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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.04.2009
Aktenzeichen: (1) 1 Ss 411/08 (30/08)
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 46 Abs. 2
1. Verfahrensverzögerungen sind bereits bei der Bemessung der (Einzel-)Strafen zu berücksichtigen. Dadurch eingetretene Belastungen des Angeklagten sind ggf. festzustellen. Auf die Gründe der Verzögerungen kommt es dabei nicht an.

2. Zu den erforderlichen Feststellungen für eine Kompensationsentscheidung wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen.


KAMMERGERICHT

Beschluß

Geschäftsnummer: (1) 1 Ss 411/08 (30/08)

In der Strafsache gegen

wegen gewerbsmäßigen Schmuggels

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 16. April 2009 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Juni 2008 im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 3. Januar 2006 wegen gewerbsmäßigen Schmuggels in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Mit Urteil vom 20. Juni 2008 hat das Landgericht, wie sich aus den Gründen ergibt, die Berufung des Angeklagten verworfen, ihn auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen gewerbsmäßigen Schmuggels in 69 Fällen schuldig gesprochen und gegen ihn eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sowie eine Gesamtgeldstrafe von 720 Tagessätzen zu je 25 EUR verhängt; zugleich hat es ausgesprochen, daß sechs Monate der Freiheitsstrafe als verbüßt und 180 Tagessätze der Geldstrafe als bezahlt gelten. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

1. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit der Angeklagte den Schuldspruch angreift.

2. Hingegen führt die Sachrüge zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruches.

Die verhängten Einzelstrafen können schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Strafkammer die angeführten Verfahrensverzögerungen nur bei der Kompensationsentscheidung, nicht aber bei der Strafzumessung berücksichtigt hat. Das Landgericht hat dazu lediglich ausgeführt, daß die Taten schon lange zurückliegen. Das trägt nur dem Umstand Rechnung, daß allein schon durch einen besonders langen Zeitraum, der zwischen der Tat und dem Urteil liegt, das Strafbedürfnis allgemein abnimmt. Darüber hinaus fehlt es an den erforderlichen Feststellungen, ob der Angeklagte infolge der überlangen Verfahrensdauer besonderen Belastungen ausgesetzt war, die nicht erst bei der Kompensationsentscheidung, sondern bereits bei der Festsetzung der schuldangemessenen Strafe unabhängig davon zu berücksichtigen sind, ob die Verfahrensdauer (auch) durch eine rechtsstaatswidrige Verzögerung verursacht worden ist (vgl. BGHSt 52, 124 ff Rdn. 45; BGH NJW 1999, 1198). Der Senat kann danach nicht ausschließen, daß die Strafkammer bei entsprechenden Feststellungen und ihrer Berücksichtigung schon im Rahmen der Strafzumessung niedrigere Einzelgeldstrafen festgesetzt und die verhängten kurzen Freiheitsstrafen nicht als unerläßlich im Sinne des § 47 Abs. 1 StGB angesehen hätte.

Die getroffenen Kompensationsentscheidungen, mit denen das Landgericht die "nicht vom Angeklagten zu vertretenden Verfahrensverzögerungen" ausgleichen wollte, können ebenfalls keinen Bestand haben.

Es fehlt an Feststellungen zum Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, zum Ausmaß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane und zu den dadurch entstandenen Belastungen des Angeklagten. Das Landgericht teilt lediglich die Daten der Verfahrenseinleitung, der Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Amtsgericht, des erstinstanzlichen Urteils und des Eingangs der Akten beim Berufungsgericht mit. Welche Gründe zu diesen Verzögerungen geführt haben, wer sie zu vertreten hat und weshalb die Strafkammer erst einundeinhalb Jahre nach Eingang der Akten mit der Berufungshauptverhandlung begonnen hat, ist dem Urteil des Landgerichts nicht zu entnehmen. Es fehlen weiterhin Feststellen dazu, inwiefern der Angeklagte durch die Verzögerungen besonderen Belastungen ausgesetzt war.

Der Senat kann die tatsächlichen Grundlagen für die Bemessung der Kompensation nicht selbst ermitteln (vgl. KG, Beschluß vom 10. Juni 2008 - (2) 1 Ss 442/07 (12/08) -). Das ist Aufgabe des Tatrichters (vgl. BGHSt 52, 124 ff Rdn. 42).

Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Strafkammer zu einer höheren Kompensation als der von einem Viertel der verhängten Strafen gelangt wäre, wenn sie sich der Mühe unterzogen hätte, die erforderlichen Feststellungen zu treffen und sie zu bewerten.

3. Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf und verweist die Sache in diesem Umfang an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit zur Prüfung haben, ob dem Angeklagten nach § 42 StGB Zahlungserleichterungen zu gewähren sind.



Ende der Entscheidung

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