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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.04.2005
Aktenzeichen: 1 AR 319/05 - 5 Ws 157/05
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 268 a Abs. 1
StPO § 311 Abs. 2
StPO § 453 Abs. 1 Satz 1
StPO § 453 Abs. 2 Satz 3
StGB § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
StGB § 56 b
StGB § 56 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
StGB § 56 d Abs. 3
StGB § 56 d Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
1 AR 319/05 - 5 Ws 157/05

In der Strafsache

wegen Raubes

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 13. April 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 18. Januar 2005 aufgehoben.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft Berlin, die in dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. September 2003 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen, wird zurückgewiesen.

Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 22. September 2003 - rechtskräftig seit dem 30. September 2003 - wegen Raubes in zwei Fällen, davon in einem Fall zugleich mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. In dem mit dem Urteil verkündeten Bewährungsbeschluß hat es die Bewährungszeit auf drei Jahre bestimmt, den Beschwerdeführer für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt und ihm die Auflage erteilt, "nach näherer Weisung des Bewährungshelfers 60 (sechzig) Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten". Die Bewährungshilfestelle erhielt das Urteil und den Bewährungsbeschluß am 18. November 2003. Die Bewährungshelferin gab dem Landgericht durch Schreiben vom 3. Februar 2004 die Übernahme der Bewährungsaufsicht bekannt und teilte mit, daß der Verurteilte zunächst eine ihm in anderer Sache drohende Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abwenden und danach die Bewährungsauflage "in Angriff" nehmen solle. In ihrem Bericht vom 30. August 2004 teilte die Bewährungshelferin mit, daß der Verurteilte die Auflage noch nicht erfüllt habe und vertrat die Ansicht, daß mangels eines im Bewährungsbeschluß näher bestimmten Zeitraumes die Arbeiten bis zum Ablauf der Bewährungszeit abgeleistet werden könnten. Sie regte daher an, im Beschlußwege nachträglich eine Frist zur Erfüllung der Auflage zu setzen. Das Landgericht forderte den Verurteilten daraufhin mit Schreiben vom 22. September 2004 auf, die Arbeit unverzüglich abzuleisten und stellte für den Fall, daß nicht binnen acht Wochen eine entsprechende Bestätigung bei Gericht vorliege, den Widerruf der Bewährung in Aussicht. Die Bewährungshelferin verwies es in dem Schreiben vom selben Tag auf den Beschlußinhalt, wonach die Arbeiten nach näherer Weisung des Bewährungshelfers zu leisten sind, und folgerte daraus, daß dies eine angemessene Fristsetzung durch den Bewährungshelfer einschlösse, so daß eine Beschlußergänzung "zunächst" nicht erforderlich erscheine. Nachdem der Verurteilte auch danach die Arbeitsauflage nicht erfüllt und die Staatsanwaltschaft daraufhin den Widerruf der Strafaussetzung beantragt hatte, fand am 18. Januar 2005 die mündliche Anhörung des Verurteilten vor dem Landgericht statt. Im Anhörungstermin gab der Verurteilte unter anderem an, er habe sich im April und Mai 2004 für vier Wochen zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe wegen Beförderungserschleichung in Strafhaft befunden. Eine ihm zugewiesene gemeinnützige Arbeit habe er zwar aufgenommen, sie aber nach zwei Tagen abgebrochen, weil ihm das Umfeld nicht behagt habe. Er erbitte sich noch eine Chance und wolle die ihm zugewiesene Arbeit bei dem Hebron e.V. ableisten.

Mit Beschluß noch vom 18. Januar 2005, dem Verurteilten zugestellt am 26. Januar 2005, hat das Landgericht die Strafaussetzung zur Bewährung mit der Begründung widerrufen, der Verurteilte habe gröblich und beharrlich gegen die Arbeitsauflage verstoßen. Ausweislich eines durch die Bewährungshelferin eingereichten Stundennachweises des Hebron e.V. vom 4. Februar 2005 hat der Verurteilte im Zeitraum vom 19. Januar bis zum 1. Februar 2005 dort insgesamt 57 Arbeitsstunden abgeleistet. Mit seiner am 31. Januar 2005 bei Gericht eingegangenen Eingabe vom 27. Januar 2005 wendet er sich gegen die Widerrufsentscheidung des Landgerichts.

1. Die als sofortige Beschwerde auszulegende (§ 300 StPO) Eingabe ist nach § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO zulässig, insbesondere rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO erhoben.

2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Denn die Widerrufsvoraussetzungen des § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB liegen nicht vor. Zwar zieht der von dem Landgericht herangezogene Widerrufsgrund des gröblichen oder beharrlichen Verstoßes gegen eine Auflage, wie sie hier nach § 56 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB erteilt worden ist, grundsätzlich ohne weiteres den Widerruf der Strafaussetzung nach sich, ohne daß es (wie im Fall des Widerrufs nach § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) zusätzlich der Feststellung einer ungünstigen Kriminalprognose bedürfte. Ein Bewährungsverstoß scheidet aber vorliegend schon mangels durch das Landgericht wirksam bestimmter Fristsetzung für die zu erbringenden gemeinnützigen Arbeiten aus. Ist aber eine Frist, innerhalb deren eine angeordnete Auflage zu erfüllen ist, in dem Beschluß nach § 268 a Abs. 1 StPO nicht angeordnet worden, so gilt als Erfüllungsfrist die Dauer der Bewährungszeit (vgl. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl., Seite 67, Rdn. 169). Die Bewährungszeit endet vorliegend aber erst am 29. September 2006.

Eine rechtlich verbindliche Fristsetzung durch die Bewährungshelferin konnte weder aufgrund entsprechender Ermächtigung durch das Landgericht noch aus eigener Befugnis der Bewährungshelferin erfolgen.

a) Das Landgericht durfte die Bestimmung der dem Verurteilten für die Erfüllung der Auflage zu setzenden Frist nicht an die Bewährungshelferin delegieren oder diese dazu ermächtigen. Die Auflage, gemeinnützige Arbeiten zu erbringen, muß Art und Umfang der Leistung sowie den Zeitraum, innerhalb dessen sie zu erfüllen ist, festlegen. Solche inhaltlichen Ausgestaltungen der Auflage obliegen aber allein dem Gericht und dürfen nicht Dritten, auch nicht dem Bewährungshelfer oder der Gerichtshilfe, übertragen oder überlassen werden (vgl. OLG Hamm NStZ 1998, 56; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1997, 2 und NStZ-RR 1996, 220; OLG Zweibrücken BA 1995, 189; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl., § 56 d Rdn. 5; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl., § 56 d Rdn. 4; Gribbohm in LK, StGB 25. Aufl., § 56 d Rdn. 7; Horn in SK, StGB, § 56 b Rdn. 11a und § 56 d Rdn. 2; anderer Ansicht bezüglich des notwendigen Umfanges der Festlegungen durch das Gericht Groß in MünchKomm, StGB § 56 d Rdn. 16).

b) Der Bewährungshelfer ist aufgrund seiner in § 56 d Abs. 3, 4 StGB geregelten rechtlichen Stellung, nach der er dem Verurteilten in erster Linie helfend und betreuend zur Seite steht, nicht befugt, dem Probanden eigene Weisungen zu erteilen (vgl. OLG Frankfurt aaO; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl., § 56 d Rdn. 5; Groß in MünchKomm, StGB § 56 d Rdn 17; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl., § 56 d Rdn. 4; Gribbohm in LK, StGB 25. Aufl., § 56 d Rdn. 7).

c) Aus dem Bestimmtheitsgrundsatz folgt, daß Bewährungsauflagen klar gefaßt und in ihrer Einhaltung ohne weiteres von dem Gericht überprüfbar sein müssen. Nur unter dieser Voraussetzung können Verstöße zweifelsfrei festgestellt werden und weiß der Verurteilte unmißverständlich, wann ihm der Widerruf der Strafaussetzung droht. Daß die inhaltliche Ausgestaltung der Bewährungsauflage allein dem Richter vorbehalten ist, ergibt sich aus der überragenden Bedeutung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, in das durch den Bewährungswiderruf und die damit verbundene Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe eingegriffen wird, und daraus, daß die Entziehung der Freiheit von Verfassungs wegen (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) richterlicher Anordnung bedarf.

d) Durch das gerichtliche Schreiben vom 22. September 2004 an den Verurteilten konnte eine nachträgliche Fristsetzung für die Erfüllung der Auflage nicht bewirkt werden. Nachträgliche Änderungen angeordneter Bewährungsmaßnahmen (§ 56 e StGB) kann das Gericht gemäß § 453 Abs. 1 Satz 1 StPO nur durch Beschluß treffen (vgl. Groß in MünchKomm § 56 e Rdn. 18). Einen solchen hat das Landgericht nicht erlassen.

e) Von den vorstehenden Erwägungen abgesehen, bedarf es eines Widerrufs der Strafaussetzung vorliegend auch deshalb nicht, weil der Beschwerdeführer die gemeinnützigen Arbeiten bei dem Hebron e.V. unmittelbar nach dem Anhörungstermin, im wesentlichen noch vor der Bekanntmachung des Widerrufsbeschlusses, erbracht hat. Eine Auflage nach § 56 b StGB dient dazu, den Täter zu veranlassen, Genugtuung für das begangene Unrecht zu leisten (vgl. Groß in MünchKomm, StGB, § 56 b Rdn. 2). In Anbetracht der bei dem Hebron e.V. abgeleisteten 57 Arbeitsstunden und der 2004 für eine andere Einrichtung erbrachten zwei Arbeitstage, ferner auch - insoweit allerdings nur am Rande - wegen des Umstandes, daß der Beschwerdeführer im Frühsommer 2004 für die Dauer von vier Wochen eine Ersatzfreiheitsstrafe in anderer Sache verbüßt und damit, soweit ersichtlich, erstmals Freiheitsentzug erlitten hat, besteht aber ein solches Genugtuungsbedürfnis nicht mehr (vgl. allgemein zur Möglichkeit des Entfallens des Genugtuungsbedürfnisses auch bei Auflagenverstoß bei erstmaliger Strafverbüßung in anderer Sache KG, Beschluß vom 2. Juni 1998 - 5 Ws 300/98 - bei juris).

Der angefochtene Beschluß war nach alledem aufzuheben und der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.

Die Kosten des Rechtsmittels fallen der Landeskasse Berlin zur Last, weil kein anderer dafür haftet. Die Überbürdung der dem Beschwerdeführer im Beschwerderechtszug entstandenen notwendigen Auslagen auf die Landeskasse folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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