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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.06.2005
Aktenzeichen: 1 AR 951/04 - 5 Ws 453/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56b
Zur Anwendbarkeit des Verschlechterungsverbots bei Erteilung einer Auflage gem. § 56b StGB durch das Rechtsmittelgericht.
1 AR 951/04 - 5 Ws 453/04

In der Strafsache gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 17. Juni 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Verurteilten gegen die ihm in dem Beschluß des Landgerichts Berlin - kleine Jugendkammer - vom 7. November 2003 erteilte Zahlungsauflage und Weisung (Nummern 3 und 4 des vorbezeichneten Beschlusses) wird mit der Maßgabe verworfen, daß die Weisung (Nr. 4) auf Kinder (Personen unter 14 Jahren) weiblichen Geschlechts beschränkt wird.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 2. Juli 2003 wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. In seinem Bewährungsbeschluß setzte es die Bewährungszeit auf drei Jahre fest (Nummer 1) und legte ihm auf, 60 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten (Nummer 2). Die Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht Berlin - kleine Jugendkammer - durch Urteil vom 7. November 2003. In seinem mit dem Urteil verkündeten Bewährungsbeschluß (§ 268 a Abs. 1 StPO) hielt die Jugendkammer den Bewährungsbeschluß des Amtsgerichts aufrecht und ergänzte ihn wie folgt:

"3) Der Angeklagte wird angewiesen, einen Betrag von dreihundert (300,00) Euro in monatlichen Raten von mindestens fünfzig (50,00) Euro an die Nebenklägerin zu Händen ihrer Rechtsanwältin zu zahlen. Die Zahlungspflicht beginnt mit Rechtskraft des Urteils.

4) Der Angeklagte wird angewiesen, jeglichen Kontakt zu Kindern im Zusammenhang mit beruflicher oder ehrenamtlicher Tätigkeit zu unterlassen."

Seine gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision nahm der Beschwerdeführer am 29. Dezember 2003 zurück. Die Zahlungsauflage erfüllte er. Die gemeinnützige Arbeit leistete er vollständig ab.

Mit seiner Beschwerde vom 15. Juli 2004 wendet sich der Verurteilte gegen die Anordnungen in den Nummern 3) und 4) des Bewährungsbeschlusses der Jugendkammer, deren Aufhebung er begehrt.

1. Die (einfache) Beschwerde des Verurteilten ist nach §§ 304 Abs. 1, 305 a Abs. 1 Satz 1 StPO statthaft. Die bereits am 29. Dezember 2003 eingetretene Urteilsrechtskraft steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen (vgl. KG NJW 1957, 275).

2. Es kann jedoch nur darauf gestützt werden, daß eine getroffene Anordnung gesetzwidrig sei (§ 305 a Abs. 1 Satz 2 StPO). Gesetzwidrig ist die Auflage oder Weisung, wenn sie gegen Verfahrensrecht oder sachliches Recht verstößt. Ein Verstoß gegen materielles Recht liegt vor, wenn die Anordnung im Gesetz nicht vorgesehen oder unverhältnismäßig ist oder wenn das Gericht unzumutbare Anforderungen an den Verurteilten stellt und damit das ihm eingeräumte Ermessen überschreitet oder mißbraucht (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 305 a Rdn. 1).

Nach diesen Rechtsmaßstäben ist die von der Jugendkammer angeordnete Geldauflage (Nr. 3) nicht zu beanstanden; die erteilte Weisung (Nr. 4) bedurfte lediglich einer Einschränkung.

a) Hinsichtlich der dem Beschwerdeführer erstmals durch die Jugendkammer erteilten Auflage (§ 56 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB), 300,- EUR an die Nebenklägerin zu zahlen, kann offen bleiben, ob Auflagenbeschlüsse nach § 268 a Abs. 1 StPO generell dem strafprozessualen Verschlechterungsverbot (Verbot der reformatio in peius, §§ 331, 358 Abs. 2 StPO) unterliegen. Die Frage ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten.

Der Bundesgerichtshof hat bislang ausdrücklich offen gelassen, in welchem Umfang das Verschlechterungsverbot bei derartigen Beschlüssen zu beachten sei (vgl. BGH NJW 1982, 1544 = JR 1982, 338 mit Anm. Meyer). Jedenfalls stehe dieser Rechtsgedanke nachträglichen Entscheidungen des Rechtsmittelgerichts dann nicht entgegen, wenn das Erstgericht einen seine ursprüngliche Entscheidung abändernden Beschluß nach § 56 e StGB hätte fassen können. Dies sei der Fall, wenn nachträglich Umstände hervorgetreten sind, die die Erteilung einer solchen, verschärfenden Auflage rechtfertigten (vgl. BGH aaO.; BayObLG DAR 1983, 247 bei Rüth; OLG Hamm NJW 1978, 1596; Gribbohm in LK, StGB 11. Aufl., § 56 b Rdn. 28; Schäfer Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl., Rdn. 186).

Nach wohl überwiegender Ansicht - auch der des Senats - scheidet sowohl eine unmittelbare als auch eine entsprechende Anwendung des Verschlechterungsverbots aus (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1994, 198 und OLGSt StPO § 331 Nr.3; OLG Koblenz NStZ 1981, 154 m. Anm. Gollwitzer; OLG Hamburg NJW 1981, 470; OLG Hamm, VRS 37, 263; OLG Stuttgart NJW 1954, 611; Gössel in LR, StPO 25. Aufl., § 331 Rdn. 83; Gollwitzer in LR, StPO, 24. Aufl., § 268 a Rdn. 20; ders. Anm. zu OLG Koblenz in JR 1977, 346, 347; Meyer in JR 1982, 338, 339 Anm. zu BGH aaO.; Ruß in KK, StPO 5. Aufl., § 331 Rdn. 5; Rautenberg in HK, StPO 3. Aufl., § 331 Rdn. 8). Begründet wird dies im wesentlichen damit, daß das in den §§ 331, 358 Abs. 2 StPO normierte Schlechterstellungsverbot, das überdies nicht mit Verfassungsrang ausgestattet sei, sondern eine dem Rechtsmittelführer vom Gesetzgeber eingeräumte Rechtswohltat (vgl. BGHSt 29, 269, 270; 27, 178) sei, sich nur auf die im Urteil festgesetzten Rechtsfolgen beziehe, nicht aber auf solche, die von diesem getrennt durch Beschluß angeordnet werden. Hingewiesen wird auch darauf, daß das Berufungsgericht, wenn im Berufungsurteil die Strafe zur Bewährung ausgesetzt bleibt, neu nach § 268 a StPO zu beschließen hat und insoweit nicht als Rechtsmittelgericht, sondern erstinstanzlich tätig werde (vgl. Anm. Goll-witzer in JR 1977, 346, 347), so daß für die Anwendung des Verschlechterungsverbots kein Raum sei.

Nach anderer Meinung soll das Verbot der Schlechterstellung entsprechend dem in §§ 331, 358 Abs. 2 StPO für das Berufungs- und das Revisionsverfahren normierten Rechtsgedanken wegen des repressiven Charakters der Auflagen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen, auch für vom Rechtsmittelgericht erlassene Auflagenbeschlüsse nach § 268 a StPO gelten (vgl. 346; Groß in MünchKomm, StGB § 56 b Rdn. 38; Frisch in SK, StPO § 331 Rdn. 16; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl., § 56 b Rdn. 4).

Die hier von der Jugendkammer angeordnete Zahlungsauflage stellt jedoch keine Verschlechterung im Sinne der §§ 331, 358 Abs. 2 StPO dar. Denn nach ihrer rechtlichen Bedeutung dient die (Schmerzensgeld-)Auflage der Befriedigung des der Geschädigten aufgrund der Tat ohnehin zustehenden zivilrechtlichen Anspruchs auf Ersatz des immateriellen Schadens (§ 253 Abs. 2 BGB) gegen den Beschwerdeführer; darin verwirklicht sich vorliegend die mit der Auflage bezweckte Genugtuung für das begangene Unrecht (§ 56 b Abs. 1 Satz 1 StGB). Zugleich wird der Beschwerdeführer im Umfang des in der Auflage bezifferten Betrages von seiner zivilrechtlichen Zahlungsverpflichtung (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl., § 56 b Rdn. 6) gegenüber der Geschädigten entlastet, da die Jugendkammer nicht Gegenteiliges angeordnet hat (vgl. KG, Beschluß vom 16. November 1999, - 5 Ws 675/99 -). In einem von ihr vor einem Zivilgericht angestrengten Schmerzensgeldprozeß wäre die geleistete Zahlung zu berücksichtigen.

b) Die für die Dauer der (dreijährigen) Bewährungszeit erteilte Weisung ist im wesentlichen nicht zu beanstanden. § 56 c Abs. 2 Nr. 1 StGB läßt grundsätzlich auch Weisungen zu, die den Bereich der Arbeit betreffen, allerdings nur unter der aus § 56 c Abs. 1 Satz 2 StGB folgenden Einschränkung, daß damit keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung des Verurteilten gestellt werden (vgl. BGH StV 1998, 658 ["Kinderclown-Fall"]; OLG Zweibrücken NJW 2004, 1190). Eine Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze wird vor allem angesichts der Bedeutung des betroffenen Grundrechts aus Art. 12 GG grundsätzlich naheliegen, wenn die Weisung einem Berufsverbot gleichkommt. So liegt der Fall hier aber nicht. Der jetzt 60jährige Beschwerdeführer hat nach den Feststellungen der Jugendkammer den Beruf eines Lehrers für Deutsch und Sachkunde erlernt. In den letzten 20 Jahren war er, jeweils für etwa ein Jahr, bei verschiedenen freien Trägern im Hort- und Kindertagesstättenbereich pädagogisch tätig, ohne aber eine spezielle Ausbildung als Erzieher zu haben. Für zwei Jahre war er im Rahmen eines Beratervertrages als "Schoolworker" (Aufklärung über HIV-Risiken) beschäftigt.

Anhand seines erlernten Berufs und seiner Beschäftigung als "Schoolworker" wird deutlich, daß der Beschwerdeführer auch in Bereichen jenseits der Betreuung von Kindern der hier in Rede stehenden Altersgruppe einsetzbar ist und bereits tätig war. Aufgrund seiner Qualifikation als Deutschlehrer ist auch eine berufliche Tätigkeit in der Ausbildung von Jugendlichen und Heranwachsenden sowie Erwachsenen möglich, etwa im berufsschu-lischen Sektor oder in der Erwachsenenbildung (Volkshochschulen oder ähnliche Einrichtungen privater Träger).

Vor diesem Hintergrund ist dem Beschwerdeführer die mit der angefochtenen Weisung verbundene vorübergehende Einengung seiner Berufsausübungsmöglichkeiten zuzumuten. Dabei ist auch die gesetzliche Zielrichtung der Weisung zu berücksichtigen, dem Verurteilten Hilfestellung zu geben, keine Straftaten mehr zu begehen (§ 56 c Abs. 1 Satz 1 StGB). Trotz ihres spezialpräventiven Charakters dient die Weisung letztlich auch dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. OLG Nürnberg OLGSt StGB § 57 Nr. 30) vor weiteren Straftaten des Beschwerdeführers.

Die Weisung ist auch hinreichend bestimmt. Denn aus ihr wird ohne weiteres deutlich, daß sich das Kontaktverbot auf sämtliche Tätigkeiten und Verhaltensweisen des Beschwerdeführers bezieht, die mit einer etwaigen beruflichen oder ehrenamtlichen Tätigkeit typischerweise verbunden sind oder aus ihnen erwachsen können.

Ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot liegt nicht vor. Denn der in diesem zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke (siehe die Ausführungen oben zu a)) ist auf Weisungen nach § 56 c StGB nicht anwendbar. Zwar gehören diese, wie bereits ihre Einstellung in den Dritten Abschnitt des Strafgesetzbuches - Rechtsfolgen der Tat - zeigt, zum strafrechtlichen Rechtsfolgeninstrumentarium. Im Gegensatz zu den Auflagen (§ 56 b StGB), die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen, mithin repressiven Charakter haben, sind die Weisungen reine Instrumente des spezialpräventiven Programms des Strafgesetzbuches; sie bezwecken diejenige Hilfe, die der Verurteilte bedarf, um künftig straffrei zu leben. Dabei ist "Hilfe" in einem objektiven Sinne zu verstehen; wenngleich oftmals als Belastung empfunden, haben Weisungen keinerlei Genugtuungscharakter (vgl. allgemein zur dogmatischen Einordnung der Weisungen Groß in MünchKomm, StGB § 56 c Rdn. 1, 2).

Allerdings bedurfte es nicht der Einbeziehung von Kindern männlichen Geschlechts in die Weisung. Denn insoweit sind sexuelle Übergriffe des Beschwerdeführers weder bekanntgeworden, noch gibt es sonstige Hinweise dafür, daß bei dem Beschwerdeführer eine pädophile Neigung homosexueller Ausrichtung besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Einen kostenrechtlich erheblichen Teilerfolg des Rechtsmittels im Sinne von § 473 Abs. 4 StPO stellt die von dem Senat in Nummer 4) des Bewährungsbeschlusses vorgenommene Eingrenzung des von dem Kontaktverbot umfaßten Personenkreises nicht dar. Die nach vorgenannter Kostenvorschrift zu treffende Billigkeitsentscheidung über eine Entlastung des Rechtsmittelführers von einem Teil der Kosten und Auslagen hängt nach gefestigter Rechtsprechung hauptsächlich davon ab, ob der Rechtsmittelführer die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung hingenommen hätte, wenn sie bereits wie die neue Entscheidung gelautet hätte (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 70; NStZ 1987, 86; Senat, Beschluß vom 14. Februar 2005 - 5 Ws 5/05 - ; Franke in KK, StPO 5. Aufl., § 473 Rdn. 7 mit weit. Rsprnachw.). Daneben kommt es allerdings auch auf den Umfang des erzielten Teilerfolges an. Ist er groß, so kann demgegenüber die Erwägung, ob der Beschwerdeführer ein weitergehendes Ziel erstrebt hat, zurücktreten (vgl. BGH NStZ 1989, 221 bei Miebach). Vorliegend ist aus dem Prozeßverhalten des Verurteilten und der Beschwerdebegründung zu entnehmen, daß er die Bewährungsweisung auch angefochten hätte, wäre sie von dem Tatgericht bereits so gefaßt worden wie nunmehr durch den Senat. Zudem erweist sich der Umfang des Teilerfolges als eher gering.

Ende der Entscheidung

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