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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 20.11.2006
Aktenzeichen: (5) 1 Ss 215/06 (36/06)
Rechtsgebiete: StGB, BtMG


Vorschriften:

StGB § 21
BtMG § 29 Abs. 5
BtMG § 31 a
1. An Feststellungen zur verminderten Schuldfähigkeit im erstinstanzlichen Urteil ist das Berufungsgericht im Falle einer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung nicht gebunden; vielmehr hat es auf der Grundlage eigener Feststellungen über die Anwendbarkeit von § 21 StGB zu befinden.

2. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Absehen von der Strafverfolgung in Fällen des Umgangs mit einer geringen Menge eines Cannabisprodukts zum Zweck des Eigenverbrauchs vom 9. März 1994 (BVerfGE 90, 145 = NJW 1994, 1577) verpflichtet die Staatsanwaltschaften und Gerichte bei entsprechenden Straftaten im Strafvollzug auch dann, wenn die Fallumstände eine Fremdgefährdung ausschließen, nicht zu einem Absehen von der Verfolgung nach § 31 a BtMG oder der Bestrafung nach § 29 Abs. 5 BtMG.


KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: (5) 1 Ss 215/06 (36/06)

In der Strafsache

wegen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts Berlin am 20. November 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. März 2006 im Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen und von Strafe abgesehen. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil hatte Erfolg. Das Landgericht Berlin hat den Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt wird. Von einer Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung hat das Landgericht abgesehen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, die er mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Die durch die Sachrüge veranlasste Überprüfung des landgerichtlichen Urteils ergibt, dass dessen Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben kann, weil den Strafzumessungserwägungen, die auf der Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 21 StGB beruhen, keine tragfähigen Feststellungen zugrunde liegen und weil die Begründung für die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht wird.

a) Die Kammer hat § 21 StGB bei der Bestimmung des Strafrahmens herangezogen und "strafmildernd" berücksichtigt, "dass der Angeklagte nach der Bewertung des medizinischen Sachverständigen in seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigt war". Das Urteil lässt aber nicht erkennen, dass die Kammer eigene Feststellungen zur Frage einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffen hat. Aus den Gründen ergibt sich lediglich, dass sie die persönlichen Verhältnisse und die Vorstrafen des Angeklagten zum Gegenstand eigener Feststellungen gemacht hat. Im Übrigen beruht das Urteil auf den Feststellungen des Amtsgerichts, die den in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch tragen. In diesem Zusammenhang verweist das Landgericht auf die Seiten 3 und 4 des amtsgerichtlichen Urteils.

Auf Seite 4 gelangt das Amtsgericht auf der Grundlage der Verlesung des Gutachtens eines Sachverständigen zu der Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten wegen einer krankhaften seelischen Störung in der Form paranoider Schizophrenie. Der Verweis auf diese Seite sowie der Umstand, dass das landgerichtliche Urteil eigene Feststellungen nur zu den persönlichen Lebensumstände und den Vorstrafen des Angeklagten enthält, lassen vermuten, dass die Kammer entweder von einer Bindung an die amtsgerichtlichen Feststellungen zur verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen ist oder angenommen hat, es könne auf eigene Feststellungen dazu verzichten und auf die Feststellungen des Amtsgerichts zurückgreifen. Jeweils läge ein Rechtsfehler vor.

Die zulässige Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch hat den Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils einschließlich der ihn tragenden Feststellungen in Rechtskraft erwachsen lassen, was die Annahme des Amtsgerichts einschließt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat nicht schuldunfähig gemäß § 20 StGB gewesen ist. Insoweit war das Landgericht bei seiner Urteilsfindung im Berufungsverfahren gebunden. Dagegen bedurfte es einer völligen Neuverhandlung und einer neuen Entscheidung über alle die Rechtsfolgen betreffenden Tat- und Rechtsfragen. Dazu gehört auch die Frage der Anwendbarkeit von § 21 StGB. Über sie ist bei einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung vom Berufungsgericht auf der Grundlage eigener Feststellungen zu befinden (vgl. OLG Hamm VRS 54, 28; OLG Köln NStZ 1981, 63; Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen 27. Aufl., Rdnr. 684).

Zwar ist es dem Berufungsgericht nicht verwehrt, auf das erstinstanzliche Urteil Bezug zu nehmen. Das kann zweckmäßig sein, um doppelte Schreibarbeit zu ersparen. Notwendige Voraussetzung dafür ist aber, dass das Berufungsgericht eigene Feststellungen getroffen hat, die mit denjenigen des erstinstanzlichen Urteils übereinstimmen (Meyer-Goßner/Appl, a.a.O. Rdnr. 680). Ein Rückgriff auf das erstinstanzliche Urteil, um eigene Feststellungen zu ersparen, ist unzulässig. Dem Erfordernis eigenständiger Untersuchung und Entscheidung der Frage der verminderten Schuldfähigkeit wird die Begründung des landgerichtlichen Urteils nicht gerecht.

Auf diesem sachlich-rechtlichen Mangel beruht das Urteil, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass er sich zum Nachteil des Angeklagten auf die Bestimmung der Rechtsfolgen ausgewirkt hat. Zwar hat die Annahme verminderter Schuldfähigkeit die Kammer dazu veranlasst, einen ermäßigten Strafrahmen zugrunde zu legen und die Strafe zu mildern. Die Strafmilderung könnte jedoch zu gering ausgefallen sein. Möglicherweise hätte sich bei eigenen Feststellungen der Kammer eine weitergehende Strafmilderung als sachgerecht erwiesen.

b) Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB wird im Urteilszusammenhang folgendermaßen begründet. Nach der Erörterung strafmildernder Umstände führt die Kammer als "in erheblichem Maße strafschärfend" an, "dass der Angeklagte mehrfach gravierend strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und die Tat während laufender Strafvollstreckung begangen hat". Die weitere Begründung befasst sich mit der Frage, ob unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 (BVerfGE 90, 145 = NJW 1994, 1577) ein Verzicht auf Sanktionierung, sei es durch Einstellung des Verfahrens oder durch Absehen von Strafe, geboten sei. Die Kammer spricht sich mit einer Begründung dagegen aus, die darauf abstellt, dass der Angeklagte in erheblichem Maß strafrechtlich vorbelastet ist und die Tat in einer Strafvollzugsanstalt begangen wurde. Zum letztgenannten Grund wird noch ausgeführt, dass die Anstalt im Interesse der Resozialisierung der Gefangenen von Drogen jeder Art und den damit verbundenen Begleittaten freigehalten werden müsse. Auch wird die Befürchtung geäußert, dass der Verzicht auf Sanktionierung als Bagatellisierungssignal missverstanden werde. Unmittelbar danach heißt es weiter: "Die Kammer hielt daher gemäß § 47 Abs. 1 StGB die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten und zur Verteidigung der Rechtsordnung für unerlässlich."

Diese Begründung ist mit dem aus § 47 Abs. 1 StGB hervorgehenden Willen des Gesetzgebers, bei Straftaten von geringem Gewicht der Geldstrafe den Vorzug zu geben und die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen auf eng umgrenzte Ausnahmen zu beschränken (vgl. BayObLG NJW 1996, 798; Senat, Beschluss vom 10. Januar 1994 - (5) 1 Ss 180/93 (40/93) -), nicht zu vereinbaren. Die Ausführungen der Kammer lassen nicht erkennen, dass sie die gesetzlich in diesem Bereich als regelmäßige Rechtsfolge vorgesehene Geldstrafe überhaupt in ihre Erwägungen einbezogen hat. Dazu gaben aber bereits ihre eigenen Darlegungen zu einem etwaigen Sanktionierungsverzicht Anlass. In ihnen kommt zutreffend zum Ausdruck, dass die Tat, sofern sie - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - als strafbedürftig erachtet wird, nur geringes Gewicht hat. Dementsprechend hätte bei der Festlegung der Strafart die Frage erörtert werden müssen, ob für eine angemessene Sanktionierung nicht die gegenüber der Freiheitsstrafe mildere Geldstrafe ausreicht.

Ferner ist zu besorgen, dass die Kammer bei der Anwendung von § 47 Abs. 1 StGB das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit von Tat und Rechtsfolge nicht ausreichend beachtet hat. Dem Urteilszusammenhang ist zu entnehmen, dass die Kammer maßgeblich auf die erhebliche strafrechtliche Vorbelastung des Angeklagten abgestellt und sich damit auf die gesetzliche Alternative der besonderen Umstände, die in der Persönlichkeit des Täters liegen, gestützt hat. Die Formulierung im Gesetz, derzufolge alternativ besondere Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters zur Begründung dienen können, darf jedoch nicht in der Weise missverstanden werden, dass allein täterbezogene Umstände die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe rechtfertigen könnten. Hier wie im gesamten Bereich der Strafzumessung ist dem verfassungsrechtlichen Gebot Rechnung zu tragen, dass die Rechtsfolge in einem angemessenen Verhältnis zur Tat stehen muss (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2003, 1825; OLG Stuttgart NJW 2002, 3188; KG StV 2004, 383; Senat, Beschluss vom 31. Mai 2006 - (5) 1 Ss 68/06 (8/06) - juris). Die Rechtsfolge der kurzen Freiheitsstrafe muss sich daher auch im Hinblick auf das Gewicht der Tat und die Schwere der Tatschuld als gerechtfertigt erweisen. Ausführungen dazu lässt das landgerichtliche Urteil vermissen, obgleich es in anderem Zusammenhang das geringe Gewicht der Tat anspricht.

Im Übrigen müssen Vorstrafen, wenn sie als besonderer Umstand in der Persönlichkeit des Täters berücksichtigt werden, differenziert betrachtet werden (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Mai 2006 - (5) 1 Ss 68/06 (8/06) - juris; OLG Karlsruhe NJW 2003, 1825 f.; Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 47 Rdnr. 11). Es macht einen Unterschied aus, ob der abzuurteilenden Tat Vorstrafen auf Grund gleicher oder ähnlicher Taten vorangegangenen sind oder, wie hier, keinerlei Zusammenhang zu den früheren Straftaten besteht. Im letzteren Fall versteht sich die Bewertung als besonderer Umstand nicht von selbst; sie bedarf vielmehr näherer Begründung. Diesem Erfordernis wird das landgerichtliche Urteil, in dem der Angeklagte pauschal als "hartnäckig rechtsverachtender Straftäter" bezeichnet wird, nicht gerecht, zumal das geringe Gewicht der angeklagten Tat (vgl. zum Besitz sehr geringer Mengen Rauschgift: Senat, Beschlüsse vom 16. Juni 1997 - (5) 1 Ss 36/97 (12/97) - und 19. Juni 1996 - (5) 1 Ss 112/96 (17/96) - 77 mg Heroingemisch und vom 10. Januar 1994 - (5) 1 Ss 180/93 (40/93) - 960 mg Cannabisharz) dagegen spricht, dass in ihr eine rechtsverachtende Gesinnung zum Ausdruck kommt.

2. Nicht zu beanstanden ist dagegen die vom Landgericht vertretene Auffassung, dass das verfassungsrechtliche Übermaßverbot im vorliegenden Fall nicht zu einem Absehen von einer Bestrafung nach § 29 Abs. 5 BtMG zwingt. Es trifft zu, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 (NJW 1994, 1577, 1582 f.), die in bestimmtem Umfang ein Absehen von der Strafverfolgung in Fällen des Umgangs mit einer geringen Menge eines Cannabisprodukts zum Zweck des Eigenverbrauchs gebietet, die Gerichte nicht in der Weise bindet, dass sie bei entsprechenden Taten im Strafvollzug von einer Bestrafung abzusehen haben.

a) Einer Bindungswirkung steht allerdings nicht entgegen, dass die Entscheidung sich in ihrer Kernaussage auf das Absehen von der Verfolgung nach § 31 a BtMG und nicht auf das Absehen von einer Bestrafung nach § 29 Abs. 5 BtMG bezieht. Zwar sind die Voraussetzungen von § 31 a BtMG enger gefasst, indem zusätzlich zu dem - beiden Vorschriften gemeinsamen - Merkmal der Tatbegehung zum Eigenverbrauch in geringer Menge noch gefordert wird, dass die Schuld als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Soweit jedoch auch diese beiden Merkmale erfüllt sind und das Übermaßverbot entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Absehen von der Verfolgung gebieten würde, wird, sofern eine gerichtliche Sachentscheidung ansteht, von einer Bestrafung nach § 29 Abs. 5 BtMG abzusehen sein, weil ein Grund für eine Bestrafung nicht ersichtlich ist, wenn das Verfahren wegen tatbezogener Unverhältnismäßigkeit einzustellen gewesen wäre.

b) Maßgeblich für eine Beschränkung der Bindungswirkung ist die Begründungsstruktur der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht nimmt an, dass die Voraussetzungen der geringen Schuld und des mangelnden öffentlichen Interesses "bei dem Umgang mit Cannabisprodukten in aller Regel bei dem gelegentlichen Eigenverbrauch ohne Fremdgefährdung" erfüllt sind und "die Strafverfolgungsorgane - insbesondere die Staatsanwaltschaft - dann nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in § 31 a BtMG bezeichneten Straftaten abzusehen haben" (BVerfG NJW 1994, 1577, 1583). Daraus folgt zweierlei. Zum einen kann es an den Voraussetzungen der geringen Schuld und des mangelnden öffentlichen Interesses fehlen, wenn eine Fremdgefährdung gegeben ist. Das Bundesverfassungsgericht nennt einige Beispiele für Taten zum Zweck des gelegentlichen Eigenverbrauchs, die eine Fremdgefährdung verursachen: Taten in Schulen, Jugendheimen, Kasernen oder ähnlichen Einrichtungen sowie Taten, die von Erziehern, Lehrern oder Amtsträgern, die mit dem Vollzug des Betäubungsmittelgesetzes befasst sind, begangen werden und Anlass zur Nachahmung geben (vgl. BVerfG NJW 1994, 1577, 1583). Angesprochen wird damit die Gefahr der Verleitung anderer Personen, insbesondere junger Menschen, zum Drogenkonsum. Ferner ist der Begründung zu entnehmen, dass selbst dann, wenn die Tat nur dem gelegentlichen Eigenver-brauch diente und keine Fremdgefährdung gegeben war, die Voraussetzungen der geringen Schuld und des mangelnden öffentlichen Interesses nicht ausnahmslos, sondern nur "in aller Regel" als erfüllt anzusehen sind (BVerfG NJW 1994, 1577, 1583). Neben dem Gesichtspunkt der Fremdgefährdung können demnach noch weitere Umstände bei der Beurteilung der Voraussetzungen Berücksichtigung finden.

Das ist auch konsequent, weil die gesetzgeberische Konzeption des Betäubungsmittelgesetzes, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung an anderer Stelle ausführt, nicht nur darauf gerichtet ist, unmittelbare Gefahren für die Gesundheit einzelner zu bekämpfen, sondern auch "die Gestaltung des sozialen Zusammenlebens in einer Weise, die es von sozialschädlichen Wirkungen des Umgangs mit Drogen freihält," bezweckt (BVerfG NJW 1994, 1577, 1579). Das letztgenannte Ziel würde nicht hinreichend berücksichtigt, falls für Fälle des Umgangs mit geringen Mengen von Cannabisprodukten zum Eigenverbrauch das Absehen von der Verfolgung oder der Bestrafung allein davon abhinge, ob eine Fremdgefährdung vorgelegen hat. Selbst dann, wenn mit der Tat keine Gefahren für andere Personen verbunden waren, können die Voraussetzungen geringer Schuld und mangelnden öffentlichen Interesses ausnahmsweise zu verneinen sein, sofern auf Grund besonderer Umstände im Zusammenhang mit den Drogen nachteilige Folgen für das soziale Zusammenleben zu befürchten sind.

Das ist der Fall bei Taten, die im Rahmen des Strafvollzugs begangen werden (so im Ergebnis auch OLG Düsseldorf NStZ 1995, 94; OLG Zweibrücken NStZ 1995, 193; Körner, BtMG 5. Aufl., § 29 Rdnr. 1685). Aus dem Ziel des Strafvollzugs, die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (§ 2 Satz 1 StVollzG), ergibt sich für die Vollzugsanstalten die Verpflichtung, ein Einschleusen von Drogen jedweder Art zu unterbinden, weil der Umgang mit Drogen Kriminalität fördert. Auch größtmögliche Anstrengungen können es freilich nicht verhindern, dass immer wieder einmal Drogen in die Anstalt gelangen. Wegen der Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen der Anstalten ist deren Menge deutlich geringer als die in der Gesellschaft verfügbare Drogenmenge. Dadurch erlangen bereits sehr kleine Mengen an Drogen eine Bedeutung, die im sonstigen sozialen Zusammenleben nur weitaus größeren Mengen zukommt. Sie beeinträchtigen das soziale Gefüge innerhalb der Anstalt nachhaltig (vgl. OLG Zweibrücken NStZ 1995, 194; Körner, a.a.O.; Laubenthal, Strafvollzug, 3. Aufl. Rdnr. 580). Im Zusammenhang mit ihrer Beschaffung und Verteilung können sich Abhängigkeitsverhältnisse und kriminalitätsfördernde Strukturen herausbilden. Dem muss auch durch die Verfolgung und Bestrafung solcher Drogenstraftaten entgegengetreten werden, die lediglich eine geringe Menge zum Gegenstand haben und allein zum Eigenverbrauch begangen werden.

Die in der Revisionsbegründung und in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft unterschiedlich beantwortete Frage, ob im konkreten Fall eine Fremdgefährdung vorgelegen hat, ist, wie dargelegt, für die Entscheidung ohne Bedeutung. Die Justizorgane sind bei Drogenstraftaten im Strafvollzug, die den Umgang mit Cannabisprodukten in geringer Menge zum Eigenver-brauch betreffen, auch dann nicht zu einer Einstellung des Verfahrens oder einem Absehen von Strafe verpflichtet, wenn die Fallumstände eine Fremdgefährdung ausschließen.

Ende der Entscheidung

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