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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 30.04.2005
Aktenzeichen: (2/5) 1 Ss 223/05 (73/05)
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 11
StGB § 223
StGB § 340
Ein Busfahrer der Berliner Verkehrs Betriebe (BVG), der vorsätzlich einen Fahrgast verletzt, begeht keine Körperverletzung im Amt, sondern eine vorsätzliche Körperverletzung.
KAMMERGERICHT

Beschluß

Geschäftsnummer: (2/5) 1 Ss 223/05 (73/05)

In der Strafsache gegen

wegen Körperverletzung

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 30. April 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Februar 2005

a) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und

b) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte statt wegen Körperverletzung im Amt wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt ist.

2. Im übrigen wird die Revision als unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO) verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten wegen Körperverletzung im Amt zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 55 Euro verurteilt und ihm für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Das Landgericht Berlin hat die Berufung des Angeklagten verworfen und die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Annahme eines minder schweren Falles (§ 340 Abs. 1 Satz 2 StGB) beanstandete, mit der Maßgabe verworfen, daß die Geldstrafe 90 Tagessätze zu je 40 Euro beträgt. Das Fahrverbot blieb aufrechterhalten. Die auf die Verletzung des sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat nur in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

Ausweislich der Feststellungen des Landgerichts hat sich im wesentlichen folgendes zugetragen:

Der Angeklagte war bis zum Ende des Jahres 2004 Busfahrer der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und führte Omnibusse im Linienverkehr - wie bei der BVG üblich - im Einmannbetrieb. Zu seinen Aufgaben gehörte der Verkauf von Fahrscheinen, die Erteilung von Auskünften, die Beratung über tarifliche Bestimmungen und die Bewältigung von Konfliktsituationen gegenüber Fahrgästen und anderen Verkehrsteilnehmern.

Am 9. November 2003 gegen 21.20 Uhr befuhr er im Schienenersatzverkehr entlang der Straßenbahnlinie 1 die Prenzlauer Allee. Seiner Ansicht nach hatten die Fahrgäste, die am S-Bahnhof Prenzlauer Allee aussteigen wollten, ihren Wunsch zu spät angezeigt, so daß er ohne Halt bis zur nächsten Haltestelle "Prenzlauer Allee / Erich-Weinert-Straße" durchfuhr. Beim Verlassen des Busses durch den hinteren, in der Mitte des Wagens befindlichen Ausgang rief einer der Fahrgäste, die nun zum S-Bahnhof zurücklaufen mußten, für den Angeklagten und auch für andere Fahrgäste deutlich hörbar "Danke, Arschloch" und entfernte sich entgegen der Fahrtrichtung auf dem rechts vom Bus gelegenen Bürgersteig in normalem Gehtempo zum S-Bahnhof hin. Der Angeklagte, den die Beleidigung erbost hatte, verließ den Bus durch dessen Vordertür und folgte dem Fahrgast mit sehr eiligem Schrittempo, wobei er ihn möglicherweise zum Stehenbleiben aufforderte. Etwa fünf bis zehn Meter hinter dem Heck des Busses hatte er ihn bereits eingeholt. Mit vorgestreckten Armen stieß der Angeklagte den Fahrgast wuchtig um, wobei er ihn etwa in Höhe der Schulter berührte. Der Fahrgast, der den angreifenden Angeklagten nicht gehört hatte und nicht hatte kommen sehen, stürzte aufgrund des für ihn überraschenden Stoßes zunächst auf die Knie und danach auf den Bauch. Er erlitt dadurch - vom Angeklagten billigend in Kauf genommen - Schürfwunden und Hämatomschwellungen an der linken Hand und am rechten Kniegelenk sowie eine Thoraxprellung. Er drehte sich danach auf den Rücken, während ihn der Angeklagte, ganz nah bei ihm stehend, mit erhobenem Zeigefinger ermahnte. Erst als andere Fahrgäste ausstiegen und mit Worten eingriffen, ließ der Angeklagte von dem Geschädigten ab.

II.

Die Revision ist aus den Gründen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, soweit der Angeklagte die Feststellungen zum Schuldspruch und die darauf gestützte Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Körperverletzungsvergehens angreift.

Der Senat teilt aber nicht die Auffassung, daß der Angeklagte die Körperverletzung "im Amt" begangen habe, so daß er den Schuldspruch auf "vorsätzliche Körperverletzung" umgestellt hat. In prozessualer Hinsicht bestehen dagegen keine Bedenken aus § 265 StPO, weil sich der Angeklagte gegen eine Verurteilung wegen dieses Delikts anstatt wegen Körperverletzung im Amt nicht anders als geschehen verteidigen könnte; im übrigen folgt der Senat insoweit im Ergebnis der ausführlich begründeten Rechtsansicht der Revision.

Der Rechtsfolgenausspruch kann schon deshalb, aber auch wegen der ihm im Urteil anhaftenden Mängel und wegen der seitdem verstrichenen Zeit nicht aufrechterhalten bleiben

1. Eine Körperverletzung im Amt setzt voraus, daß der Täter als Amtsträger gehandelt hat. In Betracht kommt bei dem Angeklagten, der als Busfahrer der BVG weder Beamter noch Träger eines öffentlichen Amtes (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl., § 11 Rdn. 16) ist, allein eine Amtsträgerschaft nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c) als derjenige, der "sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen.

Für die Amtsträgerstellung eines jeden Mitarbeiters des Gesamtunternehmens BVG - vor allem derjenigen der Leitungsebene - sprechen gewichtige Umstände. Die Frage kann aber für den Streitfall offen bleiben, (unten a, b). Denn der Schutzzweck des § 340 StGB erfordert eine einschränkende Auslegung dieser Norm mit der Folge, daß der Angeklagte von ihr nicht umfaßt wird. Ein Busfahrer kann nach der heutigen Anschauung im Verhältnis zum Fahrgast nicht mehr als verlängerter Arm des Staates (vgl. BGHSt 49, 214, 219; 43, 370, 377) angesehen werden, der eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung erfüllt (unten c).

a) aa) Unternehmen der öffentlichen Hand sind als "sonstige Stellen" den Behörden gleichzustellen, wenn sie bei ihrer Tätigkeit öffentliche Aufgaben wahrnehmen und dabei derart staatlicher Steuerung unterliegen, daß sie bei einer Gesamtbetrachtung als "verlängerter Arm" des Staates erscheinen (vgl. BGHSt 49, 214, 219 = NJW 2004, 3131 - Deutsche Bahn; BGHSt 43, 370, 377 - GTZ). Hierzu zählen namentlich Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts (vgl. Gribbohm in Leipziger Kommentar, StGB 11. Aufl., § 11 Rdn. 35), aber auch als juristische Personen des Privatrechts organisierte Einrichtungen und Unternehmen (vgl. BGH NStZ 2007, 211 - Kölner Müllskandal; KG NStZ 1994, 242). Zu den Aufgaben der öffentlichen Verwaltung gehört nicht nur die hoheitliche Ausübung staatlicher Anordnungs- und Zwangsgewalt, sondern auch schlicht-hoheit-liche Tätigkeit, die dem Bereich der Daseinsvorsorge zugeordnet wird und dazu bestimmt ist, unmittelbar für die Daseinsvoraussetzungen der Allgemeinheit oder ihrer Güter zu sorgen. Die Gewährleistung und Steuerung des öffentlichen Nahverkehrs ist eine Aufgabe des Staates zur Daseinsvorsorge (vgl. BGHSt 49, 214, 220 = NJW 2004, 3129, 3131 - Deutsche Bahn; Gribbohm in Leipziger Kommentar, § 11 StGB Rdn. 36).

bb) Gegen die Einordnung der BVG in diese Gruppe könnte folgende grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers sprechen: Sie ist als Unternehmen, dem im System des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ausschließlich die Erbringung der Verkehrsleistung zugewiesen ist, rechtlich nicht der Träger der Aufgabe "Daseinsvorsorge", auf welche die Amtsträgerstellung der Beschäftigten maßgeblich gegründet ist.

Ausgehend von den Rechtsakten der Europäischen Union (VO (EWG) 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 (ABl. L 156 S. 1) in der Fassung der VO (EWG) 1893/91 des Rates vom 20. Juni 1991 (ABl. L 169 S. 1)) soll im ÖPNV schrittweise der freie Wettbewerb zwischen den Anbietern von Verkehrsleistungen Einzug halten. Das Ziel der gemeinsamen Verkehrspolitik besteht darin, die Verfälschung von Wettbewerbsbedingungen dadurch zu beseitigen, daß den Mitgliedsstaaten nur noch in beschränktem Maße zugestanden wird, den Verkehrsunternehmen Verpflichtungen aufzuerlegen, die mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbunden sind (vgl. Lange LKV 1997, 117). Obwohl sich die Verkehrsunternehmen nicht von der Daseinsvorsorge trennen lassen, wird ihnen ein eigenständiger Status zugesprochen (vgl. Lange LKV 1997, 117, 118). Auf dieser Grundlage haben die Bundesländer im Zuge der sogenannten Regionalisierung eigene ÖPNV-Gesetze geschaffen. In Berlin ist dies das Gesetz über die Aufgaben und die Weiterentwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs im Land Berlin vom 27. Juni 1995 (ÖPNV-Gesetz) (GVBl. S. 390). Allen ÖPNV-Gesetzen, so auch dem in Berlin geltenden, ist eine Trennung zwischen dem Aufgabenträger (§ 3 ÖPNVG) und den ausführenden Unternehmen (5 Abs. 4 ÖPNVG, § 8 Abs. 3 Satz 2 PersBefG) (vgl. Ronellenfitsch "Der ÖPNV im europäischen Binnenmarkt" VerwArch 2004, 131, 136-139) eigentümlich. Es entsteht ein "Regulierungsdreieck" (vgl. Becker StV 2006, 263, 267): Träger der Aufgabe "ÖPNV" ist diejenige Verwaltung, die zum Zwecke und als Gegenstand der Daseinsvorsorge den Nahverkehrsplan (§ 5 Abs. 1-3 ÖPNVG) festlegt und die Verkehrsleistung bei dem Unternehmer bestellt. Geleistet wird der Verkehr von dem Unternehmer, der ihn in der Regel eigenwirtschaftlich (§ 8 Abs. 4, 13 PersBefG) betreibt (vgl. BVerwGE 127, 42 = NVwZ 2007, 330; Lenz NJW 2007, 1181). Seine Rolle im Regulierungsdreieck ist diejenige des Dienstleisters (vgl. Becker aaO). Daneben tritt die Genehmigungsbehörde. Unmittelbar als gemeinwohlrelevante Aufgabe der öffentlichen Verwaltung ausgestaltet sind nur die Planung und die Genehmigung. Diese Entkopplung der Aufgabe "Daseinvorsorge" von deren Ausführung führt nach einer Auffassung dazu, daß der Verkehrsunternehmer unabhängig von den Eigentumsverhältnissen in der Regel keine öffentliche Leistung der Daseinsvorsorge im strafrechtlichen Sinne erbringe (vgl. ausführlich Becker StV 2006, 263, 268).

b) Diese Argumentation beachtet aber nicht ausreichend, daß auch derjenige als Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c) anzusehen ist, der im Auftrage der sonstigen Stelle - hier des Trägers der Aufgabe der Daseinsvorsorge "ÖPNV" tätig ist. Das träfe auf den ausführenden Träger der Verkehrsleistung zu. Die BVG unterliegt auch erheblicher staatlicher Steuerung. Sie betreibt den ÖPNV - außer im Bereich der S-Bahn - in Berlin als Monopol. Der staatliche Einfluß auf sie erschöpft sich nicht darin, daß sie als Anstalt des öffentlichen Rechts vollständig der öffentlichen Hand gehört. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu zutreffend ausgeführt:

"Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sind gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 Berliner Betriebegesetz (BerlBG) als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben errichtet worden. Auf diese ist gemäß § 1 Abs. 2 BerlBG das Sondervermögen der bisherigen Eigenbetriebe des Landes Berlin übergegangen. Nach § 2 Abs. 5 BerlBG ist Aufgabe der BVG die Durchführung des öffentlichen Personennahverkehrs für Berlin mit dem Ziel kostengünstiger und umweltfreundlicher Verkehrsbedienung. Das Land Berlin haftet gemäß § 4 BerlBG für die Verbindlichkeiten der BVG und gewährt Ausgleich, soweit diese nicht zur Erfüllung ihrer Aufgaben aus eigener Kraft in der Lage ist. Ein Mitglied des Senats ist als Vorsitzender des Aufsichtsrates zu bestimmen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BerlBG). Der Aufsichtsrat bestimmt u. a. die Festsetzung allgemeiner Tarife und Entgelte für die Leistungsträger (vgl. § 10 Abs. 2 Nr. 4 BerlBG). Beschlüsse des Aufsichtsrates können seitens des Vorsitzenden beanstandet werden (§ 11 BerlBG). Der Aufsichtsrat wiederum unterliegt der Kontrolle der Gewährträgerversammlung, die u. a. über Beanstandungen nach § 11 BerlBG entscheidet und aus bis zu fünf Mitgliedern des Senats besteht (§ 13 BerlBG). Schließlich unterliegt die BVG der Rechtsaufsicht der zuständigen Senatsverwaltung (§ 18 BerlBG). Durch diese gesetzlichen Regelungen untersteht die BVG - anders als die Deutsche Bahn AG (vgl. BGHSt 49, 214 ff.) - der staatlichen Steuerung soweit es Einwirkungsmöglichkeiten des Landes Berlin zur Wahrung der Gemeinwohlbelange, wie etwa der Tariffestsetzung betrifft."

Zu diesen Umständen hinzugetreten ist zuletzt noch, daß das Land Berlin der BVG sogar vertraglich ein Monopol bis zum Jahr 2020 zugesichert hat.

Die Frage kann aber im Ergebnis offen bleiben.

c) Denn eine Körperverletzung im Amt liegt bereits bei einer streng am Schutzzweck des § 340 StGB ausgerichteten Auslegung dieser Vorschrift auch dann nicht vor, wenn der Angeklagte ein tauglicher Täter im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c) ist. Ratio legis für die unrechtssteigernde Wirkung der Amtsträgerschaft ist bei § 340 StGB die hinzutretende Amtspflichtverletzung (vgl. Jungclaus NStZ 1995, 582). Wesentlich ist es, daß der Täter gegenüber dem Opfer seine Amtsgewalt mißbraucht (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1983, 352, 353 mit weit. Nachw.; Cramer/ Sternberg-Lieben in Schönke/ Schröder, StGB 27. Aufl., § 340 Rdn. 3). Solche Amtsgewalt kommt einem BVG-Fahrer im Verhältnis zum Fahrgast nicht zu. Der Fahrgast begibt sich freiwillig, ohne jeden staatlichen Zwang in das Fahrzeug, und das Verhältnis weist auch sonst - anders als etwa dasjenige zu den Mitgliedern einer (u.a.) mit Signalpfeife, Tränengas, Funkgerät und Kamera ausgerüsteten Ordnungsgruppe im ÖPNV (vgl. HansOLG Hamburg NJW 1984, 624) keinerlei Merkmale einer über die Wahrung des Hausrechts hinausgehende Gewaltunterworfenheit auf (vgl. OLG Karlsruhe aaO).

Bus-, Tram- und U-Bahn-Fahrer treten gegenüber den Bürgern, die sie tagtäglich befördern, nicht als verlängerter Arm des Staates auf, sondern als reine Dienstleister. Einem Busfahrer obliegt es eben nicht (mehr), "im Betriebe ... die Stadt Berlin gegenüber den Fahrgästen in seinem Wagen zu vertreten" (so noch RGSt 75, 355, 356 am 9. Oktober 1941). Sein Berufsbild hat sich seitdem nachhaltig verändert. Ausweislich der "Dienstanweisung Omnibus" der BVG ist der Fahrgast nicht der Empfänger einer staatlichen Leistung und der Adressat von Anweisungen, sondern "unser Kunde" (Nr. 10). "Das Fahrpersonal versteht sich als Gastgeber und Verkäufer einer attraktiven Dienstleistung (Nr. 3 Abs. 5 Punkt 1). Die mit der Ausübung des Hausrechts im Omnibus verbundenen Pflichten und Rechte sind in dieser Anweisung auf ein Minimum reduziert. Im Vordergrund stehen Begriffe wie "Kundenorientierung", "Sicherheit", "Leistung", "Umweltschutz".

Aus den Beförderungsbedingungen der BVG folgt nichts anderes. Zwar haben die Fahrgäste "den Anweisungen des Betriebspersonals zu folgen" (§ 4 Abs. 1 Satz 2); Ausnahmen von der Regel, die Fahrzeuge nur an den Haltestellen zu betreten und zu verlassen, bedürfen der Zustimmung des Betriebspersonals (§ 4 Abs. 3 Satz 1). Verletzt ein Fahrgast seine Pflichten, kann er von der Beförderung ausgeschlossen werden (§ 4 Abs. 5). Das Betriebspersonal kann Wagen und Plätze zuweisen (§ 5). Diese Regelungen gehen aber über übliche allgemeine Geschäftsbedingungen eines privaten Transportunternehmens zur Gewährleistung eines sicheren Transports nicht hinaus. Daß den Fahrern ihre Rechte nur aus dem vom Fahrgast mit dem Verkehrsunternehmen geschlossenen Vertrag und dem Hausrecht zustehen und sie keine weitergehenden Rechte haben als diejenigen, die auf einer solchen Grundlage jedermann zustehen, folgt auch § 4 Abs. 9 der Beförderungsbedingungen, die Zwangsmaßnahmen gegenüber einem Fahrgast ausschließlich auf § 229 BGB und § 127 Abs. 1 und 3 StPO zulassen. Mittel, gegen einen Fahrgast erfolgversprechend Zwang auszuüben, sind den Busfahrern nicht an die Hand gegeben. Vielmehr werden die Fahrer inzwischen fast tagtäglich ihrerseits Opfer körperlicher Angriffe von Fahrgästen, gegen die sie sich mangels aktiver und passiver Schutzausrüstung, deren Mitführung ihnen sogar untersagt ist, nicht wirksam wehren können.

2. Der Rechtsfolgenausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil das Urteil in diesem Punkt Mängel aufweist, welche die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme wie folgt bezeichnet hat:

"a) Soweit es die Bemessung der Geldstrafe betrifft, hat das Landgericht zwar einen minder schweren Fall der Körperverletzung im Amt angenommen. Die Bestimmung der Höhe der verhängten Geldstrafe hat es jedoch maßgeblich damit begründet, deutlich zu Lasten des Angeklagten wirke sich aus, dass ihn als Busfahrer eine Fürsorgepflicht traft, die seinem Verantwortungsbereich unterstellten Fahrgäste vor Schäden und Verletzungen zu schützen, und dass er sich genau entgegengesetzt verhalten habe (UA S. 13). Dies stellt - abgesehen davon, dass der Geschädigte W. den Bus und damit den Verantwortungsbereich des Angeklagten bereits verlassen hatte, als dieser ihn zu Fall brachte - einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB dar. Denn zum einen wird dem Angeklagten damit vorgeworfen, die Tat überhaupt begangen zu haben und zum anderen resultiert die seitens des Landgerichts angenommene besondere Fürsorgepflicht gerade aus der dienstlichen Verrichtung und der darauf beruhenden Amtsträgereigenschaft des Angeklagten, auf der der Schuldspruch wegen Körperverletzung im Amt beruht und die sich auch in dem Regelstrafrahmen es § 340 StGB niederschlägt.

Da das Landgericht - wie zuvor erörtert - die Voraussetzungen des Festnahmerechts verkannt hat, hat es zudem nicht erörtert, dass dem Angeklagten ein solches Recht an sich zustand und er lediglich die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten hat.

b) Auch die Verhängung des Fahrverbots von drei Monaten gemäß § 44 Abs. 1 StGB hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Das Landgericht geht davon aus, dass der Angeklagte die Tat in engem Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges, nämlich dem Führen eines Busses im öffentlichen Straßenverkehr, begangen hat (UA S. 14).

Im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges ist die Tat zum Einen begangen, wenn die Benutzung des Fahrzeuges der Förderung von Straftaten dient. Ein solcher Fall lag hier erkennbar nicht vor. Zum anderen kann auch ein Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges bestehen, wenn der Fahrer andere Verkehrsteilnehmer grob misshandelt. Tätliche Auseinandersetzungen kommen insoweit jedoch nur dann in Betracht, wenn die Auseinandersetzung ihren Anlass in einem Streit über das Fahrverhalten der Beteiligten hat. Da derart unbeherrschte Fahrer vom allgemeinen Kraftfahrzeugverkehr möglichst fernzuhalten sind, ist der äußere und innere Zusammenhang zwischen solchem Fehlverhalten mit dem Führen von Kraftfahrzeugen in Fällen dieser Art auch vor dem Hintergrund des besonderen Maßregelzwecks ausreichend erwiesen. Ein derartiger Zusammenhang ist jedoch zu verneinen, wenn der Streit nur gelegentlich einer Fahrt - etwa während einer Fahrtunterbrechung - stattfindet und keinen Bezug zu einem vorangegangenen Verkehrsvorgang aufweist (vgl. Geppert in Leipziger Kommentar, § 69 StGB Rdn. 39). So lag es hier. Der Umstand allein, dass der Geschädigte W. sich zuvor als Fahrgast in dem Bus des Angeklagten befand, genügt für den inneren und äußeren Zusammenhang mit dem Führen dieses Busses nicht. Ursache für die Handlung des Angeklagten war nicht das Führen des Fahrzeuges oder ein Verkehrsvorgang, sondern eine vorangegangene Beleidigung des Geschädigten W. zum Nachteil des Angeklagten, die ihrerseits ebenfalls ihre Ursache nicht in dem Fahrverhalten des Angeklagten hatte - z. B. dass dieser zu heftig gebremst hätte - sondern in dem Umstand, dass der Angeklagte nicht wunschgemäß anhielt. Damit hat er allenfalls seine übrigen Pflichten als Busfahrer gegenüber einem Fahrgast verletzt, jedoch steht dies nicht im Zusammenhang mit dem Führen des Fahrzeuges und betrifft nicht das Fahrverhalten des Angeklagten selbst."

Diese Ausführungen treffen zu; der Senat schließt sich ihnen an.

3. Der Senat hebt daher das Urteil im Umfang der Beschlußformel gemäß § 349 Abs. 4 StPO auf und verweist die Sache insoweit gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Bei der neuen Strafzumessung wird auch der lange Zeitraum zu berücksichtigen sein, den der Senat wegen des Vorrangs anderer Verfahren - im wesentlichen mit Untersuchungs- oder Strafhaft verbundenen Sachen - zur Bearbeitung dieser Revision benötigt hat. Soweit dieser - bei der Zumessung bereits ohnehin mildernd zu berücksichtigende - Zeitablauf als rechtsstaatswidrig zu beurteilen sein wird, weist der Senat darauf hin, daß der in Frage kommende Zeitraum genau zu bezeichnen ist und der Ausgleich nicht mehr mittels einer Verminderung der Strafe, sondern mittels des Ausspruchs zu gewähren ist, daß zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teils der Strafe als vollstreckt gilt (Vollstreckungslösung - vgl. BGH - Großer Senat für Strafsachen - NJW 2008, 860).



Ende der Entscheidung

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