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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.09.2005
Aktenzeichen: (3) 1 Ss 340/05 (86/05)
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 21 Abs. 1 Nr. 2
StVG § 21 Abs. 2 Nr. 1
Zu den Sorgfaltspflichten eines Halters bei Überlassen eines KFZ an andere (hier Aufhebung der Verurteilung und "Durchentscheidung" auf Freispruch).
Geschäftsnummer: (3) 1 Ss 340/05 (86/05)

In der Strafsache gegen

wegen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 16. September 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 4. April 2005 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 StVG in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je 30,-- Euro verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.

Das Amtsgericht hat festgestellt:

Der Angeklagte ist verheiratet und Vater eines 25-jährigen Sohnes namens S. und einer Tochter, die noch im Haushalt lebt, während sein Sohn seit ca. April 2003 nicht mehr zu Hause wohnt. Seit (jedenfalls) November 2003 - soweit es im Urteil "2004" heißt, handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen - war S. als Dachdecker in derselben Firma beschäftigt, in der auch der Angeklagte tätig ist. Nachdem S. bereits seit März 2004 mit einem Firmen-Pkw auf Montage unterwegs war, erhielt der Angeklagte im Mai 2004 von seinem Arbeitgeber den Auftrag, einen VW Kombi vom Firmensitz in Marburg zu verbringen und ihn S. als Mitarbeiter der Firma zu übergeben. Die Übergabe des Fahrzeugs erfolgte im Mai 2004 in Bärenstein, wo der Angeklagte das Fahrzeug nebst Schlüsseln und Papieren offen auf seinem Hof abstellte und so dem S. überließ. Davon, daß dieser im Besitz einer Fahrerlaubnis war, hatte sich der Angeklagte nicht überzeugt, wie er sich auch keinen Führerschein hatte zeigen lassen. S. übernahm sodann, wie mit seinem Arbeitgeber und seinem Vater vereinbart, das Fahrzeug vom Hof seines Vaters, obwohl er - wie er genau wußte - nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war. Diese war ihm bereits im Jahr 2003 anläßlich eines Drogenverstoßes entzogen worden. Am 31. August 2004 gegen 7.55 Uhr befuhr S. sodann mit dem VW Kombi den Wolfensteindamm in Berlin-Steglitz, wo er einen Unfall verursachte und sich anschließend vom Unfallort entfernte, ohne die erforderlichen Feststellungen zu treffen (UA S. 2).

Das Amtsgericht hat die Einlassung des Angeklagten als unwiderlegt angesehen, daß er seinem Sohn das Fahrzeug niemals übergeben hätte, wenn er geahnt hätte, daß dieser nicht mehr im Besitz einer Fahrerlaubnis sei. Dies habe S. sowohl ihm als auch seinem Arbeitgeber gegenüber verschwiegen (UA S. 2/3).

In der rechtlichen Würdigung heißt es, der Angeklagte habe sich eines Vergehens des fahrlässigen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach §§ 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StVG schuldig gemacht, da er von seiner Firma eindeutig die Aufgabe übertragen bekommen habe, dem S. den Pkw zu übergeben, so daß er Verfügungsberechtigter und Verantwortlicher im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB gewesen sei. Er habe gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen, indem er sich vor Aushändigung des Wagens nicht darüber versichert habe, daß sein Sohn auch im Besitz einer Fahrerlaubnis gewesen sei, oder sich zumindest den Führerschein habe zeigen lassen oder auch bei seinem Sohn, der nach den eigenen Angaben des Angeklagten seit über zwei Jahren nicht mehr bei ihm gewohnt habe, nachgefragt habe (UA S. 3).

Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässigen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht, denn das Urteil ist jedenfalls deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Amtsgericht im vorliegenden Fall die Anforderungen an die von ihm als gegeben angesehene Sorgfaltspflichtverletzung als zu niedrig angesetzt hat.

Zwar muß der Fahrzeughalter, der einem anderen ein Kraftfahrzeug zur Führung überläßt, grundsätzlich vorher prüfen, ob dieser im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis ist. Hierbei sind an seine Sorgfaltspflicht strenge Anforderungen zu stellen. Er ist deshalb grundsätzlich verpflichtet, sich zunächst den Führerschein zeigen zu lassen. Das gilt jedoch dann nicht, wenn er bereits vorher sichere Kenntnis davon erlangt hatte, daß der andere über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügte. In einem solchen Fall darf er grundsätzlich vom Fortbestehen der einmal erteilten Fahrerlaubnis ausgehen. Daß diese dem anderen inzwischen entzogen worden sein könnte, braucht er nur dann in Rechnung zu stellen, wenn besondere Umstände, die er kennt oder bei pflichtgemäßer Sorgfalt kennen könnte und müßte, auf eine solche Möglichkeit hindeuten. Solange letzteres nicht der Fall ist, muß der Halter nicht prüfen, ob die ihm bekannte Fahrerlaubnis des anderen noch fortbesteht. Er muß sich deshalb auch nicht, bevor er diesem das Kraftfahrzeug zur Führung überläßt, (erneut) dessen Führerschein vorlegen lassen. Dies wird besonders deutlich in Fällen, in denen - beispielsweise im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses - einer Person die Führung eines Kraftfahrzeugs wiederholt überlassen wird. Es wäre eine Überspannung der Sorgfaltspflicht und würde an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen, würde man vom Halter verlangen, er müsse sich vor jeder Fahrzeugüberlassung erneut den Führerschein vorlegen lassen (vgl. BayObLG DAR 1978, 168 [juris]; BayObLG DAR 1988, 387 [juris]; s. auch OLG Koblenz VRS 60, 56; Hentschel, StVR 38. Aufl., StVG § 21 Rdn. 12).

Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für den vom Fahrzeughalter nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB Beauftragten.

Umstände, die darauf hindeuteten, der Sohn des Angeklagten sei nicht mehr im Besitz der Fahrerlaubnis gewesen, hat das Amtsgericht indes nicht festgestellt. S. wohnte jedenfalls seit ca. April 2003 nicht mehr im Haushalt des Angeklagten. Daß ihm die Fahrerlaubnis im selben Jahr entzogen worden war, hat er sowohl dem Angeklagten als auch dem gemeinsamen Arbeitgeber gegenüber verschwiegen. Jedenfalls seit November 2003 waren Vater und Sohn in derselben Firma beschäftigt. Bereits seit März 2004 war S. mit einem Firmen-Pkw auch auf Montage unterwegs und im Mai 2004 erhielt der Angeklagte von seinem Arbeitgeber den Auftrag, S. das Fahrzeug als Mitarbeiter der Firma zu übergeben, was der Angeklagte dann auch tat. Unter diesen Umständen tragen die Feststellungen den vom Amtsgericht angenommenen Fahrlässigkeitsvorwurf nicht.

Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, hebt der Senat das angefochtene Urteil auf und spricht den Angeklagten frei.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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