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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 13.12.2006
Aktenzeichen: (5) 1 Ss 305/06 (49/06)
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 Abs. 1
Bei einem mehrfach und einschlägig vorbestraften Angeklagten, der schon eine frühere Bewährungschance nicht bestanden hat, setzt eine Strafaussetzung zur Bewährung eine besonders eingehende Begründung voraus, um dennoch zu einer günstigen Prognose zu gelangen. Es sind die Umstände darzulegen, aus denen das Gericht trotz der mit dem Täter bisher gemachten schlechten Erfahrungen die positive Erwartung herleitet.
Geschäftszeichen: (5) 1 Ss 305/06 (49/06)

In der Strafsache

wegen räuberischen Diebstahls u.a.

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin in der Sitzung vom 13. Dezember 2006, an der teilgenommen haben:

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 1. Juni 2006 im Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Schöffengericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Auf die in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit dem angefochtenen Urteil die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, "auf den Rechtsfolgenausspruch" beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist begründet.

1. Gegenstand der Prüfung des angefochtenen Urteils durch den Senat ist allein die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der erkannten Strafe zur Bewährung auszusetzen.

a) Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist auf die Aussetzungsentscheidung beschränkt.

Zwar hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung ausdrücklich erklärt, daß ihre zunächst uneingeschränkt eingelegte Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werde, und darauf hingewiesen, daß die nachstehenden - die Frage der Strafaussetzung betreffenden - Ausführungen "nur beispielhaft erfolgten". Auch lautet der Revisionsantrag uneingeschränkt dahingehend, "das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben ...". Jedoch ist bei der Ermittlung des Umfangs der Revision das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Gesamtheit ins Auge zu fassen; das Revisionsgericht darf nicht am Wortlaut der Begründung haften, sondern hat ihren Sinn zu ermitteln (vgl. BGHSt 29, 359, 365; BGH NJW 1997, 3322; Urteil vom 12. Februar 1998 - 4 StR 617/97 - bei JURIS; Kuckein in Karlsruher Kommentar, StPO 5. Aufl., § 344 Rdn. 5).

Die Auslegung des Revisionsvorbringens nach diesen Grundsätzen aber ergibt zweifelsfrei, daß die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung beschränken und die Festsetzung der Freiheitsstrafe nicht angreifen wollte. Die Begründung der Revision stützt sich ausschließlich auf Rechtsfehler bei der Anwendung des § 56 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 StGB und hat das erklärte Ziel, den Fortfall der Strafaussetzung zu erreichen. Mit Mängeln der Strafzumessung im engeren Sinne setzt sich der Rügevortrag dagegen nicht auseinander. Dies erscheint auch plausibel, da die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel ersichtlich zu Ungunsten des Angeklagten eingelegt hat, die festgesetzte Freiheitsstrafe aber wegen des Schlechterstellungsverbotes des § 331 Abs. 1 StPO, das als Sperre des erstinstanzlichen Urteils noch in der Revisionsinstanz fortwirkt (vgl. Ruß in KK, § 331 StPO Rdn. 9), nur noch zugunsten des Angeklagten abänderbar ist (vgl. KG, Urteil vom 11. November 2004 - (4) 1 Ss 454/03 (204/03) -). Eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt ergäbe im übrigen auch deshalb keinen Sinn, weil bereits die Berufung des Angeklagten wirksam auf diesen beschränkt war. Die Erklärung der Staatsanwaltschaft, sie beschränke das Rechtsmittel ihrerseits, muß eine weitergehende Bedeutung enthalten, da sie sonst nicht gestaltend wirkt (vgl. Senat, Urteil vom 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -).

b) Die Beschränkung der Revision auf die Aussetzungsentscheidung ist wirksam.

aa) Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist ein selbständiger Teil des Urteilsspruchs (§ 260 Abs. 4 Satz 4 StPO). Sie kann isoliert angefochten werden, wenn sich die ihr zugrunde liegenden Erwägungen von denen der Strafzumessung trennen lassen (vgl. BGH NStZ 1994, 449; 1982, 285, 286; OLG Köln VRS 61, 365, 366; Senat StV 1999, 605; Urteile vom 12. Mai 2004 - (5) 1 Ss 25/04 (16/04) - und 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., § 318 Rdn. 20a; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl., § 56 Rdn. 26).

An der Trennbarkeit fehlt es nicht schon dann, wenn sich die bei der Strafzumessung und der Aussetzungsentscheidung jeweils berücksichtigten Tatsachen überschneiden (vgl. OLG Frankfurt am Main VRS 59, 106, 108). Da beides eine Gesamtwürdigung erfordert, verknüpfen doppelrelevante Feststellungen diese beiden Entscheidungsbereiche regelmäßig; es ist offensichtlich und vom Gesetzgeber in § 46 Abs. 2 StGB einerseits und § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB andererseits vorgesehen, daß die Tatsachen, welche die Zumessung der Strafe im engeren Sinne mitbestimmen, auch für die Aussetzungsentscheidung wesentliche Bedeutung erlangen (vgl. OLG Köln VRS 61, 365, 367; Senat, Urteil vom 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -).

Die Beschränkung der Revision auf die Aussetzungsentscheidung ist jedoch unwirksam, wenn die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zum Strafmaß so unzulänglich sind, daß sie keine hinreichende Grundlage für die Aussetzungsentscheidung bilden (vgl. OLG Köln NStZ 1989, 90, 91; VRS 61, 365, 367; OLG Frankfurt am Main VRS 59, 106, 107; Senat, Urteil vom 12. Mai 2004 - (5) 1 Ss 25/04 (16/04) -), die Entscheidung über die Strafaussetzung an einem Fehler leidet, der zugleich die Strafzumessung betrifft (vgl. OLG Frankfurt am Main VRS 59, 106, 110; OLG Köln VRS 61, 365, 367; Senat, a.a.O.), der Anfechtende sich gegen die Feststellung oder Nichtfeststellung einer doppelrelevanten Tatsache wendet (vgl. BGHSt 29, 359, 366, 368; BGH NJW 2001, 3134; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1996, 309; Senat, Urteil vom 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) - und Beschluß vom 26. Juni 1996 - (5) 1 Ss 21/96 (21/96) -) oder eine unzulässige Verknüpfung von Strafmaß- und Aussetzungsentscheidung besteht (vgl. BGH NStZ 2001, 311; OLG Frankfurt am Main VRS 59, 106, 109; OLG Köln VRS 61, 365, 367; Senat, Urteil vom 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -). Es muß stets gewährleistet sein, daß das stufenweise entstehende Gesamturteil frei von inneren Widersprüchen bleibt (vgl. BGHSt 29, 359, 365; BGH NJW 2001, 3134; NStZ-RR 1999, 359; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1996, 309, 310; Senat, a.a.O.; Ruß in KK § 318 StPO Rdn. 8).

bb) Nach diesen Rechtsgrundsätzen bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken gegen die Beschränkung der Revision auf die Entscheidung über die Strafaussetzung. Das Landgericht hat die Strafzumessung getrennt von der Strafaussetzung begründet. Strafmaß- und die Aussetzungsentscheidung sind auch nicht innerlich in unzulässiger Weise miteinander verknüpft. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß das Berufungsgericht wegen der Bewilligung der Strafaussetzung auf eine höhere oder - um sie zu ermöglichen - auf eine niedrigere Strafe erkannt hat oder sie bei deren Versagung niedriger festgesetzt hätte. Die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zur Strafzumessung sind knapp, bilden aber eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung über die Frage der Bewährung. Die Revision rügt ausschließlich Rechtsfehler bei der Anwendung des § 56 StGB, die das Strafmaß nicht berühren.

Daß das Landgericht beiden Entscheidungsbereichen teilweise identische Tatsachen zugrundegelegt hat - insbesondere die Vorbelastungen des Angeklagten, die in der Berufungsbeschränkung zum Ausdruck kommende Einsicht und die Auswirkungen des Untersuchungshaftvollzugs auf den Angeklagten -, steht der isolierten Anfechtbarkeit der Strafaussetzung nicht entgegen. Denn gegen die Richtigkeit dieser doppelrelevanten Feststellungen wendet sich die Revision nicht. Sie beanstandet insoweit lediglich, daß das Landgericht die Dauer der Untersuchungshaft, die den Feststellungen zufolge knapp vier Monate betrug, als nicht unerhebliche Zeit bewertet hat, die den Angeklagten nachhaltig beeindruckt habe.

2. Gegen die Wirksamkeit der vom Angeklagten erklärten Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß, die das Revisionsgericht im Falle einer zulässigen Revision von Amts wegen zu prüfen hat (vgl. BGHSt 27, 70, 72; BGH NJW 1980, 1807; OLG Düsseldorf NStZ 1992, 298; OLG Hamm NJW 1973, 1141, 1143; OLG Karlsruhe Justiz 1988, 27; OLG Koblenz VRS 74, 270, 271; Meyer-Goßner § 318 StPO Rdn. 33, § 352 StPO Rdn. 4), bestehen keine Bedenken.

3. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Strafaussetzung zur Bewährung begründet hat, sind nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Die Frage, ob zu erwarten ist, daß sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB), hat der Tatrichter unter Berücksichtigung aller dafür bedeutsamen Umstände im Sinne einer Gesamtwürdigung zu entscheiden. Bei dieser Prognose steht ihm ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 2004 - (5) 1 Ss 25/04 (16/04) -; Gribbohm in Leipziger Kommentar, StGB 11. Aufl., § 56 Rdn. 27). Er hat seine Erwägungen jedoch im Urteil in einem die Nachprüfung ermöglichenden Umfang darzulegen (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1988, 325, 326; KG, Urteil vom 29. September 2006 - (3) 1 Ss 408/05 (113/05) -; Senat StV 1999, 605; Urteile vom 12. Mai 2004 - (5) 1 Ss 25/04 (16/04) - und 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -; Meyer-Goßner, § 337 StPO Rdn. 34). Ist der Tatrichter zu einer Prognose gelangt, steht ihm für die Entscheidung kein Ermessen zu. Die Strafaussetzung ist vielmehr bei günstiger Prognose zu gewähren und bei ungünstiger zu versagen (vgl. Senat, Urteile vom 12. Mai 2004 - (5) 1 Ss 25/04 (16/04) - und 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -; Gribbohm a.a.O.).

Die Prognoseentscheidung des Tatrichters ist vom Revisionsgericht grundsätzlich bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (vgl. BGH NStZ 1984, 410; OLG Düsseldorf NStZ 1988, 325, 326; Senat, Urteil vom 12. Mai 2004 - (5) 1 Ss 25/04 (16/04) -) und nur daraufhin zu prüfen, ob sie rechtsfehlerhaft ist, das heißt ob der Tatrichter Rechtsbegriffe verkannt oder seinen Beurteilungsspielraum fehlerhaft angewandt hat (vgl. BGHSt 6, 298, 300; 6, 391, 392; OLG Düsseldorf a.a.O.; Senat, a.a.O. und Senat, Urteil vom 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -). Eine derartige Prüfung ist aber nur möglich, wenn die Urteilsfeststellungen überhaupt eine tragfähige Grundlage für die Anwendung des Rechts bieten (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 2004 - (5) 1 Ss 25/04 (16/04) -; Meyer-Goßner, § 337 StPO Rdn. 21).

b) Nach diesen Grundsätzen kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.

aa) Zu beanstanden ist zunächst, daß die Urteilsgründe eine klare Trennung zwischen der Frage der Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) und den besonderen Umständen (§ 56 Abs. 2 StGB) vermissen lassen. § 56 Abs. 2 StGB sieht vor, daß das Gericht die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die höher als ein Jahr ist, aber zwei Jahre nicht übersteigt, "unter den Voraussetzungen des Abs. 1" zur Bewährung aussetzen kann, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten besondere Umstände vorliegen. Danach ist über das Vorliegen einer günstigen Sozialprognose zunächst zu entscheiden (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 56 Rdn. 26; Tröndle/Fi-scher, § 56 StGB Rdn. 19). Denn besondere Umstände sind solche, die von besonderem Gewicht sind und über die allgemeinen Voraussetzungen der günstigen Prognose hinaus zusätzlich für eine Aussetzung sprechen (vgl. BGH NStZ 1981, 389; Stree a.a.O. § 56 Rdn. 28). Die positive Sozialprognose kann zudem ihrerseits für die Beurteilung bedeutsam sein, ob Umstände von besonderem Gewicht im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen (vgl. BGH NStZ 1997, 434; StV 2003, 670; 1995, 20; BayObLG OLGSt § 56 StGB Nr. 16).

bb) Unabhängig von der fehlenden Differenzierung zwischen den Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB vermögen die vom Landgericht angeführten Umstände in ihrer Gesamtheit schon die Annahme einer günstigen Legalprognose nicht zu begründen.

(1) Der Angeklagte ist bereits wiederholt wegen einschlägiger und wesensverwandter Straftaten verurteilt worden. Aus dem in das Urteil einkopierten Bundeszentralregisterauszug ergibt sich weiterhin, daß er nur etwa einen Monat nach der Verurteilung vom 14. November 2000 (rechtskräftig seit dem 22. November 2000) während laufender Bewährung erneut straffällig geworden ist und daß er die ihm durch das Urteil vom 10. Juli 2001 eingeräumte Bewährungsmöglichkeit trotz Unterstützung durch einen Bewährungshelfer nicht zu nutzen vermocht hat; die Strafaussetzung ist widerrufen worden. Die nunmehr abgeurteilte Tat, die den Tatbestand eines Verbrechens erfüllt, läßt gegenüber den früheren Verurteilungen noch eine Steigerung der kriminellen Energie erkennen. Unter diesen Umständen aber sind an die tatsächlichen Voraussetzungen für eine günstige Prognose höhere Anforderungen zu stellen.

Bei einem mehrfach und einschlägig vorbestraften Angeklagten, der schon eine frühere Bewährungschance nicht bestanden hat, setzt eine Strafaussetzung zur Bewährung eine besonders eingehende Begründung voraus, um dennoch zu einer günstigen Prognose zu gelangen. Es sind die Umstände darzulegen, aus denen das Gericht trotz der mit dem Täter bisher gemachten schlechten Erfahrungen die positive Erwartung herleitet (vgl. Gribbohm in LK, StGB 11. Aufl., § 56 Rdn. 18), in der Rechtsprechung überwiegend trotz der Verwechslungsgefahr mit dem in § 56 Abs. 2 StGB genannten gesetzlichen Merkmal "besondere Umstände" genannt (vgl. BGH NStZ 1983, 454; VRS 17, 183; BayObLG NJW 1993, 805, 806; OLG Düsseldorf NStE § 56 StGB Nr. 7; OLG Koblenz VRS 74, 270; KG VRS 38, 330; Urteil vom 29. September 2006 - (3) 1 Ss 408/05 (113/05); Senat, Urteile vom 12. Mai 2004 - (5) 1 Ss 25/04 (16/04) - und 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -; Tröndle/Fischer, § 56 StGB Rdn. 6). Ein solcher Angeklagter hat nämlich gezeigt, daß er nicht willens oder fähig ist, sich frühere Verurteilungen zur Warnung dienen zu lassen. Die vorbezeichneten Umstände hat der Tatrichter in den Urteilsgründen im Rahmen einer Gesamtwürdigung darzulegen, wobei eine Gegenüberstellung der bisherigen und gegenwärtigen Lebensverhältnisse des Täters und eine eingehende Auseinandersetzung mit den Vortaten und den Umständen, unter denen sie begangen wurden, erforderlich sind (vgl. OLG Düsseldorf NStE § 56 StGB Nr. 7; OLG Koblenz VRS 74, 270, 271; std. Rspr. des KG, vgl. Urteile vom 29. September 2006 - (3) 1 Ss 408/05 (113/05) -, 12. August 2005 - (4) 1 Ss 23/05 (20/05) -, 11. November 2004 - (4) 1 Ss 230/04 (76/04) und (4) 1 Ss 147/04 (45/04) -, 15. Dezember 2003 - (3) 1 Ss 264/03 (90/03); Senat, Urteile vom 12. Mai 2004 - (5) 1 Ss 25/04 (16/04) - und 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -). Diesen Darlegungsanforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht, da es Lücken aufweist.

(2) Die unzureichende Berücksichtigung der Vorbelastungen wird bereits daran deutlich, daß das Landgericht diese lediglich in Form eines in die Urteilsgründe einkopierten Bundeszentralregisterauszuges mitteilt (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 266; OLG Köln OLGSt § 56 StGB Nr. 3; Senat, Beschluß vom 29. März 2006 - (5) 1 Ss 78/06 (10/06) - und Urteil vom 5. Juli 2005 - (5) 1 Ss 144/05 (25/05) -), ohne auf die zeitlichen Abläufe und Zusammenhänge sowie Tatgeschehen und Hintergrund der Straftaten einzugehen. Die nur formelhafte Darstellung und mangelhafte Befassung mit dem strafrechtlich bedeutsamen Vorleben wird symp-tomatisch erkennbar durch die Mitteilung zweier für die Entscheidung irrelevanter Suchvermerke. Vor allem aber fehlt es an einer Darstellung des Verlaufs der (vielfach) tatursächlichen Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten vollständig, obwohl das Landgericht die Erwartung künftiger Straffreiheit maßgeblich darauf stützt, daß der Angeklagte "nunmehr ernsthaft daran interessiert" sei, seinen Betäubungsmittelkonsum therapeutisch zu bekämpfen.

Aus den insoweit bindenden Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils, auf die das Landgericht durch konkrete Bezeichnung der übernommenen Teile in zulässiger Weise Bezug genommen hat (vgl. BGHSt 33, 59, 60; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 369; Meyer-Goßner, § 267 Rdn. 2a), ergibt sich, daß der Angeklagte zur Tatzeit - am 9. Mai 2005 gegen 17.50 Uhr - aufgrund einer "schon länger" bestehenden Heroinabhängigkeit unter Entzugserscheinungen litt, weil er an diesem Tag noch kein Heroin zu sich genommen hatte; die Tat - die Entwendung eines Paars Sportschuhe - diente der möglichst schnellen Beschaffung neuer Drogen aus dem Verkaufserlös des Diebesgutes. Die Eintragungen in dem in das Urteil eingefügten Bundeszentralregisterauszug lassen darüber hinaus erkennen, daß der Angeklagte bereits seit Anfang 2000 betäubungsmittelabhängig war und aus diesem Grunde mehrfach Straftaten - darunter einschlägige - beging. So lagen den Verurteilungen vom 14. November 2000 und 23. Juli 2002 "aufgrund Betäubungsmittelabhängigkeit begangene" Diebstähle (Tatzeit unter anderem 6. Januar 2000) und der Verurteilung vom 18. Juli 2001 ein Vergehen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zugrunde. Der Angeklagte wurde zudem zweimal - zuletzt durch Entscheidung vom 20. September 2004 - gemäß § 35 BtMG von der Strafvollstreckung zurückgestellt; beide Zurückstellungen wurden widerrufen. Den Erwägungen des Landgerichts zur Strafaussetzung läßt sich weiterhin entnehmen, daß die Betäubungsmittelabhängigkeit - wenngleich dort nur von "Betäubungsmittelkonsum" die Rede ist - noch im Entscheidungszeitpunkt fortbestand.

Danach ist bei dem Angeklagten von einer mehrjährigen "Suchtkarriere" mit - dies folgt aus den Widerrufen der Vollstrekkungszurückstellungen - (mindestens) zwei gescheiterten Therapieversuchen auszugehen, die Ursache seiner Beschaffungskriminalität und insbesondere auch des hier abgeurteilten Verbrechens ist. Unter diesen Umständen aber kann die Annahme einer günstigen Prognose nicht schon auf vage Therapiebemühungen - hier die Kontaktaufnahme zu einer auswärtigen Therapieeinrichtung - und die in der Hauptverhandlung bekundete Therapiebereitschaft des Angeklagten gestützt werden (vgl. Tröndle/Fi-scher, § 56 StGB Rdn. 5). Zwar kann die Bereitschaft eines Straftäters, sich einer Behandlung zu unterziehen, um die Ursachen seiner Straffälligkeit zu beheben, für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB wichtig sein, weil sich daraus ein Wandel der Einstellung des Täters zu seiner bisherigen Lebenshaltung ergeben kann (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 19 und 20; BGH StV 1992, 13). In Anbetracht des bisherigen (mindestens zweifachen) Scheiterns des Angeklagten bei der Bekämpfung seiner Drogenabhängigkeit hätte es hier jedoch näherer Darlegung bedurft, aus welchen Gründen die Kammer der nunmehr angestrebten Therapiemaßnahme realistische Erfolgsaussichten beimißt (vgl. BayObLG OLGSt StGB § 56 Nr. 17). In diesem Zusammenhang wären auch die Gründe zu erörtern gewesen, die für die Widerrufe der früheren Vollstreckungszurückstellungen ursächlich waren. Daran fehlt es hier.

Die Strafkammer begründet ihre günstige Prognose lediglich mit einzelnen günstigen Rahmenbedingungen der Therapie, nämlich der Unterstützung dieser Maßnahme durch die Freundin des Angeklagten und der Auswahl einer auswärtigen Therapieeinrichtung, die die Herauslösung aus dem bisherigen - die Suchtproblematik offenbar fördernden - Umfeld ermöglicht. Dabei bleibt offen, ob die Begleitumstände nunmehr besser sind als bei den früheren fehlgeschlagenen Therapieversuchen. Soweit die Kammer darüber hinaus entscheidend auf den "nunmehr ernsthaften" - ohnehin nur begrenzt verifizierbaren - Therapiewillen des Angeklagten abstellt, fehlt es ebenfalls an einer Darlegung, worin die maßgebliche Veränderung gegenüber den bislang gezeigten Therapiebemühungen des Angeklagten liegen soll. Die früheren Zurückstellungen können ihm nach den gesetzlichen Voraussetzungen (§ 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG) nur aufgrund der Zusage, sich einer Behandlung zu unterziehen, sowie eines Therapieplatznachweises bewilligt worden sein; ein Therapiewille muß also schon damals bekundet worden sein. Ob der Angeklagte seinerzeit noch nicht bereit war, die Behandlung außerhalb Berlins wahrzunehmen, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Auf diese Einzelheit kommt es aber auch nicht entscheidend an.

(3) Unklar bleibt auch, ob die Beziehung des Angeklagten zu seiner Lebensgefährtin, der das Gericht eine besondere stabilisierende Bedeutung beimißt, zum Zeitpunkt der früheren Straftaten bereits bestanden hat. Im übrigen hätte die Feststellung, der Angeklagte lebe in sozial gefestigten Verhältnissen, in Anbetracht seiner an anderer Stelle festgestellten Arbeitslosigkeit und des Umstandes, daß das Landgericht die Durchführung einer Therapie außerhalb Berlins wegen der Herauslösung des Angeklagten "aus seinem bisherigen Umfeld" positiv bewertet, näherer Begründung bedurft.

(4) Soweit das Landgericht - auch als Beleg für die Ernsthaftigkeit des Therapiewillens - hervorhebt, der Angeklagte sei durch den Vollzug von Untersuchungshaft in dieser Sache und durch die zuletzt erlittene Strafhaft derart beeindruckt, daß es ihm um die Änderung seines Lebenswandels ernst sei, handelt es sich zwar grundsätzlich um eine tragfähige Erwägung (vgl. Senat StV 1999, 605; Urteil vom 27. Juni 2001 - (5) 1 Ss 13/99 (10/99) -). Auch insoweit jedoch sind die Feststellungen des angefochtenen Urteils lückenhaft. Der zweimalige Widerruf von Vollstreckungszurückstellungen läßt es als möglich erscheinen, daß sich der Angeklagte durch das Erleben von Strafhaft in der Vergangenheit nicht nachhaltig hat beeindrucken lassen, sondern nach der (Teil-)Verbüßung von Haftstrafen Anlaß zum Widerruf gegeben hat. Feststellungen zu Zeitpunkt und Gründen der Widerrufsentscheidungen und zu der Dauer des jeweils zuvor erlittenen Freiheitsentzuges aber enthält das angefochtene Urteil nicht. Ebensowenig teilte es die Umstände mit, aufgrund derer nunmehr von einer nachhaltigen Einwirkung des Freiheitsentzuges auf den Angeklagten auszugehen sein soll.

cc) Da das angefochtene Urteil schon die Annahme einer günstigen Sozialprognose nicht belegt, bedarf die Frage, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei die (weiterreichenden) Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB und die wiederum nachrangig zu prüfenden (vgl. BGH StV 1991, 19, 20; Tröndle/Fischer, § 56 StGB Rdn. 18, 19) Voraussetzungen des § 56 Abs. 3 StGB bejaht hat, keiner Erörterung mehr.

Der Senat merkt hierzu jedoch folgendes an: Die knappen und formelhaften Ausführungen des Landgerichts (vgl. OLG Düsseldorf NStE StGB § 56 Nr. 15; OLG Koblenz OLGSt § 56 StGB Nr. 8), wonach die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht gebiete, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn sie lassen nicht die Prüfung zu, ob die Strafkammer rechtsfehlerfrei von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht hat. Die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach § 56 Abs. 3 StGB immer dann, wenn die Aussetzung der Vollstreckung im Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des Einzelfalls für das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich erscheinen müßte und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts und den Schutz der Rechtsordnung vor kriminellen Angriffen dadurch erschüttert werden könnte (vgl. BGHSt 24, 40, 46). Zur Entscheidung über eine mögliche Versagung der Aussetzung bedarf es stets einer am Einzelfall orientierten Gesamtwürdigung aller Tat und Täter kennzeichnenden Umstände (vgl. BGHSt 24, 40, 46; 24, 64, 66; OLG Rostock OLGSt StGB § 56 Nr. 20). Daran fehlt es hier. Es ist insbesondere nicht nachvollziehbar, weshalb die verständige Bevölkerung trotz der vom Landgericht festgestellten erheblichen Gewaltanwendung Verständnis für eine dem Angeklagten eingeräumte Bewährungschance haben sollte.

4. Die aufgezeigten Darlegungsmängel begründen eine Verletzung des sachlichen Rechts. Es ist nicht völlig auszuschließen, daß eine neue tatrichterliche Verhandlung zu günstigeren Erkenntnissen für den Angeklagten kommt und diese dann eine Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung als noch vertretbar erscheinen lassen. Der Senat hebt das angefochtene Urteil daher im Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den zugehörigen Feststellungen auf und verweist die Sache insoweit nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

Der Senat weist darauf hin, daß der Angeklagte durch das Amtsgericht Tiergarten in dem Verfahren ... inzwischen rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden ist. Da die Voraussetzungen des § 55 StGB vorliegen, werden die dortigen und die im hiesigen Verfahren verhängten Einzelstrafen auf eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zurückzuführen sein.

Ende der Entscheidung

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