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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.06.2009
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 170/09 (136/09)
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 125 Abs. 1 Nr. 1 |
KAMMERGERICHT Beschluss
Geschäftsnummer: (4) 1 Ss 170/09 (136/09)
In der Strafsache
wegen Landfriedensbruchs u.a.
hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 17. Juni 2009 beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 4. Februar 2009 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.
1. Der gegen den Angeklagten ergangene Schuldspruch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, da die getroffenen Feststellungen lückenhaft sind.
Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte, der zuvor Bier in nicht unerheblicher Menge zu sich genommen hatte, befand sich am späten Abend des 1. Mai 2008 inmitten einer etwa 40 Personen umfassenden Gruppe in Berlin-Kreuzberg im Bereich der Mittelinsel der Wiener Straße an der Einmündung der Skalitzer Straße, während sich in diesem Kreuzungsbereich insgesamt etwa 800 Personen und diverse Einsatzgruppen der Polizei aufhielten. In der Gruppe des Angeklagten befanden sich maskierte und unmaskierte Personen, die Wurfgegenstände auf eine Einsatzgruppe der Polizei warfen, die sich im Kreuzungsbereich unterhalb der dortigen Hochbahnlinie der BVG aufhielten, ohne dass festgestellt werden konnte, ob diese Einsatzgruppe zu diesem Zeitpunkt eine polizeiliche Maßnahme vornahm. Der Angeklagte beteiligte sich an den Aktivitäten seiner Gruppe, indem er eine Bierflasche aus Glas vom Boden aufnahm und gezielt in Richtung der unter der Hochbahnlinie eingesetzten Polizeibeamten schleuderte, wobei er zumindest billigend in Kauf nahm, dadurch einen Polizeibeamten zu verletzen. Feststellungen dazu, ob ein Polizeibeamter von der Flasche getroffen wurde, konnten nicht getroffen werden.
a) Die Feststellungen belegen nicht in ausreichendem Maße, dass der Angeklagte mit dem Flaschenwurf unmittelbar dazu angesetzt hat, mittels eines gefährlichen Werkzeugs einen der Polizeibeamten der Einsatztruppe körperlich zu misshandeln bzw. an der Gesundheit zu schädigen, dass also der Entschluss des Angeklagten darauf gerichtet war, die Tat mittels eines Gegenstandes zu begehen, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung im Einzelfall zur Zufügung erheblicher Körperverletzungen geeignet ist. Denn ihnen ist zum einen nicht zu entnehmen, welcher Art und Größe die Glasflasche war, die der Angeklagte in Richtung der Polizeibeamten warf. Ferner fehlen Feststellungen zum räumlichen Abstand zwischen den Polizeibeamten und dem Angeklagten, als dieser die Flasche in deren Richtung warf. Die Urteilsgründe lassen überdies offen, ob Feststellungen dazu möglich waren, wo und gegebenenfalls in welchem Abstand zu den Polizeibeamten die vom Angeklagten geworfene Flasche aufschlug. Auch unterlässt es das Amtsgericht, Feststellungen in Bezug auf eine mögliche Schutzbekleidung der Polizeibeamten und deren Blickrichtung im Moment des Flaschenwurfs zu treffen.
b) Soweit das Amtsgericht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 125 Abs. 1 Nr. 1 StGB als gegeben ansieht, versteht der Senat die diese Würdigung tragenden - sehr knappen - tatsächlichen Feststellungen dahin, dass der Angeklagte sich als Angehöriger einer Gruppe von ca. 40 Personen - im Sinne einer faktischen Vereinigung der Kräfte - durch den Flaschenwurf an den Gewalttätigkeiten (Flaschen- und Steinwürfe) der Angehörigen eben dieser zumindest in Teilen unfriedlichen Gruppe beteiligt hat. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, auch insoweit gegebenenfalls genauere Feststellungen zu treffen.
3. Ausweislich der Revisionsbegründung will der Angeklagte die Urteilsfeststellungen insoweit von seinem Rechtsmittel ausnehmen, als das Amtsgericht die Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit angenommen hat. Diese Beschränkung ist nicht wirksam. Denn die Dispositionsfreiheit eines Rechtsmittelführers ist nicht unbegrenzt; der rechtlich erforderliche Umfang eines Rechtsmittels kann unter Umständen weiter reichen, als es der Rechtsmittelführer erstrebt. Insbesondere kann, wenn - wie hier - der Schuldspruch der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterworfen wird, von dieser Prüfung nicht ein Teilaspekt der Strafzumessung ausgenommen werden. Da der Schuldspruch Grundlage aller weiteren Entscheidungen ist, wird mit dem Angriff auf ihn auch der Strafausspruch in Frage gestellt. Denn mit der neuen Erörterung der Schuldfrage durch das Amtsgericht wird auch eine neue Grundlage für den Strafausspruch geschaffen. Die Dispositionsfreiheit des Rechtsmittelführers reicht nicht soweit, den Strafausspruch oder gar nur einzelne, diesen betreffende Feststellungen von seinem Rechtsmittel auszunehmen (vgl. zu § 318 StPO: OLG Stuttgart NJW 1982, 897 m.w.Nachw.).
Das angefochtene Urteil war daher insgesamt aufzuheben und die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.
4. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass im Rahmen der gegebenenfalls erforderlichen Prüfung, ob die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs gemäß § 125a StGB verwirklicht sind, zunächst zu erwägen sein wird, ob ein Fall des § 125a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB gegeben ist. Sollte dies verneint werden, wird hinsichtlich des Vorliegens eines unbenannten besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs eingehend zu prüfen sein, ob aufgrund einer Gesamtwürdigung nach dem gesamten Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente, der Persönlichkeit des Angeklagten, des Nachtatverhaltens und sonstiger Umstände die Tat in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt den Regelbeispielen des § 125a StGB vergleichbar ist (vgl. Krauß in LK, StGB 12. Aufl., § 125a Rdnr. 27).
Sollte das Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Angeklagte eines Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall schuldig ist, weist der Senat auch darauf hin, dass es sich bei § 125a StGB nicht um eine den Landfriedensbruch qualifizierende Vorschrift, sondern um eine Strafzumessungsregel handelt, deren Vorliegen nicht in die Urteilsformel aufzunehmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 1998 - 3 StR 591/97 - bei juris).
Ende der Entscheidung
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