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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 24.05.2005
Aktenzeichen: 1 AR 20/03
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG a.F. § 5
GKG a.F. § 8
Wird das Urteil des Landgerichts wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels nach § 539 ZPO a. F. (jetzt § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) aufgehoben und zurückverwiesen, so sind die Kosten des Verfahrens der Berufung nicht stets niederzuschlagen, sondern nur dann, wenn die Prüfung im Einzelfall ergibt, dass ein offener, eindeutiger und schwerer Verstoß gegen das Verfahrensrecht vorliegt (Aufgabe der bisherigen Rspr., vgl. Beschluss vom 3. Juni 1997 - 1 W 223/97 -).
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 AR 20/03

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die Erinnerung der Beteiligten zu 1) vom 17. Juni 2003 gegen den Kostenansatz des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 27. März 2003 (Sollstellung der Justizkasse Berlin vom 23. Mai 2003 zur Ksb-Nr. 1030406516006) in der Sitzung vom 24. Mai 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Erinnerung wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Klägerin verlangt die Niederschlagung der Gerichtskosten, die mit der Kostenrechnung vom 27. März 2003 für das Berufungsverfahren im ersten Durchgang angesetzt worden sind und ihr gegenüber noch in Höhe von 173,25 DM (88,85 Euro) als Entscheidungsschuldnerin und in Höhe von 1.403,37 DM (717,53 Euro) als Zweitschuldnerin neben dem Beklagten geltend gemacht werden.

In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte das Kammergericht mit Urteil vom 17. März 2003 das die Klage abweisende Urteil der ersten Instanz vom 22. Juni 2001 aufgehoben und die Sache an das Landgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, zurückverwiesen. In den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils heißt es hierzu, das Verfahren des ersten Rechtszuges leide wegen Verstoßes gegen die richterliche Aufklärungs- und Hinweispflicht nach §§ 139, 278 ZPO (a. F.) an einem wesentlichen Mangel. Das Landgericht hätte - weil es die Anforderungen an die Darlegungslast abweichend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beurteilen wollte - der Klägerin im Einzelnen konkret mitteilen müssen, welche weiteren Angaben zur Substantiierung ihres Vortrages erforderlich seien. Im weiteren Verlauf hat das Landgericht mit Urteil vom 10. Dezember 2003 der Klage zum größten Teil stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin zu 1/10, dem Beklagten zu 9/10 auferlegt. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung hat der Beklagte nach einem Hinweis gemäß § 522 Abs. 3 ZPO zurückgenommen.

Der Kostenbeamte des Kammergerichts hat mit Kostenrechnung vom 27. März 2003 gegen die Klägerin zunächst als Antragsschuldnerin gemäß § 49 GKG (a. F.) eine Verfahrensgebühr nach KV 1220 und eine Urteilsgebühr nach KV 1226 in Höhe von insgesamt 1.732,50 DM angesetzt (Sollstellung der Justizkasse vom 23. Mai 2003 zur Ksb-Nr.: 1030406516006). Die Klägerin hat demgegenüber am 17. Juni 2003 beantragt, die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens wegen unrichtiger Sachbehandlung seitens des Landgerichts gemäß § 16 Abs. 1 KostO (richtig: § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG a. F.) niederzuschlagen. Diesen Antrag hat die Klägerin mit Schreiben vom 14. Februar 2005 aufrechterhalten, nachdem die Sollstellung der Justizkasse vom 23. Mai 2003 zur Ksb-Nr.: 1030406516006 entsprechend der Kostenentscheidung des Landgerichts im Urteil vom 10. Dezember 2003 in Höhe von 1.403,37 DM auf den Beklagten umgeschrieben sowie in Höhe von 155,88 DM gelöscht und die restliche Schuld von 173, 25 DM (88,85 Euro) bei der Klägerin angemahnt worden ist. Die Klägerin ist mit Schreiben der Justizkasse vom 18. April 2005 wegen des Betrages von 1.403,37 DM (717,53 Euro) neben dem Beklagten als Zweitschuldner in Anspruch genommen worden.

II. Der Antrag der Klägerin, die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens niederzuschlagen, beurteilt sich im vorliegenden Altfall gemäß § 72 Nr. 1 GKG nach dem Gerichtskostengesetz in der bis zum 1. Juli 2004 geltenden Fassung (im Folgenden: GKG).

Er ist nicht als selbständiger Antrag nach § 8 GKG, sondern, da die Kosten bereits gegen die Klägerin angesetzt sind, als Erinnerung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG gegen den Kostenansatz des Kammergerichts aufzufassen (vgl. Senat, JurBüro 1997, 654; Hartmann, KostG, 33. Aufl., § 8 Rn. 54). Die Entscheidungszuständigkeit des Gerichts wird dadurch nicht verändert. Für die Kosten der Berufungsinstanz ist das Kammergericht sowohl im Rahmen einer Erinnerung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG als auch bei einer Entscheidung nach § 8 GKG zuständig (vgl. Senat, a. a. O.; Hartmann, a. a. O.). Im Verfahren der Erinnerung ist auch über den Antrag nach § 8 GKG zu entscheiden.

Die Kostenansatzerinnerung ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG zulässig, aber nicht begründet. Die Gerichtskosten sind für das Berufungsverfahren zu erheben, auch wenn das Urteil des Landgerichts vom 22. Juni 2001 aufgehoben und die Sache wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels nach § 539 der Zivilprozessordnung in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung (im Folgenden: ZPO) an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen worden ist.

Allerdings sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG Gerichtskosten nicht zu erheben, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Eine "unrichtige Sachbehandlung" im Sinne dieser Vorschrift ist aber nur anzunehmen, wenn das Gericht gegen eindeutige gesetzliche Normen verstoßen, insbesondere einen schweren Verfahrensfehler begangen hat, der offen zutage tritt oder wenn ein offensichtliches Versehen vorliegt (BGH in ständiger Rechtsprechung, vgl. Senat, JurBüro 1997, 654; Hartmann, a. a. O., § 8 Rn. 8 und 10; Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, § 21 Rn. 10 jeweils m. w. N.; a. A. E. Schneider, MDR 01, 914).

Im Falle der Aufhebung einer gerichtlichen Entscheidung und der Zurückverweisung nach § 539 ZPO entsprach es der früher vorherrschenden Ansicht, dass dann stets die Kosten des Berufungsverfahrens nicht zu erheben seien (vgl. BGHZ 27,163,170; OLG Düsseldorf, JurBüro 1975, 1226; Senat, JurBüro 1997, 654 mit der Begründung, dass der wesentliche Verfahrensmangel und seine Ursächlichkeit für die Entstehung der Kosten des Berufungsverfahrens in den Entscheidungsgründen des zurückverweisenden Urteils offen zutage träten). Hiervon abweichend wird in neueren Entscheidungen zunehmend die Auffassung vertreten, dass auch bei einer Zurückverweisung nach § 539 ZPO zusätzlich Schwere und Offenkundigkeit des festgestellten Verfahrensfehlers einer Prüfung im Einzelfall unterzogen werden müsse (OLG Celle, OLGR Celle 2004, 342 f.; OLG Köln, NJW-RR 2001, 1724; Hartmann, a. a. O., Rn. 9 und 40; Meyer, GKG, § 21 Rn. 5 und 7).

Dieser Auffassung schließt sich der Senat unter Aufgabe seiner früher vertretenen Meinung für den Fall der Aufhebung und Zurückverweisung nach § 539 ZPO - jetzt § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n. F. - an. Die Feststellung, dass das Verfahren des ersten Rechtszuges an einem wesentlichen Mangel leidet, ist nicht mit der Erkenntnis gleichzusetzen, dass ein eindeutiger und schwerer Verstoß gegen klare gesetzliche Regelungen vorliegt, der offen zutage tritt. Ansonsten hätte bereits der Gesetzgeber im Falle der Aufhebung eines Urteils und der Zurückverweisung nach § 539 ZPO von einer Kostenerhebung für das Berufungsverfahren generell absehen müssen, so wie dies bei erfolgreichen Beschwerden vorgesehen ist. Die Zurückverweisung der Sache durch das höhere Gericht kann daher in der Regel nur ein - allerdings gewichtiges - Indiz dafür abgeben, dass der Vorinstanz offensichtlich ein schwerer Verfahrensverstoß unterlaufen ist. Daneben ist jedoch grundsätzlich zu berücksichtigen, dass Verfahrensfehler aus einer abweichenden Beurteilung nicht eindeutig zu beantwortender Rechtsfragen resultieren können. Insbesondere kann das fehlerhafte Unterlassen eines rechtlichen Hinweises und die darin liegende Verletzung des rechtlichen Gehörs eingebettet sein in die Beurteilung schwieriger oder kontroverser Rechtsansichten (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2002, III ZR 165/96). In diesen Fällen wird die Entscheidung des Berufungsgerichts in allgemeinen auch mit Hinweisen auf die Rechtslage verbunden sein, die das Verfahren fördern und den Parteien zugute kommen. Dann aber ist für die Anwendung des § 8 GKG kein Raum.

Nach diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Niederschlagung der Gerichtskosten gemäß § 8 Abs. 1 GKG nicht vor. Das Kammergericht hat die Aufhebung des Urteils vom 22. Juni 2001 und die Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht damit begründet, dass das Landgericht der Klägerin nach §§ 139, 278 ZPO einen ausreichend präzisen und unmissverständlichen Hinweis auf den fehlenden entscheidungserheblichen Sachvortrag hätte erteilen und der Klägerin damit die Möglichkeit eröffnen müssen, ihren Vortrag sachdienlich zu ergänzen. Wie das Kammergericht ausführlich anhand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dargelegt hat, beruhte der Verfahrensfehler auf einer fehlerhaften Auffassung des Landgerichts zur Frage der ausreichenden Substantiierung des Klagevorbringens,. Die daraus hergeleitete Verletzung der Hinweispflicht nach § 139 ZPO ist aber in der Regel nicht als eindeutiger und offenkundiger Verstoß gegen das Verfahrensrecht zu bewerten, auch wenn das erstinstanzliche Verfahren dadurch an einem wesentlichen, die Aufhebung und Zurückverweisung rechtfertigenden Mangel leidet. Denn die Anforderungen an die Substantiierung des entscheidungserheblichen Vortrages und damit an Umfang und Tragweite der diesbezüglichen Aufklärungs- und Hinweispflichten des Gerichts aus § 139 ZPO sind in ihren Einzelheiten nicht eindeutig vorgegeben, sondern ergeben sich erst im Wechselspiel der Tat- und Rechtsfragen des Einzelfalls, wozu durchaus unterschiedliche Auffassungen der Instanzen möglich sind. Durch das Berufungsverfahren wurde die Sache hinsichtlich der rechtlichen Würdigung des Sach- und Streitstandes denn auch in einer Weise gefördert, die einer Nichterhebung der Kosten entgegensteht (vgl. BGH, a. a. O.). Die Hinweise des Berufungsgerichts auf die in einer umfangreichen Beweisaufnahme zu klärenden Indiztatsachen haben ersichtlich zum Erlass eines entsprechenden Beweisbeschlusses des Landgerichts am 24. April 2003 geführt. Das Berufungsgericht hat demgemäss von der Möglichkeit, die Gerichtskosten sogleich von Amts wegen niederzuschlagen, seinerseits keinen Gebrauch gemacht.

Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 5 Abs. 6 GKG).



Ende der Entscheidung

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