Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.10.2003
Aktenzeichen: 1 AR 6/03
Rechtsgebiete: GKG KV Nr. 1226, ZPO


Vorschriften:

GKG KV Nr. 1226 § 11 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2
Nr. 1226 KV zu § 11 Abs. 1 GKG ist nicht verfassungswidrig, soweit für den Beschluss über die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs.2 ZPO die Erhebung von Gebühren vorgesehen ist.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 AR 6/03

In Sachen

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die Erinnerung des Beteiligten zu 1) gegen den Kostenansatz des Kammergerichts vom 12. November 2002 über 985,50 Euro (Sollstellung der Justizkasse Berlin vom 9. Dezember 2002 zu KSB-Nr. 1020115848000) in der Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Erinnerung wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die gemäß § 5 Abs. 1 GKG zulässige Erinnerung ist nicht begründet. Durch den Beschluss über die Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs.2 ZPO sind drei Gebühren nach Nr. 1226 des Kostenverzeichnisses (KV) zu § 11 Abs.1 GKG entstanden, für die der Beteiligte zu 1) gemäß §§ 49, 54 Nr. 1 GKG haftet.

Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs.1 GG ist entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 1) nicht geboten; Nr. 1226 KV zu § 11 Abs. 1 GKG ist nicht wegen Verstoßes gegen Verfassungsrecht nichtig, soweit für den Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO die Erhebung von 3 Gebühren vorgesehen ist. Der Gebührengesetzgeber verfügt aus der Sicht des Grundgesetzes über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er hierfür aufstellen und welche über die Kostendeckung hinausgehenden Zwecke, etwa einer begrenzten Verhaltenssteuerung in bestimmten Tätigkeitsbereichen, er mit einer Gebührenregelung anstreben will (BVerfG, NVwZ 2003, 715, 716 f.; JurBüro 2000, 146; BVerfGE 97, 332, 345; 50, 217, 226 f.; vgl. auch Senat, NJW-RR 1999, 869; 1998, 1375; KGR 1998, 38 L). Diese Befugnis des Gesetzgebers wird durch die Begrenzungs- und Schutzfunktion der staatlichen Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) eingeschränkt, nach der die Gebührenbemessung einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedarf (BVerfG, NVwZ, a.a.O.). Auch können sich materiell-verfassungsrechtliche Grenzen einer Regelung über die Gebührenhöhe aus den Grundrechten ergeben, etwa im Hinblick auf die Auswirkungen, die eine Gebühr auf die Wahrnehmung von Grundrechten hat, sowie aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 50, a.a.O., S. 227). Diese Grenzen hat der Gesetzgeber hier eingehalten.

Die Bemessung der Gebühr ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn ihre Höhe durch zulässige Gebührenzwecke, die der Gesetzgeber bei der tatbestandlichen Ausgestaltung erkennbar verfolgt, legitimiert ist (BVerfG, NVwZ, a.a.O., S. 716). Das ist schon dann der Fall, wenn die Bemessung nicht in einem groben Missverhältnis zu den legitimen Gebührenzwecken steht; hingegen ist es nicht erforderlich, dass die Gebührenhöhe durch die Kosten der Leistung der öffentlichen Hand allgemein oder im Einzelfall in der Weise begrenzt ist, dass Gebühren diese Kosten nicht übersteigen oder unterschreiten dürfen (vgl. BVerfG, NVwZ, a.a.O.; JurBüro 2000, a.a.O.; BVerfGE 50, a.a.O., S. 226). Bei der Ordnung der Gebührenerhebung und -bemessung, die komplexe Kalkulationen, Bewertungen und Prognosen voraussetzt, darf der Gesetzgeber die Vielzahl der Einzelfälle in einem Gesamtbild erfassen und generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, die verlässlich und effizient vollzogen werden können. Vorliegend hat er mit der Regelung in Nr. 1226 KV nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte erkennbar die zulässigen Gebührenzwecke der Kostendeckung und Verhaltenslenkung verfolgt; mit den Gebühren soll die gesamte Vorbereitungstätigkeit und der Aufwand des Gerichts für die Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO als Beendigungstatbestand abgegolten werden; auch soll die Höhe der Gebühr für den Berufungsführer einen Anreiz bieten, eine aussichtslose Berufung zurückzunehmen (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 140; BR-Drucks. 536/00, S. 355 f.). Die Gebührenhöhe steht nicht in einem groben Missverhältnis zu diesen Zwecken. Insbesondere hat sich der Gesetzgeber nicht in einem solchen Maß von der Kostenbezogenheit der Gebühr entfernt, dass ihre Abhängigmachung von der Gegenleistung in Folge überhöhter Bemessung verloren ginge. Das in § 522 Abs.2 ZPO geregelte Verfahren erfordert eine umfassende Prüfung der Erfolgsaussichten der Berufung durch den vollbesetzten Spruchkörper. Das Ergebnis der Prüfung und die Gründe sind den Parteien mitzuteilen und in der anschließenden Entscheidung hat sich das Berufungsgericht in der Regel noch mit der Stellungnahme des Berufungsführers auseinanderzusetzen (vgl. BT-Drucks. a.a.O., S. 97 und 140; BR-Drucks. a.a.O., S. 247 ff. und 355 f.; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 522 Rn. 30 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass die tatsächlichen Kosten für diesen Aufwand die Gebühren wesentlich unterschreiten, bestehen nicht. Aus diesem Grund ist auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht verletzt.

Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 1) ebenfalls nicht vor. Dieser Grundsatz verbietet, wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln; er ist verletzt, wenn sich für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichstellung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund nicht finden lässt, wenn also für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die tatsächlichen Gleichheiten oder Ungleichheiten so bedeutsam sind, dass die Regelung als willkürlich bezeichnet werden muss (vgl. BVerfGE 86, 81, 87; 82, 60, 86; 78, 104, 121; 18, 34, 46). Bei der Ausgestaltung von Gebührenregelungen gebietet der Gleichheitsgrundsatz, bei gleichartig beschaffenen Leistungen, die rechnerisch und finanziell in Leistungseinheiten erfasst werden können, die Gebührenmaßstäbe und -sätze in den Grenzen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit so zu wählen und zu staffeln, dass sie unterschiedlichen Ausmaßen in der erbrachten Leistung Rechnung tragen, wobei aber auch die neben der Kostendeckung zulässigerweise verfolgten weiteren Gebührenzwecke zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, JurBüro a.a.O, S. 146 f.; BVerfGE 50, a.a.O., S. 226 f.; Senat, NJW-RR a.a.O., S. 869 f.). Unter Beachtung dieser Grundsätze ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Gebühren für die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs.2 ZPO den Gebühren für das instanzabschließende Urteil mit Begründung (KV 1226) und nicht den Gebühren für einen schriftlich begründeten Beschluss nach § 91 a ZPO (KV 1228) gleichgestellt hat.

Abgesehen von dem Gebührenzweck der Verhaltenssteuerung bestehen zwischen den Beschlüssen gemäß § 522 Abs.2 ZPO und § 91 a ZPO wesentliche Unterschiede, die eine abweichende gebührenrechtliche Behandlung rechtfertigen. Gegenstand des Beschlusses nach § 91 a ZPO ist nicht die Hauptsache, sondern allein der Kostenpunkt, über den das Gericht "unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen" zu entscheiden hat. Insoweit genügt eine summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten der Parteien in der Hauptsache; bei rechtlich schwierig gelagerten Fällen ist nicht jede für den Ausgang bedeutsame Rechtsfrage zu überprüfen (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 91a Rn. 24, 26a m.w.N.). Auch kann die Entscheidung unter den Voraussetzungen des § 526 Abs. 1 ZPO durch den Einzelrichter ergehen. Der Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erfordert hingegen eine umfassende Prüfung der Erfolgsaussichten der Berufung anhand des erstinstanzlichen Akteninhalts, der Berufungsbegründung sowie ggf. der Berufungserwiderung und Replik durch das Berufungsgericht in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgesehenen Besetzung. Das Gericht muss nach dem Wortlaut der Vorschrift "überzeugt" sein, dass die Berufung auf der Grundlage des gesamten zu berücksichtigenden Sach- und Streitstands (§§ 528 ff. ZPO) auch nach einer Erörterung in einer mündlichen Verhandlung zweifelsfrei keinen Erfolg haben kann; weder genügt eine bloß summarische Prüfung, noch ist hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen ein eingeschränkter Grad an Überzeugungsbildung - etwa im Sinn nur prognostischer Überlegungen - ausreichend (vgl. BT-Drucks. a.a.O., S. 96 f.; BR-Drucks. a.a.O., S. 346 ff.; OLG Koblenz, NJW 2003, 2100, 2101; OLG Celle, NJW 2002, 2400, 2401; Zöller/Gummer, a.a.O., § 522 Rn. 30 ff.; Baumbach/Albers, ZPO, 61. Aufl., § 522 Rn. 16). Die Entscheidung nach § 522 Abs.2 ZPO beruht nicht - wie der Beteiligte zu 1) meint - lediglich auf "übereinstimmendem richterlichen Abstimmungsverhalten", sondern auf einer richterlichen Überzeugungsbildung, der eine sorgfältige Prüfung der Schlüssigkeit des Berufungsvorbringens und gemäß § 522 Abs.2 S.2 ZPO eine Mitteilung des vorläufigen Prüfergebnisses nebst Gründen vorausgehen muss. Der damit verbundene Aufwand rechtfertigt die kostenrechtliche Gleichstellung des Beschlusses über die Zurückweisung der Berufung mit dem streitigen Urteil (vgl. Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, Stand Aug. 2003, 1223-1229 KV Rn. 37b; Hartmann, Kostengesetze, 32. Aufl., GKG, 1226, 1227 KV Rn. 1). Insoweit gebietet der Wegfall der mündlichen Verhandlung im Verfahren nach § 522 Abs.2 ZPO verfassungsrechtlich eine gebührenrechtliche Differenzierung nicht. Der hierdurch erzielten Arbeitsersparnis kommt kein erhebliches Gewicht zu und dieser Gesichtspunkt wird auch ansonsten - etwa im Fall des schriftlichen Verfahrens nach § 128 Abs.2 ZPO - bei der Gebührenbemessung nicht berücksichtigt.

Auch im Übrigen ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz nicht gegeben.

Das Verfahren über die Erinnerung ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 5 Abs. 6 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück