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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 24.07.2009
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 235/09 (150/09)
Rechtsgebiete: GG, TierSchG


Vorschriften:

GG Art. 20a
TierSchG § 17 Nr. 1
Das Töten zweier Kaninchen durch Genickbrechen und Abschlagen der Köpfe im Rahmen einer Kunstinszenierung kann bei Vorliegen weiterer Umstände, die den Akt der Tötung in den Vordergrund stellen, indem diese gleichsam zelebriert und dem Publikum die Leichtigkeit der bewussten Tötung von Tieren der betroffenen Art vor Augen geführt wird, zur Bewertung des Vorgangs als sinnlose Tötung im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG führen.

Auch mit Blick auf die Kunstfreiheit ist eine Güter- und Pflichtenabwägung vorzunehmen. Das in Art. 20a GG vorgegebene und in § 17 Nr. 1 TierSchG konkretisierte Ziel, einen verantwortungsvollen Umgang mit Tieren zu erreichen, ist legitimer Zweck einer Einschränkung der Kunstfreiheit.


KAMMERGERICHT

Beschluss

Geschäftsnummer: (4) 1 Ss 235/09 (150/09)

In der Strafsache gegen

wegen Tötens von Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 24. Juli 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. Februar 2009 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Die Gegenerklärung des Verteidigers des Angeklagten X vom 6. Juli 2009 hat vorgelegen; sie führt zu keiner von der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin abweichenden Beurteilung. Der Senat bemerkt dazu und zu den Revisionsbegründungen Folgendes:

Gründe:

1. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Angeklagten in mittäterschaftlichem Zusammenwirken die beiden Kaninchen "ohne vernünftigen Grund" im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG getötet haben. Als vernünftig ist ein Grund anzusehen, der triftig, einsichtig sowie von einem schutzwürdigen Interesse getragen ist und unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse an der Unversehrtheit und am Wohlbefinden des Tieres (vgl. Metzger in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 1 TierSchG Rdn. 24; Pfohl in MK-StGB, § 17 TierSchG Rdn. 34).

Zwar kann in der Fleischgewinnung ein vernünftiger Grund für das Töten von Wirbeltieren liegen (vgl. Ort/Reckewell in Kluge, Tierschutzgesetz, § 17 Rdn. 165f. m.w.N.; Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz 6. Aufl., § 1 Anh. Rdn. 21, § 17 Rdn. 19; Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz 2. Aufl., § 1 Rdn. 47; kritisch: Caspar NuR 1997, 577ff.); um eine solche ging es vorliegend aber nicht primär. Werden mit einem Eingriff mehrere Zwecke verfolgt, so ist für die Rechtfertigung allein der - nach objektiver Betrachtung zu bestimmende - Hauptzweck maßgeblich (vgl. Hirt/Maisack/Moritz aaO. § 1 Rdn. 39 m.w.N.). Nicht gerechtfertigt ist eine Tötung, wenn sie hauptsächlich um ihrer selbst Willen erfolgt oder im Mittelpunkt des Interesses des Tötenden steht. So liegt bei Jagd- oder Beuteerstreben auch dann kein vernünftiger Grund vor, wenn das Tier später noch verzehrt werden soll (vgl. Lorz/Metzger aaO. § 1 Anh. Rdn. 21, § 17 Rdn. 19; OLG Celle NStZ 1993, 291f.). Die hier zu betrachtenden Tötungshandlungen dienten in erster Linie - daran besteht nach den Urteilsgründen kein Zweifel - einem anderen Zweck als dem der Nahrungsgewinnung. Den Angeklagten ging es zwecks Umsetzung ihres künstlerischen Projekts um eine möglichst publikumswirksame Tötung der beiden Tiere, die zudem "speziell für die Kunstinszenierung (...) besorgt" worden waren. Die gesamte Vorführung, die entsprechend beworben wurde, war hierauf ausgerichtet, die Tötung war gleichsam deren Hauptbestandteil. Dass die Tiere eine Woche später noch gegessen wurden, ändert daran nichts; die Tötung der Kaninchen zur Nahrungsgewinnung hätte schon vor der "Performance" und insbesondere unter Beachtung der lebensmittelrechtlichen Hygienebestimmungen erfolgen können. Bei der Prüfung, ob das tatbestandsmäßige Verhalten "als im Lebenszusammenhang gerechtfertigt" erscheint (vgl. dazu OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 155 m.w.N.; Metzger aaO. Rdn. 23), zeigt sich, dass das vorliegende Geschehen nicht als sozial adäquater Vorgang der Fleischgewinnung zu betrachten ist. Dies erhellt auch das weitere vom Landgericht festgestellte Geschehen. So wurde etwa der weiße Anzug des Angeklagten Richwien bewusst mit Blut besudelt, ein abgehackter Kaninchenkopf - der zweite war beim Versuch des Abtrennens vom Körper versehentlich zertrümmert worden - wurde in einem Glas mit einer Formaldehydlösung zur Schau gestellt und (als "Hase in Phormol") für 9.800 Euro zum Verkauf angeboten. Bei dieser Sachlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht - dem amtsgerichtlichen Urteil folgend - den Akt des Tötens nicht als dem späteren Verzehr untergeordnet, sondern als im Vordergrund stehend bewertet hat.

Eine andere Betrachtung ist durch den von den Revisionsführern vorgebrachten Hinweis auf den Dokumentarfilmer, der über Schlachtbetriebe berichtet und dabei die dortigen Arbeitsabläufe zeigt, nicht begründet. Die Konstellationen sind von vornherein nicht vergleichbar. Bei den im Dokumentarfilm gezeigten Schlachtungen geht es um die Fleischgewinnung. Die Tötung der Tiere geschieht dort nicht eigens zur Darstellung in einem Film; vielmehr werden die ohnehin und allein zur Versorgung mit Fleischprodukten stattfindenden Nutztierschlachtungen schlicht dokumentiert.

2. Die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG - die weiteren von den Beschwerdeführern angeführten Grundrechte können den Rechtsmitteln ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen - schließt die Verurteilung entgegen der Ansicht der Revisionen nicht aus. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob die verfassungsrechtliche Gewährleistung auf der Ebene des Tatbestands Bedeutung gewinnt oder bei der Rechtswidrigkeit.

a) Der Senat lässt dahinstehen, ob angesichts der Regelung in § 3 Nr. 6 TierSchG, der untersagt, ein Tier zu einer Schaustellung, Werbung oder ähnlichen Veranstaltung heranzuziehen, sofern damit Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind, überhaupt eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Tierschutz geboten oder ob eine solche - wie teilweise vertreten wird (vgl. Caspar aaO.; Ort/Reckewell aaO. Rdn. 160; Pfohl aaO. Rdn. 36; wohl auch Metzger aaO. Rdn. 28; LG Köln NuR 1991, 42; zur Bedeutung des Verbotskatalogs des § 3 TierSchG für die Frage der Sozialadäquanz s. auch OLG Hamm NStZ 1985, 275) - wegen dieser ausdrücklichen gesetzlichen Grenzziehung entbehrlich ist.

b) Denn auch eine Güter- und Pflichtenabwägung unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit ergibt, dass die grundrechtliche Gewährleistung bei der Verurteilung der Angeklagten nicht missachtet wurde. Das gesamte Tierschutzgesetz wird von dem mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in Einklang stehenden Leitgedanken beherrscht, Tieren nicht "ohne vernünftigen Grund" Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen (vgl. BVerfGE 36, 47, 57; 48, 376, 389; OLG Koblenz aaO.). Entgegen der Ansicht der Revision geht die schrankenlos gewährleistete Kunstfreiheit dem Tierschutz nicht von vornherein vor. Anderslautende Einzelentscheidungen (etwa AG Kassel NStZ 1991, 443 mit abl. Anm. Selk) lassen sich - wollte man sie überhaupt anerkennen - jedenfalls nicht mehr aufrechterhalten (vgl. Pfohl aaO. Rdn. 111; Kloepfer in Bonner Kommentar zum GG, Art. 20a Rdn. 91f.). Jedes Grundrecht unterliegt vielmehr verfassungsimmanenten Schranken; zu diesen gehören auch Staatszielbestimmungen, die den Grundrechten gleichrangig sind (vgl. Kloepfer aaO. Rdn. 27). Jedenfalls seit der Aufnahme des Tierschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz im Jahr 2002 bedarf es deshalb auch bei schrankenlos gewährleisteten Grundrechten einer Abwägung mit den Interessen des Tierschutzes und des Ausgleichs im Wege der praktischen Konkordanz (vgl. Kloepfer aaO. Rdn. 27f.; Schulze-Fielitz in Dreier, GG 2. Aufl., Art. 20a Rdn. 88; Jarass in Jarass/Pieroth, GG 10. Aufl., Art. 5 Rdn. 113f.; Hirt/Maisack/Moritz aaO., Art. 20a GG Rdn. 8).

Diese Grundsätze hat das Landgericht vorliegend beachtet. Die Abwägung zwischen dem Recht aus Art. 5 Abs. 3 GG und der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG führt angesichts der dargestellten Erwägungen - auch unter Berücksichtigung der schrankenlosen Gewährung der Kunstfreiheit durch den Verfassungsgeber (vgl. hierzu Jarass aaO. Rdn. 114) - zu einer verfassungskonformen Inhaltsbestimmung der Strafnorm. Die Grundrechtsbeschränkung im Interesse des Tierschutzes ist insbesondere nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zu beanstanden. Das in Art. 20a GG vorgegebene und in § 17 Nr. 1 TierSchG konkretisierte Ziel, einen verantwortungsvollen Umgang mit Tieren zu erreichen, ist legitimer Zweck der Einschränkung der Kunstfreiheit. Die Erforderlichkeit dieser Einschränkung ist zu bejahen. Durch ein strafbewehrtes Verbot sinnloser Tötungen können die gesamtgesellschaftliche Wirkung des Tierschutzanliegens verwirklicht und Umgehungsversuche, etwa durch die Aufstellung von Schutzbehauptungen, verhindert werden. Das Landgericht hat auch die Angemessenheit der Einschränkung zu Recht angenommen.

Zwar weisen die Revisionsführer zu Recht auf die Wechselwirkung zwischen Staatszielen und Grundrechten hin (vgl. dazu Kloepfer aaO. Rdn. 27). Aber auch eine kunstfreundliche Auslegung des Tierschutzes unter Berücksichtigung der Strukturmerkmale der hier vorliegenden Kunstform (vgl. BVerfGE 81, 298, 306) führt nicht zu dem von ihnen gewünschten Ergebnis. Motiv der Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz war die Anerkennung der Mitgeschöpflichkeit von Tieren im Verhältnis zu Menschen. Dieses Motiv lässt die Staatszielbestimmung des Tierschutzes in der Abwägung mit der Kunstfreiheit besonders schwer wiegen (vgl. Ort/Reckewell aaO., § 17 Rdn. 158). Die vorliegende Form des künstlerischen Ausdrucks - Eventkunst, die in drastischer Weise durch deutliche Präsentation, gleichsam durch das Zelebrieren der Tötungen, aufrütteln sollte - war besonders geeignet, dem Ziel des Art. 20a GG zuwiderzulaufen. Dem Publikum wurde die Leichtigkeit der bewussten Tötung von Tieren der betroffenen Art vor Augen geführt. Hierdurch verletzte das Verhalten der Angeklagten ein kollidierendes Verfassungsgut, um auf die (vermeintliche) Missachtung dieses Verfassungssatzes durch Dritte - Menschen, die im Rahmen ihrer Ernährung Fleisch zu sich nehmen - aufmerksam zu machen; dies widerspricht dem Schutz des Gesamtgefüges der Verfassung (vgl. LG Köln NuR 1991, 42) und ist vom Tatrichter zu Recht als strafbewehrt erachtet worden.

Diese Auslegung nimmt der Kunstfreiheit auch nicht ihren Wesensgehalt. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es den Angeklagten freistand, ihr Anliegen auf andere Weise auszudrücken. Im Übrigen erforderte das künstlerische Anliegen nicht die Tötung gleich zweier Tiere.

3. Jedenfalls unbegründet ist die Rüge, das Landgericht habe die Vermeidung unnötiger Leiden durch die vorherige Betäubung der Tiere nicht hinreichend berücksichtigt. Ob es sich - wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin meint - um urteilsfremdes Vorbringen handelt, weil die beiden Tiere nach dem Urteilsfeststellungen noch "zappelten", bevor ihre Genicke gebrochen wurden, oder ob auch Reflexbewegungen in betäubtem Zustand denkbar sind, mag dahinstehen. Denn für die Verwirklichung des Tatbestands des § 17 Nr. 1 TierSchG wäre ein solcher Gesichtspunkt nicht maßgeblich. Zwar ist die Tötung eines Tieres unter Zufügung von Schmerzen entgegen den Vorgaben § 4 Abs. 1 Satz 1 TierSchG geeignet, das Vorliegen eines vernünftigen Grundes im Sinne von § 17 Nr. 1 TierSchG auszuschließen (vgl. Selk NStZ 1991, 443, 445; Ort/Reckewell aaO., § 17 Rdn. 166). Andererseits ist eine Tötung nicht bereits dann von einem vernünftigen Grund getragen, wenn sie für das Tier schmerzfrei abläuft. Der vernünftige Grund entscheidet über die Zulässigkeit des "Ob" der Tötung, die Schmerzvermeidung über das "Wie". Bereits erstere war hier zu verneinen.

4. Kein Rechtsfehler findet sich endlich in der Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten einen (anzunehmenden) Verbotsirrtum vermeiden können. Mag die Möglichkeit, Tiertötungen zu künstlerischen Zwecken zu rechtfertigen, vor Aufnahme des Tierschutzes als Staatszielbestimmung umstritten gewesen sein (vgl. OLG Köln NStE Nr. 6 zu § 17 TierSchG), so wird eine derartige Rechtfertigung seit der Aufnahme des Staatsziels in Art. 20a GG ganz überwiegend abgelehnt. Die Angeklagten hätten dies durch Einholung von Rechtsrat erkennen können. Aufgrund sachkundiger Beratung wären mindestens Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Vorhabens aufkommen, die sie von der Durchführung hätten Abstand nehmen lassen (müssen). Von solcher Erkundigung haben sie indessen von vornherein abgesehen.



Ende der Entscheidung

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