Die in § 50 Abs. 1 Nrn. 2 und 3, Abs. 1 Satz 3 StVollzG enthaltene Regelung hingegen verschafft dem nicht arbeitenden Gefangenen, für den diese verfassungsrechtlichen Erfordernisse nicht gelten, eine echte Sozialleistung. Sie setzt - wie grundsätzlich alle Sozialleistungen - die Bedürftigkeit des Empfängers voraus, die dann nicht gegeben ist, wenn dieser anderweitige Einkünfte hat, die das mittlere Arbeitsentgelt übersteigen. Dies rechtfertigt es, einen solchen Gefangenen insoweit mit den Haftkosten zu belasten.

4. Nach alledem sind die auf § 50 Abs. 1 Satz 3 StVollzG gestützten Bescheides des Anstaltsleiters rechtswidrig und aufzuheben. Bezüglich des Haftkostenbeitrages kann der Senat die Sache selbst entscheiden, weil sie spruchreif ist (§ 115 Abs. 4 StVollzG) und weitere Tatsachenfeststellungen nicht zu erwarten sind.

Soweit der Gefangene auch die Rückzahlung eventuell geleisteter Haftkostenbeiträge begehrt, wird die Sache zu neuer Entscheidung an das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - zurückverwiesen, da der angefochtene Beschluß - auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Landgerichts zu Recht - keinerlei Feststellungen dazu enthält, ob und ggf. in welchem Umfang diese Beiträge schon gezahlt oder von der Anstalt einbehalten wurden.

5. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens und die dem Gefangenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen nach § 121 Abs. 4 StVollzG, §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO der Landeskasse Berlin zur Last. Die teilweise Zurückverweisung der Sache hat ausnahmsweise nicht zur Folge, daß die Strafvollstreckungskammer insoweit die Kostenentscheidung selbst zu treffen hätte. Denn der Senat hat alle Rechtsfragen zugunsten des Antragstellers entschieden.



Ende der Entscheidung

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