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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.01.2007
Aktenzeichen: (2/5) 1 Ss 111/06 (51/06)
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 132
Eine Strafbarkeit wegen Amtsanmaßung gemäß § 132 StGB setzt in beiden gesetzlich genannten Tatvarianten ein Handeln voraus, das sich als amtliche Tätigkeit darstellt. Der Tatbestand ist daher nicht erfüllt, wenn der Täter es dabei belässt, sich als Amtsinhaber auszugeben, ohne eine Diensthandlung vorzunehmen.
Geschäftsnummer: (2/5) 1 Ss 111/06 (51/06)

In der Strafsache gegen

wegen Amtsanmaßung und Missbrauchs von Titeln

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts Berlin am 19. Januar 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Januar 2006 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse Berlin.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten wegen Amtsanmaßung in Tateinheit mit Missbrauch von Titeln und versuchter Strafvereitelung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 100 Euro verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin den Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Vorwurf der versuchten Strafvereitelung entfällt, und es hat im Rechtsfolgenausspruch die Geldstrafe hinsichtlich der Tagessatzhöhe auf 30 Euro herabgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Er rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin erachtet die Revision für begründet.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die vom Angeklagten zulässig erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils und zu seiner Freisprechung. Einer Entscheidung über die Verfahrensrügen bedarf es nicht.

1. Das Landgericht hat zum Tatgeschehen im Wesentlichen das Folgende festgestellt. Der als Rechtsanwalt tätige Angeklagte Y. rief, um die Herausgabe eines polizeilich beschlagnahmten Geldbetrages zugunsten einer von ihm vertretenen Mandantin zu erreichen, bei der zuständigen Polizeidirektion an. Bewusst wahrheitswidrig meldete er sich als "Staatsanwalt Y." und begehrte mit Nachdruck die Auszahlung. Die den Anruf entgegennehmende Angestellte, die Telefondienst versah, konnte ihn nicht an den Sachbearbeiter weitervermitteln, weil dieser nicht zur Verfügung stand. Der Angeklagte verlangte den umgehenden Rückruf eines Vertreters. Daraufhin übergab die Angestellte dem Dienst habenden Kriminalbeamten eine Notiz, welche den Hinweis auf einen Anruf von "Staatsanwalt Y." und die Telefonnummer des Angeklagten enthielt. Der Beamte rief kurz darauf zurück. Der Angeklagte meldete sich mit "Y." und wiederholte sein Anliegen. Als der Beamte ihn darauf aufmerksam machte, dass er eine "staatsanwaltliche Verfügung" benötige, erklärte sich der Angeklagte bereit, diese "beizubringen". Etwa eine Stunde später übersandte er ein Schreiben per Fax. Es trug seinen anwaltlichen Briefkopf und hatte zum Inhalt, dass der Angeklagte unter Bezugnahme auf sein Mandat die Erlaubnis erteilte, den Geldbetrag an eine namentlich benannte Person gegen Vorlage des Schreibens auszuzahlen.

2. Zu Unrecht hat das Landgericht den Angeklagten auf der Grundlage dieses Sachverhalts wegen Amtsanmaßung in Tateinheit mit Missbrauch von Titeln verurteilt.

a) Eine Strafbarkeit wegen Amtsanmaßung gemäß § 132 StGB setzt in beiden gesetzlich genannten Tatvarianten ein Handeln voraus, das sich als amtliche Tätigkeit darstellt. Der Tatbestand ist daher nicht erfüllt, wenn der Täter es dabei belässt, sich als Amtsinhaber auszugeben, ohne eine Diensthandlung vorzunehmen (vgl. BGH GA 1967, 114; OLG Koblenz NStZ 1989, 268; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl., § 132 Rdnr. 8 ff.; Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 132 Rdnr. 2, 5). So liegt der Fall hier. Unter Inanspruchnahme der Amtsbezeichnung "Staatsanwalt" bemühte sich der Angeklagte, die Herausgabe eines beschlagnahmten Geldbetrages durch Mitarbeiter der Polizei zu erreichen; von der Möglichkeit eines Staatsanwalts, gemäß §§ 161 Abs. 1 Satz 2 StPO, 152 Abs. 1 GVG im Wege einer verbindlichen dienstlichen Anweisung auf das Verhalten der Polizeiorgane einzuwirken, machte er dabei keinen Ge-brauch. Im ersten Telefonat begehrte er lediglich, wenngleich mit Nachdruck, die Auszahlung und verlangte den Rückruf eines zuständigen Beamten. Handlungen dieser Art kann in gleicher Weise eine Privatperson vornehmen. Auch durch die Ankündigung einer staatsanwaltlichen Verfügung im zweiten Telefonat nahm der Angeklagte keine dienstliche Handlung vor. Die Äußerung betraf lediglich ein künftiges Geschehen. Zudem stellte der Angeklagte keine eigene dienstliche Maßnahme in Aussicht, sondern kündigte nur an, eine staatsanwaltliche Verfügung "beizubringen".

b) Indem der Angeklagte als "Staatsanwalt Y." auftrat, nahm er zwar unbefugt eine Dienstbezeichnung nach § 132 a Abs. 1 Nr. 1 StGB für sich in Anspruch. Sein Verhalten entsprach aber nicht den Anforderungen, die mit der gesetzlichen Tathandlung des Führens einer Dienstbezeichnung verbunden sind.

Rechtsprechung und Literatur sind nahezu einhellig der Ansicht, dass der Tatbestand nicht jede Äußerung gegenüber Dritten erfasst, durch die der Anschein erweckt wird, man sei Inhaber einer der im Gesetz aufgeführten Bezeichnungen. Für das Führen einer solchen Bezeichnung wird zusätzlich gefordert, dass es unter Umständen geschieht, die eine Gefährdung des durch die Strafvorschrift geschützten Rechtsguts als möglich erscheinen lassen (vgl. BGHSt 31, 61, 62; BayObLG NJW 1979, 2359; OLG Dresden NJW 2000, 2519, 2520; OLG Köln NJW 2000, 1053, 1054; OLG Saarbrücken NStZ 1992, 236; OLG Stuttgart NJW 1969, 1777, 1778; Tröndle/Fischer, a.a.O., § 132 a Rdnr. 21; Lackner/Kühl, StGB, 25. Aufl., § 132 a Rdnr. 7; Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, a.a.O., § 132 a Rdnr. 17; Geppert Jura 1986, 590, 594; a. A. nur Kahle, Der Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen - Rechtsgut, Schutzzweck und Anwendungsbereich des § 132a StGB, 1995, S. 104). Anerkannt ist, dass § 132 a StGB die Allgemeinheit davor bewahren soll, dass einzelne von ihnen in dem Vertrauen, eine bestimmte Person habe eine bestimmte Stellung inne, für sich oder andere schädliche Handlungen vornehmen könnten (vgl. Bundestagsdrucksache 7/550, 361; BGHSt 31, 61, 62; OLG Dresden NJW 2000, 2519, 2520; OLG Köln NJW 2000, 1053, 1054; Thüringer OLG StraFO 1998, 131; OLG Saarbrücken NStZ 1992, 236; OLG Oldenburg NJW 1984, 2231, 2232; Tröndle/Fischer, a.a.O., § 132 a Rdnr. 2; Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, a.a.O., § 132 a Rdnr. 3; Geppert Jura 1986, 590, 594). Die Art und Weise des Auftretens muss also geeignet sein, dieses Interesse der Allgemeinheit zu gefährden.

Insoweit stellt die Rechtsprechung u. a. auf die Häufigkeit und die Intensität des Auftretens unter der Bezeichnung, auf die Reichweite des mit der Verwendung der Bezeichnung verbundenen Geltungsanspruchs sowie auf die Beeinflussbarkeit der Personen ab, die mit der Bezeichnung konfrontiert wurden. So hat das OLG Saarbrücken (NStZ 1992, 236) ein Auftreten als Rechtsanwalt nicht als ein Führen dieser Berufsbezeichnung angesehen, weil es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt hatte, weil der Angeklagte durch sein unmittelbar nachfolgendes Verhalten die Angabe relativiert hatte und weil keinerlei Anzeichen dafür vorhanden waren, dass sich die Polizeibeamten, denen gegenüber der Angeklagte als Rechtsanwalt aufgetreten war, davon bei der weiteren Ausführung der bereits begonnenen Diensthandlung hätten beeinflussen lassen können. Demgegenüber hat das Thüringer OLG (StraFo 1998, 131) die unberechtigte Inanspruchnahme der Bezeichnung "Rechtsanwalt" durch einen Rechtsassessor in zwei Hauptverhandlungen mit der Begründung als strafbar bewertet, dass davon das weitere Verhalten des Gerichts abhängig gewesen sei, weil nach § 138 Abs. 1 StPO das Gericht die Verteidigung durch einen Rechtsanwalt ohne weiteres hinzunehmen habe, während für die Verteidigung durch andere Personen nach § 138 Abs. 2 StPO eine gerichtliche Genehmigung erforderlich sei. Das OLG Dresden (NJW 2000, 2519) hat das Verhalten eines Angeklagten, der sich in Schreiben an städtische Organe und an das Arbeitsgericht als "städtischer Amtsleiter a.D." ausgegeben hatte, obwohl er Angestellter und nicht Beamter gewesen war u. a. deswegen für straflos erachtet, weil von diesen Adressaten zu erwarten gewesen sei, dass sie ihre Entscheidungen unabhängig davon nach objektiven, am Gesetz orientierten Maßstäben treffen würden.

Der Senat teilt die Ansicht, dass § 132 a StGB unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Vorschrift strafbarkeitseinschränkend ausgelegt werden muss, weil der Tat nur unter dieser Voraussetzung das Gewicht einer strafwürdigen Handlung zukommt. Auch hält der Senat die von der dargestellten Rechtsprechung herangezogenen Kriterien für zutreffend. Daran gemessen, erweist sich das Verhalten des Angeklagten, wie es im landgerichtlichen Urteil festgestellt wurde, als straflos.

Im Hinblick auf Häufigkeit und Intensität ist das Verhalten des Angeklagten als geringfügig einzustufen. Er hat die Dienstbezeichnung "Staatsanwalt" ausdrücklich lediglich einmal gegenüber nur einer Person für sich in Anspruch genommen, als er sich im ersten Telefonat gegenüber der Polizeiangestellten unter dieser Bezeichnung meldete. Im nachfolgenden Telefonat mit dem Kriminalbeamten hat er von dieser Bezeichnung keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr ist den Urteilsfeststellungen zu entnehmen, dass er sich distanzierend verhielt, wenn es dort heißt, dass er sich bereit erklärte, eine staatsanwaltliche Verfügung "beizubringen". Im Übrigen ergibt sich auch aus dem Urteilszusammenhang, dass der Angeklagte im zweiten Telefonat nicht mehr erkennbar als Staatsanwalt aufgetreten ist. Die Darstellung des Ergebnisses der Beweisaufnahme enthält die vom Landgericht für glaubhaft befundene Angabe der als Zeugin gehörten Polizeiangestellten, dass ihr Kollege sie später in barschem Ton angefahren habe, weshalb sie "Staatsanwalt" notiert habe, was gar nicht zutreffend gewesen sei. Zu dem Vorhalt hätte der Beamte keinen Anlass gehabt, falls der Angeklagte sich auch ihm gegenüber als Staatsanwalt ausgegeben hätte. Seine Annahme, es mit einem Staatsanwalt zu tun zu haben, beruhte demnach allein auf der Notiz der Zeugin. Außerdem hat der Angeklagte durch die anschließende Übersendung des Schreibens mit anwaltlichem Briefkopf per Fax dafür gesorgt, dass der zunächst durch die Meldung als Staatsanwalt erzeugte Schein keine weitere Wirkung entfalten konnte.

Mit der Verwendung der Bezeichnung erhob der Angeklagte auch nicht den generellen Anspruch, als Staatsanwalt zu gelten. Vielmehr machte er von ihr nur in einer einzelnen Rechtsangelegenheit zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks eingangs Gebrauch.

Ferner bestand nicht die Gefahr einer Durchsetzung dieses eng begrenzten Geltungsanspruchs, weil von den angesprochenen Personen auf Grund ihrer dienstlichen Aufgaben und der damit verbundenen rechtlichen Rahmenbedingungen nicht zu erwarten war, dass sie im Hinblick auf den vom Angeklagten verfolgten Zweck der Herausgabe eines polizeilich beschlagnahmten Geldbetrages schädliche Handlungen vornehmen könnten. Die zunächst angesprochene Polizeiangestellte war lediglich mit der Vermittlung von Telefongesprächen befasst. Der am zweiten Telefonat beteiligte Kriminalbeamte war durch rechtliche Vorgaben gebunden, die unter den gegebenen Umständen eine Herausgabe des Geldbetrages ausschlossen. Die Behandlung und Herausgabe von amtlich verwahrten Gegenständen ist durch Verwaltungsanordnungen in den bundeseinheitlich geltenden Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) geregelt. Nr. 74 RiStBV sieht vor, dass die Gegenstände zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen vor Verlust, Entwertung oder Beschädigung geschützt werden müssen. Die Verantwortung dafür liegt nach dieser Vorschrift zunächst bei dem Beamten, der die Beschlagnahme vornimmt, und geht dann auf die Stelle über, der die weitere Verfügung über den verwahrten Gegenstand zusteht. Das ist im Ermittlungsverfahren in der Regel die Staatsanwaltschaft, die in diesem Abschnitt des Strafprozesses die Verfahrensherrschaft ausübt. Für die Herausgabe ist in Nr. 75 Abs. VI RiStBV ein weitgehend formalisiertes Verfahren vorgesehen. Danach bedarf es einer Herausgabeanordnung, in der die Sachen und der Empfangsberechtigte genau bezeichnet sind. Auch müssen Anordnung und Herausgabe aktenkundig gemacht werden. Angesichts dieser weit reichenden Bindung durch Schutzverpflichtungen und Verfahrensanforderungen besteht nicht die Gefahr, dass ein Polizeibeamter allein auf Grund der telefonischen Aufforderung einer Person, die sich als Staatsanwalt ausgibt und deren Name bei der Polizei nicht als der Name eines Staatsanwalts bekannt sein kann, einen beschlagnahmten und in polizeilicher Verwahrung befindlichen Geldbetrag herausgibt, zumal er damit rechnen müsste, durch die vorschriftswidrige Herausgabe in den Verdacht zu geraten, einen Verwahrungsbruch nach § 133 Abs. 1 und 3 StGB oder einen Verstrickungsbruch gemäß § 136 Abs. 1 StGB begangen zu haben. Bestätigt wird diese Einschätzung der Gefahrenlage durch das Verhalten des Kriminalbeamten im vorliegenden Fall, der die Übermittlung einer staatsanwaltlichen Verfügung verlangte.

3. Das Urteil des Landgerichts beruht auf dem aufgezeigten Rechtsfehler und musste daher aufgehoben werden. Da sich das Verhalten des Angeklagten auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts als straflos darstellt und ausgeschlossen werden kann, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Strafbarkeit begründen, war gemäß § 354 Abs. 1 StPO auf Freisprechung zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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