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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 27.09.2000
Aktenzeichen: (5) 1 Ss 365/99 (15/00)
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 335 Abs. 1
StPO § 467 Abs. 1
StGB § 193
StGB § 185
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: (5) 1 Ss 365/99 (15/00) 85/122 PLs 2841/98 Ns - 282 Cs 1006/98

In der Strafsache gegen

wegen Beleidigung

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 27. September 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 3. August 1999 aufgehoben.

Die Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe:

Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je 40,-- DM verurteilt. Mit ihrer Sprungrevision rügt die Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist nach § 335 Abs. 1 StPO zulässig, ohne daß es darauf ankommt, ob die Voraussetzungen für eine Annahme der Berufung vorgelegen haben (vgl. BGHSt 40, 395, 397; KG NStZ-RR 1999, 146, 147; BayObLG StV 1993, 572). Es ist auch in der Sache begründet.

1. Nach den von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen geriet die Angeklagte mit dem Zeugen D, einem Polizeibeamten, in Streit, als der Zeuge ihr zwei Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung vorhielt, die sie nach seiner Auffassung begangen hatte. Im Verlauf der heftiger werdenden Diskussion bemerkte die Angeklagte: "Sie sollten sich lieber um andere Sachen kümmern, auf Spielplätzen werden Kinder vergewaltigt und Sie stehen hier rum." Als ihr der Zeuge daraufhin entgegnete, sie riefe ja auch die Polizei, wenn irgend etwas vorgefallen sei, äußerte sie: "Das würde ich nie tun, weil ja bekannt ist, daß die Polizei Faschisten schützt und Leute auf der Wache verprügelt."

2. Das Amtsgericht hat in der ersten Äußerung der Angeklagten eine weder durch das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung noch durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigte Beleidigung des Polizeibeamten gesehen. Der Angeklagten, der bekannt sei, daß auch die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten zu den Aufgaben der Polizei zähle, sei es bei der Äußerung "ganz eindeutig" darum gegangen, den Beamten in seiner Person als Polizist und in seinem konkreten Handeln herabzuwürdigen.

Zur zweiten Bemerkung hat das Amtsgericht die Auffassung vertreten, sie erfülle keinen Straftatbestand, weil die Angeklagte sie nicht auf den ihr gegenüberstehenden Beamten oder auf andere konkrete Personen, sondern auf die Polizei in ihrer Gesamtheit bezogen habe und Vorkommnisse, wie sie die Angeklagte erwähnt habe, bedauerlicherweise nicht selten vorkämen.

3. Diesen Ausführungen kann, soweit sie die erste Äußerung der Angeklagten betreffen, nicht gefolgt werden. Die Äußerung erfüllt nicht den Tatbestand der Beleidigung. Selbst wenn man insoweit einen anderen Maßstab anlegen wollte, wäre sie durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt.

a) Unter einer Beleidigung ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgabe der Mißachtung oder Nichtachtung zu verstehen (vgl. BGHSt 1, 288, 2.89; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl., § 185 Rdn. 1 a m.weit.Nachw.). Die Ehre kann auch durch Vorwürfe verletzt werden, die sich auf das Sozialverhalten des Betroffenen wie etwa die Art seiner Dienst- oder Berufsausübung beziehen. Nicht jede kritische Bemerkung hierzu ist aber bereits ehrenrührig. Diese Grenze überschreitet erst eine Äußerung, die dem Betroffenen die sittliche Integrität abspricht. Das ist der Fall, wenn ihm unverdientermaßen ein pflichtwidriges Versagen von einigem Gewicht zur Last gelegt wird (Herdepen in LK, StGB 10. Aufl., § 185 Rdn. 35 m.Rsprnachw.). Dabei ist maßgeblich nicht, wie der Betroffene, sondern wie ein Dritter die Äußerung versteht (vgl. BGHSt 19, 235, 237).

Hier hat die Angeklagte mit der von dem Amtsgericht als Beleidigung angesehenen Bemerkung dem Zeugen T kein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen. Für beide Streitenden war offenkundig, daß der Aufgabenbereich des Zeugen durch seine Vorgesetzten festgelegt war und der Zeuge hierauf allenfalls geringen Einfluß hatte. Die Kritik der Angeklagten richtete sich jedenfalls hauptsächlich dagegen, daß nach ihrer Auffassung die Dienstkräfte der Polizei von ihrer Führung nicht den Erfordernissen entsprechend eingesetzt werden. Eine Herabwürdigung des Zeugen selbst enthielt die Äußerung der Angeklagten nicht

b) Das Urteil könnte aber auch keinen Bestand haben, wenn man die Bemerkung der Angeklagten als für den Zeugen ehrkränkend ansähe, weil die Angeklagte dann in Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) und deshalb nicht rechtswidrig gehandelt hätte.

Bei der Auslegung und Anwendung des § 193 StGB haben die Gerichte zu beachten, daß der in dieser Bestimmung enthaltene Rechtfertigungsgrund eine besondere Ausprägung des in Art. 5 Abs. 1 GG normierten Grundrechts der freien Meinungsäußerung darstellt (vgl. BVerfGE 42, 143, 152; BGHSt 12, 287, 293; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl., § 193 Rdn. 1) und daher der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts hinreichend Rechnung getragen werden muß. Dabei ist von Bedeutung, daß das Ausmaß des Schutzes des Art. 5 Abs. 1 GG vom Zweck der Meinungsäußerung abhängt. Bezieht sie sich auf eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, so ist sie stärker geschützt als eine Äußerung, die lediglich der Verfolgung privater Interessen dient (vgl. BVerfG NJW 1995, 3303, 3304; BVerfGE 82, 272, 281). Maßgeblich für die Abwägung zwischen den Rechtsgütern der durch § 185 StGB geschützten persönlichen Ehre und der Freiheit der Meinungsäußerung ist dann, ob die Ehrkränkung noch ein adäquates Mittel für die Wahrnehmung berechtigter Interessen war (vgl. Lackner/Kühl, § 193 Rdn. 12).

Diese Abwägung fällt hier zugunsten der Angeklagten aus. Die Frage, ob die vorhandenen Polizeikräfte optimal eingesetzt werden, um die öffentliche Sicherheit in größtmöglichem Umfang zu gewährleisten, ist für die Allgemeinheit von beträchtlicher Bedeutung. Dementsprechend nimmt sie in öffentlichen Diskussionen breiten Raum ein. Hingewiesen sei etwa auf die Erörterung, ob sich die Polizeiführung bei ihren Maßnahmen zur Überwachung des Straßenverkehrs zu stark von fiskalischen Erwägungen leiten läßt. Im Vergleich hierzu ist es für die Allgemeinheit noch weitaus wichtiger, ob die Verhinderung schwerwiegender Straftaten für die Polizei in dem gebotenen Maße Vorrang vor der Verfolgung geringfügiger Verkehrsordnungswidrigkeiten hat. Hierzu Stellung zu nehmen hat auch der einzelne schon deshalb Anlaß, weil diese Frage seine eigene Sicherheit unmittelbar berühren kann. Er muß dieses Recht auch konkret gegenüber Angehörigen der Polizei, mit denen er in Kontakt kommt, wahrnehmen dürfen, weil er andere Möglichkeiten zu Kritik kaum hat. Nur dies hat die Angeklagte hier getan. Ob ihre kritische Äußerung gegenüber dem Zeugen T sachlich gerechtfertigt gewesen ist und rational oder emotional begründet war, ist im Rahmen der Güterabwägung zwischen Ehre und Freiheit der Meinungsäußerung unbeachtlich (vgl. BVerfGE 68, 226, 232; 61, 1, 7).

2. Da die beiden der Angeklagten zur Last gelegten Äußerungen sachlich-rechtlich eine einheitliche Handlung darstellen und das Amtsgericht deshalb hinsichtlich der zweiten Bemerkung nicht auf Teilfreispruch erkannt hat, unterliegt das angefochtene Urteil auch insoweit der Überprüfung durch den Senat. Das Amtsgericht hat in dieser Äußerung der Angeklagten mit Recht keine Beleidigung gesehen. Eine durch eine Gesamtbezeichnung gekennzeichnete Personenmehrheit ist nur beleidigungsfähig, wenn sie so deutlich aus der Allgemeinheit hervortritt, daß der Kreis der beteiligten Einzelpersonen scharf umgrenzt ist (vgl. BGHSt 11, 207, 208). Das ist bei "der Polizei" anzunehmen, wenn aus dem Gesamtzusammenhang der Äußerung hervorgeht, daß eine örtlich und persönlich abgrenzbare Gruppe von Polizeiangehörigen gemeint ist (vgl. BayObLG NStZ 1988, 365; Tröndle/Fischer, § 185 Rdn. 22 m.weit.Nachw.). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Ausführungen zu § 193 StGB erübrigen sich in diesem Fall.

Der Senat hebt mithin das angefochtene Urteil auf und spricht die Angeklagte frei.

Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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