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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 25.11.2005
Aktenzeichen: (5) 1 HEs 187/05 (46/05)
Rechtsgebiete: StPO, GVG, BtMG


Vorschriften:

StPO § 121 Abs. 1
StPO § 122 Abs. 1
StPO § 122 Abs. 4
StPO § 229 Abs. 1
StPO § 230 Abs. 2
StPO § 265 Abs. 1
StPO § 270 Abs. 1
StPO § 270 Abs. 1 Satz 1
GVG § 24 Abs. 2
BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 1
BtMG § 30 a Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
(5) 1 HEs 187/05 (46/05)

In der Strafsache gegen

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 25. November 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin - 351 Gs 2011/05 - vom 10. Mai 2005 wird aufgehoben.

Gründe:

Gegen den Angeklagten wird seit dem 10. Mai 2005 die Untersuchungshaft vollzogen. Grundlage dafür ist der in der Beschlußformel bezeichnete, auf Fluchtgefahr gestützte Haftbefehl. Darin wird der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge beschuldigt. Ihm wird zur Last gelegt, am 9. Mai 2005 in seiner Wohnung 47,6 Gramm Marihuana, 5,5 Gramm Haschisch und 68,9 Gramm Kokaingemisch zum gewinnbringenden Weiterverkauf aufbewahrt zu haben. Nachdem das den Angeklagten betreffende Verfahren aus dem gegen fünf weitere Beschuldigte geführten Verfahren abgetrennt worden war, erhob die Staatsanwaltschaft Berlin Anklage zu dem Amtsgericht - Schöffengericht - Tiergarten in Berlin. In dieser am 4. August 2005 verfaßten und am 18. August 2005 bei Gericht eingegangenen Anklageschrift legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zusätzlich zu dem bereits in dem Haftbefehl enthaltenen Verbrechen (Fall 4 des Anklagesatzes) drei in der Zeit von April 2004 bis April 2005 begangene Taten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Cannabisprodukte) zur Last (Fälle 1 bis 3 des Anklagesatzes).

Nachdem der Verteidiger gegenüber dem Vorsitzenden des Schöffengerichts am 29. August 2005 erklärt hatte, sein Mandant werde bezüglich aller Anklagevorwürfe umfassend geständig sein und Zeugen würden nicht benötigt, erließ das Schöffengericht am 7. September 2005 - ohne Änderungen der Anklage - den Eröffnungsbeschluß. Gleichzeitig bestimmte der Vorsitzende den Hauptverhandlungstermin auf den 16. September 2005. Zeugen lud er nicht. Im Hauptverhandlungstermin stellte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft (die Anklageverfasserin vertrat die Anklage in der Sitzung nicht) einen - zuvor schriftlich abgefaßten - Beweisantrag dahin, die in der Anklageschrift als Zeugin benannte U... als Zeugin zu vernehmen, da diese entsprechend ihren Bekundungen anläßlich der polizeilichen Vernehmungen vom 12. Mai und 1. Juni 2005 Angaben zu Mittätern des Angeklagten machen werde, aus denen sich ergeben werde, daß der Angeklagte mit diesen bandenmäßig zusammengewirkt habe, weshalb ein rechtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO auf eine bandenmäßige Tatbegehung nach den §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 30 a Abs. 1 BtMG an den Angeklagten zu erteilen sein werde. Das Schöffengericht setzte daraufhin die Hauptverhandlung aus, nachdem der Vorsitzende dem Angeklagten den rechtlichen Hinweis erteilt hatte. In dem Aussetzungsbeschluß heißt es: "Die Hauptverhandlung wird ausgesetzt, weil aufgrund des Beweisantrages der StA ohne die Ladung von Zeugen, die zunächst vorzubereiten ist, nicht auszukommen ist und eine Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen anstehender urlaubsbedingter Verhinderung eines Gerichtsmitgliedes und der Belastung der Abteilung mit bereits terminierten unaufschiebbaren anderen Verfahren nicht möglich ist."

Mit Verfügung vom 23. September 2005 bestimmte der Schöffengerichtsvorsitzende den neuen Hauptverhandlungstermin auf den 26. Oktober 2005, zu dem er die Zeugin U... sowie vier weitere Zeugen lud. Später ordnete er an, den ehemaligen Mitbeschuldigten H... K... als weiteren Zeugen zu laden. Vorausgegangen war insoweit, daß von diesem in der JVA Tegel einsitzenden Zeugen verfaßte Schriftstücke zu den Akten gelangt waren, in denen er, K..., sich des Verbrechens (Fall 4 der Anklage) bezichtigte, das dem Angeklagten zur Last gelegt wird.

Zur Hauptverhandlung am 26. Oktober 2005 erschienen die geladenen Zeugen mit Ausnahme der Polizeibeamten nicht. Der Vorsitzende erteilte erneut den oben erwähnten rechtlichen Hinweis an den Angeklagten. Der Angeklagte machte keine Angaben zur Sache. Das Schöffengericht vernahm die Kriminalkommissarin M... (vormals H...), die Vernehmungsbeamtin der Zeugin U..., zeugenschaftlich und verkündete anschließend auf Antrag der Staatsanwaltschaft und gegen den widerstreitenden Antrag des Verteidigers folgenden Beschluß:

"1) Das Verfahren wird gemäß § 270 Abs. 1 StPO an das Landgericht Berlin - große Strafkammer - verwiesen, weil aufgrund der von der Zeugin KKín M... bekundeten und für glaubhaft erachteten Angaben der Zeugin U... im Fall 4) der Anklage von bandenmäßigem unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 a Abs. 1 BtMG) auszugehen ist, der Regelstrafrahmen hierfür eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vorsieht und die Annahme eines minderschweren Falles nicht nahe liegt, so dass die sich aus § 24 Abs. 2 GVG ergebene Strafgewalt des Amtsgerichts nicht ausreicht.

2) Der Angeklagte kann innerhalb von sieben Tagen bei dem Landgericht Berlin die Vornahme einzelner Beweiserhebungen beantragen (§ 270 Abs. 4 StPO).

3) Die Untersuchungshaft dauert aus den bisherigen Gründen fort."

Die 33. große Strafkammer des Landgerichts verwies die Sache mit Beschluß vom 27. Oktober 2005 an das Amtsgericht zurück. Sie ist der Ansicht, der Verweisungsbeschluß entfalte ausnahmsweise keine Bindungswirkung, weil er "in mehrfacher Hinsicht nicht nur formell und materiell fehlerhaft, sondern objektiv willkürlich" sei. In seiner Verfügung vom 31. Oktober 2005 bekräftigte der Schöffengerichtsvorsitzende seine Verfahrensweise und seine Rechtsansicht, das Verfahren sei jetzt bei dem Landgericht anhängig. Das Landgericht, dem die Akten daraufhin erneut übersandt wurden, hat die Sache dem Senat zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit und ferner gemäß § 122 Abs. 1 StPO vorgelegt, weil es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält. Der Senat hat über die Frage der Zuständigkeit gesondert entschieden.

Der Haftbefehl ist aufzuheben. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind nicht gegeben.

1. Der an sich gerechtfertigte Haftbefehl (§ 112 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StPO) unterliegt der Aufhebung, weil das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Freiheitsanspruch (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) des noch nicht verurteilten Beschuldigten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten, wobei sich sein Gewicht gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft verstärkt (vgl. BVerfGE 53, 152, 158f.; NStZ 2000, 153). Dem trägt § 121 Abs. 1 StPO dadurch Rechnung, daß der Vollzug der Untersuchungshaft vor dem Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. § 121 Abs. 1 StPO läßt mithin nur in begrenztem Umfang eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus zu und ist eng auszulegen (vgl. BVerfGE 20, 45, 50; 36, 264, 271).

Diesen Erfordernissen wird die Sachbehandlung durch die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht vorliegend nicht gerecht.

Zwar sind die an die Zügigkeit der Bearbeitung von Haftsachen zu stellenden Anforderungen bei der ersten Haftprüfung nach § 122 Abs. 1 StPO weniger streng als bei den späteren Prüfungen nach § 122 Abs. 4 StPO (ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. KG StV 1985, 116; 1983, 111 mit weit. Nachw. sowie Beschlüsse vom 28. Oktober 2005 - (5) 1 HEs 176/05 (44-45/05) und vom 2. Mai 2003 - (5) 1 HEs 71/03 (23-24/03) -). Verfahrensverzögerungen durch Ermittlungsbehörden und Gerichte führen daher in diesem Zeitpunkt nur dann zur Aufhebung des Haftbefehls, wenn sie auf groben Fehlern und Versäumnissen beruhen und wenn ein erheblicher Zeitverlust eingetreten ist (vgl. KG StV 1985, 116; Boujong in KK, StPO 5. Aufl., § 121 Rdn. 21 mit weit. Nachw.). Erheblich ist ein Zeitverlust unter anderem dann, wenn die - innerhalb der Frist des § 121 Abs. 1 StPO begonnene - Hauptverhandlung ohne ihn bei sachgerechter Bearbeitung hätte weitergeführt und voraussichtlich abgeschlossen werden können.

2. Eine in diesem Sinne fehlerhafte Sachbearbeitung liegt hier vor.

a) Mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung unvereinbar war zunächst die Sachbearbeitung durch die Staatsanwaltschaft, soweit erst deren Sitzungsvertreter in der Hauptverhandlung vom 16. September 2005 beantragte, die Zeugin U... zum Beweis dessen zu vernehmen, daß der Angeklagte die ihm in der Anklage vorgeworfenen Taten - abweichend von der rechtlichen Würdigung der Anklage - als Mitglied einer Bande begangen habe. Zwar ist es dem staatsanwaltlichen Sitzungsvertreter, der die Anklageschrift nicht verfaßt hat, unbenommen, bezüglich der Tatvorwürfe eine von der Anklageschrift abweichende Rechtsauffassung zu vertreten und dieser mit den zur Verfügung stehenden pro-zessualen Mitteln Ausdruck verleihen. Jedoch muß sich die Staatsanwaltschaft derartige interne Auffassungsunterschiede zwischen den für sie handelnden Beamten, die eine Verzögerung des Verfahrens bewirken, als einheitliche Behörde zurechnen lassen. Vorliegend war die von dem Sitzungsvertreter benannte Zeugin U... bereits mehrere Monate vor Fertigstellung der Anklageschrift polizeilich vernommen worden; die Vernehmungsprotokolle vom 12. Mai und vom 1. Juni 2005 befinden sich in den Sachakten (Blatt 11 ff. und 26 ff. Bd. II). Die Zeugin U... ist in der Anklageschrift als Beweismittel aufgeführt. Daraus folgt, daß der Anklageverfasserin der Vernehmungsinhalt zur Zeit der Schlußverfügung bekannt war, sie aber nicht dazu veranlaßte, eine bandenmäßige Tatbegehung nach den §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 30 a Abs. 1 BtMG anzuklagen. Das Schöffengericht ließ die Anklage, ebenfalls in Kenntnis der Angaben der Zeugin U..., unverändert zur Hauptverhandlung zu.

Dadurch, daß die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung von ihrer in der Anklage vorgenommenen rechtlichen Bewertung der Tatvorwürfe abrückte, indem sie meinte, die mutmaßlichen Taten seien wegen der bereits bekannten Bekundungen eines in der Anklage benannten Zeugen nunmehr abweichend rechtlich zu würdigen, und dies in einen entsprechenden Beweisantrag kleidete, bewirkte sie eine Verzögerung des Verfahrens um zunächst annähernd eineinhalb Monate und machte die Beschleunigung zunichte, die sie zunächst durch die einer Haftsache angemessen rasche Anklageerhebung bewirkt hatte. Diese Verzögerung war vermeidbar. Denn von der Anklagebehörde muß erwartet werden können, daß sie ihre einmal vorgenommene rechtliche Beurteilung des dem Gericht mit der Anklage unterbreiteten Lebenssachverhalts nicht verfahrensverzögernd ändert, solange - wie hier - die Beweisgrundlage unverändert bleibt.

Der Fall liegt anders als derjenige, der dem Senat am 16. Januar 2003 zur Entscheidung vorlag [- (5) 1 HEs 202/02 (77-80/02) -]. Dort kam die Staatsanwaltschaft Berlin aufgrund sachgerechter Nachermittlungen zu einer anderen Beweisgrundlage als derjenigen, die die ursprünglich zuständige Staatsanwaltschaft Mönchengladbach ihrer Anklageerhebung zugrundegelegt hatte. Im vorliegenden Fall indes sind keinerlei weitere Ermittlungen durchgeführt worden, die die veränderte Sichtweise verständlich machen könnten.

b) Darüber hinaus hat der Zuständigkeitsstreit zwischen dem Schöffengericht und dem Landgericht zu einer weiteren vermeidbaren Verzögerung geführt.

Ein Kompetenzkonflikt kann der Annahme eines wichtigen Grundes verfassungsrechtlich entgegenstehen, wenn er durch eine grob fehlerhafte Sachbearbeitung ausgelöst wird und dadurch erhebliche vermeidbare Verzögerungen entstehen (vgl. BVerfG StV 2000, 321 = NJW 2000, 1401; StV 1992, 522 zu dem insoweit vergleichbaren Fall der Anklage bei einem unzuständigen Gericht). So verhält es sich hier.

Die Verweisung der Sache gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 StPO an das Landgericht war offensichtlich gesetzwidrig. Die dadurch eingetretene Verzögerung war daher ebenfalls vermeidbar. Vor einer möglichen Verweisungsentscheidung hätte das Schöffengericht die Sache bis zur Schuldspruchreife aufklären müssen (vgl. OLG Hamburg StV 1999, 163). Davon war es zur Zeit der Verweisung indes weit entfernt. Denn es hatte allein die Zeugin Kriminalkommissarin M... (vormals H...), die Vernehmungsbeamtin der von der Staatsanwaltschaft in ihrem Beweisantrag benannten Belastungszeugin U..., vernommen und weitere Beweise nicht erhoben. Auf die allein durch die Einvernahme dieser Zeugin vom Hörensagen erzielten Erkenntnisse durfte sich das Schöffengericht hier auch deshalb nicht verlassen, weil aktenkundige, von der Zeugin M... in ihrer Vernehmung bestätigte Hinweise dafür vorlagen, daß die Zeugin U... unter Betreuung steht und eine Einzelfallhelferin hat. Dieser Umstand, der allerdings keinesfalls zwangsläufig die Glaubhaftigkeit der Angaben dieser Zeugin einschränken muß, deutet auf - vermutlich psychische - Auffälligkeiten bei der Beweisperson hin und hätte das Schöffengericht veranlassen müssen, sich ein persönliches Bild von der - im übrigen keineswegs unerreichbaren - Zeugin zu machen. Die diesbezügliche Einschätzung der Vernehmungsbeamtin genügte als Entscheidungsgrundlage nicht. Hinzu kommt, daß sich gerade im Fall 4 der Anklage, bezüglich denen das Amtsgericht bandenmäßige Begehung meinte annehmen zu sollen, der - ebenfalls nicht gehörte - Zeuge K... der Tat bezichtigt hatte. Wegen weiterer Einzelheiten betreffend die Gesetzwidrigkeit des Verweisungsbeschlusses verweist der Senat auf seinen dieselbe Sache betreffenden Beschluß - 5 ARs 51/05 - vom 22. November 2005, mit dem er das Schöffengericht als das sachlich zuständige Gericht bestimmt hat.

Durch das Beharren auf seiner offenkundig gesetzwidrigen Verweisung und der dadurch veranlaßten Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat (§§ 14, 19 StPO analog) hat das Schöffengericht die Verzögerung vertieft. Die Akten sind am 7. November 2005 beim Kammergericht eingegangen. Das nun wieder mit der Sache befaßte Schöffengericht wird einen neuen Hauptverhandlungstermin anzusetzen haben.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Sachlage ist festzustellen, daß bei der Behandlung der Strafsache dem verfassungsrechtlich verankerten (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) Beschleuni-gungsgebot nicht im erforderlichen Maße Rechnung getragen wurde. Denn ohne die beanstandete Verfahrensweise der Staatsanwaltschaft und den von ihr durch den - sachwidrigen - Verweisungsantrag vom 26. Oktober 2005 beförderten und von dem Schöffengericht ausgelösten und in beharrender Weise betriebenen Kompetenzstreit wäre der Erlaß eines erstinstanzlichen Urteils innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 121 Abs. 1 StPO möglich gewesen. Jedenfalls hätte das Schöffengericht die am 26. Oktober 2005 - also noch innerhalb der Frist - neu begonnene Hauptverhandlung fortführen und die Sache somit während des Ruhens des Fristenlaufs (§ 121 Abs. 3 Satz 2 StPO) zu einem Urteil führen können und müssen, zumal da ihm angesichts der Neuregelung des § 229 Abs. 1 StPO erweiterte Möglichkeiten zur Verfügung standen, die Hauptverhandlung zur Herbeischaffung von Zeugen zu unterbrechen.

Die Verzögerung beruht mithin auf Umständen, auf die der Angeklagte keinerlei Einfluß hatte.

3. Der Senat hat die Aufhebung des Haftbefehls ausgesprochen, obgleich die Sechsmonatsfrist zur Zeit des Eingangs der Akten am 7. November 2005 noch nicht abgelaufen war und seither ruht (§ 121 Abs. 3 Satz 1 StPO), weil die Fortdauer der faktisch seit über sechs Monaten andauernden Untersuchungshaft, wie dargelegt, nicht gerechtfertigt ist und ausgeschlossen werden kann, daß die neuerliche Hauptverhandlung noch vor Ablauf der Frist, die ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des Senats - für zwei Tage - weiterläuft (§ 121 Abs. 3 Satz 1 StPO), beginnt (vgl. OLG Hamburg NJW 1968, 1535; Hilger in LR, StPO 25. Aufl., § 122 Rdn, 29, 30; Lemke in AK, StPO § 122 Rdn 10; Boujong in KK, StPO 5. Aufl., § 121 Rdn. 27; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 122 Rdn. 14).

Das Schöffengericht ist durch diese Entscheidung allerdings nicht gehindert, einen Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO gegen den Angeklagten zu erlassen, sollte dieser trotz ordnungsgemäßer Ladung zu dem neuen Hauptverhandlungstermin ohne genügende Entschuldigung nicht erscheinen (vgl. KG StV 1983, 111, 112).

Ende der Entscheidung

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