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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 25.05.2007
Aktenzeichen: (3) 1 Ss 36/07 (20/07)
Rechtsgebiete: BtMG, StGB


Vorschriften:

BtMG § 29a
StGB § 34
Wer Betäubungsmittel im Rahmen einer schmerzlindernden Eigentherapie konsumiert und selbst anbaut, kann sich nur ausnahmsweise auf den Rechtfertigungsgrund des Notstandes berufen. An eine solche Notstandslage sind hohe Anforderungen zu stellen.
Geschäftsnummer: (3) 1 Ss 36/07 (20/07)

In der Strafsache gegen

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin aufgrund der Hauptverhandlung vom 25. Mai 2007, an der teilgenommen haben: ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Oktober 2006 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten durch Urteil vom 28. April 2004 von dem Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben freigesprochen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat ihn das Landgericht am 10. Oktober 2005 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision des Angeklagten durch Beschluss vom 27. Januar 2006 aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Diese hat am 23. Oktober 2006 die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 28. April 2004 verworfen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Dem Rechtsmittel kann der Erfolg nicht versagt werden.

Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei den objektiven Tatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG bejaht - zur Frage des weiteren tateinheitlichen Vorwurfs des Handeltreibens verhält es sich nicht -, die Annahme, das Handeln des Angeklagten sei durch Notstand gerechtfertigt, tragen jedoch die Feststellungen nicht. Wenngleich allgemein anerkannt ist, dass sich auf den Rechtfertigungsgrund des Notstandes (§ 34 StGB) auch berufen kann, wer Betäubungsmittel im Rahmen einer schmerzlindernden Eigentherapie konsumiert und gegebenenfalls selbst anbaut [vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26.2.1999 Ss 51/99-23 -in juris; OLG Karlsruhe NJW 2004, 3645; KG StV 2003, 167 und Beschluss vom 1. November 2001 -(4) 1 Ss 39/01 (50/01)-], sind an das Vorliegen einer den Anbau und den Konsum von Betäubungsmitteln rechtfertigenden Notstandslage so hohe Anforderungen zu stellen, dass sie nur in besonders herausragenden Ausnahmefällen in Betracht kommt. So ist nicht nur eingehend zu prüfen, ob die beabsichtigte Linderung der Beschwerden auch mit anderweitiger Hilfe möglich gewesen wäre, sondern das Urteil muss darüber hinaus erkennen lassen, dass die - hier dem Angeklagten ohne den Konsum des Betäubungsmittels - drohende Gefahr so exorbitant und atypisch ist, dass sie in die Erwägungen der speziellen Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes keinen Eingang gefunden hat [vgl. OLG Köln a.a.O.]. Denn nur in diesem Fall dürfte eine Situation vorliegen, in der das individuell beeinträchtigte Interesse das durch die gesetzliche Spezialregelung geschützte wesentlich überwiegt. Um eine revisionsrechtliche Prüfung zu ermöglichen, muss das Urteil daher eine präzise Darstellung der körperlichen und seelischen Verfassung des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat enthalten, die ärztlich verordnete Therapie und deren Wirkung beschreiben und nicht nur eingehend darlegen, welche Versuche der Angeklagte unternommen hat, um sich auf legalem Wege Linderung zu verschaffen, sondern auch mitteilen, ob und in welchem Umfang der Konsum der Betäubungsmittel zu einer nicht nur unerheblichen Verbesserung der Verfassung des Angeklagten geführt hat bzw. hätte führen können. Sofern darüber hinaus der Konsum der Betäubungsmittel trotz unveränderter oder schlechter gewordener körperlicher und seelischer Verfassung nach der Tat nicht mehr fortgesetzt wurde, ist darzulegen, ob und bejahendenfalls mit welchen Mitteln und welchem Erfolg der Angeklagte nunmehr seine Leiden zu lindern versucht und inwieweit er sich dieser Behandlungsmöglichkeiten schon zur Tatzeit bewusst gewesen ist.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Urteilsfeststellungen sind lückenhaft und legen die Annahme nahe, dass die Strafkammer der Prüfung, ob der Besitz von Betäubungsmitteln seitens des schwerkranken Angeklagten durch Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt ist, Umstände zu Grunde gelegt hat, die erst nach der Tat (19. November 2002) eingetreten sind.

So lassen die Urteilsausführungen weder erkennen, wann im Jahre 2002 bei dem Angeklagten eine chronische Hepatitis C festgestellt wurde, noch weisen sie aus, ob er seinen ersten Erlaubnisantrag bei dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte noch vor der verfahrensgegenständlichen Tat gestellt hat und wann dieser abschlägig beschieden worden ist.

Soweit das Urteil die körperliche und seelische Verfassung des Angeklagten beschreibt, bleibt unklar, welches Krankheitsbild zur Tatzeit bestanden hat und von der Strafkammer der Beurteilung der Notstandslage zu Grunde gelegt worden ist. Denn die Feststellungen des Urteils, dass bei dem Angeklagten "vor zwei Jahren... eine schwere Polyneuropathie in den Beinen und den Füßen sowie eine Myopathie" diagnostiziert worden seien, die zu einer starken Beeinträchtigung seiner Gangsicherheit, häufigen Stürzen und Verletzungen der linken Hüfte geführt hätten (UA S. 4), gelten ersichtlich für einen nach der Tat liegenden Zeitpunkt. Gänzlich ohne nähere zeitliche Eingrenzung heißt es an anderer Stelle, dass "Mund, Schlund, Atemwege, Speiseröhre und Magen von Pilzen befallen" seien und der Angeklagte unter Angst und Depressionen, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Schlafstörungen und Hautjucken leide (UA S. 4). Auch die Auflistung der von dem Angeklagten eingenommenen Medikamente erfolgt ohne zeitliche Einordnung und wann sich herausstellte, dass "die Schmerzzustände in den Beinen ... mit schulmedizinischen Mitteln nicht beherrschbar und eine Morphintherapie ... angesichts der früheren Opiatabhängigkeit kontraindiziert" seien (UA S. 5), wird gleichfalls nicht mitgeteilt. Demgegenüber läßt die Feststellung, dass der Sachverständige "bezüglich der Muskelschwäche bzw. Beseitigung der Gangunsicherheit... keine positive Wirkung durch die Einnahme von Cannabis" habe erkennen können (UA S. 10), besorgen, dass die Kammer ihrer Wertung Umstände zu Grunde gelegt hat, die erst nach der Tat eingetreten sind, denn diese Beschwerden sollen, wie das Urteil an anderer Stelle feststellt, erst vor zwei Jahren aufgetreten sein.

Angesichts dessen vermag der Senat nicht prüfen, ob sich der Angeklagte am 19. November 2002 in einer Lage befand, in der - ungeachtet des unberücksichtigt gebliebenen Handeltreibens - der Besitz und Konsum der Betäubungsmittel als geeignete und erforderliche Notstandshandlungen gewertet werden können. Er hebt daher das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

Ende der Entscheidung

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