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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 09.03.2006
Aktenzeichen: 1 AR 1407/05 - 5 Ws 563/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 141
Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für das im Rechtszug abgeschlossene Verfahren ist schlechthin unzulässig und unwirksam und mithin ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Angeklagte als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, seine Bestellung beantragt hatte.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 1 AR 1407/05 - 5 Ws 563/05

In der Strafsache gegen

wegen Mordes u.a.

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 9. März 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der Bestellung seines Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger durch den Vorsitzenden der Strafkammer 46 - Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Berlin wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Das Schwurgericht des Landgerichts Berlin hat den Beschwerdeführer am 22. Dezember 1988 wegen versuchten erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit Vergewaltigung, wegen Mordes und wegen Computerbetruges zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Durch Beschluß vom 14. Juni 1999 hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt, daß die Schuld des Beschwerdeführers besonders schwer wiegt (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Der Verurteilte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer, seinen bisherigen Wahlverteidiger in einem abgeschlossenen Verfahren nach §§ 458 Abs. 2, 455 Abs. 4 StPO nachträglich zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Im Vollstreckungsverfahren kam es - soweit hier von Belang - zu folgendem Verlauf:

Am 27. August 2003 beantragte der Beschwerdeführer die Unterbrechung der Vollstreckung gemäß § 455 Abs. 4 Nr. 1 StPO. Die Staatsanwaltschaft lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 20. November 2003 ab.

Am 20. Februar 2004 erneuerte der Beschwerdeführer seinen Unterbrechungsantrag; gleichzeitig beantragte er bei der Strafvollstreckungskammer seine Überweisung in den Maßregelvollzug. Über den erneuten Unterbrechungsantrag entschied die Staatsanwaltschaft zunächst nicht. Mit Beschluß vom 16. März 2004 lehnte die Strafvollstreckungskammer die Überweisung in den Maßregelvollzug ab. Den für das Überweisungsbegehren gestellten nachträglichen Antrag des Verteidigers auf Beiordnung als Pflichtverteidiger vom 18. März 2004 lehnte diese am 25. März 2004 u.a. unter Hinweis darauf ab, daß wegen des am 16. März 2004 ergangenen Beschlusses derzeit keine gerichtliche Entscheidung anstehe. Gegen den Beschluß vom 16. März 2004 legte der Beschwerdeführer am 3. April 2004 sofortige Beschwerde ein, die sein Verteidiger mit einem erneuten Antrag auf Beiordnung verband. Der Senat bestellte diesen am 29. April 2004 für das Beschwerdeverfahren zum Pflichtverteidiger und verwarf die sofortige Beschwerde mit Beschluß vom 8. Juni 2004.

Auf den auf § 455 Abs. 4 StPO gestützten Unterbrechungsantrag vom 20. Februar 2004 kam die Staatsanwaltschaft nach der Erledigung des Beschwerdeverfahrens über die Überweisung in den Maßregelvollzug zurück. Sie lehnte ihn mit Bescheid vom 6. August 2004 ab. Am 23. August 2004 suchte der Beschwerdeführer daraufhin um gerichtliche Entscheidung gemäß § 458 Abs. 2 StPO nach und beantragte gleichzeitig wiederum die Beiordnung seines bisherigen Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger, nunmehr für das Verfahren nach §§ 458 Abs. 2, 455 Abs. 4 StPO. Mit Beschluß vom 17. September 2004 verwarf die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, entschied jedoch bis zum Abschluß dieses Rechtszuges nicht über die Beiordnung.

Gegen die ablehnende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde ein. Für das Beschwerdeverfahren bestellte der Vorsitzende des Senats den bisherigen Wahlverteidiger auf seinen Antrag vom 29. September 2004 zum Pflichtverteidiger. Mit Beschluß vom 31. Januar 2005 - 5 Ws 606/04 - verwarf der Senat das Rechtsmittel.

Erst am 26. August 2005, also etwa ein Jahr nach Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens, lehnte der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer die Bestellung ab. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 5. September 2005.

II.

1. Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft, da die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung nach einhelliger Ansicht grundsätzlich mit diesem Rechtsmittel anfechtbar ist (vgl. OLG Köln MDR 1990, 461; OLG Celle NStZ 1985, 519; KG StV 1986, 239; 1985, 448; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 141 Rdn. 10 mit weit. Nachweisen).

Der Verteidiger hat zwar kein eigenes Beschwerderecht (vgl. Meyer-Goßner, aaO mit weit. Nachw.). Vorliegend ergibt sich jedoch aus der Zusammenschau des Beiordnungsantrages und der Beschwerdeschrift noch hinreichend deutlich, daß die Beschwerde für den Beschwerdeführer eingelegt worden ist.

2. Die Beschwerde ist aber unzulässig. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels ist unter anderem das Vorliegen einer Beschwer des Rechtsmittelführers (vgl. BGHSt 28, 327, 330; 16, 374; Meyer-Goßner, vor § 296 StPO Rdn. 8 mit weit. Nachw.). Eine Beschwer liegt nur vor, wenn die ergangene (oder abgelehnte) Entscheidung einen unmittelbaren Nachteil für den Betroffenen enthält, seine Rechte und geschützten Interessen eine unmittelbare Beeinträchtigung erfahren haben und wenn die Beseitigung einer fehlsamen Erwägung dem Beschwerdeführer die Aussicht auf eine andere, ihm günstigere Entscheidung eröffnet (vgl. BGHSt 27, 290, 293; 7, 153; BGH wistra 1999, 347). Daran fehlt es hier. Denn das Verfahren war mit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer am 17. September 2004 im ersten Rechtszug und am 31. Januar 2005 mit der Verwerfung der sofortigen Beschwerde durch den Senat endgültig abgeschlossen. Für die Führung der Verteidigung besteht demnach kein Bedürfnis mehr (vgl. OLG Düsseldorf JZ 1984, 756). Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Angeklagten oder seines Verteidigers dient, sondern allein den Zweck verfolgt, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, daß ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (vgl. BVerfGE 39, 238, 242; OLG Düsseldorf StV 1984, 66; wistra 1992, 320; Senat, Beschluß vom 11. Februar 2005 - 5 Ws 656/04 - in www.burhoff.de -). Diese Interessenlage ist entfallen.

3. a) Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für das im Rechtszug - hier sogar darüber hinaus rechtsbeständig - abgeschlossene Verfahren ist schlechthin unzulässig und unwirksam und mithin grundsätzlich ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Angeklagte als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, seine Bestellung beantragt hatte (vgl. BGH StV 1997, 238; StV 1989, 378; OLG Köln NJW 2003, 2038; OLG Düsseldorf StraFO 2003, 94; NStZ-RR 1996, 171; StV 1984, 66; JurBüro 1984, 718; OLG Hamm StraFO 2002, 397; OLG Koblenz - 2. Strafsenat - NStZ-RR 1997, 384; OLG Celle NdsRpfl, 19; OLG Karlsruhe RPfl 1986, 149; std. Rspr. aller Beschwerde- und Revisionssenate des KG, vgl. KG RPfl 1994, 226; Beschlüsse vom 23. August 2005 - 4 Ws 121/05 -; 2. August 2005 - (5) 1 Ss 236/05 (42/05) -; 7. Juni 2004 - 3 Ws 182/04 -; 20. Februar 2004 - 3 Ws 39/04 - www.strafverteidiger-berlin.de/rechtsprechung/entscheidung. php?id=1134 -; 16. Januar 2003 - 5 Ws 4/03 -; 14. März 2002 - 5 Ws 156/02 -; 5. November 2001 - 3 Ws 510/01 -; 30. November 1999 - 4 Ws 285/99 - www.strafverteidiger-berlin.de/recht-sprechung/entscheidung.php?id=638 ; 13. Januar 1995 - 5 Ws 8/95 -; 12. Juni 1991 - 3 Ws 112/91 -; Lüderssen in LR, StPO 25. Aufl., § 141 Rdn. 11; Meyer-Goßner, § 141 Rdn. 8; Pfeiffer, StPO 5. Aufl., § 141 Rdn. 3, 4).

b) Die rückwirkende Bestellung wird allerdings - unter verbaler Wahrung des Grundsatzes, wonach sie regelmäßig unwirksam ist (vgl. Wohlers in SKStPO, § 141 Rdn. 24) - in Teilen des Schrifttums und in dem bevorzugt veröffentlichten Teil der (überwiegend landgerichtlichen) Rechtsprechung dann für geboten gehalten, wenn der Antrag auf Beiordnung - wie hier - rechtzeitig gestellt und vom Gericht nicht, nicht rechtzeitig, ohne Gründe (vgl. LG Potsdam StraFO 2004, 381 = StV 2005, 83) oder fehlerhaft (vgl. LG Magdeburg StraFO 2003, 420 = StV 2005, 84 Ls) beschieden worden ist und die Voraussetzungen der Beiordnung vorgelegen hätten (vgl. OLG Koblenz - 1. Strafsenat - StV 1995, 537; LG Schweinfurt StraFO 2006, 25; LG Hamburg StV 2005, 207 mit Anm. Rogosch; LG Aachen StraFO 2004, 96; StV 2004, 125; LG Bremen StV 2004, 126; StraFO 2002, 329; LG Magdeburg StraFO 2003, 420; LG Köln StraFO 2003, 311; LG Heilbronn StraFO 2003, 199; LG Osnabrück StV 2001, 447; LG Braunschweig StV 2001, 447; LG Hamburg StV 2000, 16; LG Berlin StV 1997, 517 = NStZ-RR 1998, 116; LG Braunschweig StV 1997, 70; LG Frankfurt am Main StV 1992, 315; Laufhütte in KK, StPO 5. Aufl., § 141 Rdn. 12; Julius in HK, StPO 3. Aufl., § 141 Rdn. 10; Müller, NStZ-RR 2005, 131, NStZ-RR 2004, 100). Der Antrag des Verteidigers habe, als er ihn rechtzeitig stellte, nicht dem Zweck gedient, ihm einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, sondern die ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten sicherstellen sollen. Der gerichtsinterne Fehler dürfe sich nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirken. Lasse man das mit der herrschenden obergerichtlichen Ansicht zu, so müsse der Angeklagte die Sorge haben, von einem Rechtsanwalt verteidigt zu werden, der seinerseits befürchtet, keine Vergütung zu erhalten, was sich strukturell und inhaltlich auf den effektiven Rechtsschutz auswirke (vgl. LG Bremen StV 2004, 126, 127). Auch der Vergleich mit der Rechtsprechung zur nachträglichen Beiordnung eines anwaltlichen Beistandes (§ 397a Abs. 1 Satz 2 StPO) oder der nachträglichen Gewährung von Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 397a Abs. 2 StPO spreche dafür, die nachträgliche Bestellung auch in den Fällen der Pflichtverteidigung zuzulassen (vgl. LG Bremen aaO).

4. Der Senat verbleibt bei seiner Ansicht. Für ein abgeschlossenes Verfahren darf ein Pflichtverteidiger unter keinen Umständen rückwirkend bestellt werden, weil eine solche Bestellung auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist. Der Verteidiger hat seine Leistung bereits als Wahlverteidiger aufgrund eines Mandatsverhältnisses abschließend erbracht. Die mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger einsetzende öffentlich-rechtliche Pflicht zum Tätigwerden kann er nach Abschluß des Verfahrens nicht mehr erfüllen (vgl. OLG Hamm, Beschluß vom 20. Juli 2000 - 1 Ws 206/00 - www.burhoff.de/rspr/texte/q_00022.htm mit weit. Nachw.).

a) Zwischen der Tätigkeit als Wahlverteidiger und der als Pflichtverteidiger bestehen wesensmäßige Unterschiede, die eine rückwirkende Änderung seiner Rechtsstellung verbieten. Der vom Angeklagten gewählte Verteidiger (§ 138 StPO) ist aufgrund eines Auftragsverhältnisses und der sie ausweisenden Vollmacht tätig, weil der Mandant ihn beauftragt und er den Auftrag angenommen hat. Er kann wirksam eine Untervollmacht erteilen, ohne die Zahl der gewählten Verteidiger zu erhöhen (vgl. Laufhütte in KK, StPO 5. Aufl., vor § 137 Rdn. 14) und das Mandat jederzeit wirksam niederlegen. Sein Mandat reicht über die Rechtskraft des Urteils hinaus. Auch nach dem Abschluß des Rechtszuges gilt es fort und ermächtigt ihn - sofern in der Vollmachtsurkunde enthalten - zur wirksamen Annahme von Zustellungen. Sein Vergütungsanspruch richtet sich gegen den Auftraggeber, was dieser bei Abschluß des Dienstvertrages weiß. Erst mit der Mandatsniederlegung endet der zivilrechtliche Auftrag des Rechtsanwalts. Wird er - wie meistens, so auch hier - von der Bestellung abhängig gemacht, wirkt er fort.

Erst die Bestellung als Pflichtverteidiger gibt einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis Raum, auf deren Grundlage der Rechtsanwalt fortan arbeitet. Die gerichtliche Bestellung zum Verteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken (vgl. BVerfGE 39, 238, 241 = NJW 1975, 1015). Der nach § 141 Abs. 1 StPO bestellte Verteidiger muß die Verteidigung übernehmen (§ 49 BRAO); nur aus wichtigem Grund kann er die Aufhebung der Indienstnahme beantragen (vgl. BVerfG NJW 2001, 1269). Er ist - gegebenenfalls unter Hintansetzung anderer beruflicher Interessen - verpflichtet, das Mandat persönlich zu führen; wirksam kann er weder einen Unterbevollmächtigten bestellen noch das Mandat niederlegen (vgl. BVerfG aaO). Denn er ist nicht aufgrund des mit seinem eigenen Willen übereinstimmenden Willens des Angeklagten tätig, sondern im öffentlichen Interesse, das der Rechtsstaat an der wirksamen Verteidigung des Angeklagten hat (vgl. BVerfGE aaO; Meyer-Goßner, § 140 StPO Rdn. 1 mit weit. Nachw.). Seine Bestellung endet (mit geringen Ausnahmen) mit der Rechtskraft des Urteils (vgl. Laufhütte in KK, § 141 StPO Rdn. 10). Seine Vergütung, die unter den als angemessen anzusehenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt (vgl. BVerfGE 68, 237, 255 = NJW 1985, 727), trägt dem Umstand Rechnung, daß der Gesetzgeber die Indienstnahme nicht als kostenlos zu erbringende Ehrenpflicht ausgestaltet hat (vgl. BVerfG NJW 2001, 1269). Die Vergütung ist das notwendige Gegenstück zur Auferlegung einer Verpflichtung (vgl. Hartmann, Kostengesetze 33. Aufl., § 97 BRAGO Rdn. 2). Sie ist folglich aus der Staatskasse zu leisten; den verurteilten Angeklagten trifft sie nur mittelbar, wenn er die zu den Verfahrenskosten zählenden Auslagen der Staatskasse zu tragen hat (§§ 465 Abs. 1, 464 Abs. 1, 464a Abs. 1 Satz 1 StPO) und wenn die Ansetzung nicht nach § 10 KostVfG unterbleibt. Nur wegen dieser wesensmäßigen Unterschiede war es möglich und geboten, in "Kippfällen", in denen das Mandatsverhältnis vor dem Inkrafttreten des RVG am 1. Juli 2004 begründet, die Bestellung zum Pflichtverteidiger aber danach angeordnet worden war, nach § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG die Vergütung nach den Vorschriften des RVG zu berechnen (vgl. OLG Schleswig RVGreport 2005, 29; KG RVGreport 2005, 100; Senat, Beschluß vom 11. Februar 2005 - 5 Ws 656/04 -). § 48 Abs. 5 RVG (vormals § 97 Abs. 3 BRAGO) ordnet lediglich eine kostenrechtliche Rückwirkung an und führt nicht zu einer rückwirkenden Bestellung (vgl. OLG Köln NJW 2003, 2038; KG RPfl 1994, 226; Hartmann, Kostengesetze 35. Aufl., § 48 RVG Rdn. 99).

b) Diese Systematik darf auch nicht deswegen durchbrochen werden, weil das Gericht auf einen rechtzeitigen und begründeten Antrag des bisherigen Wahlverteidigers untätig geblieben ist. Nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung der §§ 140 ff. StPO steht immer nur die Sicherung einer ordnungsgemäßen Verteidigung im Vordergrund (vgl. OLG Hamm, Beschluß vom 20. Juli 2000 - 1 Ws 206/00 - www.burhoff.de mit weit. Nachw.). Der Beschwerdeführer war indes ständig durch Rechtsanwalt Dr. H... als Wahlverteidiger ordnungsgemäß verteidigt. Ein Verteidiger wird nur demjenigen Beschuldigten, Angeklagten oder Verurteilten bestellt, der in den Fällen des § 140 StPO noch keinen Verteidiger hat (§ 141 Abs. 1 StPO).

aa) Die Auffassung, wonach der rechtzeitige und unbeschieden gebliebene Antrag des Verteidigers ausreichen solle, um eine rückwirkende Beiordnung zu rechtfertigen, verändert die Vorschriften über die Pflichtverteidigung in ihrem Wesenskern. Sie verkehrt eine Vorschrift, die ausschließlich im öffentlichen Interesse die Verteidigung des unverteidigten Beschuldigten gewährleisten soll, in eine Sozialregelung für mittellose Beschuldigte, denen sie eine gewisse finanzielle Sicherheit verschaffen soll (so ausdrücklich LG Schweinfurt, StraFO 2006, 25). Wer einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger habe, solle sich darauf verlassen können, daß er nicht am Ende für die Verteidigerkosten aufkommen müsse (so OLG Koblenz StV 1995, 537, 538). Diese Ansicht steht in einem diametralen Gegensatz zum gesetzlichen Leitbild der Pflichtverteidigung. Sie ist gerade nicht als Sozialleistung ausgestaltet. Denn sie hängt nie von den Vermögensverhältnissen oder der finanziellen Leistungsfähigkeit des Beschuldigten ab. Zur Fürsorge für die unbemittelte Partei dient die Prozeßkostenhilfe. Aus diesem Grunde ist in diesem Bereich die rückwirkende Beiordnung zur Korrektur eines gerichtlichen Versäumnisses zugelassen (vgl. Meyer-Goßner, § 397a Rdn. 15 mit Nachw.). Diesen Unterschied verkennen LG Bremen StV 2000, 126, 127 und OLG Frankfurt am Main StV 1992, 315.

bb) Es ist auch nicht richtig, daß sich der Beschuldigte darauf verlassen können muß, daß "er nicht am Ende für die Verteidigerkosten aufkommen muß" (vgl. OLG Koblenz aaO). Denn diese Sicherheit hat er auch im Falle der Beiordnung nicht. Sofern er die Verfahrenskosten tragen muß (§§ 465 Abs. 1, 464 Abs. 1 StPO), zählen nach § 464a Abs. 1 Satz 1 StPO die Auslagen der Staatskasse für die Pflichtverteidigergebühren dazu und werden gegen ihn festgesetzt (vgl. BGH RPfl 1979, OLG Hamm NStZ-RR 2000, 160; Meyer-Goßner, § 464a StPO Rdn. 1).

cc) Solange der von dem Mandanten beauftragte Rechtsanwalt als Wahlverteidiger tätig bleibt, beruht sein Vergütungsanspruch auf dem mit dem Beschuldigten geschlossenen Vertrag. Wer miteinander einen Vertrag schließt und auf dessen Grundlage handelt, muß sich vertragsgemäß verhalten und damit rechnen, daß die daraus resultierenden gegenseitigen Ansprüche erfüllt werden müssen und können. Allein die - gesetzlich gestützte - Aussicht, mittels der Beiordnung die Beendigung des eingegangenen Vertragsverhältnisses zu erlangen, begründet weder für den Beschuldigten bereits zum Zeitpunkt des Antrages einen Anspruch, von seinen vertraglich mit dem Rechtsanwalt vereinbarten Zahlungsverpflichtungen loszukommen, noch für den Rechtsanwalt eine Sicherheit, statt des Vertragspartners die Staatskasse als (noch) solventen Schuldner in Haftung nehmen zu können. Erst die Beiordnung beendet dieses Stadium.

Daß der Verteidiger entgegen der ihm vertraglich obliegenden Pflicht, den Mandanten bestmöglich zu verteidigen, eine weniger engagierte und damit schlechtere Leistung erbringen könnte, weil er an der Vertragstreue seines Mandanten zweifelt, kann nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden, weil diese Überlegung ein vertragswidriges Verhalten des Verteidigers unterstellt.

5. Will der Rechtsanwalt wegen der Vermögenslosigkeit des Mandanten oder anderer Gründe, an dessen Zahlungskraft oder Zahlungswillen zu zweifeln, sicherstellen, daß er nur als Pflichtverteidiger, aber nicht als Wahlverteidiger auftritt, so darf er sein Mandat nicht erst unter der Bedingung der Beiordnung niederlegen, sondern muß das bedingungslos tun und klarstellen, daß er nur als Pflichtverteidiger auftreten werde oder er muß ausschließlich den Antrag auf Beiordnung stellen, ohne sich zuvor als Wahlverteidiger zu melden (vgl. KG RPfl 1994, 226). Nur dann ist - im Falle der notwendigen Verteidigung - sichergestellt, daß das Gericht, das versäumt, den Verteidiger beizuordnen, verfahrensfehlerhaft handelt und das Risiko eingeht, daß die Sache im Falle einer für den Beschuldigten nachteiligen Entscheidung zurückverwiesen wird (vgl. die in KG StV 1990, 298 geschilderte Fallgestaltung). Verzögert das Gericht die Bearbeitung des Antrages (vgl. die Beispiele in LG Bremen StV 2000, 126, 127), so steht dem Beschuldigten, der wegen der Auswahlregelung des § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO auch nicht Gefahr läuft, daß ein anderer Rechtsanwalt bestellt wird, alsbald die Möglichkeit der Untätigkeitsbeschwerde (§ 304 StPO) zur Verfügung, weil das Unterlassen einer Entscheidung in diesem Falle einer ablehnenden Entscheidung gleichzuachten wäre (vgl. Meyer-Goßner, § 304 StPO Rdn. 3).

6. So lagen die Dinge übrigens hier. Weshalb eine Entscheidung über den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger unterblieben ist, erhellt sich dem Senat nicht. Denn angesichts der Schwierigkeit des vorliegenden Falles und des Umstandes, daß der Beschwerdeführer unter paranoider Schizophrenie leidet, hätte eine Pflichtverteidigerbestellung durchaus nahegelegen. Daß die Strafvollstreckungskammer zunächst überhaupt keine Entscheidung getroffen hat, ist nicht nachvollziehbar. Denn auf diese Weise war der Beschwerdeführer, dem der von dem Senat oben unter 5. gewiesene Weg unbekannt war, gehindert, die ihm nach dem Gesetz zustehende Beschwerde gegen eine ablehnende Entscheidung rechtzeitig einzulegen. An dieser Einschätzung ändert auch der Vermerk des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer vom 17. Dezember 2004 nichts.

Aus diesem Grunde hat der Senat die Kosten des Beschwerdeverfahrens, die nach § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO auf den Beschwerdeführer entfallen wären, gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht erhoben.

Ende der Entscheidung

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