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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 20.05.2005
Aktenzeichen: 7 U 184/04
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 315 | |
BGB § 315 Abs. 3 | |
BGB § 315 Abs. 3 S. 1 | |
BGB § 315 Abs. 3 S. 2 | |
BGB § 812 | |
BGB § 818 Abs. 2 |
Kammergericht Im Namen des Volkes
Geschäftsnummer: 7 U 184/04
verkündet am: 20.05.2005
In dem Rechtsstreit
hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts, Elßholzstr. 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Stummeyer und die Richter am Kammergericht Renner und Steinecke
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. September 2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 13 des Landgerichts Berlin - 13 O 286/04 - abgeändert:
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 1.702,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Dezember 2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten 17 % und der Kläger 83 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
A. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz, der dort gestellten Anträge, des Urteilstenors und der Entscheidungsgründe wird auf das am 16. September 2004 verkündeten Urteil der Zivilkammer 13 des Landgerichts Berlin Bezug genommen. Gegen dieses am 23. September 2004 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 7. Oktober 2004 Berufung eingelegt und diese am 3. November 2004 begründet.
Die Beklagten hatte eine Sondernutzungserlaubnis für 75 qm Straßenland im Zuge der Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten am Bauvorhaben Begasstraße 2 für die Zeit vom 8. Juli 2002 bis zum 7. September 2002 erlangt. Sie zahlten das Sondernutzungsentgelt von monatlich 4,09 Euro/qm (= 613,50 Euro). Für die Zeit der weiteren Nutzung des Straßenlandes ab dem 8. September 2002 bis zum 20. Dezember 2002 verlangt der Kläger das erhöhte Nutzungsentgelt von täglich 1,28 Euro/qm (= 9.984,00 Euro), weil nach der Ansicht des Klägers die Beklagten unabhängig von der rechtzeitigen Beantragung der Verlängerung ohnehin das erhöhte Nutzungsentgelt schuldeten.
Die Beklagten sind weiterhin der Auffassung, dass - entgegen der Entscheidung des Landgerichtes - die Tarifgestaltung durch den Kläger unbillig sei und sie deshalb das erhöhte Nutzungsentgelt nicht zu bezahlen hätten.
Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des am 16. September 2004 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel der Beklagten auch zum überwiegenden Teil Erfolg und war nur im Übrigen zurückzuweisen.
Die materielle Rechtslage richtet sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuch in der nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechtes geltenden Fassung, denn das den Rechtsbeziehungen der Parteien zugrunde liegende Schuldverhältnis ist nach dem 1. Januar 2002 entstanden (Art. 229 § 5 EGBGB).
Dem Kläger steht gegen die Beklagten der mit der Klage verfolgte Zahlungsanspruch aus §§ 812, 818 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der Entgeltordnung des Klägers für Sondernutzungen öffentlicher Straßen nur in Höhe von 1.702,50 Euro zu, denn der Tarif von 1,28 Euro je Tag/m² aus der Tarifstelle 401 ist jedenfalls dann nicht anwendbar, wenn - wie hier - die Sondernutzung zunächst beantragt, der Nutzer es aber verabsäumt hat, die Verlängerung der Erlaubnis rechtzeitig zu beantragen. In diesem Fall stellt die Anwendung dieses Tarifs eine unbillige einseitige Bestimmung der Leistung durch den Kläger dar, an die die Beklagten nach § 315 Abs. 3 S. 1 BGB nicht gebunden sind. Die vom Senat nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB vorzunehmende Bestimmung führt zur Anwendung der sonstigen Tarifbestimmungen des Klägers.
Der Senat folgt im Ansatz den Gründen des angefochtenen Urteils, auf dessen Inhalt zunächst Bezug genommen wird.
1. Rechtswegwahl und Anwendung des Zivilrechtes entsprechen der ganz herrschenden Rechtsmeinung und werden mit der Berufung auch nicht angegriffen. Die Anspruchsgrundlage folgt hier aus § 812, BGB (vgl. KG MDR 1977, 315). Eine vertragliche Grundlage für den Anspruch aufgrund des ersten Vertrages, durch den die erhöhten Entgelte einbezogen sein könnten, ist nicht zu erkennen. Der erste Vertrag war unstreitig ausgelaufen und die Beklagten hatten sich geweigert, die Entgeltforderung vom 15. November 2002, der der Kläger das erhöhte Entgelt zugrunde gelegt hatte, zu unterzeichnen. Die Beklagten hatten damit die Sondernutzung ohne Rechtsgrund in Anspruch genommen.
2. Die Beklagten sind daher verpflichtet, dem Kläger nach § 818 Abs. 2 BGB den Wert des Erlangten zu ersetzen. Dabei ist die vorliegende Situation am ehesten mit dem "Wertersatz" bei der verspäteten Herausgabe einer gemieteten Sache vergleichbar. In diesem Fall wird die ortsübliche Miete geschuldet (BGHZ 142, 186). Grundsätzlich bestimmt daher die Entgeltordnung den zu ersetzenden Wert im Sinne von § 818 Abs. 2 BGB.
3. Nach der Entgeltordnung vom 26. September 2001, die der Kläger seiner Forderung zugrunde gelegt hatte, richtet sich das ortsübliche Entgelt nach Tarifstelle 401 und beträgt bei Überschreitung der mit der Sondernutzungserlaubnis befristeten Bauzeit je Tag 1,28 Euro/qm, wobei der Kläger die Auffassung vertritt, dass das erhöhte Entgelt unabhängig davon geschuldet wird, ob rechtzeitig eine Verlängerung der Sondernutzungserlaubnis beantragt worden ist.
4. Diese Regelung unterliegt aber gemäß § 315 Abs. 3 BGB der Billigkeitskontrolle durch das Gericht (vgl. BGHZ 115, 311 für Abwasserentgelte; KGR Berlin 1999, 137). Die Tarife müssen der Billigkeit im Sinne von § 315 BGB entsprechen. Es gelten die Grundsätze des Verwaltungsprivatrechtes einschließlich des Äquivalenzprinzips (BGHZ 115, 311; KG a. a. O.). Diese Billigkeitskontrolle hat auch dann stattzufinden, wenn - wie hier - für die fragliche Zeit keine vertragliche Vereinbarung zustande gekommen ist, denn der Bereicherungsschuldner schuldet im Rahmen des Wertersatzes grundsätzlich kein höheres Nutzungsentgelt als der vertragliche Schuldner.
5. Der von dem Kläger gestaltete Tarif für die Verlängerungszeit ist grob unbillig. Es besteht ein durch nichts gerechtfertigtes grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung soweit 1,28 Euro je Tag/qm verlangt werden. Die Erhöhung im Verhältnis zum "Normaltarif" von 4,09 Euro je Monat/qm entspricht dem Faktor 9,3887. Auf die Auflage des Senates vom 1. April 2005 vermochte der Kläger nachvollziehbare Gründe für eine derartige Tarifgestaltung nicht darzulegen. Solche sind auch nicht ersichtlich.
Der Verwaltungsaufwand für eine erneute Bearbeitung der Sondernutzungsgenehmigung, der bei einer Verlängerung der Bauzeit entsteht, wird durch die (öffentlich-rechtlichen) Gebühren für die Genehmigung erfaßt. Das billigenswerte Interesse des Klägers zu verhindern, dass die Straßenflächen nicht zu lange in Anspruch genommen werden, wird durch die bereits vorgesehene Tariferhöhung berücksichtigt (Steigerung von 4,09 Euro auf 10,23 Euro je Monat/qm ab dem fünften Monat). Die Grundsätze der Vertragsstrafe finden schon deshalb keine Anwendung, weil deren Anwendung eine vertragliche Vereinbarung der Parteien voraussetzt. Anders als im öffentlichen Nahverkehr kommt eine solche Vereinbarung hier auch nicht durch sozialtypisches Verhalten zustande. Vielmehr haben die Beklagten das Vertragsangebot des Klägers auf Zahlung des erhöhten Entgeltes gerade nicht angenommen. Weitere Gründe für eine derart große Steigerung sind nicht zu erkennen. Im Gegensatz zu einer Sondernutzung, die völlig ohne jeglichen Antrag erfolgt, oder zu dem erhöhten Beförderungsentgelt im öffentlichen Nahverkehr sind bei einer Verlängerung einer einmal erteilten Sondernutzungsgenehmigung alle Umstände und Personen bekannt. Ein besonderes Risiko des Klägers oder eine besondere Belastung der Gemeinschaft sind nicht erkennbar.
6. Da kein nachvollziehbarer Grund für eine derartige Gestaltung der Tarife ersichtlich ist, kann der Kläger von den Beklagten kein Sondernutzungsentgelt verlangen, dass über das "normale" Entgelt hinausgeht. Aufgrund der dargelegten Grundsätze ergibt sich folgende Abrechnung:
1. bis 4. Monat
8. Juli - 7. September 2002 613,50 Euro (bereits ausgeglichen)
8. September - 7. November 2002 613,50 Euro (75 m² x 2 Monate x 4,09 Euro)
vom 5. Monat an
8. November - 7. Dezember 2002 767,25 Euro (75 m² x 1 Monate x 10,23 Euro)
8. Dezember - 20. Dezember 2002 321,75 Euro (75 m² x 13/31 Monate x 10,23 Euro)
Summe 1.702,50 Euro
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 543 ZPO.
Ende der Entscheidung
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