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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.01.2007
Aktenzeichen: (2/5) 1 Ss 448/06 (73/06)
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 354
Zur Beantwortung der Frage, ob auf Freispruch durchzuentscheiden ist, kann das Revisionsgericht neben den Urteilsgründen auch den sonstigen Akteninhalt berücksichtigen (im Anschluss an KG, Beschluss vom 03.04.2006 - [5] 1 Ss 329/05 [12/06]).
Geschäftsnummer: (2/5) 1 Ss 448/06 (73/06)

In der Strafsache gegen

wegen Vergehens gegen das Ausländergesetz

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 17. Januar 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. September 2006 aufgehoben.

Die Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die der Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse Berlin zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin - 285b Cs 77/03 - hat die Angeklagte mit Urteil vom 26. August 2004 von dem Vorwurf des Einschleusens von Ausländern (§ 92a Abs. 1 Nr. 1 AuslG) aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Berlin die Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz mit dem angefochtenen Urteil vom 6. September 2006 zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts - wie sich aus der Begründung ergibt, indes auch des formellen Rechts - rügt, hat Erfolg; sie führt zum Freispruch.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu der Revision unter anderem ausgeführt:

"1. Die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhobenen formellen Beanstandungen, die ohnehin nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügen, bedürfen keiner weiteren Erörterung, da das Urteil bereits auf die Sachrüge aufzuheben ist.

2. Die Feststellungen tragen nicht die Verurteilung. Der inneren Überzeugung des Landgerichts, die Angeklagte habe trotz einvernehmlich geschlossener "Scheinehe" gegenüber dem Landeseinwohneramt Berlin das Bestehen einer "eheliche(n) Gemeinschaft" mit dem Zeugen Öz. behauptet, mangelt es an der äußeren Grundlage.

a) Eine Verurteilung der Angeklagten setzt nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG - ebenso wie die zur Tatzeit geltende Vorschrift des § 29 Abs. 2 Nr. 2 AuslG - voraus, dass die Angeklagte "unrichtige ... Angaben macht, um für ... einen anderen einen Aufenthaltstitel (früher: eine Aufenthaltsgenehmigung) ... zu beschaffen". Da das der Angeklagten zur Last gelegte Vergehen nur vorsätzlich (§ 15 StGB) begangen werden kann, müssen die Urteilsgründe Tatsachen für die Annahme darlegen, dass beide Ehegatten die ausländerrechtlich erhebliche Erklärung mit dem Wissen abgeben, mindestens ein Ehepartner werde die eheliche Lebensgemeinschaft nicht aufnehmen oder fortsetzen (vgl. BayObLG Beschluss vom 22. September 1989 - RReg 4 St 200/89 < JURIS > -).

Dass die Angeklagte mit diesem Wissen am 28. April 1998 die ihr zur Last gelegte Erklärung falsch abgegeben hat, weisen die Urteilsgründe nicht aus. Das Landgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass der Zeuge Öz. von Anfang an keine dauerhafte eheliche Gemeinschaft mit der Angeklagten wollte, und hat diese - nahe liegende - Feststellung auf die Angeklagte projiziert. Es muss nicht nur ein Fassungsversehen sein, dass das Landgericht feststellt, dass "dem Angeklagten" (gemeint ist der Zeuge Öz.) bei zutreffenden Angaben keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden wäre. Der nahe liegenden Möglichkeit, dass die Angeklagte am 28. April 1998 noch an den Fortbestand der ehelichen Gemeinschaft geglaubt hat und dass sie tatsächlich eine "Leidensgenossin" ist, hat das Landgericht keine Beachtung geschenkt.

b) Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Schuld der Angeklagten "maßgeblich" auf das Scheidungsurteil vom 10. März 2000 und die An- und Abmeldung des Zeugen Öz. vom 29. April 1998. Beide Schriftstücke enthalten zum Wissensstand der Angeklagten am 28. April 1998 nichts. Die Begründung des in dem Scheidungsurteil ausgeschlossenen Versorgungsausgleichs, "dass es zu keiner dauerhaften Lebens- und Versorgungsgemeinschaft gekommen ist", beschreibt lediglich rückblickend den Zustand im Zeitpunkt der Urteilsverkündung, gibt aber keinen Aufschluss über die Vorstellungen der Angeklagten über das Fortbestehen der ehelichen Gemeinschaft am 28. April 1998. Die An- und Abmeldung vom 29. April 1998 mag Anhaltspunkte für den fehlenden Wahrheitsgehalt der Angaben des Zeugen Öz. enthalten, besagt über den Kenntnisstand der Angeklagten ebenfalls nichts. Dass diese am 28. April 1998 wusste, der Zeuge werde sich am Folgetag nach Mö. abmelden, hat das Landgericht nicht festgestellt. Dies ergibt sich auch nicht aus der Erklärung der Angeklagten, der Zeuge habe nur im Großraum Frankfurt, nicht aber in Berlin Arbeit gefunden.

Aus der "ferner" bemühten Aussage der Zeugin Sa. ergibt sich für die innere Tatseite der Angeklagten ebenfalls nichts. Diese Zeugin hat nach den Urteilsgründen "keine Angaben zu der Beziehung" der damaligen Eheleute machen können. Ihrer Behauptung, die Angeklagte habe für die Eheschließung Geld gefordert und bekommen, ist das Landgericht nicht gefolgt, weil sich dies "nicht zweifelsfrei" klären ließ. Ihre Angabe, der Zeuge Öz. habe ihr anvertraut, er habe die Angeklagte nicht geliebt, sagt über die Gefühlswelt der Angeklagten ebenfalls nichts aus.

Aus welchen Gründen die Unkenntnis der Angeklagten von den Auszugsplänen des Zeugen "wegen der räumlichen Nähe" als "völlig lebensfremd" zu erachten ist, verschweigt das Landgericht. Nach den - insoweit unergiebigen - Urteilsgründen ist es nicht gerade nahe liegend, dass der Zeuge mit großem Gepäck bei der Angeklagten eingezogen ist. Auch bei räumlicher Nähe bedarf der Auszug mit leichtem Gepäck keiner tagelangen Vorbereitung, die die Angeklagte als Beendigung der Lebensgemeinschaft hätte werten müssen.

Die Ansicht des Landgerichts, dass die unterlassene Mitteilung über den Auszug des Zeugen aus der ehelichen Wohnung an das Landeseinwohneramt "nur den Schluss zulässt", dass der Auszug wie von Anfang an von beiden geplant einverständlich erfolgte, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es mag sein, dass es "sitzengelassene" Ehefrauen gibt, die wie vom Landgericht erwartet reagiert hätten. Ein zwingender Schluss ist hier aber rechtsfehlerhaft. Jedenfalls hätte das Landgericht zumindest bedenken müssen, dass sich die Angeklagte im Falle der Mitteilung dem Verdacht der ihr zur Last gelegten Straftat selbst ausgesetzt hätte und dass schon die Tatsache, sich als "sitzengelassene" Ehefrau zu offenbaren, nicht jeder Betroffene leicht fällt."

Diese Ausführungen treffen zu und begründen die Aufhebung des Urteils.

3. Der Senat teilt jedoch nicht die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die Angeklagte sei gleichwohl nicht freizusprechen, vielmehr sei die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückzuverweisen, weil weitere Feststellungen (hinzuzufügen ist: die eine Verurteilung tragen können) nicht ausgeschlossen erschienen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin geht dabei von der (durch seinen Beschluß vom 3. April 2006 - (5) 1 Ss 329/05 (12/06) = NStZ-RR 2006, 276 = StraFo 2006, 413) überholten Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluß vom 21. Juli 1999 - (5) 1 Ss 338/98 (62/98) -; in jener Sache hatte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin (damals: Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht) bereits die jetzige, geänderte Auffassung des Senats vertreten) aus, wonach die Frage, ob noch weitere relevante Feststellungen getroffen werden können, allein nach den Gründen des angefochtenen Urteils, nicht hingegen auch nach dem Akteninhalt zu beantworten ist.

Hier sind auch unter Auswertung des Akteninhaltes weitere Feststellungen, die eine Verurteilung tragen könnten, nicht zu erwarten. Das als eine solche Feststellung von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vorgeschlagene Datum des Arbeitsvertrages verspricht keinen dahingehenden Aufschluß. Denn nach der Vorgehensweise Öz. (des geschiedenen Ehemannes der Angeklagten) spricht nichts dafür, daß die Angeklagte einen etwaigen Arbeitsvertrag kannte. Es ist schon unwahrscheinlich, daß ein solcher überhaupt existiert, da Öz. in Mö. in dem Grill-Restaurant seines Vaters und seiner Schwester, bei der er auch wohnte, illegal arbeitete (Aussage der Zeugin Sa. in ihren Vernehmungen vom 29. Januar 2002, 9. Januar 2004 und 10. Juni 2005; Beschuldigtenvernehmung der Angeklagten vom 21. Januar 2003). Es ist deshalb - zumal nach etwa sieben Jahren und acht Monaten - auch nicht zu erwarten, daß sich der dortige genaue Arbeitsbeginn, den die Generalstaatsanwaltschaft Berlin als mögliche verurteilungsrelevante Indiztatsache erachtet, noch feststellen lassen wird, zumal da Vater und Schwester Öz. ein Aussageverweigerungsrecht (§ 52 StPO) haben. Das gesamte Verhalten Öz., der inzwischen die dritte türkischstämmige Ehefrau mit deutscher Staatsangehörigkeit geheiratet hat (Aussage der Zeugin Sa. in ihrer Vernehmung vom 9. Januar 2004), läßt vielmehr allenfalls den Schluß zu, daß die Eheschließungen mit den Frauen für ihn - nicht auch für die Angeklagte - der Sicherung seines Aufenthaltsrechts in Deutschland dienten. Die Angeklagte (in ihrer Beschuldigtenvernehmung und der Erklärung in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht) und Öz. (in seiner Vernehmung vom 26. Februar 2004) haben übereinstimmend angegeben, er sei wegen der Arbeitsstelle nach Mö. gezogen, habe auch für die Angeklagte in Frankfurt eine solche gesucht und gefunden, sie sei aber wegen ihrer Kinder nicht zu ihm gezogen. Die Angeklagte hat hinzugefügt, sie habe bis 1999 eine "Wochenendehe" mit ihm geführt und es sei deswegen und weil er dort eine Frau kennengelernt habe, zur Scheidung gekommen. Es ist nicht erkennbar, daß diesen Angaben, die aus sich heraus nicht unplausibel sind, Beweisergebnisse entgegengesetzt werden könnten, die geeignet wären, die Überzeugung eines neuen Tatrichters zu begründen, auch die Angeklagte habe eine Scheinehe geschlossen und falsche Angaben gegenüber der Ausländerbehörde gemacht, um ihrem geschiedenen Ehemann den Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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