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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.03.2008
Aktenzeichen: 1 VA 13/07
Rechtsgebiete: EGGVG, ZPO
Vorschriften:
EGGVG §§ 23 ff | |
ZPO § 299 |
Der Antrag eines Titelgläubigers auf Einsicht in die Akten der von dem Schuldner geführten Aktivprozesse kann nicht wegen fehlenden rechtlichen Interesses zurückgewiesen werden, wenn der Gläubiger die Einsicht benötigt, um der Vollstreckung unterliegende Vermögensgegenstände des Schuldners zu ermitteln. Vielmehr ist in einem solchen Fall oder dann, wenn der Gläubiger aus der Akte die Anschrift des Schuldners, die er zur Vollstreckung benötigt, ermitteln will, ein rechtlicher Bezug des Gläubigerinteresses zum Streitstoff der einzusehenden Akten ohne weiteres gegeben (Abgrenzung zu Senat, Beschluss vom 9. Februar 1988 - 1 VA 5/87).
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 1 VA 12/07 1 VA 13/07 1 VA 14/07 1 VA 15/07 1 VA 16/07 1 VA 17/07 1 VA 18/07 1 VA 19/07 1 VA 20/07 1 VA 21/07 1 VA 22/07 1 VA 23/07 1 VA 24/07 1 VA 25/07
In der Justizverwaltungssache
betreffend die Einsicht in verschiedene Verfahrensakten des Landgerichts Berlin
hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf den gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. Juni 2007 - 1451 E - A. 412/07 - gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, die Richterin am Kammergericht Dr. Rasch und den Richter am Kammergericht Müller am 19. März 2008 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Der Wert des Verfahrens wird auf 500,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller möchte wegen titulierter Forderungen gegen Frau Mnnn Snnn vollstrecken.
Im August 2004 stellte er die Anfrage an das Landgericht Berlin, ob Frau Mnnn Snnn und ihr Lebensgefährte, Herr Jnnn Bnn , "beim Landgericht ... Verfahren laufen (haben), wo diese selbst Klage führen, um Gelder ... zu bekommen...", und bat um Mitteilung der Aktenzeichen. Er berief sich dabei auf den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 15. Juli 2004 - 11 VA 3/04 -, nach dem der Präsident des Landgerichts Pnnn zu einer entsprechenden Auskunft aus dem bei Gericht geführten Zentralregister verpflichtet sei. Der Antragsgegner erteilte dem Antragsteller mit Bescheid vom 18. August 2004 - 1451 E-A 334/04 - eine Übersicht über die im Zeitraum ab 1. April 1999 in der Eingangsregistratur mittels elektronischer Datenverarbeitung erfassten Verfahren, zu denen Vorgänge hinsichtlich Mnnn Snnn bzw. Jnnn Bnn ermittelt werden konnten. Dazu wurden jeweils Geschäftszeichen und Kurzrubrum mitgeteilt und erläutert, dass auch die Verfahren genannt worden seien, in denen der zu ermittelnde Name zwar nicht im Kurzrubrum auftauche, die betroffene Person aber in anderer Form z.B. als gesetzlicher Vertreter beteiligt sei. Der Antragsgegner wies den Antragsteller darauf hin, das auf Anspruchspfändung abzielende Interesse verbiete eine anschließende Akteneinsichtsgewährung.
Mit den Eingaben vom 30. Juni und 27. Juli 2005 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner zu der bereits vorliegenden Liste von Verfahrensaktenzeichen "Betreff Mnnn Snnn und Jnnn Bnn " Akteneinsicht mit der Begründung, er wolle "sehen, wo noch Gelder zu finden sind", auch wolle er Nachweise für die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, u.a. wegen Prozessbetruges und Vollsteckungsvereitelung erbringen. Der Antragsteller berief sich auf den beigefügten Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 19. April 2005 - 11 VA 5/04 -, mit dem ein rechtliches Interesse des Antragstellers, "die Anschriften seiner Schuldner sowie der Parteien, gegen die diese Klage führen", durch Akteneinsicht und Einsicht in bei dem Gericht geführten Registern zu erfahren, grundsätzlich bejaht wurde. Das galt insbesondere für das Begehren des Antragstellers, die aktuellen Anschriften der Frau Mnnn Snnn und des Herrn Jnnn Bnn zu erfahren sowie das weitere Interesse, in Aktivprozessen seiner Schuldnerin die Anschriften der dortigen Beklagten zu erfahren und sich über den Prozessgegenstand zu informieren. Für das Begehren, die Namen der Parteien aus den Aktivprozessen des Herrn Jnnn Bnn vor dem Landgericht Potsdam zu erfahren, verneinte das Oberlandesgericht ein rechtliches Interesse des Antragstellers, da dieser über keinen Titel gegen den Schuldner verfüge.
Der Antragsgegner lehnte es mit Bescheid vom 5. August 2005 - 1451 E-A 334/04 - ab, dem Antragsteller die begehrte Akteneinsicht zu gewähren, wozu er auf den vorangegangenen Bescheid vom 18. August 2004 verwies. Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts führe zu keiner anderen Entscheidung, da der Antragsteller sein Interesse, die aktuellen Anschriften von Mnnn Snnn und Jnnn Bnn zu erfahren, nach der zwischenzeitlich vom Präsidenten des Landgerichts Potsdam gewährten Akteneinsicht offenbar nicht weiter verfolge.
Den hierauf gestellten Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung "über die Nichtgewährung von Akteneinsicht durch das Schreiben des Antragsgegners vom 5. August 2005" hat der damals zuständige 16. Zivilsenat des Kammergerichts mit Beschluss vom 24. November 2005 - 16 VA 15/05 - zurückgewiesen.
Mit erneuten Eingaben an das Landgericht Berlin vom 26. Januar 2007 sowie vom 10. Mai 2007 hat der Antragsteller Akteneinsicht zu folgenden, mit der früheren Liste übereinstimmenden Geschäftszeichen, begehrt:
3.O.nnnn
11.O.nnn
14.O.nnnnnnnnnnnnn
14.OH.nnn
19.O.nnn
21.O.nnn
26.O.nnn
28.O.nnn
29.O.nnn
31.O.nnn
99.O.nnn
10.O.nnnnnnnnnnnnnnnnnnn
20.OH.nnn .
Zur Begründung hat er auf die inzwischen im Justizministerialblatt für das Land Brandenburg veröffentlichten Beschlüsse des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 15. Juli 2004 - 11 VA 3/04 - und vom 19. April 2005 - 11 VA 5/04 - verwiesen. Sein berechtigtes Interesse ergebe sich daraus, dass er einen Titel gegen Frau Mnnn Snnn habe und aus ihm vollstrecken wolle. Er benötige die Akteneinsicht "um zu sehen, wo noch eine Vollstreckung veranlasst werden kann".
Mit Bescheid vom 11. Juni 2007 - 1451 E-A 412/07 - hat es der Antragsgegner abgelehnt, die beantragte Akteneinsicht zu gewähren. Darin verwies er auf seine ständige Übung, "das rein wirtschaftliche Gläubigerinteresse nach Maßgabe des § 299 ZPO nicht als ausreichend anzusehen". Mit ergänzendem Schreiben vom 3. Juli 2007 zum Aktenzeichen 1451 E-A 334/04 (früher 412/07) hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass das Akteneinsichtsgesuch bereits im Jahr 2005 durch den Beschluss des Kammergerichts vom 24. November 2005 - 16 VA 15/05 - abschlägig beschieden worden sei.
Der Antragsteller hat am 27. Juni 2007 beim dem Amtsgericht Schöneberg eine gegen das Landgericht Berlin gerichtete, als "Klageerhebung" bezeichnete Schrift eingereicht, mit der er beantragt hat, "den Beklagten zu verurteilen, dass zu Aktivprozessen Akteneinsichten zu gewähren sind". Beigefügt war die Aufstellung der o.g. Aktenzeichen. Der Antragsteller hat ausgeführt, auf seinen Antrag vom 26. Januar 2007 habe er den ablehnenden Bescheid vom 11. Juni 2007 erhalten, gegen den er den nach Artikel 19 Abs. 4 GG offen stehenden Rechtsweg beschreiten müsse. Sollten Kosten entstehen, bitte er um Nachricht, da er dann Prozesskostenhilfe beantragen werde. Die "Klageschrift" hat das Amtsgericht dem Antragsgegner gegen Empfangsbekenntnis am 16. Juli 2007 zugestellt. Der Antragsgegner hat die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg gerügt, worauf der Antragsteller gebeten hat, "die Klage an das zuständige Gericht zu senden". Mit Beschluss vom 28. August 2007 hat sich das Amtsgericht Schöneberg - 2 C 305/07 - für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das nach § 25 EGGVG sachlich zuständige Kammergericht verwiesen. Die Akte ist am 31. August 2007 beim Kammergericht eingegangen.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG ist zulässig, führt aber in der Sache nicht zum Erfolg.
1. Der Antragsteller begehrt die gerichtliche Entscheidung über die vom Antragsgegner verweigerte Gewährung von Akteneinsicht in Verfahrensakten, die von dritten Personen geführte Rechtsstreitigkeiten vor dem Landgericht Berlin betreffen. Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet in solchen Fällen nach § 299 Abs. 2 ZPO der Vorstand des Gerichts - hier also der Antragsgegner - im Wege eines Justizverwaltungsaktes, gegen dessen Ablehnung nach § 23 Abs. 2 EGGVG Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden kann. Das Amtsgericht Schöneberg hat die fälschlich dort eingereichte, als "Klageerhebung" bezeichnete Antragsschrift zu Recht als Antrag nach § 23 EGGVG gedeutet.
2. Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts ist nach § 25 Abs. 1 Satz 1 EGGVG für die Bearbeitung zuständig. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Amtsgericht Schöneberg eine bindende Verweisung nach § 281 ZPO aussprechen durfte. Denn eine Verweisung nach dieser Vorschrift kann nur nach Rechtshängigkeit erfolgen (vgl. BGH, MDR 1983, 466; NJW-RR 97, 1161), die durch die Zustellung des Rechtsschutzgesuches an den - im Zivilprozess nicht parteifähigen - Antragsgegner nicht eingetreten sein dürfte. Das Amtsgericht konnte jedenfalls entsprechend § 17 a GVG das Verfahren schon vor Rechtshängigkeit an das nach §§ 23 ff. EGGVG zuständige Gericht abgeben (vgl. BGH, NJW-RR 2005, 142; Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., GVG vor §§ 17 - 17 b, Rdn. 11).
3. Der Antrag ist auch nicht verspätet. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss innerhalb eines Monats nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts oder eines Amtsgerichts gestellt werden, § 26 Abs. 1 EGGVG. Der gegen den Bescheid vom 11. Juni 2007 gerichtete Antrag ist zwar erst am 31. August 2007 beim Kammergericht eingegangen. Die Monatsfrist ist aber durch den Eingang beim Amtsgericht Schöneberg am 27. Juni 2007 als gewahrt anzusehen. Denn dem Antragsteller, der keine Rechtsmittelbelehrung erhalten hat, gereicht es nicht zum Verschulden, vgl. § 26 Abs. 2 EGGVG, dass er den Antrag in Form eines Schriftsatzes beim Amtsgericht eingereicht und nicht zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Amtsgerichts gestellt hat.
4. Der Antrag kann in der Sache jedoch keinen Erfolg haben, da ein inhaltsgleicher Antrag bereits rechtskräftig durch den Beschluss des 16. Zivilsenats vom 24. November 2005 abgewiesen worden ist, § 29 Abs. 1 Satz 1 EGGVG. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner über einen neu gestellten Antrag unter einem neuen Verwaltungsaktenzeichen entschieden hat. Denn es handelte sich, wie in dem ergänzenden Schreiben des Antragsgegners vom 13. Juli 2007 klargestellt wurde, lediglich um eine Wiederholung des bereits beschiedenen Antrags. Der Antragsteller hat sich auf die erneut eingereichte Liste von Verfahrensaktenzeichen entsprechend der ihm erteilten Auskunft vom 17. August 2004 bezogen, ohne ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht darzulegen, das nicht bereits Gegenstand der früheren Entscheidung des Antragsgegners vom 5. August 2005 war. Auch die von ihm angeführten, nunmehr im Justizministerialblatt des Landes Brandenburg veröffentlichten Entscheidungen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts waren dem Antragsgegner bereits mitgeteilt und in dem Bescheid vom 5. August 2005 erörtert worden.
5. Der Antragsgegner hatte in dem Bescheid vom 11. Juni 2007 auch nicht in eine erneute Ermessensprüfung einzutreten, was den Weg zu einer erneuten Überprüfung durch den Senat nach § 23 EGGVG eröffnen könnte. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine erneute Entscheidung, wenn sie ermessensfehlerhaft erginge, den Antragsteller in seinen Rechten verletzen könnte. Denn einen Anspruch auf Neubescheidung hat der Antragsteller nur, wenn er aufgrund neuer Tatsachen ein rechtliches Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO glaubhaft macht, das noch nicht Gegenstand der Ermessensausübung des Antragsgegners war. Das ist hier nicht der Fall, weswegen der Antragsgegner im Bescheid vom 11. Juni 2007 lediglich auf seine auch dem früheren Bescheid zugrunde gelegte "ständige Übung" verwiesen hat.
6. Der Senat ist nicht zur Vorlage an den Bundesgerichtshof nach § 29 Abs. 1 Satz 2 EGGVG verpflichtet. Denn er weicht nicht von der aufgrund des § 23 EGGVG ergangenen Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 19. April 2005 ab.
Allerdings befindet sich die Ermessensentscheidung des Antragsgegners vom 5. August 2005 - entgegen den dortigen Ausführungen - nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, soweit der Antragsgegner das wirtschaftliche Interesse eines Titelgläubigers an der Ermittlung von der Vollstreckung unterliegenden Vermögensgegenständen des Schuldners durch Einsichtnahme in die Akten der vom Schuldner geführten Aktivprozesse nicht als rechtliches Interesse annehmen möchte. Auch der Senat hat das in der vom Antragsgegner mehrfach angeführten Entscheidung vom 9. Februar 1988 (1 VA 5/87 -, NJW 1988, 1738) nicht vertreten, denn diese Entscheidung betraf den Fall, dass der Gläubiger durch Einsicht in die einen Passivprozess des Schuldners betreffenden Akten Einblick in die Vermögenslage des Schuldners zu einem bestimmten Zeitpunkt gewinnen wollte, um so eine eventuelle Anfechtungsklage gegen dessen Ehefrau wegen der Veräußerung von Vermögenswerten begründen zu können. Der Senat hatte in diesem Fall einen rechtlichen Bezug des Gläubigerinteresses zum Streitstoff der einzusehenden Akte vermisst. Dieser ist aber, wie das Brandenburgische Oberlandesgericht zutreffend ausführt, ohne weiteres etwa dann gegeben, wenn der Gläubiger aus der Akte die Anschrift des Schuldners, die er zur Vollstreckung benötigt, ermitteln will oder der Streitstoff das der Vollstreckung unterliegende Vermögen des Schuldners betrifft.
Hierauf kommt es jedoch nicht an, da der Antragsgegner eine Ermessensentscheidung auf den wiederholten Antrag nicht zu treffen hatte.
7. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 Abs. 1 und 2 KostO.
Ende der Entscheidung
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