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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 23.01.2008
Aktenzeichen: (1) 2 StE 6/07-6 (6/07)
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 2 Abs. 3
StGB § 129a
StGB i.d.F. vom 10. März 1987 § 129 a Abs. 1 Nr. 3
StGB i.d.F. vom 22. Dezember 2003 § 129 a Abs. 2 Nr. 2
Der führende Funktionärskörper der Arbeiterpartei Kurdistans (Partya Karkeren Kurdistan - PKK -) im Zeitraum von Juni 1993 bis Mitte 1996 ist auch nach der Neufassung des § 129 a StGB durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze vom 22. Dezember 2003 (BGBl I 2836) als terroristische Vereinigung einzustufen.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftszeichen: (1) 2 StE 6/07-6 (6/07)

In der Strafsache gegen

wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung u.a.

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin aufgrund der Hauptverhandlung vom 31. Oktober, 1., 14., 20., 21. und 28. November, 4., 5., 7., 14. und 20. Dezember 2007, 15., 16. und 23. Januar 2008, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Kammergericht H. als Vorsitzender,

Richter am Kammergericht A., Richter am Kammergericht H., Richter am Kammergericht W., Richterin am Kammergericht G. als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. K., Staatsanwalt K. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt H., Rechtsanwältin W., Rechtsanwalt von K. als Verteidiger,

Justizangestellte L. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

in der Sitzung am 23. Januar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Angeklagte wird wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren und 9 (neun) Monaten verurteilt.

Er hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Der jetzt 58 Jahre alte Angeklagte A. wurde in der türkischen Provinz Kayseri geboren. Er ist ledig und hat keine Kinder. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er an der Universität Ankara Theaterwissenschaft mit dem Nebenfach Film. 1973 schloss er das Studium ab. In der Folgezeit absolvierte er den Militärdienst, gründete eine Theatergruppe und betätigte sich als Regisseur.

1975 wurde der Angeklagte von einem türkischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten wegen des Vorwurfs verurteilt, er habe im Zusammenhang mit der Produktion und Aufführung eines Theaterstückes gegen die Regierung agitiert. Er flüchtete 1976 aus der Türkei und reiste mit gefälschten Papieren in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 17. September 1976 Asyl beantragte. Am 12. Dezember 1977 wurde er als Asylberechtigter anerkannt. Er wohnte in Berlin, unterhielt hier Kontakte zu Kreisen politisch linker türkischer Exilanten, unternahm verschiedene Reisen ins Ausland und interessierte sich zunehmend für die Anliegen der in der Türkei verfolgten Kurden. Er selbst ist nicht kurdischer Abstammung, sympathisierte aber mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und deren Zielen und setzte sich schließlich aktiv für die Partei ein.

Am 11. Juli 1992 wurde der Angeklagte in Österreich verhaftet und am 10. Dezember 1992 durch das Landesgericht Innsbruck wegen versuchter schwerer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen begab sich der Angeklagte Anfang Oktober 1991 gemeinsam mit dem als Mittäter verurteilten Hasan G. in L. zu dem Obmann des Österreichisch-Türkisch-Islamischen Vereins für Kultur und soziale Zusammenarbeit und verlangte von diesem "als Strafe" für die Verhinderung von Aktivitäten der PKK in L. einen Geldbetrag von 50.000 österreichischen Schilling, die später abgeholt werden würden. Anderenfalls würden "sie mit Waffen wiederkommen und den Verein in einer Stunde vernichten." Auch drohten sie dem Geschädigten damit, dass "ihm die Ohren und die Nase abgeschnitten und in den Mund gesteckt und er umgebracht würde." Der Angeklagte verbüßte die Strafe bis zum 16. Dezember 1993 und wurde sodann im Zuge der Weihnachtsbegnadigung, die mit einem bedingten Reststrafenerlass einherging, entlassen.

Der Angeklagte wurde in der ersten Märzwoche 1994 in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Er ließ sich hier - das ist der Gegenstand der vorliegenden Verurteilung - noch im selben Monat, spätestens ab April 1994 als beruflicher Kader und Verantwortlicher der PKK-Region "Bayern" einsetzen und nahm diese Funktion bis ungefähr Februar 1995 wahr.

Am 3. April 1995 ordnete der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gegen den Angeklagten wegen des dringenden Verdachts der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung die Untersuchungshaft an, die jedoch nicht vollzogen werden konnte.

Der Angeklagte reiste Ende 1996/Anfang 1997 in den Irak aus, um dort die Lebensweise der kurdischen Bevölkerung authentisch kennen zu lernen und mit gewaltlosen Mitteln im Bereich Presse, Theater und Film zu arbeiten.

Am 23. September 1999 ersetzte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den bestehenden Haftbefehl durch einen um fünf Brandstiftungsdelikte erweiterten und im Übrigen auf mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung anstelle von Rädelsführerschaft gestützten neuen Haftbefehl.

In Kenntnis dieses Haftbefehls stellte sich der Angeklagte am 7. März 2007 nach langjährigem Auslandsaufenthalt in einem angegriffenen Gesundheitszustand aufgrund eines Herzleidens sowie Beschwerden am Zwölffingerdarm und an den Bandscheiben bei dem Landeskriminalamt Berlin. Er wurde festgenommen und befand sich seither bis zum 23. Januar 2008 in Untersuchungshaft.

Der Angeklagte ist in Deutschland unbestraft.

II.

Der (geständige) Angeklagte war in der Zeit von März, spätestens April 1994 bis ungefähr Februar 1995 beruflicher Kader und Verantwortlicher der PKK-Region "Bayern". Der führende Funktionärskörper, dem er angehörte, bildete im Tatzeitraum eine terroristische Vereinigung.

Soweit die zugelassene Anklage dem Angeklagten auch die tateinheitliche Begehung von fünf Brandstiftungsdelikten zur Last gelegt hat, ist das Verfahren in der Hauptverhandlung mit Zustimmung der Bundesanwaltschaft gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf die Verfolgung der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beschränkt worden.

Im Einzelnen hat der Senat Folgendes festgestellt:

1. Entstehung und Entwicklung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)

Nach dem im Jahr 1923 beendeten griechisch-türkischen Krieg, der zu bedeutenden Grenzverschiebungen, Umsiedlungsmaßnahmen und einer Neuordnung der Region führte, erkannte die neu gegründete Republik Türkei entgegen anders zu deutenden Bestimmungen des (Friedens-)Vertrages von Lausanne die Kurden - im Gegensatz etwa zu den Armeniern und Griechen - nicht als ethnische Minderheit an. Bis in die 90er Jahre betrieb die Türkei eine Assimilierungspolitik, leugnete die Existenz eines kurdischen Volkes und behinderte das freie Ausleben kurdischer Kultur. So war etwa muttersprachlicher Unterricht an staatlichen Schulen der mit ca. 11,5 Mio. Menschen größten ethnischen Minderheit in der Türkei verboten.

Vor dem Hintergrund des daraus resultierenden Kurdenkonflikts in der Türkei bildete sich in einer Zeit politischer Radikalisierung in den 70er Jahren eine Gruppe um Abdullah Öcalan, genannt "Apo" (Onkel), aus der die 1978 gegründete Arbeiterpartei Kurdistans (Partya Karkeren Kurdistan - PKK -) hervorging. Diese führte als straff organisierte, den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus verhaftete Kaderorganisation seit den 80er Jahren einen ideologischen und militärischen Guerillakampf gegen die Republik Türkei mit dem Ziel der Errichtung eines sozialistischen Kurdenstaates unter ihrer Führung. Die PKK erachtete die Anwendung revolutionärer Gewalt ihrer militärischen Teilorganisation, der Volksbefreiungsarmee Kurdistans (Artesa Rizgariya Gele Kurdistan - ARGK -), für legitim. Auf Anschläge der Rebellen folgten harte Reaktionen der Türkei. Die militärischen Auseinandersetzungen, die von beiden Seiten insbesondere im Südosten der Türkei mit Grausamkeit und Härte ausgetragen wurden, forderten zahlreiche Opfer auch unter der Zivilbevölkerung. Mit großem Militäraufwand ging die türkische Regierung nach Verhängung des Ausnahmezustandes über 13 kurdische Provinzen im Juli 1987 gegen kurdische PKK-Rebellen vor. Bis 1997 wurden kurdische Dörfer, die der Unterstützung der PKK verdächtigt wurden, zerstört und die Bewohner deportiert.

2. Die PKK in Europa und Deutschland

Die PKK begann Anfang der 80er Jahre zur Mobilisierung der im Ausland lebenden Kurden mit dem Aufbau von Auslandsorganisationen. Am 21. März 1985 wurde die der Partei untergeordnete Nationale Befreiungsfront Kurdistans (Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan - ERNK -) gegründet. Die ERNK verfolgte das auf Durchsetzung über das Ausland gerichtete Ziel, "die nationale Befreiungsbewegung und den Kampf unseres Volkes zu organisieren, zu leiten und die revolutionäre Politik der nationalen Befreiung ins Leben zu rufen." Sie vertrat die Partei überwiegend in Europa nach außen. Ein Tätigkeitsschwerpunkt war wegen der Vielzahl der hier lebenden Kurden die Bundesrepublik Deutschland.

Die PKK/ERNK machte einen uneingeschränkten Führungsanspruch geltend und bekämpfte über den Parteibereich "Aufsicht und Nachrichtenwesen" kompromisslos sowohl die parteiinterne Opposition als auch konkurrierende kurdische Organisationen. Mehrere so genannte Abweichler und Spitzenfunktionäre anderer Organisationen fielen tödlichen Anschlägen zum Opfer. Das hatte zur Folge, dass die PKK/ERNK Ende der 80er Jahre - insbesondere auch durch zahlreiche Verhaftungen führender Funktionäre - unter einen starken Verfolgungsdruck geriet.

Nicht zuletzt wegen der Verhaftungen und der zunehmenden Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden, aber auch zur Stärkung der Effizienz der Parteiarbeit betrieb die PKK/ERNK einen Umbau ihrer Struktur. Dies führte zu einer noch festeren und noch straffer hierarchisch gegliederten Organisation, deren Träger ein aus professionellen Kadern bestehender Funktionärskörper war.

An der Spitze dieses Funktionärskörpers stand, jedenfalls in dem hier verfahrensgegenständlichen Zeitraum bis 1995, die Europäische Frontzentrale (Avrupa Cephe Merkezi - ACM -). Der ACM oblag es, in Umsetzung der Anweisungen Öcalans die Partei und ihre Nebenorganisationen europaweit zu führen. Sie bestand aus etwa 30 Personen. Ihre laufenden Aufgaben nahm ein aus wenigen Personen bestehendes Gremium wahr, das als "Zentrale" bezeichnet wurde. Die Zentrale bestand aus engen Vertrauten Öcalans, darunter dem unter dem Decknamen "Kani Yilmaz" bekannten Faysal D., der eine besonders starke Stellung einnahm und als der eigentliche Europaführer galt. Außer den Mitgliedern der Zentrale gehörten der ACM neben einigen hochrangigen Funktionären, die wichtige Nebenorganisationen wie etwa den Jugend- oder den Frauenbereich leiteten oder besondere Aufgaben hatten, die jeweiligen Regionsverantwortlichen in Europa an.

Auf der Ebene unterhalb der ACM bestanden mehrere Regionen (Eyalet), die jeweils in mehrere Gebiete (Bölge) und diese wiederum in Räume (Alan) unterteilt waren. Die Regionen deckten sich nicht zwingend mit den jeweils gegebenen politischen oder geographischen Einheiten. So bildete etwa Skandinavien eine Region, während Deutschland wegen der großen Anzahl der hier lebenden Kurden in mehrere Regionen gegliedert war. Während des hier verfahrensgegenständlichen Zeitraums gab es in Deutschland die fünf Regionen "Nord", "Nord/West", "Mitte", "Süd" und "Bayern".

Jede dieser Organisationseinheiten wurde von einem Verantwortlichen geleitet. Wegen der Größe und Bedeutung ihrer Zuständigkeitsbereiche hatten die Regions- und Gebietsverantwortlichen eine herausgehobene Stellung inne, weshalb die Leitung dieser Bereiche ausschließlich professionellen Funktionären der PKK anvertraut wurde. Diese Kader waren in Deutschland, dem westlichen Europa oder Nahen Osten im Sinne der Ziele der PKK sowie der Parteidoktrin intensiv geschult und ausgebildet und wurden von Öcalan und der Parteiführung nach strenger Prüfung ihrer Zuverlässigkeit und Parteitreue bestimmt. Sie hatten sich ausschließlich den ihnen übertragenen Aufgaben zu widmen und ihre Lebensführung den Anforderungen der Partei unterzuordnen. Sie durften keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen, kein Privatleben führen, keine Familie gründen und mussten etwaige familiäre Bindungen zurückstellen. Zur Tarnung ihrer wahren Identität trugen sie Decknamen und verschleierten ihre Aktivitäten durch konspiratives Leben. Da sie keinen festen Wohnsitz hatten und ständig ihren Aufenthaltsort änderten, wurde ihre Erreichbarkeit durch die Nutzung von Mobilfunktelefonen gewährleistet, wobei sie, um ihrer Entdeckung entgegenzuwirken, die auf den Namen anderer Personen zugelassenen Geräte nur kurze Zeit verwendeten und häufig wechselten. Diese Maßnahmen dienten dem Zweck, die Parteistrukturen geheim zu halten und die Aktivitäten der führenden Funktionäre vor dem Zugriff der staatlichen Sicherheitsorgane zu schützen. Die professionellen Kader wurden von untergeordneten, in der Legalität lebenden "Frontarbeitern", etwa durch Verpflegung und die Gewährung von Unterkunft, unterstützt.

Auf der Grundlage dieser Organisationsstruktur setzte die PKK ihre Politik mittels Weisungen und Befehlen durch. Jeder Kader hatte die Anweisungen höherer Kader zu befolgen und über seine Tätigkeit in regelmäßigen kurzen Abständen zu berichten und dabei auch alle die Partei berührenden Ereignisse in seinem Wirkungsbereich mitzuteilen.

Die Verbindung zur ACM bestand über die Regionsverantwortlichen, die für diese Funktion in der Regel etwa ein Jahr lang eingesetzt wurden. Die Regionsverantwortlichen erhielten von der ACM allgemein gehaltene, verbindliche Vorgaben und Richtlinien, die sie in der Region im Zusammenwirken mit den nachgeordneten Gebietsverantwortlichen auszugestalten und umzusetzen hatten. Die Regionsverantwortlichen erörterten in regelmäßigen Versammlungen mit den Gebietsverantwortlichen und weiteren Kadern für spezielle Sachbereiche die allgemeine politische Situation, die aktuellen Vorgaben der ACM, die organisatorische Situation und die Planung in der Region. Zugleich wurden die Berichte der zugehörigen Gebiete diskutiert und der zusammenfassende Bericht der Region an die ACM vorbereitet. Bei den Versammlungen mussten sich die Kader jeweils auch der gegenseitigen Kritik stellen und sich und ihre Tätigkeit der Selbstkritik unterziehen.

Die umzusetzenden Vorgaben und Richtlinien der ACM betrafen im Wesentlichen

- die Beschaffung von Geld durch jährliche Spendenkampagnen sowie laufende Geldspenden und Beitragszahlungen, wobei der jeweiligen Region lediglich die zu erzielenden Mindestbeiträge vorgegeben wurden,

- die Öffentlichkeitsarbeit durch Verbreitung von Publikationen, insbesondere der Zeitschriften "Serxwebun" (Unabhängigkeit) und "Berxwedan" (Widerstand),

- und schließlich die "aktionistischen Aktivitäten".

Zu den aktionistischen Aktivitäten gehörten zum einen die Organisierung politischer Demonstrationen und die Veranstaltung von Feiern und Kundgebungen mit einem politischen Hintergrund, etwa anlässlich des kurdischen Newroz-Festes. Zum anderen fielen darunter aber auch die "radikalen oder militanten Aktionen", die auf die Begehung schwerwiegender Straftaten gerichtet waren und in den Jahren 1993 bis 1996 zu regelrechten Anschlagsserien führten.

3. Die terroristische Vereinigung innerhalb der PKK/ERNK

Im Juni 1993 bildete sich in Deutschland innerhalb des führenden Funktionärskörpers der PKK/ERNK eine kriminelle Vereinigung, die auf Anordnung der Europazentrale ACM im gesamten Bundesgebiet vor allem türkische Einrichtungen durch "Aktivisten" angreifen und zerstören ließ. Die Europaführung ordnete im Arbeitsbereich "aktionistische Aktivitäten" zunächst in allgemeiner Form gewalttätige Aktionen in Deutschland gegen türkische, aber auch deutsche Einrichtungen an, die nach den konkreten Vorgaben der Regions- und Gebietsverantwortlichen von örtlichen Aktivisten durchgeführt wurden. Bei diesen Aktionen wurden die Straftatbestände des Landfriedensbruchs, schweren Hausfriedensbruchs, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung und Sachbeschädigung verwirklicht.

Ab November 1993 ging die Organisation dazu über, bei derartigen Aktionen auch Brandanschläge begehen zu lassen. Sie handelte zum einen mit dem Ziel, die Öffentlichkeit in Deutschland auf Übergriffe des türkischen Staates gegenüber den Kurden aufmerksam zu machen. Zum anderen ging es ihr aber auch darum, mit den gemeingefährlichen Straftaten die hier lebenden türkischen Mitbürger und später auch die gesamte Bevölkerung massiv zu beunruhigen und zu ängstigen, um auf diesem Wege die Bundesrepublik Deutschland zu zwingen, die politische, militärische und wirtschaftliche Unterstützung der Türkei einzustellen. Nachdem das Bundesministerium des Inneren mit Verfügung von 22. November 1993 ein Betätigungsverbot gegen die PKK und die ERNK sowie zahlreiche Unterorganisationen ausgesprochen hatte, erstrebte der Funktionärskörper mit den Gewalttaten auch die Aufhebung dieses Betätigungsverbots. Die Ordnungsbehörden vor Ort sollten dazu gebracht werden, die versammlungsrechtlichen Verbote sowie vereinsrechtlichen Betätigungsverbote nicht durchzusetzen; auch sollten die Strafverfolgungsbehörden gezwungen werden, die strafrechtliche Verfolgung von Aktivisten zu unterlassen. Die Brandanschlagsserien waren auf das ganze Bundesgebiet verteilt, gefährdeten Menschen und richteten hohen materiellen Schaden an. Sie waren jedenfalls im Sinne einer realistischen Möglichkeit geeignet, die Bevölkerung einzuschüchtern und Behörden rechtswidrig zu nötigen.

Die Entwicklung der Organisation zur kriminellen und sodann terroristischen Vereinigung und die Entfaltung dieser Vereinigung nahmen den nachstehend beschriebenen Verlauf.

a) Die Anschlagsserie vom 24. Juni 1993

aa) Da die Bundesrepublik Deutschland der Türkei Militärhilfe leistete, kündigte der Zentrale Militärrat der Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) gegen Deutschland bereits im Jahre 1991 und auch Anfang 1992 Sanktionen an. In einem Aufruf vom 25. März 1992, der in dem Parteiorgan "Serxwebun" Ausgabe Nr. 124 vom April 1992 veröffentlicht wurde, forderte der ARGK die "kurdischen Massen in Europa" auf, sich "auch im Ausland aktiv gegen den Feind (zu) richten" und "massenweise die Einrichtungen der Türkischen Republik, wie Gebäude von Botschaften, Konsulaten, türkischen Luftlinien wirksam anzugreifen und zu verwüsten". Infolge dieser Ankündigung und unmittelbar ausgelöst durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in Kurdistan, wie z. B. die Bombardierung von PKK-Stellungen im Nordirak, kam es schon im Jahre 1992 zu insgesamt fünf bundesweiten Anschlagsserien, bei denen eine Vielzahl türkischer Banken, Geschäftslokale und konsularischer Vertretungen angegriffen und dabei häufig auch verwüstet wurden. Mit diesen gewaltsamen Aktionen wollte die PKK nicht nur eine Einstellung der deutschen Waffenlieferungen an die Türkei erreichen, vielmehr sollte durch die Einbeziehung Deutschlands in die kurdisch-türkischen Auseinandersetzungen auch Druck auf die Türkei ausgeübt werden.

Im März 1993 bot der Generalsekretär der PKK, Öcalan, der türkischen Regierung einen befristeten Waffenstillstand an. Als diese es ablehnte, mit ihm zu verhandeln, und ihre militärischen Aktionen im Kurdengebiet fortsetzte, erklärte Öcalan in einem am 14. Juni 1993 im Nachrichtenmagazin "Focus" veröffentlichten Interview, die politische Phase sei vorbei. Nun könne es "eine Gewaltwelle ohne Beispiel" geben. In jedem Bereich und in jeder Region seien Angriffe auf den türkischen Staat möglich. Auch in Deutschland dürften Aktionen nicht ausgeschlossen werden. Sie würden sich aber nur gegen Türken richten.

Dementsprechend verkündete die Europavertretung der ERNK in einem Flugblatt vom 11. Juni 1993:

"Der Waffenstillstand ist vorbei ... Daher finden derzeit Vorbereitungen aller kurdischen Organisationen für eine gemeinsame Front statt. Die europäischen Länder haben keine ernsthaften Schritte zu einer friedlichen Lösung unternommen. Im Gegenteil, mit der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Unterstützung haben sie den türkischen Staat in seiner Politik ermutigt. Daher rufen wir die europäischen Länder und die Öffentlichkeit dazu auf, die türkische Regierung unter Druck zu setzen, um den Krieg zu beenden ..."

Des weiteren wurde in der Ausgabe Nr. 160 des Parteiorgans "Berxwedan" vom 15. Juni 1993 eine u.a. "An die Presse und Öffentlichkeit" gerichtete Erklärung der ERNK-Europaorganisation vom 14. Juni 1993 veröffentlicht, in der das Scheitern der "politischen Lösungsvorschläge" Öcalans bedauert und der deutsche Staat, der sich an dem von der "faschistischen türkischen Diktatur" propagierten "Massaker-Plan" beteilige, einer aggressiv kurdenfeindlichen Haltung bezichtigt wurde. Abschließend heißt es in dieser auch "An das ganze kurdische Volk in Europa und die sensiblen Kreise in Europa" gerichteten Erklärung:

"Wir werden gegenüber den Massakern an unserem Volk nicht schweigen. Wir werden hier keine Orientierung hinnehmen, die durch das Aufhetzen des türkischen Staates hervorgerufen wird, und uns verteidigen.

Sämtliche türkischen Botschaften in Europa und vor allem in Deutschland sind im wahrsten Sinne MIT- und Agentennester [Milli Istihbarat Teskilati = Nationaler Nachrichtendienst ist der türkische Inlandsnachrichtendienst]. ...

Wir als ERNK-Europaorganisation: Wir warnen. Wir kämpfen für die Freiheit unseres massakrierten Volkes. Wir haben bisher nie jemanden genötigt und werden das auch in Zukunft nicht tun. Es müssen allerdings diese gemeinsamen Praktiken endlich ein Ende finden. Wir erklären, dass wir in der Richtung nicht schweigen, und wir warnen diejenigen, die sich an dem Massaker unseres Volkes beteiligen".

bb) Entsprechend der Ankündigung erteilte die Zentrale der ACM den in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Regionsverantwortlichen die Weisung, am 24. Juni 1993 zeitgleich gegen türkische Einrichtungen vorzugehen und insbesondere das dort vorgefundene technische Inventar mit Schlagwerkzeugen zu zerstören.

So kam es am 24. Juni 1993 zu einem massiven, zentral gesteuerten und in bisher nicht gekannter Brutalität ausgeführten Angriff auf Einrichtungen, die in den Augen der PKK den türkischen Staat repräsentierten. Insgesamt waren über 52 türkische Einrichtungen im gesamten Bundesgebiet Ziel der organisierten Anschläge. 7 Generalkonsulate, 30 Niederlassungen türkischer Banken, 14 Reisebüros und eine türkische Handelsgesellschaft wurden nahezu zeitgleich gegen 10.00 Uhr von Gruppen vornehmlich jugendlicher Kurden angegriffen. Zwei weitere Objekte waren am 25. und 26. Juni 1993 betroffen. Der schwerwiegendste Fall ereignete sich in München, wo am 24. Juni 1993 14 türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit im türkischen Generalkonsulat mehrere Geiseln nahmen und eine Erklärung des Bundeskanzlers forderten.

Bei der weit überwiegenden Zahl der Anschläge war die Vorgehensweise der in Gruppen auftretenden Täter - über 400 in der gesamten Bundesrepublik - weitgehend gleich. Überwiegend zerstörten oder beschädigten die Täter die Fensterscheiben und Eingangstüren der Angriffsobjekte, stürmten deren Geschäftsräume und demolierten unter Zuhilfenahme von Schlagwerkzeugen die Inneneinrichtungen, wobei sie es vor allem auf wertvolle Computeranlagen abgesehen hatten. In fünf Fällen kam es zu Personenschäden. Der geschätzte Sachschaden belief sich auf etwa 1,8 Mio. DM. Über 180 Personen wurden vorläufig festgenommen. Bei den namentlich bekannt gewordenen Tatverdächtigen handelte es sich fast ausnahmslos um türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit.

Neben den gewaltsamen Aktionen fanden einige Tage später gleichzeitig in 16 Städten der Bundesrepublik Deutschland Demonstrationen statt. Auch in mehreren europäischen Nachbarstaaten kam es zu unfriedlichen Demonstrationen und Ausschreitungen.

cc) Im Anschluss an diese Anschlagsserie nahm die PKK hierzu Stellung. Die Europaorganisation der ERNK wies zwar die Verantwortung für die Anschlagsserie vom 24. Juni 1993 von sich, bezeichnete sie aber im Kurdistan-Rundbrief vom 1. Juli 1993 als eine "legitime Reaktion" des kurdischen Volkes und führte insoweit aus:

"Wir, die Europavertretung der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK), unterstützen diese gerechtfertigten Demonstrationsformen des kurdischen Volkes ..."

Auch in ihren Parteiorganen - so z.B. in "Berxwedan" Nr. 161 vom 15. Juli 1993 - berichtete die PKK ausführlich und anerkennend über die Anschläge, die in der "Wut eines Volkes" bzw. in "dem unverhinderbaren Zorn des kurdischen Volkes in Europa" ihren Ursprung hätten. In einem dort abgedruckten Interview eines ERNK-Vertreters, heißt es auf die Frage nach der Bewertung der von den Besetzern des Münchner Generalkonsulats gestellten Forderungen, der deutsche Bundeskanzler solle im Fernsehen auftreten und eine Erklärung abgeben, dass der türkische Staat den Krieg beenden solle, und Deutschland solle gleichzeitig seine politische und militärische Unterstützung für den türkischen Staat in diesem in Kurdistan geführten Krieg beenden:

"Auch diese Forderung ist eine ziemlich menschliche Forderung .... Was von Kohl erwartet wird, ist, dass er auf diese Forderung des kurdischen Volkes richtig reagiert, eine richtige Haltung einnimmt."

In einem Flugblatt der ERNK vom 26. Juni 1993 heißt es zu der Anschlagsserie vom 24. Juni 1993:

"Die Reaktion, die die in Europa lebenden Kurden gegen die Grausamkeit, die Massaker und Bombardierungen zeigen, die der türkische Staat in Kurdistan veranstaltet, sind berechtigte Klagerufe nach Menschlichkeit. ... Wir als ERNK-Europaorganisation unterstützen diese berechtigten Demonstrationen, die überall in Europa begonnen haben. Wir werden bis zum letzten an der Seite dieser legitimen Reaktion des kurdischen Volkes stehen und ihr Unterstützung gewähren".

Diese Anschlagsserie belebte die bereits aufgrund der Anschläge im Jahre 1992 entfachte öffentliche Diskussion über ein Verbot der PKK und ihrer Nebenorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland.

In der Folgezeit setzte sich die PKK mit einem drohenden Vereinsverbot auseinander. So heißt es in einer Erklärung der Europavertretung der PKK vom 31. Oktober 1993:

"Das kurdische Volk wird mit dem Völkermord bedroht. Aber Europa leistet immer noch geheime Waffenhilfe an die Türkei. Europa will bei der Unterdrückung der legitimen Forderungen unseres Volkes nach Freiheit eine Rolle spielen. Es bezeichnet die einzige und legitime Vertretung unseres Volkes, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), als "terroristisch".

... In diesem Zusammenhang wird über das Verbot der PKK gesprochen. ...

Wir sind ein unterdrücktes Volk und kämpfen für unsere Identität und für unsere Freiheit. Wir haben die politische Lösung vorgeschlagen ... Wir haben Europa Gespräche angeboten und den internationalen Institutionen vorgeschlagen, die Frage zu diskutieren. Hierauf wurde uns die Leugnung, Vernichtung und Kapitulation aufgezwungen."

Diese Erklärung schließt mit der Drohung ab, dass man, falls

"in Europa oder anderswo eine Aktion gegen unsere Freunde stattfinden (sollte), ... die Rechnung dafür teuer bezahlen lassen"

wolle. Und:

"Wir werden, wenn nötig, mit unserem Volk die Atmosphäre in eine Hölle verwandeln".

b) Die Anschlagsserie vom 4. November 1993

Es folgte am 4. November 1993 eine Anschlagsserie der PKK, die schließlich zu dem von ihr befürchteten Vereinsverbot in Deutschland führte.

aa) Auch diese Anschlagsserie hatte ihren Grund in einer Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Türkei und kündigte sich in Verlautbarungen der ERNK an. Bereits in einem Flugblatt der Europäischen Frontzentrale (ACM) vom 30. September 1993 hatte es geheißen:

"In der Heimat herrscht ein täglich wachsender Krieg. Daher kann jederzeit die Notwendigkeit entstehen, Aktionen in Verbindung mit diesen Entwicklungen durchzuführen."

Am 22. Oktober 1993 kam es in der türkischen Kreisstadt Lice in der Provinz Diyarbakir Pressemeldungen zufolge zu Übergriffen des türkischen Militärs mit zahlreichen Toten unter der kurdischen Bevölkerung. Nach einer veröffentlichten Erklärung der PKK vom 31. Oktober 1993 wurde Lice geradezu dem Erdboden gleichgemacht, Giftgas eingesetzt und unter den Bewohnern ein Massaker angerichtet. Hierdurch eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen Staat und der PKK. In einem Flugblatt der ERNK vom 28. Oktober 1993, das an das "tapfere Volk von Kurdistan" gerichtet war, hieß es hierzu:

"Für die Massaker in Lice und Kurdistan wird in jedem Fall Rechenschaft gefordert. Kein Massaker wird unbeantwortet bleiben. ... In der Heimat, in den Bergen, in der Großstadt wird der Feind niedergemacht, und für jeden Tropfen vergossenen Blutes wird vielfach Rechenschaft verlangt ...

Es ist jetzt an der Zeit, sich allesamt und mit dem Geiste der Mobilisation zu erheben und mit der großen Abrechnung zu beginnen. Es ist jetzt an der Zeit, ob in der Heimat oder in Europa, den Krieg zu erleben, seinen Erfordernissen zu entsprechen und zuzusetzen ..."

Die Erklärung endete mit den Aufrufen:

"- Für Lice wird früher oder später Rechenschaft gefordert!

- Es lebe unser nationaler Befreiungskampf!

- Es lebe die PKK, ERNK, ARGK!

- Es lebe unser nationaler Führer Vorsitzender Apo!"

Am 29. Oktober 1993 fand in der Kölner Innenstadt eine Kundgebung mit dem Thema "Protest gegen Massaker des türkischen Staates in Lice/Kurdistan" statt, an der etwa 20.000 Personen teilnahmen. Über diese Demonstration heißt es in einem Beitrag im Parteiorgan "Berxwedan" (Nr. 165 vom 15. November 1993):

"Die Antwort der Kurden in Europa auf das Massaker von Lice konnte nicht auf den Marsch von Köln beschränkt bleiben. Der Marsch von Köln hat den Groll des kurdischen Volkes noch mehr gesteigert. Er hat die Grausamkeit der Türkischen Republik in Lice deutlich gemacht. Aber für die Kurden ist es Zeit, um auf die aufgedrängte nationale Vernichtung mit nationalem Widerstand zu antworten. Im Hinblick darauf ist keine Aktion ausreichend oder die letzte. Jede Aktion macht eine weitere erforderlich. Dies war der Gedanke von Zehntausenden von Kurden, die den Platz der Kundgebung verließen. Sie alle dachten, dass man neue Antworten auf das Massaker von Lice geben müsse und bereiteten sich auf die kommenden Tage vor ..."

bb) Nur sechs Tage später und gut vier Monate nach der Anschlagsserie vom 24. Juni 1993 kam es dann am 4. November 1993 zur zweiten von der ACM-Zentrale angeordneten und durch die PKK-Verantwortlichen in Deutschland umgesetzten Anschlagsserie gegen türkische Einrichtungen in Deutschland.

An diesem Tage wurden nahezu zeitgleich gegen 11.30 Uhr an 30 verschiedenen Orten der Bundesrepublik Deutschland 60 türkische Reisebüros, Banken, Generalkonsulate, Gaststätten, Kulturzentren und andere Einrichtungen überfallen. Hierzu zählten unter anderem auch ein deutsch-türkischsprachiger Fernsehsender sowie das Verlagshaus der aus PKK-Sicht "staatstreuen" türkischen Tageszeitung "Hürriyet", die - wie es in der bereits zitierten Erklärung der Europavertretung der PKK vom 31. Oktober 1993 heißt - "ein Feind des kurdischen Volkes ist und von der Konter-Guerilla finanziert wird".

Hatten sich die Aktionen im Juni 1993 noch auf die Zerstörung von Sachwerten unter bloßer Zuhilfenahme von Hämmern, Beilen und anderen Schlagwerkzeugen beschränkt, so wurden nunmehr bei nahezu sämtlichen Anschlägen auch Brandsätze - sog. Molotowcocktails - eingesetzt; dadurch wurden vielfach Menschen, die sich in den Gebäuden aufhielten, nicht unerheblich gefährdet und zum Teil in Todesangst versetzt; an einigen Tatorten gab es sogar Verletzte. Den in seinen Auswirkungen schwerwiegendsten Fall der Anschlagsserie vom 4. November 1993 stellt der Brandanschlag auf die am Rande der Innenstadt von Wiesbaden gelegene Gaststätte "Hermanns Eck" dar. Eine aus etwa sechs Personen bestehende Tätergruppe drang in das gut besuchte Lokal ein, verschüttete Benzin auf den Boden und setzte den Gaststättenraum mittels eines Brandsatzes in Brand. In dem sich daraufhin rasch ausbreitenden Feuer kam ein Mann ums Leben; acht Personen wurden zum Teil schwer verletzt.

Der durch die Anschlagsserie vom 4. November 1993 insgesamt angerichtete Schaden belief sich auf deutlich über 1,3 Mio. DM. Bundesweit beteiligten sich über 270 Personen an den Straftaten; sie bildeten dabei Gruppen, die in der Regel aus zwei bis sechs Personen bestanden. Insgesamt 62 Tatverdächtige wurden festgenommen. Die bekannt gewordenen Verdächtigen waren nahezu ausschließlich kurdische Volksangehörige; bei 21 von ihnen gab es Hinweise auf ihre PKK-Zugehörigkeit. Die Täter hinterließen an zumindest 13 Tatorten Flugblätter in deutscher und türkischer Sprache, die folgenden inhaltsgleichen Text aufwiesen:

"Wir protestieren

- gegen den Völkermord, den der türkische Staat gegen das Volk Kurdistans ausgerufen hat und fortsetzt;

- gegen die Ermordung hunderter kurdischer Menschen am 22. Oktober im Kreis Lice in der Provinz Diyarbakir,

- gegen die Zerstörung und Entleerung von mehr als 700 kurdischen Dörfern in den letzten zwei Jahren,

- gegen die Festnahme, systematische Folter und die Ermordung von Dorfbewohnern sowie die Beschlagnahme ihrer Wintervorräte,

- gegen die Ermordung von oppositionellen Journalisten und Politikern sowie ihre Verschleppung durch die Konter-Guerilla,

- gegen die Drohungen von Staatspräsident Demirel und Generalstabschef Güres: 'Wir werden die Kurden totschlagen. Bis Frühling 1994 werden wir sie liquidieren. Wir werden sie auch in Europa liquidieren.'

- gegen die Lieferung von Waffen aus einigen europäischen Ländern, die im Krieg gegen das kurdische Volk eingesetzt werden.

Wir werden gegenüber dem Völkermord in Kurdistan nicht schweigen!"

cc) Auch für diese Anschlagsserie vom 4. November 1993 wies die PKK in ihren offiziellen Verlautbarungen zwar vordergründig eine Verantwortung zurück, begrüßte die Aktionen jedoch auch diesmal als gerechtfertigte Reaktion des kurdischen Volkes. So erklärte der Europasprecher der ERNK gegenüber der BBC:

"Die letzten Aktionen haben wir nicht organisiert. Es handelt sich um eine natürliche Reaktion des kurdischen Volkes gegen die Massaker in Lice."

In einem Flugblatt der ERNK vom 20. November 1993 wurde die Anschlagsserie als "berechtigte Reaktion der patriotischen Kurden in Europa" und als "eine Vorgehensweise, welche sehr richtig und begrüßenswert ist", bezeichnet.

In diesem Sinne wandte sich die ERNK-Europavertretung in dem Parteiorgan "Berxwedan" vom 15. November 1993 mit folgender Erklärung an die in Europa lebenden Kurden:

"Patriotische Kurden in Europa ...

es war auch Eure dringende Aufgabe, in einer solchen Zeit diesem grausamen und sich im Unrecht befindlichen Feind und seiner terroristischen Praxis ... auch außerhalb der Heimat eine Antwort zu geben und die historischen Komplizen der Republik Türkei daran zu erinnern, ihre gegenwärtige Haltung und Position aufzugeben. Wir begegnen Eurer berechtigten Wut, die ihr mit Eurem freien Willen in Europa am 4. November 1993 zum Ausdruck gebracht habt, mit Respekt und begrüßen sie ..."

In derselben "Berxwedan"-Ausgabe hieß es in einem Beitrag, der sich ausführlich mit den Widerstandsaktionen der kurdischen Bevölkerung befasste und in dem die PKK und das kurdische Volk ausdrücklich gleichgesetzt wurden, einleitend unter der Überschrift "Das Wehgeschrei der Kurden nach Freiheit hat die Welt erschüttert":

"Das kurdische Volk schreibt seine Geschichte. Es gibt auf die totale Vernichtung, die ihm sowohl in Kurdistan als auch in der Türkei und in Europa aufgezwungen wird, eine Antwort durch gemeinsamen Widerstand. ... Es ist offensichtlich, dass das Volk Kurdistans, das dermaßen vereinigt, organisiert ist und Widerstand leistet und kämpft, mit Sicherheit siegen wird. Die Aktionen vom 4. November haben das in einem internationalen Umfang bestätigt. Wir begrüßen auf dieser Grundlage diesen organisierten und mächtigen Aktionismus".

Dementsprechend führte auch der "Europavertreter" der ERNK in einer Sonderausgabe des "Kurdistan Report" vom Dezember 1993 aus:

"Die kurdische Bevölkerung in Europa ist eine homogene Masse. Sie weiß, was sie macht, ist politisch gebildet und sehr lebendig. Die Ursachen für die Aktionen in Europa in der letzten Zeit sind die Massaker des türkischen Staates in Kurdistan. Die letzten Aktionen am 4. November d.J. sind Protestaktionen gegen das Massaker der türkischen Armee in Lice gewesen. ...

Wenn die Frage gestellt wird, ob die PKK die Aktionen durchgeführt hat oder es sich um unorganisierte Aktionen handelt, so muss ich antworten: keins von beiden. Weder die PKK hat die Aktionen durchgeführt, noch handelt es sich um unorganisierte Aktionen. Es sind die organisierten Reaktionen der kurdischen Bevölkerung hier in Europa. ... Die PKK hat nicht zu den Aktionen aufgerufen. Sie hat jedoch bis zum Schluss hinter den Aktionen gestanden. Wir haben die Aktionen begrüßt, sie für legitim befunden und unterstützt".

dd) Die Anschläge vom 4. November 1993 gaben den Ausschlag dafür, dass das Bundesministerium des Inneren mit Verfügung vom 22. November 1993 ein Betätigungsverbot gegen die PKK und die ERNK sowie zahlreiche Unterorganisationen aussprach, weil ihre Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwider liefen.

ee) Die ERNK hatte bereits im Vorfeld angekündigt, das von ihr erwartete Verbot nicht zu akzeptieren. In einem Flugblatt der ERNK vom 20. November 1993 heißt es dazu:

"Die Haltung des deutschen Staates, trotz den vorhandenen Tatsachen, diese gerechte Reaktion als Terror zu benennen und gegen die legalen Vereine und Institutionen der zehntausenden Kurden vorzugehen und diese zu demolieren und mit Verbot zu drohen, ist eine inakzeptable Haltung."

Zu dem Verbot und den Gründen für die Anschlagsserie äußerte sich der Europasprecher der ERNK in einem Interview, abgedruckt in der Sonderausgabe des Kurdistan-Reports vom Dezember 1993, folgendermaßen:

"Die PKK ist seit kurzem in Deutschland und Frankreich verboten worden. Glauben Sie, dass die PKK jetzt Gewaltmaßnahmen im Sinne einer Vergeltung durchführen will, so wie es in der Pariser Erklärung der PKK laut wurde?

Zunächst muss erst einmal folgende Tatsache richtig gestellt werden: Deutschland und Frankreich können die PKK nicht verbieten. Über eine Organisation des kurdischen Volkes kann nur das Volk selbst entscheiden, ob es sie akzeptiert oder nicht. Für uns hat es keine große Bedeutung, wenn andere sagen, dass sie uns verbieten.

Ferner haben wir die PKK in Europa gar nicht offiziell gegründet, damit sie verboten werden kann. Das was hier verboten wurde, sind die legalen Vereine, in denen kurdische Patrioten sich getroffen haben. Ich glaube, dass diese Frage noch einmal gestellt werden wird, deshalb gehe ich auf die eigentliche Intention ihrer Frage ein.

Was ist unter Rache zu verstehen? Ohne Zweifel haben wir nicht die Absicht, in Europa oder Frankreich oder in anderen Ländern Europas Unruhen zu stiften. Wenn jedoch unsere Existenz bedroht wird und ernsthafte Angriffe gegen uns geführt werden, wenn man versucht, mit unserem Widerstand zu spielen, wird unser Volk zweifellos auch Reaktionen zeigen. Auch in der Türkei haben sie zweifellos Interessen und diese werden ebenso gefährdet sein. In diesem Sinne haben wir auf solch eine Situation hingewiesen und davor gewarnt.

Warum wird eine Vergeltung gefordert? Ist es allein das Verbot der PKK? Oder ist es, weil die Kurden mit deutschen Waffen ermordet werden?

Sicherlich hat die Geduld aller Nationen und ihrer Vertreter irgendwann eine Grenze. Wir haben mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass diese Grenze nicht überschritten werden sollte. Jedoch wird jeder, dessen Geduld überschritten wird, gewiss auch Reaktionen zeigen. Aber wir tragen immer noch die Hoffnung, dass die Fragen auf dem Wege des Dialogs und der Freundschaft gelöst werden können.

Es ist ein großer Widerspruch, wenn man es nicht als Terrorismus [bezeichnet], wenn wir dort mit deutschen Waffen ermordet werden, aber hier werden Menschen als Terroristen bezeichnet, weil sie ein paar Scheiben oder Türen kaputtschlagen. Dieser Widerspruch verdeutlicht noch einmal, dass die deutsche Regierung das Verbot und die Schließung der kurdischen Einrichtungen nicht wegen der "inneren Sicherheit" beschlossen hat. Die eigentlichen Ursachen hierfür liegen vielmehr ganz offensichtlich in den engen politischen Beziehungen mit der türkischen Regierung. Der Einsatz deutscher Waffen in Kurdistan bedeutet die Mitverantwortung der deutschen Regierung für den Völkermord des türkischen Staates am kurdischen Volk. Wir denken, dass die deutsche Regierung sich von der traditionellen Haltung distanzieren muss.

Wird die PKK auch weiterhin ihr Ziel verfolgen, durch spektakuläre Maßnahmen in Deutschland auf das Unrecht in Kurdistan hinzuweisen? Oder wird sie jetzt eher davon absehen, da sie als Partei verboten wurde?

Wir lassen uns nicht durch irgendwelche Beschlüsse von außen sagen, wie und wann wir was machen dürfen. Natürlich können wir derzeit nichts darüber sagen, was in der Zukunft passieren wird und in welcher Weise Reaktionen zu erwarten sind.

Die PKK macht ihre Haltung von der eigenen Situation, der Situation des Volkes und dem Befreiungskampf in Kurdistan abhängig. Wenn sie einmal einen Beschluss gefasst hat, dann gibt es keine Kraft auf der Welt, die die PKK von dem Beschluss abbringen kann.

...

Ist die Bundesrepublik der richtige Ort, um die Auseinandersetzung der PKK mit der Türkei auszutragen?

...

Deutsche Waffen morden dort unsere Menschen, zerstören die Natur und die Existenzgrundlage unseres Volkes.

Kann Deutschland sich das Recht herausnehmen, dass deutsche Waffen bei dem Völkermord in unserem Land an unserem Volk eingesetzt werden, das für seine Freiheit einen gerechten, legitimen und historisch verwurzelten Befreiungskampf führt? Wenn sich die deutsche Regierung dieses Recht herausnimmt, dann sind die Reaktionen der Kurden in Deutschland natürlich und verständlich.

Ganz abgesehen davon ist bei diesen Reaktionen kein einziger Deutscher zu Schaden gekommen. Die Reaktionen richteten sich gegen die Einrichtungen des türkischen Staates, der die Massaker an unserem Volk begeht.

Sie richteten sich weder gegen die türkische Bevölkerung, noch gegen irgendwelche andere Volksgruppen oder das deutsche Volk. Sie richteten sich lediglich gegen die offiziellen Einrichtungen des türkischen Staates, ihre Wut galt diesen Einrichtungen.

...

Wenn die Zerstörung von Fensterscheiben als "Terrorismus" abgestempelt wird, so wie die deutsche Regierung es vor der Öffentlichkeit bezeichnet hat, und der Einsatz deutscher Waffen bei Massakern gegen unser Volk, sowie der Verkauf von Giftgas kein Terrorismus ist, dann ist der "Terrorismus", den wir praktizieren, ein guter "Terrorismus"."

In der "Serxwebun" Nr. 144 vom Dezember 1993 heißt es angesichts des Betätigungsverbotes:

"... die Patrioten aus Kurdistan haben einen bemerkenswerten Widerstand gegen die Schließungsbeschlüsse Deutschlands und Frankreichs organisiert und fast alle Vereine erneut eröffnet. Die Führung Deutschlands musste angesichts des prächtigen Widerstandes der kurdischen Masse zurückweichen ...

... es ist sicher, dass mit der Schließung der Vereine die Aktionen, die die Menschen aus Kurdistan, die in den europäischen Ländern leben, gegen die Massaker der R.[epublik] T.[ürkei] in Kurdistan entwickeln werden, nicht beendet sein werden. Es ist sicher, dass die massenhaften Demonstrationen und Protestaktionen noch intensiver und breiter fortgesetzt werden."

Schließlich meldete sich auch der Parteiführer Abdullah Öcalan öffentlich zu Wort und gratulierte in einem im "Kurdistan- Rundbrief" Nr. 26 vom 15. Dezember 1993 veröffentlichten Interview vom 4. Dezember 1993 "unseren Massen in Europa zu ihrem gezeigten Widerstand" und bezeichnete die Aktionen als "das richtige und angemessene Verhalten zur Verteidigung ihrer demokratischen Positionen". Dann forderte er im Hinblick auf das am 22. November 1993 verfügte Betätigungsverbot für die PKK, dass

"die BRD ... eine andere Haltung zur Türkei annehmen und Respekt vor Demokratie und Menschenrechten entwickeln"

müsse, und drohte:

"Wenn sie das nicht tut, wird das zur Folge haben, dass unsere Methoden gewaltsamer werden".

Das Öcalan-Interview endete nach weiterer massiver Kritik an der Politik der Bundesrepublik Deutschland sodann mit der Ankündigung:

"Unsere Aktivitäten in Europa werden sich von nun an stärker entwickeln. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel".

Ausführlicher äußerte sich Abdullah Öcalan in einem von Özgür Gündem unter dem 4. Dezember 1993 geführten und im Kurdistan-Rundbrief Nr. 26 vom 15. Dezember 1993 wiedergegebenen Interview:

"Özgür Gündem: Werden diese neuen Maßnahmen Ihren Kampf beeinflussen oder beeinträchtigen?

Abdullah Öcalan: Unser Volk in Europa ist ziemlich gut organisiert und besitzt die Kraft und Fähigkeit, auf jede Art von Unterdrückung und Verbote sofort zu antworten. Schließlich ist ja auch innerhalb kürzester Zeit klargeworden, wie sinnlos die Verbotsbeschlüsse sind. Unser Volk führt jede Art organisierter Aktivitäten weiter und hat nicht den kleinsten Schritt zurückgemacht. Ganz im Gegenteil, die gegen uns vorangehenden europäischen Kreise wurden gezwungen, einen Schritt zurück zu machen.

...

Es hat sich herausgestellt, wie sehr unsere Massen Widerstand leisten und dass sie, ganz gleich, unter welchen Bedingungen, bezüglich ihrer demokratischen Organisierung nicht den kleinsten Rückzieher machen, sondern sich noch mehr radikalisieren werden.

...

Özgür Gündem: Politische Kreise meinen, dass der deutsche Staat die kurdischen Vereine nicht wieder zugelassen und keinen Schritt zurück unternommen hätte, wenn die kurdischen Massen keinen Widerstand gegen das Verbot geleistet hätten. Denn Deutschland hat ja die Erfahrung von 1973 mit den Palästinensern und dem Dev-Sol-Verbot ...

Abdullah Öcalan: Ich gratuliere unseren Massen in Europa zu ihrem gezeigten Widerstand. Ich möchte ihnen auf diesem Wege meinen Respekt und meine Grüße übermitteln. Das war das richtige und angemessene Verhalten zur Verteidigung ihrer demokratischen Positionen. Es gibt auch keinen Grund dafür, dass sie sich stärker zurückhalten oder zurückziehen sollten. Sie arbeiten ja auch nicht illegal, sie können für ihre demokratischen und menschlichen Rechte auch unter den Bedingungen Europas noch weitergehende Forderungen stellen. Meiner Meinung nach müssen sie mehr Rechte fordern und es muss mehr auf sie gehört werden. Denn es sind die europäischen Staaten, die schuldig und stark sind.

Özgür Gündem: Können Sie die Haltung Deutschland gegen die kurdische Bewegung und gegen das kurdische Volk etwas mehr bewerten?

Abdullah Öcalan: Deutschland hat die gesamten Waffen der ehemaligen NVA der Türkei gegeben und es ist unbestritten, dass diese jeden Tag gegen uns eingesetzt werden. Das ist ein Verbrechen. Eigentlich müssten wir diesen sich schuldig machenden deutschen Staat packen. Wir wollen nichts von Deutschland. Wir wollen nur, dass er sich nicht zum Werkzeug des Völkermords macht. Die deutschen Waffen werden nicht im Rahmen der NATO-Verträge und zur Sicherheit Deutschlands eingesetzt. Sie werden gegen das kurdische Volk, gegen kurdische Dörfer und Zivilist/inn/en eingesetzt. Diese Waffenlieferungen nicht zu stoppen, bedeutet, sich zur Kriegspartei zu machen. Unser Volk weiß das und leistet Widerstand um den Preis seines Lebens. Wir hoffen, dass Deutschland diese negative Politik nicht beharrlich weiter fortsetzt.

Die BRD muss eine andere Haltung zur Türkei annehmen und Respekt vor Demokratie und Menschenrechten entwickeln. Wenn sie das nicht tut, wird das zur Folge haben, dass unsere Methoden gewaltsamer werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die deutsche Öffentlichkeit appellieren: Fahrt nächstes Jahr nicht in die Türkei. Vor allem diejenigen, die ein wenig zu unseren Freunden zählen, sollen schon gleich gar nicht in die Türkei fahren. Wer jetzt noch all unsere Warnungen ignoriert und trotzdem noch in die Türkei fährt, den werden wir als Kollaborateur/in der Türkei betrachten, ganz gleich, ob er/sie als Tourist/in, als Geschäftsmann/frau oder mit kulturellen oder politischen Zielen fährt. Wir werden uns gegen alle deutschen Aktivitäten in der Türkei stellen. Entweder müssen die Deutschen ihre negative Haltung, die sie in diesem Krieg bis heute eingenommen haben, verändern und auf eine sich nicht gegen unser Volk richtende Ebene bringen und zeigen, dass sie kein Feind sind; oder sie sagen ganz offen, dass sie Feind sind und bleiben nicht nur bei den Verboten (der kurdischen Organisationen und Einrichtungen in der BRD) und werden zu noch härteren Angriffen greifen. Natürlich werden wir all unsere Vorkehrungen dagegen treffen. Das ist der Kern der Sache. Deutschland ist seit mindestens 15 Jahren Werkzeug in dem gegen uns geführten ungerechten Krieg. Unser Volk reagiert darauf mit großer Wut und großem Zorn. Wenn wir das bis heute nicht gestoppt hätten, dann hätte unser Volk in Deutschland noch viel größere Aktionen gemacht. Das gilt auch weiterhin. Unser Volk kann zu noch viel gewaltsameren Mitteln greifen, wenn die Existenz des kurdischen Volkes weiterhin so massiv angegriffen und seine Kultur vernichtet werden soll. Es wäre falsch, das anders darzustellen. Hinter der Beschuldigung als "Terrororganisation" steckt ein Angriff auf die elementarsten Rechte unseres Volkes. Ich hoffe, dass Deutschland einen weiteren Rückzug macht und eine demokratische Haltung annimmt. Wie ich bereits gesagt habe, wir wollen gar nicht, dass die BRD uns aktiv unterstützt. Sie soll nur der türkischen Seite keine direkte Hilfe leisten und sich vor der Unterstützung der blutigen Massaker fernhalten. Wenn sie noch mehr Gutes tun wollen, sollen sie sich als Vermittler anbieten, dann sollen sie sich zwischen die Kriegsparteien stellen und Bemühungen unternehmen, die blinde Gewalt zu stoppen. Das ist eine absolut menschliche Forderung. Unser Volk muss das durchsetzen. Es muss sich auf dieser Basis organisieren, ein Bewusstsein entwickeln, alle möglichen Formen des Protests gegen diese undemokratische Repression entwickeln und seine Rechte selbst erkämpfen.

Unser Volk muss einen Schritt weitergehen. Diese Verbote und Vereinsschließungen dürfen für unser Volk kein Rückzug sein, sondern ganz im Gegenteil dazu führen, dass es noch weiter voranschreitet und in jedem Bereich den Kampf führt und verteidigt.

Wir sind für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Kämpfe auf dieser Basis. Der Schritt unseres Volkes war ein erster Schritt, ein Anfang, es kann jetzt noch weiter gehen. Unser Volk muss sich quantitativ wie qualitativ noch stärker organisieren, auf jeder Ebene geeignete Vorkehrungsmaßnahmen ergreifen und seine Ziele angehen. Wir werden es als Partei darin unterstützen. Unsere Aktivitäten in Europa werden sich von nun an stärker entwickeln. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel."

Mit Erklärungen dieser Art zu der Anschlagsserie vom 4. November 1993 machte die PKK deutlich, dass sie auch zukünftig nicht von derartigen Aktionen Abstand nehmen wolle. Die Aufnahme derartiger Brandanschläge in den Aktionskatalog der PKK führte dazu, dass diejenigen, die einvernehmlich diese Straftaten anwiesen bzw. planten und durchführten, nämlich die Mitglieder der ACM-Zentrale sowie die Regions- und Gebietsverantwortlichen in Deutschland, nunmehr einen Verband bildeten, der seine Ziele auch mit terroristische Mitteln durchzusetzen trachtete.

c) Die Anschlagsserie im März 1994

aa) Der Ankündigung des Parteiführers Öcalan entsprechend kam es im Umfeld des Newroz-Festes in der Zeit vom 19. bis zum 22. März 1994 zu zahlreichen weiteren - weitgehend wiederum zeitgleich durchgeführten - Aktionen der PKK im gesamten Bundesgebiet. Nachdem am 19., 20. und 21. März 1994 in einer Vielzahl deutscher Städte - darunter Berlin, Stuttgart, Augsburg, Köln, Wiesbaden und Hannover - teilweise nicht angemeldete Großdemonstrationen organisiert und durchgeführt worden waren, bei denen es vielfach auch zu Widerstandshandlungen und gewaltsamen Ausschreitungen gegen Polizeibeamte gekommen war, konzentrierten sich die von der PKK-Führung, also von der ACM-Zentrale, angeordneten Aktionen am 22. März 1994 auf die Blockade von Bundesautobahnen und sonstigen Hauptverkehrsstraßen, die im Wesentlichen zeitgleich in den frühen Nachmittagsstunden zwischen 13.00 Uhr und 15.00 Uhr an 16 Orten im gesamten Bundesgebiet begonnen wurden. Die Blockaden erfolgten entweder in der Weise, dass mehrere Fahrzeuge nebeneinander fuhren, ihre Geschwindigkeit reduzierten und schließlich anhielten, oder dadurch, dass die Teilnehmer sich auf Rastplätzen oder sonstigen nahe an den Autobahnen gelegenen Orten sammelten, sich sodann zu Fuß auf die Fahrbahn begaben und sich dort aufhielten sowie diverse Gegenstände wie z.B. Astwerk und Autoreifen anhäuften, mit Benzin übergossen und anzündeten. In sieben Fällen übergossen sich Demonstranten selbst mit Benzin. Auf der Bundesautobahn A 45 schüttete ein Demonstrant Benzin auf die Fahrbahn, sich selbst und einen in der Nähe befindlichen Polizeibeamten; ein weiterer Demonstrant zündete sodann das Benzin an mit der Folge, dass mehrere Personen, darunter auch Einsatzkräfte der Polizei, Brandverletzungen erlitten. Zu einem ähnlichen Vorfall kam es auf der Bundesautobahn A 8 in der Nähe von Heimsheim, als ein Demonstrant sich und zwei Polizeibeamte mit Benzin übergoss. In einigen Fällen bestand die Abwehrstrategie der Demonstrationsteilnehmer gegen die vor Ort eingesetzten Polizeibeamten darin, dass Frauen und Kinder gezielt in die vorderste Linie positioniert und zwischen sie geöffnete Kanister mit Benzin gestellt wurden. Die Zahl der Teilnehmer an den einzelnen Blockaden belief sich zumeist auf ca. 100 bis 150 - insgesamt auf ca. 1.500 - Personen. In fast allen Fällen führten die Demonstranten PKK/ERNK-Embleme oder -Transparente mit sich.

bb) Auch diese Aktionswelle wurde von der PKK in ihren offiziellen Verlautbarungen begrüßt, publizistisch ausgewertet und nahtlos in die Reihe der Parteiaktivitäten eingeordnet.

Die ERNK-Europaorganisation nahm dazu wie folgt Stellung:

"Vor der gesamten Welt und Menschheit stellen wir fest, dass Deutschland eine sehr ungerechte Haltung eingenommen hat, für die es keine Begründung gibt. Deutschland soll seine Hände von uns nehmen, wir haben mit ihm kein Problem. ...

Aber wenn Freundschaft gewünscht wird, dann soll Deutschland bitte seine Unterstützung leisten. Aber es soll mit dieser ungerechten Haltung, die die Angriffe der RT [Republik Türkei] unterstützt, und damit aufhören, uns ständig zu bedrohen." (Sonderausgabe "Berxwedan" März 1994)

"Die Haltung der deutschen Regierung genau in dieser Phase und der Terror - so wie er auch vom türkischen Staat praktiziert wird - gegen die Feierlichkeiten eines nationalen Festes unseres Volkes können nicht hingenommen werden. Diese Haltung kommt offener Feindschaft gegenüber einer Nation gleich.

...

Was soll also die Feindschaft, die Angriffe bedeuten? Was bezwecken die Provokationen und Drohungen?

Wir wollen Freundschaft.

Aber jeder sollte wissen, dass wir Drohungen auch nicht auf sich ruhen lassen werden." (Kurdistan-Rundbrief Nr. 7 vom 7. April 1994)

In dem "An alle Frontkomitees" gerichteten Schreiben der ACM vom 13. Mai 1994 heißt es:

"Die vergangenen Newroz-Aktionen ... verursachten starke politische Wirkungen und Erfolge.

Solche Aktionen ... werden die Einheit unserer Massen mit der Heimat fördern.

Diese Situation bedeutet gleichzeitig die Erweiterung unseres Kampfgebietes".

Dass die PKK von Anfang an nicht nur hinter den "aktionistischen Aktivitäten" stand, sondern deren Urheber war, wird dadurch deutlich, dass es in dem Schreiben vom 13. Mai 1994 im vorliegenden Zusammenhang weiter heißt:

"Bei manchen der jüngsten Aktionen konnte unsere Massenkraft nicht ausreichend in Bewegung gesetzt werden, weil wir die Vorgehensweise, die Methode und das Tempo nicht bestimmen konnten. Dies weist auf gewisse Mängel hin ....

Unsere aktive Struktur und Massen müssen jederzeit aktionsbereit gehalten werden."

Schließlich äußerte sich die Europazentrale wie folgt:

"Die deutsche Polizei muss damit aufhören, gegen die Kurden vorzugehen, ihre Wohnungen zu überfallen und uns immer wieder zu bedrohen. Sie dürfen nicht vergessen, dass, wenn diese Situation weiter anhält, sie selbst Entwicklungen verursachen könnten, mit denen sie dann nicht mehr fertig werden können.

Wir wollen das Folgende betonen: Wenn Deutschland Freundschaft will, dann sind wir dabei. Wenn es aber unbedingt denkt, dass es den Krieg gegen uns eröffnet hat, dann werden wir diesen Krieg annehmen und drinnen und draußen darauf antworten. Und wenn Deutschland denkt, dass es uns mit diesen Methoden zum Kapitulieren bringen kann, dann irrt es sich. Wir haben die Stärke dazu, in Deutschland 1.000 Märtyrer herzugeben.

Deutschland muss vor allen Dingen umgehend damit aufhören, die Kurden zu inhaftieren. Es muss wissen, dass wir zusammen mit unserem gesamten Volk eine Haltung gegen diese Praxis annehmen werden und die deutschen Interessen überall in Gefahr bringen könnten. Deutschland muss dies als eine sehr ernste Warnung ansehen." ("Berxwedan" Nr. 172 vom 15. Juni 1994)

d) Die Anschlagsserie im Juli 1994

aa) In der ersten Julihälfte 1994 folgte eine weitere Anschlagsserie durch die vor diesem Hintergrund "aktionsbereit" gehaltenen PKK-Aktivisten. Am 30. Juni 1994 hatte sich der 16 Jahre alte Halim Dener mit weiteren jungen Kurden in Hannover an einer Plakatierungsaktion für die ERNK beteiligt; im Zuge der Verfolgung und Festnahme hatte sich ein Schuss aus einer Polizeiwaffe gelöst, durch den Halim Dener zu Tode gekommen war. Als Reaktion auf diesen Vorfall wurden in der Zeit von Anfang bis etwa Mitte Juli 1994 bundesweit über 70 Aktionen - Demonstrationen, Plakatierungs- und Sprühaktionen und gewaltsame Übergriffe wie Sachbeschädigungen und Brandanschläge - durchgeführt, wobei sich die insgesamt über 30 Sachbeschädigungen und Brandanschläge nahezu ausschließlich gegen Dienstfahrzeuge, Dienstgebäude und sonstige Einrichtungen der Polizei oder anderer deutscher Behörden richteten. In den meisten dieser Fälle wurden Brandsätze, teilweise aber auch Steine gegen Streifenwagen oder Fassaden von Polizeirevieren und sonstigen Dienstgebäuden der Polizei geschleudert. Der Großteil dieser Aktionen fand bereits am 2. Juli 1994 zeitgleich gegen 17.00 Uhr statt. In mehreren Städten wurden darüber hinaus deutsche Einrichtungen mit PKK/ERNK-Parolen besprüht. Bei zahlreichen der bundesweit durchgeführten Protest- und Demonstrationsveranstaltungen wurden PKK/ERNK-Fahnen und -Plakate - teilweise auch Bilder von Öcalan - mitgeführt.

bb) Auch in diesem Fall wertete die PKK die Aktions- und Anschlagsserie publizistisch aus und warf der Bundesrepublik Deutschland in einem in dem Parteiorgan "Berxwedan" - Ausgabe Nr. 176 vom 15. Oktober 1994 - veröffentlichten Papier der ERNK-Europaorganisation vor, die "Feindseligkeiten gegen die PKK und das kurdische Volk" voranzutreiben, dadurch "den Krieg nach Europa zu übertragen" und "mit Innenminister Kanther und seiner Polizeiorganisation an der Spitze mit aller Kraft die Liquidation der PKK" zu betreiben. Weiter heißt es dann:

"Durch die terroristische Praxis der deutschen Polizei wurde Halim Dener, der junge Anhänger der ERNK, ermordet. ...

Verantwortlich für die Vorfälle, für das geflossene Blut der Kurden, für den ermordeten Halim Dener ... ist der deutsche Staat. ...

Die kurdische Nation wird diese Feindseligkeit Deutschlands niemals vergessen".

Bereits zuvor hatte Abdullah Öcalan in einem in dem Parteiorgan "Serxwebun" von August 1994 abgedruckten Aufruf "An unser kämpfendes Volk" gefordert:

"Bildet ganz kleine Gruppen ... und macht es, wenn die Gelegenheit am günstigsten ist. Die Sachen sind nicht schwer. Wenn sich drei Jugendliche zusammen tun, dann können sie sicher einen Faschisten töten, sicher einen Laden oder eine Fabrik in Brand setzen und an 100 Stellen einen Waldbrand verursachen. ...

Schult euch diesbezüglich. Etwas anzuzünden ist nicht schwer. Mit dem Messer, mit einer Pistole einen Faschisten zu töten, einen Verräter zu töten, ist nicht schwer. Das wollen wir auch nicht von der Guerilla erwarten. Diese Dinge sind eure Angelegenheit. Denkt nach, diskutiert, und gründet eure eigene Organisation, eure eigenen Verteidigungs-Einheiten. Ich sage nicht, macht dies nur in der Großstadt, in Europa, ihr könnt es auch in den Städten unserer Heimat machen".

Ihre Forderungen an Deutschland formulierte die ERNK-Europaorganisation in der "Berxwedan" Nr. 175 vom 15. September 1994 wie folgt:

"WAS WILL DEUTSCHLAND?

Seit geraumer Zeit haben die Praktiken des deutschen Staates gegenüber dem kurdischen Volk und dessen Vorhut, der PKK, und die von ihm mit der RT, der türkischen Polizei, den Kontra-Kräften und der Zeitung Hürriyet begonnene Zusammenarbeit die Ebene einer vollkommenen Feindschaft erreicht. Zuletzt hat die deutsche Polizei einen Fahrrad-Marsch von kurdischen Jugendlichen, den diese, um ein demokratisches Recht zu nutzen, von Bonn nach Genf machen wollten, auf brutale Weise angegriffen. Der deutsche Staat, der versucht, die demokratische Stimme unseres Volkes durch die Polizei zum Schweigen zu bringen, zieht sich mit jedem Tag mehr den Haß [auch: Abscheu, Ekel, Empörung u.a.] des kurdischen Volkes zu. Man muss wissen, dass unser Volk diese Praktiken nicht verzeihen wird.

Deutschland, das sich im Mittleren Osten einen Platz sucht, darf niemals vergessen, dass es sich nicht dadurch in der Region halten können wird, dass es Feindschaft gegen die Kurden betreibt, sondern dadurch, dass es Freundschaft übt.

Wir wissen sehr genau, was Deutschland, das die Vorhut von Millionen und die einzige Vertretung unseres Volkes, die PKK, als "Terrororganisation" bezeichnet, im Irak, im Iran und in Algerien so alles macht. Seine Zusammenarbeit mit dem türkischen MIT und der Zeitung Hürriyet ist kein Geheimnis.

Daraus ergibt sich, dass Deutschland gegen die Freiheit unseres Volkes ist. Es stimmt der Verbrennung unserer Dörfer zu. Es beteiligt sich mit seinen Waffen an dem Massaker an unserem Volk. Und es stellt sich deutlich an die Seite des Spezialkriegs der RT.

Und diese Situation bedeutet Feindschaft gegen unser Volk. Dadurch, dass Deutschland das kurdische Volk und seine Vorhuts-Kraft angreift, kann es sich nicht selbst reinwaschen, und diese Angriffe liegen nicht im Interesse des deutschen Volkes.

Deutschland kommt immer schneller in eine Situation, die Terror praktiziert.

...

Falls Deutschland glaubt, dass es die PKK in Bedrängnis bringen und zur Kapitulation bewegen könne, dann muss man es daran erinnern, dass es sich sehr, aber wirklich sehr, täuscht und dass es die PKK noch immer nicht kennt.

Deutschland muss von seinen Angriffen abgehen. ...

Die PKK kann sich unter allen Bedingungen selbst verteidigen. Deutschland kann sich diesbezüglich bei der türkischen Armee erkundigen, die es mit seinen Waffen unterstützt.

...

Deutschland muss endlich begreifen, dass die PKK eine Bewegung ist, die nicht zur Kapitulation gebracht werden kann, und es muss von seinen hässlichen Polizeiangriffen abgehen.

ERNK-Europaorganisation"

e) Die Ausschreitungen in Mannheim am 26. und 27. September 1994

Am 25. August 1994 meldete die in Mannheim wohnhafte Ehefrau eines PKK-Aktivisten beim Ordnungsamt der Stadt Mannheim einen "Solidaritätsmarsch mit den kurdischen Frauen, die im Krieg in Kurdistan immer mehr Opfer der Gewalt, der Vergewaltigung und Unterdrückung durch den türkischen Staat werden" an. Voraussichtlich würden 150 bis 170 Frauen teilnehmen. Als Veranstalter traten das Internationale Frauenzentrum e.V. in Köln und die Föderation kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM) in Bochum auf, zu der auch der Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein in Mannheim gehörte. Der Solidaritätsmarsch sollte am 26. September 1994 um 11.00 Uhr mit einem Aufzug in Mannheim beginnen und bis zum 1. Oktober 1994 über Karlsruhe und Kehl nach Straßburg führen.

Am 20. September 1994 verbot die Stadt Mannheim den Solidaritätsmarsch einschließlich der dabei vorgesehenen Kundgebungen, weil im Zusammenhang mit der Veranstaltung mit gewalttätigen Aktionen und politischer Propaganda für die PKK/ERNK zu rechnen sei. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe sowie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bestätigten das Verbot in Eilentscheidungen am 23. und 24. September 1994.

Trotz des Verbots versammelten sich am 26. September 1994 ab 9.00 Uhr vorwiegend kurdische Frauen am Paradeplatz in der Mannheimer Innenstadt, um den Solidaritätsmarsch durchzuführen. Die Menschenmenge wuchs im Laufe des Vormittags auf etwa 500 bis 600 Frauen und Männer kurdischer Herkunft an. Gegen 11.15 Uhr sagten die Vertreter der Versammlungsteilnehmer die anstandslose Beendigung des Aufzugs zu, falls der Oberbürgermeister der Stadt Mannheim eine Delegation der Teilnehmer des Solidaritätsmarsches im Beisein von Pressevertretern empfangen würde. Obwohl dieser der Forderung gegen 12.00 Uhr nachkam, löste sich die Versammlung nicht auf. Vielmehr formierte sich gegen 13.00 Uhr aus der auf dem Paradeplatz versammelten Menschenmenge ein Aufzug in Richtung Wasserturm. Gleichzeitig schwenkten die Demonstranten bis dahin versteckt gehaltene PKK- und ERNK-Fahnen, zeigten Abbildungen des PKK-Führers Öcalan und skandierten Parolen. Als die Polizeibeamten den Aufzug unterbinden wollten, wurden sie aus der Menge der Versammlungsteilnehmer heraus unmittelbar mit vorbereiteten Benzinflaschen oder Molotowcocktails und Steinen beworfen. Dabei ging ein Molotowcocktail direkt vor der Polizeiabsperrung in Flammen auf. Beamte, die einem der militanten Teilnehmer eine Benzinflasche wegnehmen wollten, wurden mit einem Benzin-Öl-Gemisch übergossen. Einige Demonstranten versuchten die Kleidung eines Polizeibeamten anzuzünden. Gegen erheblichen Widerstand der Demonstranten gelang es der Polizei erst gegen 15.30 Uhr, die verbotene Versammlung aufzulösen. Im Zuge dieser Maßnahme nahmen die Beamten insgesamt 294 Personen (davon 177 Frauen) in Gewahrsam. Während die Frauen in der Zeit von 17.00 Uhr bis 24.00 Uhr nach und nach entlassen wurden, verblieben die Männer bis zum nächsten Tag in Polizeigewahrsam. Gegen vier der festgenommenen Männer erging Haftbefehl wegen versuchten Mordes oder schweren Landfriedensbruchs.

Am 27. September 1994 gegen 11.40 Uhr drangen etwa 60 Kurdinnen in das Rathaus der Stadt Mannheim ein und nahmen einen Sitzstreik auf, um ihre Forderung nach Aufhebung des Verbotes des Solidaritätsmarsches - auch unter Hinweis auf mögliche Selbstverbrennungen im Rathaus - durchzusetzen. Zeitgleich deponierten andere Aktivisten in einem Bekleidungsgeschäft in der Nähe des Rathauses einen Benzinkanister. Darüber hinaus ließen sich gegen 12.15 Uhr vor dem Rathaus ungefähr 60 Kurden nieder und skandierten Parolen. In Anbetracht dieser Entwicklung wurden die sich noch aufgrund der Festnahmen vom Vortag in Gewahrsam befindlichen etwa 80 Demonstranten vorerst nicht entlassen. Die zwischenzeitlich auf ungefähr 100 Personen angewachsene Menschenmenge vor dem Rathaus wurde gegen 12.45 Uhr von Polizeikräften eingekesselt. Während der folgenden Festnahmen entriss ein 20-jähriger Kurde einem Polizisten die Dienstpistole. Als er überwältigt wurde, gab er einen Schuss auf einen Polizeibeamten ab, der jedoch nicht diesen, sondern einen bereits festgenommenen Kurden ins Bein traf. Ab 13.00 Uhr gingen bei dem Polizeipräsidium Mannheim anonyme Drohanrufe ein, dass alle Polizeibeamten zu "lebenden Fackeln" würden. Bei einer Kontrolle von elf mit Kurden besetzten Fahrzeugen in der Nähe des Gebäudes des Kurdisch-Deutschen Freundschaftsvereins in Mannheim gegen 17.15 Uhr wurden neben Schlaghölzern und PKK-Symbolen auch Brandmittel aufgefunden. Insgesamt nahm die Polizei an diesem Tag 259 Personen (davon 178 Frauen) in Gewahrsam.

Im Laufe des 28. Septembers 1994 kam es zu Verhandlungen der Ordnungskräfte mit einer Kurdendelegation. Als Ergebnis wurde der Solidaritätsmarsch vom 29. September bis 1. Oktober 1994 in Form eines Bustransports von maximal 170 Frauen von Mannheim nach Kehl in zwei Tagesetappen gestattet. Bis gegen 23.30 Uhr wurden - abgesehen von den Untersuchungshäftlingen - sämtliche festgenommenen Demonstranten aus dem Polizeigewahrsam entlassen.

Die gewaltsamen Ausschreitungen gegen die deutschen Sicherheitskräfte in Mannheim waren eine im Voraus geplante "Reaktion" auf das Verbot des geplanten Marsches und die zu erwartende polizeiliche Auflösung der Auftaktversammlung. Der Solidaritätsmarsch sollte mit allen Mitteln durchgesetzt werden. Hierfür sollten allein aus dem Raum Stuttgart ungefähr 200 Personen anreisen und die PKK-Kader bundesweit rund 4.000 Unterstützer mobilisieren. Es reisten auch Demonstranten aus dem benachbarten Ausland nach Mannheim an. Bereits am Tag des vorgesehenen Beginns der Veranstaltung gegen 13.00 Uhr verfügten die Versammlungsteilnehmer über vorbereitete Brandsätze.

f) Die Anschlagsserien im Jahr 1995

aa) Anfang 1995 geriet vor allem der Türkeitourismus mit seiner dadurch einhergehenden wirtschaftlichen Aufwertung der Türkei ins Blickfeld der PKK. Die ARGK rief am 17. Januar 1995 - in Deutschland veröffentlicht im Kurdistan-Rundbrief Nr. 2 vom 27. Januar 1995 - zum Tourismusboykott auf und drohte zugleich:

"Wenn Deutschland seinen Anteil an der Vernichtungs- und Zerstörungspolitik in Kurdistan fortsetzt, werden seitens der Einheiten der ARGK ökonomische und politische Ziele angegriffen. In der Türkei und in Kurdistan werden wir Selbstmordaktionen gegen deutsche Ziele durchführen."

Die ERNK schloss sich in einem bei verschiedenen Anschlägen zurückgelassenen Flugblatt im Februar 1995 dem Boykott-Aufruf unter Bezugnahme auf diese Äußerungen der ARGK an.

bb) Auf Weisung der ACM-Zentrale wurden in Deutschland zwischen dem 17. Februar und 31. Juli 1995 drei Anschlagsserien verübt.

Vom 17. Februar bis zum 6. März 1995 kam es zu 37 Brandanschlägen, die sich verteilt auf das gesamte Bundesgebiet gegen türkische, vereinzelt auch gegen deutsche Reisebüros richteten. Die Angriffe erfolgten durchweg in den späten Abendstunden; die Täter warfen in den meisten Fällen Molotowcocktails in die Schaufenster oder in das Gebäudeinnere. Allein am späten Abend des 28. Februar wurden zwölf Brandanschläge mit Molotowcocktails auf Reisebüros in Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart verübt.

Eine weitere Anschlagsserie mit mindestens 100 Anschlägen richtete sich vom 13. März bis 6. April 1995 hauptsächlich gegen türkische Gebetshäuser, Vereine und Geschäfte, nachdem es in Istanbul zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Aleviten gekommen war. Wie schon Anfang des Jahres gingen die in Gruppen auftretenden Täter weitgehend identisch vor: Zunächst beschädigten sie Fensterscheiben oder Eingangstüren der betroffenen Objekte, anschließend warfen sie Molotowcocktails in das Gebäudeinnere.

Im Rahmen einer dritten Anschlagsserie vom 24. bis zum 31. Juli 1995, bei der es sich um eine Solidaritätsmaßnahme im Zusammenhang mit einer Hungerstreikaktion inhaftierter Kurden in der Türkei handelte, kam es zu etwa 60 Brandanschlägen, die sich fast ausnahmslos gegen türkische Vereine, Reisebüros, Gaststätten und Geschäfte richteten. Zugleich verübten Teilnehmer an PKK-Demonstrationen in Berlin und in Frankfurt massive Gewalttaten gegen Polizisten.

Bei diesen drei zentral gesteuerten Anschlagsserien im Jahr 1995 kam es insgesamt zu 307 Anschlägen, davon 261 Brandanschläge, die überwiegend mit Molotowcocktails ausgeführt wurden. Betroffen waren 259 türkische Objekte. Es handelte sich dabei um 90 Reisebüros, 9 Banken, 35 Geschäfte, 21 Moscheen und Gebetshäuser, 48 Vereine, 35 Gaststätten und 21 sonstige Objekte. Nahezu alle Anschläge wurden in den späten Abendstunden bzw. nachts verübt. Dabei war den Tätern bewusst, dass insbesondere türkische Vereinsräume oder Gaststätten noch besucht waren; nur durch glückliche Umstände kam es nicht zu Personenschäden. Die Taten wurden ausnahmslos durch mehrere Personen gemeinschaftlich begangen. Die Tatabläufe im gesamten Bundesgebiet waren weitgehend identisch: Zunächst beschädigten die Täter Fensterscheiben oder Eingangstüren der betroffenen Objekte, sodann warfen sie Molotowcocktails in das Gebäudeinnere. Die Täter achteten darauf, möglichst nur türkische Staatsangehörige in Gefahr zu bringen. Deren Gesundheit oder Leben war den Kadern und den unmittelbar handelnden Tätern angesichts der Situation in Kurdistan, wie bei den vorangegangenen Anschlagsserien, gleichgültig. Der Sachschaden belief sich auf über 5 Mio. DM.

cc) Auch diese von der Europaführung der ERNK angeordneten gewalttätigen Aktionen wurden als Reaktion "des kurdischen Volkes" auf das Betätigungsverbot der PKK und die Bemühungen der deutschen Ordnungskräfte zur Durchsetzung des Verbots als "Angriffe" auf "die Kurden" hingestellt, gegen die man sich "verteidigen" müsse; erst wenn diese "Angriffe" aufhörten, die Bundesrepublik Deutschland ihre Politik gegenüber der Türkei ändere und in einen Dialog mit der PKK eintrete, werde kein Anlass mehr für unfriedliche Aktionen bestehen. So heißt es in einer Erklärung Öcalans im Kurdistan-Rundbrief vom 4. Mai 1995:

"Wir sind davon überzeugt, dass einige Schritte sehr nützlich sein würden, Zwischenfälle zu vermeiden. Einen Stopp der Waffenlieferungen, eine Änderung der Unterstützung einer militärischen Lösung der kurdischen Frage, also eine Unterstützung einer nichtmilitärischen Lösung der kurdischen Frage und die Sicherstellung der Menschenrechte halten wir in diesem Zusammenhang für einen positiven Schritt. Der nächste Schritt wäre, dass Deutschland sich stärker für eine politische Lösung einsetzen muss. Solche Schritte würden dazu führen, dass unser (d. Übers.: in Deutschland lebendes) Volk auch die Gesetze respektiert, sowie späterer großer Unterstützung den Weg öffnen. ...

Unter Berücksichtigung, dass vor allem die Verantwortung der deutschen Regierung besonders schwer wiegt, erwarten wir, dass sie die Vorreiterrolle für eine politische Lösung spielt.

Wenn dies geschieht, kann sie auch mit einer freundschaftlichen Haltung unsererseits rechnen. Wir erwarten die sofortige Aufhebung des Verbots der PKK und ERNK in Deutschland, dann sind auch Gespräche mit uns zur Lösung der Probleme auf dem Weg des politischen Dialogs möglich. Solche Schritte werden auch für die Bundesregierung von Vorteil sein. Vor allem das Vermeiden eines innenpolitischen Durcheinanders und eine erfolgreiche Türkeipolitik, ohne die Interessen der Völker zu schädigen, ist von der Entwicklung unserer gegenseitigen Beziehungen abhängig."

Auch gegenüber der Zeitschrift "STERN" vom 29. Juni 1995 bezeichnete Öcalan das PKK-Verbot als Auslöser der Gewalttätigkeiten und warnte vor den Konsequenzen sowie der Möglichkeit, dass "das Kurdenproblem eine noch dramatischere Wendung nehmen" könne:

"STERN: Seit November 1993 ist Ihre Partei in Deutschland verboten. Seither hat es Anschläge auf türkische Einrichtungen gegeben. Sind die PKK-Anhänger noch militanter geworden?

ÖCALAN: Sicherlich hat das Verbot die Gewaltbereitschaft erhöht. Ich betrachte es als Provokation. Wenn es kein Verbot gegeben hätte, wäre es nicht zu Anschlägen in Deutschland gekommen.

STERN: Halten Sie es für möglich, dass die Gewalt in Deutschland noch weiter eskalieren wird?

ÖCALAN: Wenn Deutschland an der Seite der Türkei Stellung gegen die Kurden bezieht, wird das nicht ohne Konsequenzen auch in Deutschland bleiben. Solange die Kurdenfrage in der Türkei keine Lösung findet, besteht die Möglichkeit, dass sich in Europa entsprechende Folgen ergeben.

STERN: Das wird sich die Bundesregierung kaum gefallen lassen.

ÖCALAN: Die deutsche Regierung trägt große Verantwortung. Seit Jahren unterstützt kein Land die Türkei militärisch und ökonomisch so sehr im Krieg gegen die Kurden wie die Bundesrepublik. Deutschland muss sich auf finanzielle und moralische Wiedergutmachung vorbereiten.

STERN: Was erwarten Sie von den Deutschen?

ÖCALAN: Wichtig ist, dass jede Hilfe für die Türkei gestoppt wird. Bonn sollte die Regierung in Ankara auffordern, mit den Kurden Friedensgespräche zu führen, und uns politisch und militärisch unterstützen. Natürlich müsste auch das Verbot der PKK aufgehoben werden. Statt dessen sollte die Bundesregierung enge Beziehungen mit uns knüpfen. Das ist der Schlüssel für die Lösung der Kurdenfrage. Wenn Deutschland bei seiner gegenwärtigen Position verharrt, wird das Kurdenproblem eine noch dramatischere Wendung nehmen."

Die ERNK-Europavertretung äußerte sich in Presseerklärungen ähnlich. Am 1. Juni 1995 bezeichnete sie polizeiliche Maßnahmen gegen einen Verlag der PKK als "reine Provokation des kurdischen Volkes ... (durch die) der deutsche Staat die mit Blut behaftete Kurdenfrage ins eigene Land" trage.

Abdullah Öcalan drohte noch bei einer Diskussionsveranstaltung des Fernsehsenders MED-TV am 28. Januar 1996, er müsse Deutschland wegen seiner Haltung ernsthaft warnen:

"Die Unterdrückung der Kurden ist unerträglich geworden. Sie sind nahe daran, zu explodieren. Deutschland wird es erleben. Wenn der Waffenstillstand keine positive Antwort erfahren sollte, wird es in Europa eine Massenerhebung geben, in der ersten Linie in Deutschland. Es werden Hunderte von Menschen sterben.

...

Wir haben den Waffenstillstand nicht nur für die Türkei verkündet, sondern auch für Deutschland. Wird in Kürze unsere Initiative nicht positiv beantwortet, dann werden die Kampfhandlungen wieder aufgenommen. Diesmal werden wir den Zeitpunkt und den Ort des Krieges bestimmen. Schon jetzt erkläre ich, dass die deutsche öffentliche Meinung der PKK den Vorwurf nicht machen soll, warum sie so heftig den Krieg führt. Ich fordere die deutsche Regierung auf, der Bevölkerung und den Parteien offen mitzuteilen, inwieweit sie in den Krieg involviert ist. Wenn sie dies tut, dann wird die deutsche Bevölkerung begreifen, dass die ihr zugefügten Schäden einen Grund haben.

...

Wenn morgen 50 deutsche Touristenleichen in Deutschland ankommen, dürfen die Verantwortlichen nicht überrascht sein. Auch wenn in Deutschland unkontrollierte Ausschreitungen stattfinden sollten, sollten sie sich ebenfalls nicht wundern, weil dort Unrecht geschieht."

In seiner "Newroz-Botschaft" im Frühjahr 1996 richtete Öcalan an Deutschland erneut die Warnung:

"Dieser Krieg ist nicht Euer Krieg, daher greift die PKK nicht an. Wir beabsichtigen keinen Krieg gegen Euch. Solltet Ihr uns wie einen Feind angreifen, so werdet Ihr großen Schaden davontragen. Die von Euch entwürdigten und um ihr Leben gebrachten Menschen werden dann auch in Eurer Mitte explodieren. Wir möchten es nicht. Wenn Ihr uns aber angreift, so wird es zu diesen Explosionen kommen. ... Stellt die Verhaftungen von Kurden ein. ... Wir möchten in keiner Weise (etwas) gegen Eure Ordnung und Demokratie unternehmen. Wir respektieren Eure demokratische Ordnung."

g) Die Anschlagsserien im Jahr 1996

Die Brandanschläge setzten sich auch noch in der ersten Hälfte des Jahres 1996 fort. Im Zusammenhang mit einer verbotenen Großveranstaltung, die am 16. März 1996 in Dortmund stattfinden sollte, verübten verschiedene Tätergruppen im Stadtgebiet von Dortmund und in Lünen-Brambauer zwischen 12 und 20 Uhr sieben Brandanschläge, die für den Fall des polizeilichen Einschreitens gegen anreisende Demonstrationsteilnehmer bereits vorher angeordnet und zentral gesteuert waren. Weisungsgemäß benutzten die Täter Molotowcocktails. Tatziele waren Filialen deutscher Banken, Postgebäude, eine Polizeiwache und deutsche Reisebüros; in jedenfalls vier Fällen handelte es sich um Wohn- und Geschäftsgebäude. Zuletzt kam es vom 19. Juni bis zum 2. August 1996 im Zusammenhang mit einem erneuten Hungerstreik kurdischer Gefangener in türkischen Gefängnissen zu insgesamt sieben Brandanschlägen auf türkische Geschäfte, zwei Reisebüros, einen Fußballverein und ein weiteres Unternehmen.

h) Die Abkehr von den Anschlagsserien

Allmählich erkannte die Führung der PKK schließlich, dass ihre terroristischen Aktivitäten in Deutschland den Zielen der Partei schadeten. Abdullah Öcalan begann in der ersten Hälfte 1996, in verschiedenen Zeitungs- und Fernseh-Interviews eine andere Haltung einzunehmen. Er räumte ein, dass die gewalttätigen Aktionen der PKK/ERNK auch seinen eigenen Fehlern zuzurechnen seien. Die Parteiführung in Europa habe ihn nicht richtig verstanden und mehr veranlasst, als er gewünscht habe. Er habe nunmehr dafür gesorgt, dass die neue Zentrale seine Anweisungen befolge und könne versichern, dass es zu derartigen Vorkommnissen nicht mehr kommen werde. Die PKK/ERNK werde sich in der Bundesrepublik Deutschland nun gesetzestreu verhalten, das garantiere er. Das gelte selbst dann, wenn es bei dem PKK-Verbot bleibe, es werde aber dessen Aufhebung und die Einstellung deutscher Unterstützung für die Türkei sowie der Dialog zwischen der PKK und Deutschland angestrebt. Die ERNK-Europavertretung folgte dieser Linie.

4. Die Mitgliedschaft des Angeklagten in der terroristischen Vereinigung von März/April 1994 bis Februar 1995

Obwohl der Angeklagte sich bis Anfang 1994 in österreichischer Haft befand, wusste er - schon im Hinblick auf die öffentlichkeitswirksamen Straftaten, über die in den Medien ausführlich berichtet wurde -, dass der in Deutschland tätige führende Funktionärskörper der PKK/ERNK eine Vereinigung gebildet hatte, deren Zwecke und Tätigkeit (auch) auf die Begehung von terroristischen Gewalttaten gerichtet waren. Da es der PKK/ERNK zur Zeit der Haftentlassung des Angeklagten im März 1994 an Kadern mit dem gewünschten intellektuellen Hintergrund fehlte, der Angeklagte sich schon längere Zeit als verlässlich gezeigt hatte und nunmehr durch die Verbüßung der Haftstrafe infolge seines Eintretens für die Interessen der PKK trotz seiner türkischen Abstammung als besonders zuverlässig angesehen wurde, war er für eine höhere Position geeignet.

Ende März, spätestens Anfang April 1994 ließ sich der Angeklagte von "Kani Yilmaz" - dem engen Vertrauten Öcalans und als Europaführer geltenden hochrangigen Mitglied der Zentrale der ACM - als Kader und Regionsverantwortlicher für die PKK-Region "Bayern" einsetzen. Diese Region umfasste nicht nur den geographischen Bereich Bayerns, sondern auch große Teile Baden-Württembergs. Sie bestand aus den Gebieten München, Nürnberg, Stuttgart, Ulm und Freiburg. Wegen der großen Anzahl der hier lebenden und arbeitenden Kurden und der hohen Einnahmen war die Region von erheblicher - auch wirtschaftlich großer - Bedeutung für die Gesamtorganisation. So wies die bei der Festnahme des Gebietsverantwortlichen für das Gebiet Stuttgart A. sichergestellte "Zweimonatige Planung" folgende finanziellen Zielsetzungen für das Jahr 1994 "in puncto Beiträge, Publikationen und Kampagne" aus:

 Beiträge [DM] Publikationen Kampagne [DM]
Stuttgart 400.000 3.000 2.800.000
München 120.000 1.000 600.000
Ulm 150.000 1.200 700.000
Nürnberg 200.000 1.000 1.000.000
Freiburg 200.000 1.000 1.000.000

Als Kader und Regionsverantwortlicher hatte der Angeklagte die Aufgabe, die Vorgaben der Europazentrale umzusetzen, nachrangige Kader anzuleiten und die Parteiarbeit zu organisieren. Er übernahm diese Aufgaben und trat unter dem Decknamen "Kadir" als PKK-Funktionär auf. Er sorgte für die Umsetzung der Anweisungen der Europazentrale, erstattete fortlaufend Bericht über seine Tätigkeit und regelte sämtliche organisatorischen, finanziellen, propagandistischen und personellen Angelegenheiten in seinem Bereich. Er wusste, dass die Führungskader in Deutschland zur Durchsetzung ihrer Ziele auch mit gemeingefährlichen Brandstiftungen vorgingen. Trotz innerlicher Widerstände gegen derartige Gewaltdelikte - er hatte Angst vor den Folgen einer solchen Konfrontationspolitik, die aus seiner Sicht auch zu sinnlosen Opfern und Schädigung der Reputation der kurdischen Sache führen musste - fand er sich aber als "Parteisoldat" damit ab und trug in Umsetzung der Anweisungen der Europazentrale diese Vorgehensweise mit. Die Äußerungen Öcalans zu den Zielen der Partei und der ERNK waren ihm bekannt.

Insgesamt empfand der Angeklagte seine Kadertätigkeit in der Region Bayern aber als wenig erfolgreich und seinen Fähigkeiten und Vorstellungen auch nicht angemessen. Er wurde ungefähr im Februar 1995 als Regionsverantwortlicher abgelöst, ohne in Deutschland noch einmal eine vergleichbare Stellung zugewiesen zu bekommen. Der Angeklagte zog sich innerlich mehr und mehr aus dieser Art der Tätigkeit für die PKK zurück. Er erkannte, dass die von ihm als legitim angesehenen Anliegen der PKK nicht mit diesen Mitteln zu erreichen waren, und fasste den Entschluss, sich ganz der kulturellen Arbeit zu widmen. Dies gelang ihm im Einvernehmen mit der Partei. Ende 1996/Anfang 1997 reiste der Angeklagte in den Irak aus, um dort vor Ort die Lebensweise der kurdischen Bevölkerung kennen zu lernen und mit gewaltlosen Mitteln in den Bereichen Presse, Theater und Film zu arbeiten. Fortan engagierte er sich für die kurdische Sache auf kulturellem Gebiet.

III.

1. Geständnis des Angeklagten

Der Angeklagte hat sich zunächst zur Sache nicht eingelassen. Nachdem der Senat zu seiner Identität als "Kadir" Beweis erhoben hatte, hat er am elften Verhandlungstag ein Geständnis abgelegt.

Der Angeklagte hat seinen persönlichen Werdegang geschildert und seine Einbindung in den führenden Funktionärskörper der PKK/ERNK als Kader und Verantwortlicher der Region Bayern eingeräumt. Nach Verbüßung der Freiheitsstrafe in Österreich sei er im März 1994 in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben worden. Sehr bald habe Kani Yilmaz ihn als Regionsverantwortlichen für die PKK-Region Bayern eingesetzt. Diese Kadertätigkeit habe er spätestens Anfang April 1994 aufgenommen. In dieser Funktion sei er ausschließlich für die Parteiarbeit abgestellt gewesen und habe den Decknamen "Kadir" getragen. Es sei seine Aufgabe gewesen, die Vorgaben der Europazentrale in seiner Region umzusetzen, diese über die zur Verfügung stehenden Strukturen der Basis zu vermitteln, nachrangige Kader zu organisieren und die Parteiarbeit am Laufen zu halten. Die Äußerungen Öcalans zu den Zielen der Partei und der ERNK seien ihm sinngemäß bekannt gewesen und von ihm als Regionsverantwortlichem zum damaligen Zeitpunkt aufgrund seiner Funktion auch mitgetragen worden. Auch wenn es andere Verlautbarungen, sozusagen Sonntagsreden aus der Parteiführung gegeben habe, habe niemand sagen können, dass er nicht gewusst habe, was die Führung damals von der Kaderorganisation und der kurdischen Bevölkerung erwartet habe. Tatsächlich habe er, wie viele andere Aktive, Angst vor den Konsequenzen einer solchen Konfrontationspolitik und ihren Folgen gehabt; die propagierte Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst und andere habe sinnlose Opfer kosten und die Parteiarbeit sowie die Reputation der kurdischen Sache in der europäischen Öffentlichkeit schädigen müssen und die Gefahr der Zerschlagung der Partei heraufbeschworen. Die damaligen aktionistischen Aktivitäten - auf Nachfrage hat der Angeklagte ausdrücklich klar gestellt, dass er damit auch die zahlreichen Straftaten einschließlich der Brandstiftungsdelikte meine - hätten den Zweck gehabt, die Öffentlichkeit auf die Situation der Kurden in der Türkei aufmerksam zu machen und die Regierung der Bundesrepublik durch den Druck der öffentlichen Meinung zu veranlassen, die Unterstützung des türkischen Staates und die strafrechtliche Verfolgung der PKK-Kader einzustellen. Solche Aktionen seien von der Führung gewollt und dadurch gegen interne Kritik geschützt gewesen und seien auch von vielen Kurdinnen und Kurden als heldenhaft angesehen worden. Sie seien Teil der PKK gewesen, wofür er die Verantwortung als damaliges Mitglied der Kaderorganisation zu übernehmen habe. Er habe seine Kadertätigkeit in der Region Bayern als wenig erfolgreich und seinen Fähigkeiten und Vorstellungen auch nicht angemessen empfunden und sei ungefähr im Februar 1995 als Regionsverantwortlicher abgelöst worden, ohne noch einmal eine vergleichbare Stellung zugewiesen bekommen zu haben. Er habe sich fortan im Einvernehmen mit der Partei für die kurdische Sache allein auf kulturellem Gebiet eingesetzt.

2. Glaubhaftigkeit des Geständnisses

Der Senat hat dieses umfassende Geständnis den Feststellungen zugrunde gelegt. Es steht mit den sonstigen Ergebnissen der Beweisaufnahme im Einklang und ist glaubhaft.

Der Angeklagte ist nach dem im Selbstleseverfahren gemäß § 249 Abs. 2 StPO eingeführten Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 10. Dezember 1992 seinerzeit unter dem Rufnamen "Kadir" bekannt gewesen. Dass ein Kader mit dem Decknamen "Kadir" die PKK-Region Bayern leitete, wird durch den an die Europäische Frontzentrale gerichteten "Zweimonatigen organisationellen und praktischen Aktivitätsbericht der Region Bayern" vom 4. Mai 1994 und den "Sechsmonatigen Aktivitätsbericht" dieser Region aus dem Jahr 1994 bestätigt, die ebenfalls im Selbstleseverfahren eingeführt worden sind. Beide Berichte fallen in den Tatzeitraum. Der "Freund Kadir" wird in dem Bericht vom 4. Mai 1994 ausdrücklich als "Regionssekretär" und als der "regionsverantwortliche Freund" bezeichnet. Der "Sechsmonatige Aktivitätsbericht" enthält das Protokoll einer Kadersitzung. "Kadir" leitete diese Sitzung mit einem Referat zur politischen Lage ein. Anschließend berichteten die übrigen Kader über die Aktivitäten und Probleme in den einzelnen Gebieten der Region. Dabei wurde auch über den Stand der laufenden Spendenkampagne der PKK im Jahr 1994 gesprochen. "Kadir" kommentierte und bewertete die Berichte in einer Weise, die erkennen lässt, dass er den Gebietsverantwortlichen übergeordnet war.

Ein in der Hauptverhandlung in Augenschein genommener Videofilm über eine Veranstaltung der PKK im Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein Stuttgart am 8. Mai 1994, bei der auch Parteiembleme, so etwa Flaggen der ERNK und ein Foto Öcalans, zu sehen waren, zeigt den Angeklagten als einen wortgewandten Parteifunktionär, der in einer längeren Rede den Anwesenden über den PKK-Aktivisten mit dem Decknamen "Dr. Baran" Rede und Antwort stand. Dieser war kurz zuvor unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. Der Angeklagte bewertete aus Sicht der Partei die Persönlichkeit und das Schicksal "unseres Freundes Baran" und bezeichnete ihn als "Märtyrer", der mit seiner geleisteten Arbeit zum Kampf beigetragen habe. Der Zeuge C., der in seiner Eigenschaft als PKK-Gebietsverantwortlicher für das Gebiet Nürnberg von März 1994 bis Februar 1995 (Deckname "Celal") vom Bayerischen Obersten Landesgericht am 5. Dezember 1996 - 2 StE 5/96 - rechtskräftig wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden ist, hat auf Vorhalt des Videofilms bestätigt, dass es sich bei diesem Redner um den Angeklagten handelt; er hat zudem bekundet, dass der Angeklagte unter dem Namen "Kadir" aufgetreten sei.

Wie der Senat den Bekundungen des Zeugen KHK S. und dem Gutachten des Sachverständigen für Daktyloskopie H. vom 2. Mai 1995 entnommen hat, wurde auf der verlesenen "Zweimonatigen Planung" für die Region Bayern ein Fingerabdruck gesichert, der von dem Angeklagten stammt. Auch dies belegt die von ihm eingestandene Kadertätigkeit. Diese Planung ist nach den Bekundungen des Zeugen EKHK I. bei der Festnahme des Mehmet N. A. am 22. Februar 1995 sichergestellt worden, der als PKK-Gebietsverantwortlicher für das Gebiet Stuttgart von Mai 1994 bis Februar 1995 (Deckname "Sabri") vom Oberlandesgericht Stuttgart am 12. August 1997 - 2 StE 3/95 - rechtskräftig wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden ist. Sie enthält wichtige interne Details zum Organisationsaufbau, darunter das in den Feststellungen wiedergegebene geplante Finanzaufkommen der Gebiete Stuttgart, München, Ulm, Nürnberg und Freiburg im Jahr 1994. Der Zeuge EKHK I., der langjährig mit Ermittlungen wegen Straftaten mit PKK-Bezug betraut war, hat die Einschätzung der Ermittlungsbehörden dahin zusammengefasst, dass diejenigen, die Zugang zu solchen Unterlagen hatten, zu den bestimmenden Personen in der Organisation zu rechnen waren. Diese Schlussfolgerung drängt sich auf, der Senat teilt sie.

3. Die Feststellungen über die Entstehung und Entwicklung der PKK, die PKK in Europa und Deutschland sowie die terroristische Vereinigung innerhalb der PKK/ERNK

Die Feststellungen über die Entstehung und Entwicklung der PKK, die PKK in Europa und Deutschland sowie die terroristische Vereinigung innerhalb der PKK/ERNK hat der Senat auf der Grundlage mehrerer rechtskräftiger Urteile deutscher Gerichte und der ihre Feststellungen bestätigenden bzw. ergänzenden Beweisaufnahme getroffen. Im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführt worden sind die Urteile des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 5. Dezember 1996 - 2 StE 5/96 -, des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. August 1997 - 2 StE 3/95 -, des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. September 1997 - 2 StE 1/96 -, des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. November 1997 - 2 StE 7/96 -, des Oberlandesgerichts Celle vom 12. November 1997 - 2 StE 1/97 -, des Kammergerichts vom 1. August 2000 - 2 StE 1/00 - und des Oberlandesgerichts Celle vom 11. Ok-tober 2006 - 2 StE 3/06 -. Es sind keine Umstände hervorgetreten, die aus heutiger Sicht Anlass für ein Abweichen von den in diesen Urteilen getroffenen Feststellungen bieten könnten. Der Angeklagte ist ihnen auch nicht entgegengetreten. Die mit Blick auf die Neufassung des § 129 a Abs. 2 StGB gerichtete Beweisaufnahme hat ergeben, dass auch die nunmehr engeren Voraussetzungen der Norm hinsichtlich des Bestehens einer terroristischen Vereinigung im Tatzeitraum erfüllt waren. Im Einzelnen:

Die Tatsachen über die Entstehung und Entwicklung der Arbeiterpartei Kurdistans in der Türkei sind im Wesentlichen allgemeinkundig. Von der Entwicklung der PKK in Europa und Deutschland, vor allem der Struktur und dem Aufgabenbereich ihres Funktionärskörpers in den 90er Jahren hat sich der Senat ein zuverlässiges Bild insbesondere aus den genannten Urteilen des Bayerischen Obersten Landesgerichts, der Oberlandesgerichte Düsseldorf, Stuttgart und Celle sowie des Kammergerichts verschafft. Die Feststellungen, die den führenden Funktionärskörper der PKK/ERNK als eine zunächst kriminelle und im Tatzeitraum terroristische Vereinigung kennzeichnen, hat sich der Senat vor allem aus den Urteilen der Oberlandesgerichte Düsseldorf sowie Celle vom 5. bzw. 12. November 1997 und den genannten anderen Urteile zu Eigen gemacht; darunter fallen auch die Feststellungen zu den Anschlagsserien und die sie begleitenden Verlautbarungen der PKK-Führung, die in den Urteilen wiedergegeben worden sind. Die Feststellungen in den Urteilen decken sich mit den Bekundungen der ergänzend vernommenen Zeugen KHK Baier, KHK W. und EKHK I., die langjährig Ermittlungen wegen Straftaten mit PKK-Bezug geführt haben. Die Feststellungen zu den Vorkommnissen in Mannheim am 26. und 27. September 1994 beruhen auf der in Augenschein genommenen Video-Einsatzdokumentation des Polizeipräsidiums Mannheims und den Bekundungen des Zeugen KHK W..

Der Senat hat keine Zweifel, dass die festgestellten massiven Anschlagsserien auf Anordnungen der ACM-Zentrale geschahen, welche von den Regions- und Gebietsverantwortlichen konkretisiert und über örtliche Aktivisten durchgeführt wurden, und dass der hierfür verantwortliche führende Funktionärskörper der PKK/ERNK eine zunächst kriminelle und sodann - im Zeitraum von November 1993 bis zur ersten Jahreshälfte 1996 - eine terroristische Vereinigung darstellte.

Bereits die äußeren Tatumstände belegen, dass die Anschlagsserien von der Europäischen Frontzentrale der PKK/ERNK angeordnet und über die nachgeordneten Strukturen in den betroffenen Regionen und Gebieten umgesetzt wurden. Der Bezug zur PKK war in allen Fällen, beispielsweise durch das Hinterlassen von Flugblättern mit entsprechenden Inhalten, offensichtlich. Die einzelnen Taten der jeweiligen Anschlagsserien wurden nahezu zeitgleich ausgeführt. Der Tatablauf war jeweils im Wesentlichen identisch. Die jeweils erhebliche Anzahl von Tatorten war jedenfalls bei den Anschlagsserien von Juni 1993 bis Mitte des Jahres 1995 auf das gesamte Bundesgebiet verteilt. Auch die Tatobjekte waren, dem jeweiligen Anlass entsprechend, bei den einzelnen Anschlagsserien gleichartig. Zu einem solchen umfassenden und koordinierten Vorgehen war nur eine straffe, mit einer weit verzweigten Logistik ausgestattete, mitgliederstarke Organisation mit einem großen Sympathisantenkreis in der Lage. Dies traf auf die PKK/ERNK zu, deren Meinungsführerschaft für die kurdische Unabhängigkeitsbewegung bei den in Deutschland lebenden Kurden und ihren Sympathisanten unbestritten war.

Die zentrale Anordnung der Anschlagsserien ist außerdem durch Erklärungen der Europaführung und von Äußerungen des PKK-Führers Öcalan in den Publikationsorganen "Serxwebun", "Berxwedan" und dem "Kurdistan-Rundbrief" bzw. "Kurdistan-Report" belegt, in denen die Aktionen angekündigt und zustimmend gewürdigt wurden. Die PKK- bzw. die PKK-nahen Presseorgane begleiteten die Anschlagsserien propagandistisch. Die entsprechenden Passagen sind in den genannten Urteilen der Oberlandesgerichte zitiert oder sinngemäß wiedergegeben. Zweifel an der Richtigkeit der Wiedergabe des Inhalts dieser Urkunden bestehen nicht. Über die in den Urteilen wiedergegebenen Äußerungen hinaus sind die in den Feststellungen genannten weiteren Verlautbarungen der PKK/ENRK im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt worden. An deren Authentizität zu zweifeln besteht ebenfalls kein Anlass.

Mit Blick auf die Neufassung des § 129 a Abs. 2 StGB kommt diesen Bekundungen der PKK-Führung eine besondere Bedeutung für die Feststellung der Zwecke zu, die die Organisation mit den Gewaltaktionen verfolgt hat. Sie belegen in der Gesamtschau, dass es dem seinerzeit verantwortlichen Funktionärskörper der PKK/ERNK nicht nur darum ging, die Öffentlichkeit in Deutschland auf Übergriffe des türkischen Staates gegenüber den Kurden aufmerksam zu machen. Mit den gemeingefährlichen Straftaten war vielmehr auch bezweckt, die hier lebenden türkischen Mitbürger und später auch die gesamte Bevölkerung massiv zu beunruhigen und zu ängstigen, um auf diesem Wege eine andere Politik der Bundesrepublik gegenüber der Türkei zu erzwingen. Außerdem sollten das Bundesinnenministerium veranlasst werden, das Betätigungsverbot gegen die PKK/ERNK aufzuheben, und die Ordnungsbehörden vor Ort rechtswidrig genötigt werden, die versammlungsrechtlichen Verbote sowie vereinsrechtlichen Betätigungsverbote nicht durchzusetzen. Auch sollten die Strafverfolgungsbehörden widerrechtlich gezwungen werden, die strafrechtliche Verfolgung von Aktivisten zu unterlassen.

Der Angeklagte hat dies weitgehend bestätigt, indem er angegeben hat, die damaligen aktionistischen Aktivitäten hätten die Öffentlichkeit auf die Situation der Kurden in der Türkei aufmerksam machen und die Regierung der Bundesrepublik durch den Druck der öffentlichen Meinung veranlassen sollen, die Unterstützung des türkischen Staates und die strafrechtliche Verfolgung der PKK-Kader einzustellen. Er hat ausdrücklich klargestellt, dass er mit den aktionistischen Aktivitäten auch die zahlreichen Straftaten einschließlich der Brandstiftungsdelikte meint.

Die Eignung der Brandanschlagsserien, im Sinne einer realistischen Möglichkeit die Bevölkerung einzuschüchtern, ergibt sich ohne weiteres aus dem Umstand, dass sie zahlreich, auf das gesamte Bundesgebiet verteilt und sehr intensiv waren. Aus demselben Grund lag auch die Eignung zur rechtswidrigen Nötigung der Behörden vor. Ein Hinweis hierauf ergibt sich auch aus dem der Video-Einsatzdokumentation des Polizeipräsidiums Mannheim entnommenen Umstand, dass unter dem Eindruck der Ausschreitungen in Mannheim im September 1994 der zunächst verbotene Solidaritätsmarsch schließlich gestattet worden ist.

IV.

Die Feststellungen weisen aus, dass sich der Angeklagte der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig gemacht hat. Sein Verhalten war nach dem zur Tatzeit geltenden Recht mit Strafe bedroht und es erfüllt auch die - nach § 2 Abs. 3 StGB maßgeblichen - Voraussetzungen der jetzt geltenden Gesetzesfassung.

1. Strafbarkeit nach dem zur Tatzeit geltenden Recht

Der Angeklagte hat sich gemäß § 129 a Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 10. März 1987 strafbar gemacht, weil er sich vorsätzlich als Mitglied an einer Vereinigung beteiligt hat, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet waren, gemeingefährliche Straftaten, nämlich Brandstiftungen nach den §§ 306 bis 308 StGB in der damals geltenden Fassung, zu begehen.

a) Es lag im Tatzeitraum ein in der Bundesrepublik Deutschland bestehender, auf eine gewisse Dauer angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mehreren Funktionären der PKK/ERNK vor, die gemeinsame Zwecke verfolgten und untereinander derart in Beziehung standen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlten und dabei den Willen des Einzelnen dem Willen der Gesamtheit unterordneten. Damit sind die nach der ständigen Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei BGH NJW 2008, 86, 87) erforderlichen Voraussetzungen einer Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB erfüllt. Der Vereinigung gehörten die professionellen Kader im führenden Funktionärskörper der Organisation in Deutschland und Europa an, also die Mitglieder der Zentrale der ACM sowie die zur ACM gehörenden Kader, die als Regions- und Gebietsverantwortliche mit den aktionistischen Aktivitäten befasst waren. Zweck und Tätigkeit des Zusammenschlusses waren maßgeblich (auch) darauf gerichtet, Brandstiftungsdelikte gemäß den §§ 306 bis 308 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung zu begehen; die Straftaten prägten das Erscheinungsbild der Vereinigung nach außen. In einer Reihe von rechtskräftigen Urteilen der Oberlandesgerichte ist dieser Funktionärskörper der PKK/ERNK als terroristische Vereinigung qualifiziert worden, die vom November 1993 bis zur ersten Hälfe des Jahres 1996 existierte.

b) Der Angeklagte gehörte als Verantwortlicher für die Region Bayern zu diesem Funktionärskörper und beteiligte sich im Sinne des § 129 a Abs. 1 StGB mitgliedschaftlich an der terroristischen Vereinigung. Eine solche Beteiligung setzt lediglich voraus, dass der Täter seinen Willen dem der Organisation mit deren Einverständnis unterordnet und auf Dauer oder zumindest für längere Zeit zur Förderung der Vereinigung tätig wird. Das Sichbeteiligen braucht nicht in der Mitwirkung an einzelnen Straftaten zu bestehen; vielmehr genügt für die Teilnahme eine irgendwie geartete Betätigung für die Zwecke der Vereinigung, wenn der Täter nur mit dem Willen handelt, sich auch zukünftig am Verbandsleben zu beteiligen. Unerheblich ist dabei, ob die Handlung, durch die sich das Mitglied beteiligt, das Ziel der Vereinigung bildet oder ob sie bloß einen Beitrag zur organisatorischen Arbeit leisten soll. Damit reicht bereits die Ausübung der Funktion - unabhängig vom Nachweis konkreter eigener weiterer Straftaten - zur Begründung der mitgliedschaftlichen Beteiligung aus.

c) Der Angeklagte hat auch vorsätzlich gehandelt. Die Zielsetzung und die Praktiken der Organisation, insbesondere auch im Rahmen der aktionistischen Aktivitäten waren ihm bekannt und wurden von ihm mit getragen. Seine inneren Vorbehalte stellte er zurück und billigte die Vorgehensweise der Organisation.

2. Strafbarkeit nach der jetzt geltenden Gesetzesfassung

a) Die Neufassung des § 129 a StGB durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze vom 22. Dezember 2003 (BGBl I 2836) hat dazu geführt, dass eine Organisation, die auf die Begehung gemeingefährlicher Straftaten im Sinne der §§ 306 bis 306 c StGB n.F. gerichtet ist, nur noch unter eingeschränkten Voraussetzungen eine terroristische Vereinigung darstellt.

Vorausgesetzt wird, dass eine der Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und dass sie durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

Es handelt sich bei dieser Änderung des materiellen Rechts um die dem Angeklagten günstigste Gesetzesfassung. Sie ist daher nach dem im § 2 Abs. 3 StGB normierten Meistbegünstigungsprinzip für die rechtliche Würdigung maßgeblich (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 2 StE 6/07-6 -).

b) Der Funktionärskörper der PKK/ERNK, dem der Angeklagte angehörte, erfüllt, wie dargelegt, die nach der ständigen Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen einer Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB. Die Zwecke und Tätigkeiten der Vereinigung waren auf Katalogtaten des § 129 a Abs. 2 Nr. 2 StGB n.F. gerichtet, nämlich auf gemeingefährliche Straftaten im Sinne der §§ 306 bis 306 c StGB n.F.

c) Es sind auch die gegenüber der alten Rechtslage zusätzlichen Anforderungen an die begangenen oder beabsichtigten Straftaten, nämlich der (subjektiven) terroristischen Zwecksetzung und der (objektiven) Schädigungseignung erfüllt.

aa) Nach den Feststellungen handelte die Vereinigung mit dem Ziel, durch die Brandstiftungsdelikte die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern und Behörden rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen.

Die Anschlagsserien sollten bei der Bevölkerung Angst vor weiteren derartigen Aktionen hervorrufen. Soweit sie sich zunächst gegen türkische Einrichtungen in Deutschland richteten, insbesondere Reisebüros, Banken, Generalkonsulate, Gaststätten und Kulturzentren, betraf dies in erster Linie die hier lebenden Türken und Deutschen türkischer Abstammung, aber auch die übrigen Nutzer dieser Einrichtungen. Später - als die Anschläge auch gegen deutsche Einrichtungen, insbesondere Polizeidienststellen, Banken und Postämter, verübt wurden - sollten sie bei der deutschen Bevölkerung insgesamt Angst und Schrecken verbreiten. Sie sollten das allgemeine Sicherheitsgefühl beeinträchtigen, die Bevölkerung in einer der Organisation genehmen Weise in ihrem Verhalten beeinflussen und durch den so entstehenden Druck der öffentlichen Meinung dazu beitragen, dass die Bundesregierung die politische und militärische Unterstützung der Türkei einstellt und dass die Aktivitäten der PKK/ERNK in Deutschland nicht durch versammlungsrechtliche Verbote, das vereinsrechtliche Betätigungsverbot und strafrechtliche Verfolgung be- oder verhindert werden.

Die Brandanschläge verfolgten auch den Zweck, Behörden rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen. Die Bundesregierung sollte gezwungen werden, die politische, militärische und wirtschaftliche Unterstützung des türkischen Staates einzustellen. Das Bundesministerium des Inneren sollte das Betätigungsverbot gegen die PKK/ERNK aufheben. Die Verantwortlichen der Ordnungsbehörden sollten Versammlungen und Veranstaltungen der PKK/ERNK in Deutschland zulassen und nicht auf einer Durchsetzung des Betätigungsverbots beharren. Und schließlich sollten die Strafverfolgungsbehörden die strafrechtliche Verfolgung der PKK/ERNK einstellen.

bb) Die gemeingefährlichen Straftaten waren auch geeignet, durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat, die Bundesrepublik Deutschland, erheblich zu schädigen.

Dieses Erfordernis ist in der jüngst ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2008, 86, 87; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12/07, 13/07 und 47/07 - <Juris>) dahin konkretisiert worden, dass die von der Vereinigung begangenen oder beabsichtigten Straftaten im Sinne einer realistischen Möglichkeit des Schadenseintritts geeignet sein müssen, gerade solche Nachteile herbeizuführen, wie sie nach dem subjektiven Tatbestandsmerkmal angestrebt waren, also die Bevölkerung oder einen größeren Teil der Bevölkerung erheblich einzuschüchtern, eine Behörde rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen des Staates erheblich zu beeinträchtigen.

Das ist hier der Fall, soweit es die Merkmale der Einschüchterung der Bevölkerung sowie die Nötigung von Behörden betrifft. Denn die Brandanschläge waren zahlreich, auf das gesamte Bundesgebiet verteilt und sehr intensiv. Sie richteten sich nicht nur gegen Sachen; eine Gefährdung von Menschen war möglich, sogar nahe liegend und ist in mehreren Fällen auch eingetreten. Es handelte sich um schwere Kriminalität und nicht lediglich Straftaten, die im Wesentlichen nur auf einen propagandistischen Effekt und eine potentiellen Mobilisierungswirkung bei Gleichgesinnten abzielte.

d) Dem Angeklagten war dies bewusst und er nahm es billigend in Kauf. Er handelte damit auch in Bezug auf die Tatbestandsmerkmale des § 129 a Abs. 2 Nr. 2 StGB n.F. vorsätzlich.

V.

Bei der Strafzumessung innerhalb des danach eröffneten Strafrahmens von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe hat sich der Senat von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Zu Lasten der Angeklagten musste sich auswirken, dass er eine hohe Position in der Organisation innehatte. Die Region, der er vorstand, hatte eine wichtige Bedeutung in Deutschland und Europa. Er missachtete die Warnfunktion seiner strafgerichtlichen Verurteilung in Österreich und ließ sich sehr bald nach seiner Haftentlassung in die Organisation einbinden.

Für den Angeklagten sprechen aber auch eine Reihe deutlich strafmildernder Umstände. Der Angeklagte hat, wenn auch erst nach teilweise durchgeführter Beweisaufnahme, an der Aufklärung der Tat mitgewirkt und vorbehaltlos seine Verantwortung eingeräumt. Er ist in Deutschland bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Die Tatzeit liegt nunmehr 13 Jahre zurück. Der Angeklagte hat sich den Strafverfolgungsbehörden in dem Wissen gestellt, dass gegen ihn ein Haftbefehl existiert.

Zu berücksichtigen war auch, dass die Tat in eine persönliche Lebensgeschichte, die von Verfolgung in der Türkei und repressiver Politik gegen Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden geprägt ist, eingebettet war, der Angeklagte nicht zu seinem persönlichen Vorteil gehandelt und sich der Parteidisziplin unterworfen hat. Für den Angeklagten spricht insoweit auch, dass er kein "Scharfmacher" war, sondern innerliche Vorbehalte gegen die Radikalisierung der Politik der PKK/ERNK hatte. Soweit ersichtlich, hat er sich nach dem Tatzeitraum von etwa zehn Monaten, der gegenüber der üblicherweise von Regionsverantwortlichen wahrgenommenen Spanne von einem Jahr leicht unterdurchschnittlich war, von "aktionistischen Aktivitäten" zurückgezogen und sich um kulturelle Angelegenheiten gekümmert. Schließlich war zu bedenken, dass der Angeklagte sich bereits in einem fortgeschrittenen Alter befindet und infolge seines angegriffenen Gesundheitszustands besonders strafempfindlich ist. Er zeigte sich durch die erlittene Untersuchungshaft beeindruckt.

Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte hat der Senat auf die schuldangemessene Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten als ausreichend, aber auch erforderlich erkannt, um dem Angeklagten das begangene Unrecht deutlich vor Augen zu führen und ihn von weiteren Taten abzuhalten.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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