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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 05.05.2004
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 3/03 (30/03)
Rechtsgebiete: BGB, StGB


Vorschriften:

BGB § 1791a
StGB § 266 Abs. 1 2. Alt.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
(4) 1 Ss 3/03 (30/03)

In der Strafsache

wegen Untreue

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 5. Mai 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. September 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den durch das Amtsgericht freigesprochenen Angeklagten auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Untreue (Treubruch) in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat (vorläufigen) Erfolg.

1. Das Landgericht stützt den Schuldspruch im wesentlichen auf folgende Feststellungen:

Der Angeklagte hatte 1994 als Rechtsanwalt mit einer Düsseldorfer Anwaltssozietät schriftlich vereinbart, daß er in deren Berliner Kanzleiräumen seine Kanzleigeschäfte in eigener Verantwortung unter dem Namen der Sozietät für diese "geschäftsbesorgend" führt. Das dabei "erwirtschaftete Honorarvolumen" sollte zunächst auf das Konto der Sozietät fließen, über das der Angeklagte und zwei weitere Berliner Rechtsanwälte, die schon zuvor einen gleichlautenden Vertrag mit der Sozietät abgeschlossen hatten, "unter Wahrung der Vermögensbetreuungspflicht" gegenüber der Sozietät "dispositionsbefugt" waren. Die Vereinbarung sah ferner vor, daß von dem erwirtschafteten Honorarvolumen 5 % an die Sozietät abgeführt werden mußten und der restliche Umsatz abzüglich der im einzelnen vereinbarten Kosten und Umlagen den Berliner Rechtsanwälten zustehen sollte. Entgegen dieser Vereinbarung veranlaßte der Angeklagte im November 1995, daß "die aus zwei geschäftsbesorgenden Tätigkeiten für die Sozietät herrührenden Einnahmen" in Höhe von insgesamt 22.032,00 DM abredewidrig seinem eigenen Konto gutgeschrieben wurden und der Sozietät dadurch in Höhe von 5 % dieser Summe ein Schaden entstand.

2. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht. Sie sind lückenhaft und widersprüchlich.

Das Landgericht hat schon nicht ausreichend dargelegt, daß die Tätigkeiten des Angeklagten, die den vereinnahmten Beträgen zugrunde lagen, überhaupt unter die Vereinbarung mit der Sozietät fielen. Den Feststellungen ist dazu nur zu entnehmen, daß es sich um eine Nachlaßpflegschaft (Fall 1) beziehungsweise um eine Nachlaßverwaltung (Fall 2) handelte. Es versteht sich danach nicht von selbst, daß der Angeklagte insoweit geschäftsbesorgend für die Sozietät tätig geworden ist. Denn in beiden Fällen war ein Handeln "unter dem Namen der Sozietät" gesetzlich nicht möglich. Nachlaßpfleger und Nachlaßverwalter werden - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall des § 1791a BGB - durch das Nachlaßgericht personengebunden bestellt (§§ 1960 Abs.2, 1981, 1915, 1779 BGB). Der Nachlaßpfleger ist gesetzlicher Vertreter der (unbekannten) Erben, während der Nachlaßverwalter als amtlich bestelltes Organ (§ 1981 BGB) für den Nachlaß wie ein Insolvenzverwalter tätig wird (§ 1985 BGB). Da diese Aufgaben nicht im engeren Sinne zum Berufsbild eines Rechtsanwalts gehören, sondern (nach seiner gerichtlichen Bestellung) von jedermann wahrgenommen werden können, und auch nicht nach der BRAGO vergütet werden (§ 1 Abs.2 BRAGO), hätte das Landgericht nähere Feststellungen dazu treffen müssen, daß derartige Einnahmen nach dem Willen der Vertragsparteien gleichwohl unter die getroffene Vereinbarung fallen sollten. Das Landgericht geht in seiner rechtlichen Würdigung selbst davon aus, daß die - in den Urteilsgründen allerdings nicht im Wortlaut wiedergegebene - Ziffer 5 der Vereinbarung so zu verstehen sei, daß alle "in Ausübung des Rechtsanwaltsberufes" erwirtschafteten Honorare davon erfaßt sein sollten.

Des weiteren hat das Landgericht nicht näher erörtert, aus welchen Elementen des Vertrages es eine besondere Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten ableitet. Der Treubruchtatbestand des § 266 Abs.1 2.Alt. StGB setzt aber voraus, daß der Täter eine qualifizierte Pflichtenstellung innehat, aufgrund der ihm - über die allgemeinen Rücksichts- und Sorgfaltspflichten hinaus - die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen obliegt. Das ist in der Regel nicht der Fall bei gewöhnlichen Austauschverträgen, die primär der Verwirklichung eigener Interessen dienen und nur auf eine Leistung "an" und nicht "für" den Vertragspartner gerichtet sind (vgl. KG, Beschluß vom 29. März 1999 - (3) 1 Ss 387/98 (22/99) -; Schünemann LK, StGB, 11. Aufl., Rdn.81 zu § 266). Nach den vom Landgericht nur bruchstückhaft mitgeteilten Vertragsbedingungen liegt aber die Annahme nahe, daß der Angeklagte seine Anwaltstätigkeit nicht in erster Linie fremdnützig für die Sozietät ausüben, sondern lediglich ein von seinem Umsatz abhängiges Entgelt für die Nutzung des ihm zur Verfügung gestellten Kanzleisitzes und -namens an die Sozietät zahlen sollte. Die bloße Wiedergabe von Vertragsklauseln wie "geschäftsbesorgend" und "unter Wahrung der Vermögensbetreuungspflicht" reichen nicht aus, um eine besondere Pflichtenstellung des Angeklagten aus der Vereinbarung zu begründen.

Darüber hinaus ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Tatsachen das Landgericht zu der Annahme gelangt ist, der Sozietät sei bereits dadurch ein Vermögensnachteil entstanden, daß die vom Angeklagten erzielten Vergütungen nicht auf das Konto der Sozietät geflossen waren. Nach den getroffenen Feststellungen sah die Vereinbarung offenbar nicht vor, daß die Sozietät im Innenverhältnis befugt war, über 5 % der auf ihrem Konto eingehenden Honorare jederzeit von sich aus frei zu verfügen. Denn das Landgericht stellt ausdrücklich fest, daß die geschuldeten Beträge an die Sozietät "abgeführt" werden mußten, ihr also in dieser Höhe lediglich ein Zahlungsanspruch gegen den Angeklagten zustand. Es liegt deshalb nahe, daß ein Schaden erst durch eine Verschleierung der Einnahmen bei Rechnungslegung eintreten konnte. Feststellungen zu den vereinbarten Abrechnungsmodalitäten, insbesondere zur Fälligkeit der Zahlungsansprüche, und zu den tatsächlichen Abrechnungen des Angeklagten enthält das Urteil nicht.

Das Landgericht teilt lediglich mit, daß einer der Berliner Rechtsanwälte von der Nichtabführung der Einnahmen zufällig erfahren und den Angeklagten deshalb zur Rede gestellt habe. Durch das im Urteil dargestellte Verhalten des Angeklagten ist selbst eine Gefährdung des Vermögens der Sozietät noch nicht ausreichend belegt. Denn es ist schon nicht festgestellt, daß die Verpflichtung des Angeklagten, seine Honorare zunächst in voller Höhe auf das Fremdkonto fließen zu lassen, der Sozietät dazu diente, die Durchsetzung ihrer Ansprüche abzusichern. Denn der Angeklagte war auch bei einer Honorarzahlung auf das Konto der Sozietät nicht daran gehindert, darüber zu verfügen und so die Erfüllung ihrer Forderungen zu vereiteln. Es ist danach ebenso denkbar, daß mit der vereinbarten Verfahrensweise lediglich eine Vereinfachung des Zahlungsverkehrs bezweckt war, da der Angeklagte der Sozietät neben der Umsatzbeteiligung auch noch eine festgelegte Quote an Kosten und Umlagen schuldete, die dann nicht gesondert überwiesen werden mußte.

Auch die Feststellungen zur inneren Tatseite weisen Rechtsfehler auf. Sie sind widersprüchlich. Das Landgericht beruft sich insoweit zwar auf das Geständnis des Angeklagten, führt aber weiter aus, daß der Angeklagte einsichtig erklärt habe, er sei "sich seiner Fehlhandlungen heute (!) durchaus bewußt" und habe "auch subjektiv erkannt", daß er die in Rede stehenden Einnahmen "abrede- und vertragswidrig" am Konto der Sozietät "vorbeigelenkt" habe. Diese Formulierungen lassen besorgen, daß das Landgericht seine Überzeugung vom Vorliegen des subjektiven Tatbestandes nicht aus den allein maßgeblichen Vorstellungen und Absichten des Angeklagten zur Tatzeit, sondern aus der ihm "nach eingehender Erörterung" in der Berufungshauptverhandlung vermittelten Einsicht gewonnen hat.

3. Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts halten rechtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 14. Februar 2003 Bezug.

4. Da nicht auszuschließen ist, daß eine weitere Aufklärung des Sachverhalts zu einer Verurteilung des Angeklagten führen kann, verweist der Senat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

Für den Fall, daß ein Zahlungsanspruch der Sozietät festgestellt wird, aufgrund der Vertragsgestaltung eine Verurteilung wegen Untreue gleichwohl ausscheidet, wird der neue Tatrichter zu untersuchen haben, ob der Angeklagte durch eine Verschleierung seiner Einnahmen bei Rechnungslegung wegen Betruges zur Verantwortung zu ziehen ist. Der Senat weist ferner darauf hin, daß die Ausführungen des Landgerichts zur vorgesehenen Verteilung der Nettoumsätze auch eine Schädigung der an der Vereinbarung beteiligten Berliner Rechtsanwälte als möglich erscheinen lassen, deren Vertragsbeziehungen zu dem Angeklagten bisher allerdings nicht festgestellt sind.

Ende der Entscheidung

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