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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 02.05.2005
Aktenzeichen: 1 AR 490/05 - 5 Ws 216/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 46 Abs. 3
StPO § 329 Abs. 3
Zu der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsverhandlung bei verspäteten Eintreffen im Saal.
1 AR 490/05 - 5 Ws 216/05

In der Strafsache gegen

wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u.a.

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 2. Mai 2005 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 21. März 2005 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte den Angeklagten wegen versuchter vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Da der Angeklagte zu der auf den 16. Februar 2005 anberaumten Verhandlung über seine Berufung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht rechtzeitig erschienen war, verwarf das Landgericht das Rechtsmittel nach § 329 Abs. 1 StPO. Den fristgerecht gestellten Antrag seines Verteidigers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsverhandlung verwarf das Landgericht mit der Begründung, daß es an einem ausreichenden Vortrag eines entschuldigenden Sachverhalts fehle. Die nach §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO zulässige sofortige Beschwerde des Angeklagten hat keinen Erfolg.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten zu Recht als unzulässig verworfen. Denn der Beschwerdeführer hat entgegen § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO keinen Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht, der sein verspätetes Erscheinen zur Berufungshauptverhandlung hätte entschuldigen können.

Nach der glaubhaft gemachten Darstellung des zu 9.00 Uhr in der Turmstraße 91 geladenen Angeklagten hat dieser am Terminstage um 8.55 Uhr das Gerichtgebäude betreten. Nachdem er festgestellt hatte, daß im Eingangsbereich der Turmstraße großer Andrang herrschte und er trotz Vorzeigens der Ladung an der Eingangskontrolle nicht vorgezogen wurde, verließ er das Gericht wieder und begab sich zum Eingang Wilsnacker Straße, wo er zwischen 9.10 Uhr und 9.15 Uhr die Personenkontrolle durchschritt. Erst etwa zwischen 9.15 Uhr und 9.20 Uhr fand der Angeklagte den Sitzungssaal 409, zu dem er geladen war. Dort befand sich eine Mitteilung, daß die Sitzung in den Saal 105 verlegt wurde. Um 9.25 Uhr erschien der Beschwerdeführer in diesem Saal und erfuhr von der Wachtmeisterin, daß seine Berufung bereits verworfen worden war.

Dieser Sachverhalt vermag den Angeklagten nicht zu entschuldigen, denn er ist bereits verspätet im Gericht erschienen. Unabhängig davon, daß die von drangvoller Enge und langen Wartezeiten gekennzeichneten Zustände zumindest bei den morgendlichen Einlaßkontrollen im Amtsgericht Tiergarten bedenklich und an manchen Tagen nahezu untragbar sind, hätte der Angeklagte mehr als lediglich fünf Minuten für das Passieren der Einlaßkontrolle und die Suche nach dem Sitzungssaal einkalkulieren müssen. Denn auch bei einer zügigeren Abfertigung wäre es dem Beschwerdeführer unmöglich gewesen, pünktlich um 9.00 Uhr, wie geladen, zu der Verhandlung über seine Berufung zu erscheinen.

Daß an den Eingängen zum Kriminalgericht Einlaßkontrollen durchgeführt werden, die im allgemeinen einige Zeit in Anspruch nehmen, ist wegen der auf der Hand liegenden Sicherheitsgefährdung gerade der Strafjustiz ebenso allgemeinkundig (vgl. KG, Beschluß vom 27. Mai 2002 - 3 Ws 143/02 -) wie die Tatsache, daß der Andrang gerade in den morgendlichen Terminsstunden sehr groß und mit längerem Zeitaufwand zu rechnen ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 26. Januar 2005 - 5 Ws 13/05 -; vom 11. November 2004 - 4 Ws 129/04 -; und vom 24. Juli 2003 - 4 Ws 124/04 -).

Ein weiteres Verschuldensmoment liegt in der eigenmächtigen Entscheidung des Beschwerdeführers, nicht den auf der Ladung angegebenen Eingang in der Turmstraße zu benutzen, sondern das Gericht wieder zu verlassen und den Eingang in der Wilsnacker Straße zu nehmen. Dadurch ist es zu weiteren Verzögerungen gekommen, zumal da der Weg von diesem Eingang zum ursprünglichen Sitzungssaal ganz wesentlich weiter und beschwerlicher zu finden ist. Allgemeinkundig und von jedermann zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, daß öffentliche Gebäude - mithin auch Gerichtsgebäude - schon aufgrund ihrer Größe unübersichtlich sein können. Die zum Auffinden des Sitzungssaales benötigte Zeit muß demgemäß einkalkuliert werden, um zur festgesetzten Terminsstunde rechtzeitig erscheinen zu können (vgl. KG, Beschluß vom 27. Mai 2002 - 3 Ws 143/02-). Hinzu kommt, daß dem Angeklagten die Sicherheitsüberprüfungen und die Unübersichtlichkeit des Gerichtgebäudes spätestens seit seiner Teilnahme an der Hauptverhandlung vom 26. Januar 2004 ausreichend bekannt waren und er daher wußte, daß fünf Minuten nicht ausreichen, um zum Sitzungssaal zu gelangen. Er ist vielmehr von vornherein davon ausgegangen, daß auch eine viertelstündige Verspätung noch rechtzeitiges Erscheinen bedeute. Zwar wird in der Regel dieser Zeitraum bis zur Verwerfung der Berufung abgewartet. Kommt es aber in einem solchen Fall zu vorhersehbaren Verzögerungen, liegt eigenes Verschulden vor. Der Beschwerdeführer war aber selbst um 9.15 Uhr noch nicht im ursprünglichen Saal, sondern erst zwischen 9.15 Uhr und 9.20 Uhr. Selbst wenn die Strafkammer - was geboten gewesen wäre - mit der Verwerfung der Berufung nicht die üblichen 15 Minuten, sondern wegen der Verlegung 20 Minuten gewartet hätte, wäre der Angeklagte nicht rechtzeitig am Verhandlungsort gewesen. Denn nach seinen eigenen Angaben, die mit denen der Wachtmeisterin übereinstimmen, erschien er dort erst um 9.25 Uhr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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