Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 27.03.2008
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 337/06 (44/07)
Rechtsgebiete: StGB, BGB


Vorschriften:

StGB § 229
BGB § 1020 S. 2
Zur Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers bei Bestehen einer Dienstbarkeit.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: (4) 1 Ss 337/06 (44/07)

In dem Strafverfahren gegen

wegen fahrlässiger Körperverletzung

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin in der Sitzung vom 27. März 2008, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin am Kammergericht als Vorsitzende,

Richter am Kammergericht Richterin am Landgericht als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft Berlin,

Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten,

Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. April 2006 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagten aus rechtlichen Gründen vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen. Mit ihrer zulässigen Sprungrevision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts sind die Angeklagten und der frühere, inzwischen verstorbene Mitangeklagte ..... ..... ......"als BGB-Gesellschafter Eigentümer des im Grundbuch von Tempelhof des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg Blatt ...., lfd. Nr. . des Bestandsverzeichnisses, Flur ., Flurstück ..., Gebäude und Freifläche ................/................. ..., ..., S-Bahnhof .................... eingetragenen Grundstücks mit einer Grundfläche von 1.951 qm. Es handelt sich um den unmittelbar vor dem nördlichen Eingang des S-Bahnhofs ......... gelegenen Vorplatz." In der zweiten Abteilung des Grundbuches ist eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Duldung von Einwirkungen, Zugangs- und Nutzungsrecht sowie Wegerecht) für die Deutsche Bahn AG, Berlin - im Folgenden DB AG - eingetragen. Die Dienstbarkeit wurde in das Grundbuch eingetragen, weil der S-Bahnhof nur sinnvoll genutzt werden kann, wenn die Benutzer über das Grundstück der Angeklagten in ihn hineingelangen können.

Im Juni 2005 hatte sich über einen Zeitraum von zumindest mehreren Tagen vor der rechten Tür des S-Bahneingangs in der Pflasterung ein Loch mit einem Durchmesser von etwa 50 cm gebildet, in dem Pflastersteine fehlten bzw. lose waren. Dies war auch bei oberflächlicher Betrachtung ohne weiteres zu erkennen. Am 23. Juni 2005 wollte der Zeuge ..... gegen 7.10 Uhr den S-Bahnhof betreten. Da er in Eile war, übersah er das Loch in der Pflasterung. Er knickte um, geriet ins Straucheln und kam zu Fall. Dabei stürzte er auf sein linkes Knie, erlitt eine Prellung und verspürte starke Schmerzen.

Den Angeklagten war der Schaden in der Pflasterung unbekannt. Sie hatten allerdings auch keine Überwachungsmaßnahmen im Hinblick auf den Zustand der Pflasterung organisiert. Es war lediglich ein Reinigungsunternehmen beauftragt worden, welches einmal im Monat das Grundstück von Abfällen räumen sollte. Die Angeklagten gingen davon aus, dass etwaige zu beseitigende Schäden an Anlagen von diesem Unternehmen auch gemeldet würden. Im Übrigen verließen sie sich darauf, dass die aus der Dienstbarkeit berechtigte und verpflichtete DB AG sich um die Erhaltung der Pflasterung kümmern würde.

II.

Das Amtsgericht hat die Angeklagten auf der Grundlage dieser Feststellungen zu Recht freigesprochen. Die Sachrüge ist unbegründet.

1. Das angefochtene Urteil genügt den sich aus § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO ergebenden Anforderungen an die Begründungspflicht bei freisprechenden Urteilen. Aufgabe der Urteilsgründe ist es, dem Revisionsgericht eine umfassende Nachprüfung auch bei einem Freispruch zu ermöglichen (vgl. BGHSt 37, 21 f). Diese Nachprüfung ist hier möglich.

Die Revision ist der Auffassung, die getroffenen Feststellungen seien in sich widersprüchlich. Das Amtsgericht habe festgestellt, die Angeklagten seien Eigentümer des im Grundbuch eingetragenen "Grundstücks Flurstück ..., bestehend aus Gebäude- und Freifläche." Die anschließende Feststellung, es handele sich bei diesem Grundstück um den unmittelbar vor dem nördlichen Eingang des S-Bahnhofs ......... gelegenen Vorplatz, sei damit nicht zu vereinbaren, weil zu dem Grundstück eben nicht nur der Vorplatz als Freifläche, sondern auch ein den Angeklagten gehörender Gebäudeteil gehöre. Der behauptete Widerspruch besteht indessen nicht. Abgesehen davon, dass die Urteilsgründe nicht die Formulierung enthalten, dass es sich "bei diesem Grundstück" um den Vorplatz des S-Bahnhofs handele, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang, dass das Amtsgericht mit dem Satz "Es handelt sich um den unmittelbar vor dem nördlichen Eingang des S-Bahnhofs ......... gelegenen Vorplatz" allein die Freifläche gemeint hat, auf der sich der Unfall ereignet hat.

2. Mit Recht hat das Amtsgericht eine den Tatbestand des § 229 StGB erfüllende Sorgfaltspflichtverletzung der Angeklagten verneint.

a) Die Unterhaltungs- und Verkehrssicherungspflicht für die Pflasterung des Vorplatzes oblag der dienstbarkeitsberechtigten DB AG.

aa) Da zugunsten der DB AG eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen war, ist § 1020 BGB einschlägig, der über § 1090 Abs. 2 BGB auch für beschränkte persönliche Dienstbarkeiten gilt. Gemäß § 1020 Satz 2 BGB hat der Berechtigte eine Anlage, die er zur Ausübung der Dienstbarkeit auf dem belasteten Grundstück hält, in ordnungsgemäßem Zustand zu erhalten, soweit das Interesse des Eigentümers es erfordert. Wenngleich diese Vorschrift sich zunächst nur auf das Innenverhältnis zwischen dem Eigentümer und dem Berechtigten bezieht, trifft sie auch eine Regelung zur Verkehrssicherungspflicht gegenüber der Allgemeinheit.

bb) Der Vorplatz des S-Bahnhofs, auf dem sich der Unfall ereignete, ist eine Anlage im Sinne des § 1020 Satz 2 BGB, die von der DB AG zur Ausübung der Dienstbarkeit auf dem belasteten Grundstück gehalten wird. Die Revision zieht dies zu Unrecht in Zweifel.

Unter den Begriff der Anlage fällt jede für eine gewisse Dauer und von Menschenhand geschaffene Einrichtung, die der Benutzung des belasteten Grundstücks dient (vgl. BGH NJW 2006, 1428 (1429); NJW 2002, 678). Dabei ist grundsätzlich eine weite Auslegung vorzunehmen (BGH aaO). Dementsprechend ist beispielsweise auch ein unbefestigter Weg als Anlage i.S.d. § 1020 Satz 2 BGB zu qualifizieren, weil mit der Entstehung von Fahrspuren eine von Menschenhand geschaffene Veränderung der Erdoberfläche eingetreten ist, die gerade die bestimmungsgemäße Benutzung des belasteten Grundstücks zum Betreten und Befahren ermöglicht (vgl. BGH NJW 2006, 1428 (1429)). Erst recht ist ein befestigter Weg unter den Anlagenbegriff zu subsumieren (vgl. OLG Celle MDR 2000, 81) und damit auch der gepflasterte Vorplatz, der den Zugang zum S-Bahnhof eröffnet.

Für das "Halten" der Anlage kommt es nicht darauf an, wer ihr Eigentümer ist (vgl. Palandt/Bassenge, BGB 67. Aufl., § 1020 Rdn. 3; MüchKomm/Falckenberg, BGB 4. Aufl., § 1020 Rdn. 9). Es spielt entgegen der Ansicht der Revision auch keine Rolle, wer die Anlage ursprünglich einmal angelegt hat (vgl. BGH MittBayNot 2006, 495, 496). Vielmehr reicht grundsätzlich jede nicht nur vorübergehende Nutzung der Anlage im eigenen Interesse aus (vgl. OLG Celle aaO). So liegt es hier, denn die Dienstbarkeit wurde in das Grundbuch eingetragen, weil der S-Bahnhof nur sinnvoll genutzt werden kann, wenn die Benutzer über das Grundstück der Angeklagten in ihn hineingelangen können. Die DB AG nutzte den Vorplatz daher im eigenen Interesse.

cc) Nach allgemeiner Meinung trifft den Berechtigten gemäß § 1020 Satz 2 BGB für Anlagen, die er zur Ausübung der Dienstbarkeit auf dem dienenden Grundstück hält, eine gesetzliche Unterhaltungspflicht (vgl. MünchKomm/Falckenberg aaO, § 1020 Rdn. 7 m.w.N.). Diese Unterhaltungspflicht umfasst auch die Verpflichtung, für die Verkehrssicherheit der Anlage zu sorgen, und zwar nicht nur gegenüber den Eigentümern des belasteten Grundstücks, sondern auch gegenüber der Allgemeinheit (vgl. BGH NJW 2005, 894 (897); MittBayNot 2006, 495, 496). Das gilt jedenfalls dann, wenn die von dem Berechtigten gehaltene Anlage ein entsprechendes Risikopotential in sich trägt (vgl. Ahrens, Dingliche Nutzungsrechte, 2. Aufl. 2007, Rdn. 212). So verhält es sich hier.

dd) Auf die von der Revision aufgeworfene Frage der Anwendbarkeit des § 1020 Satz 2 BGB für den Fall der Mitnutzung der Anlage durch den Eigentümer kommt es nicht an. Im Rahmen der Sachrüge, für die allein die schriftlichen Urteilsgründe als Prüfungsgrundlage heranzuziehen sind, ist von der alleinigen Nutzung des Vorplatzes durch die dienstbarkeitsberechtigte DB AG auszugehen. Im Übrigen ist die von der Revisionsführerin zugrunde gelegte früher herrschende Auffassung, dass bei einer Mitnutzung des Grundstücks durch den Eigentümer § 1020 Satz 2 BGB keine Anwendung finde, durch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2005, 894; NJW 2006, 1428; MittBayNot 2006, 495, 496) überholt (vgl. nur Palandt/Bassenge aaO, § 1020 Rdn. 3; K. Schmidt, JuS 2005, 466, 468).

b) Die Angeklagten haben nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils keine Sorgfaltspflicht verletzt.

Grundsätzlich hat zwar jeder, der die Sachherrschaft über eine Gefahrenquelle ausübt, die von ihr drohenden Gefahren abzuwenden (vgl. Palandt/Sprau aaO, § 823 Rdn. 48). Das gilt auch für den Grundstückseigentümer. Infolgedessen waren die Angeklagten nicht von ihrer Verantwortung für die auf ihrem Grundstück befindliche Anlage der DB AG befreit. Da § 1020 Satz 2 BGB die Unterhaltung und Verkehrssicherung der Anlage dem Dienstbarkeitsberechtigten zuordnet, war die die Angeklagten in ihrer Eigenschaft als Eigentümer des Grundstücks treffende Verkehrssicherungspflicht jedoch eingeschränkt. Sie verengte sich auf eine Kontrollpflicht dahingehend, ob die DB AG der Unterhaltung und Verkehrssicherung nachkam. Die Angeklagten haben diese Überwachungspflicht nicht verletzt. Denn es gilt der Grundsatz, dass die Anforderungen an die Aufsichtspflicht nicht überspannt werden dürfen, wenn ein Verkehrssicherungspflichtiger einem Dritten auf vertraglicher Grundlage die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht übertragen hat (vgl. Palandt/Sprau aaO, § 823 Rdn. 50, 52). Ihn trifft zwar eine allgemeine Aufsichtspflicht; ohne konkreten Anhalt muss er aber nicht alle Einzelheiten kontrollieren (vgl. Palandt/Sprau aaO, § 823 Rdn. 52 m.w.N.). Dies muss erst recht gelten, wenn die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht wie hier auf gesetzlicher Grundlage erfolgt ist. Die Angeklagten durften sich daher auf die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht durch die dienstbarkeitsberechtigte DB AG verlassen, zumal diese im Bereich der Anlagenunterhaltung erfahren ist. Hinweise dafür, dass die DB AG ihrer Pflicht nicht nachkam, hat es nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht gegeben.

3. Mit der Aufklärungsrüge beanstandet die Revision, das Amtsgericht habe keinen Beweis darüber erhoben, ob der Vorplatz des S-Bahnhofs auch von den Angeklagten selbst oder ihren Mietern genutzt werde. Im Falle einer solchen Mitnutzung bestünde eine Verkehrssicherungspflicht der Angeklagten als Grundstückseigentümer, da nach herrschender Auffassung § 1020 Satz 2 BGB in diesem Fall gerade keine Anwendung finde. Die Beweisaufnahme habe sich aufgrund der Beschaffenheit des Gesamtgrundstücks als Gebäude- und Freifläche aufgedrängt.

Die auf die Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO gestützte Verfahrensrüge ist nicht zulässig erhoben. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, wonach die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen angegeben werden müssen. Bezugnahmen und Verweisungen auf Akten, das Sitzungsprotokoll oder andere Schriftstücke sind unzulässig; auch eine zusammenhanglos in die Revisionsbegründung eingefügte Ablichtung eines Teils der Sitzungsniederschrift und anderer Schriftstücke entspricht nicht der Regelung des § 344 Abs. 2 StPO, weil es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, den Revisionsvortrag aus anderen Unterlagen jeweils an der passenden Stelle zu ergänzen (vgl. Meyer-Goßner aaO, § 344 Rdn. 21 m.w.N.). So aber verhält es sich hier. Unter der Überschrift "Verfahrenstatsachen" und der Vorbemerkung, die in der Hauptverhandlung durchgeführte Beweisaufnahme habe "folgende Beweiserhebungen umfasst", ist in die Revisionsbegründung die gesamte Sitzungsniederschrift hineinkopiert. Es folgen über viele Seiten Ablichtungen der in Augenschein genommenen Abbildungen und verlesenen Urkunden. Damit ist die Revisionsschrift nicht aus sich selbst heraus verständlich. Sie mutet dem Revisionsgericht zu, sich aus den fotokopierten Schriftstücken herauszusuchen, was der Begründung der Verfahrensrüge dient, indem es beispielsweise auf den "in der Hauptverhandlung verlesenen (auszugsweise vorliegenden) Grundstückskaufvertrag (Bl. 52 ff d.A.)" verweist und nicht einmal eine genaue Fundstelle für die angeblich beweiserhebliche Tatsache angibt. Der Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft auf den "nur sehr geringen Umfang des Protokolls von lediglich sieben Seiten", der es rechtfertige, die Verfahrensrüge als in noch zulässiger Weise erhoben anzusehen, verfängt schon deshalb nicht, weil sich die Verweise nicht auf das Protokoll beschränken.

Die von der Revisionsführerin als "herrschende Meinung" bezeichnete Auffassung über die Anwendbarkeit des § 1020 Satz 2 BGB bei einer Mitnutzung des Grundstücks durch den Eigentümer ist im Übrigen, wie bereits dargelegt, durch die neuere Rechtsprechung überholt.

4. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück