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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.01.2009
Aktenzeichen: 1 VAs 1/09
Rechtsgebiete: GVGEG, StPO


Vorschriften:

GVGEG § 28 Abs. 1 S. 4
StPO § 457 Abs. 2 S. 1
Zum Feststellungsinteresse an der Rechtwidrigkeit eines erledigten Vollstreckungshaftbefehls.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Zs 2629/08 - 1 VAs 1/09

In der Justizverwaltungssache betreffend

wegen Erlasses eines Vollstreckungshaftbefehls

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 19. Januar 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 14. Oktober 2008 wird als unzulässig verworfen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Geschäftswert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Das Landgericht Berlin hat gegen den Antragsteller am 21. Februar 2008 wegen Betruges in 21 Fällen und Urkundenunterdrückung eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt und angeordnet, dass hiervon zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer sechs Monate als vollstreckt gelten. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 31. März 2008. Der Antragsteller ist am 18. September 2008 aufgrund des Vollstreckungshaftbefehls vom 20. August 2008, den die Staatsanwaltschaft Berlin mit der Begründung erlassen hat, er halte sich verborgen, festgenommen worden und befindet sich seitdem in Strafhaft. Seine Beschwerde gegen den Vollstreckungshaftbefehl hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin mit Bescheid vom 14. Oktober 2008 zurückgewiesen. Mit seinem rechtzeitig gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wendet sich der Verurteilte gegen den Vollstreckungshaftbefehl in Gestalt des Beschwerdebescheides der Generalstaatsanwaltschaft. Er begehrt die Aufhebung des Vollstreckungshaftbefehls, hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Erlasses. Der Verurteilte trägt vor, dass er bereits mit Schreiben vom 28. März 2008 den Strafverfolgungsbehörden seine ladungsfähige Anschrift zzzzz B., Lstraße z, mitgeteilt habe und nicht nachvollziehbar sei, warum, wie die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft meinen, eine Ladung zum Strafantritt unter dieser Anschrift nicht möglich gewesen sein soll; andere Post habe ihn dort erreicht. Auf Grund des Vollstreckungshaftbefehls sei ihm die Möglichkeit genommen worden, sich selbst in den offenen Vollzug zu stellen. Zu keinem Zeitpunkt habe er vorgehabt, sich der Strafvollstreckung zu entziehen.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.

1. Der Antragsteller kann im Verfahren nach den §§ 23 ff EGGVG die Aufhebung des auf § 457 Abs. 2 Satz 1 StPO gestützten Vollstreckungshaftbefehls nicht mehr erreichen.

Grundsätzlich ist ein Vollstreckungshaftbefehl nach den §§ 23 ff EGGVG nicht mehr anfechtbar, wenn er bereits vollzogen ist. Denn er wird in dem Augenblick gegenstandslos, in dem der Verurteilte in Strafhaft überführt ist, weil der Vollzug der Strafhaft nicht mehr auf dem Vollstreckungshaftbefehl, sondern auf dem zu vollstreckenden rechtskräftigen Erkenntnis beruht (vgl. BVerfG NStZ 2004, 252; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 282; KG, Beschlüsse vom 16. Juli 1999 - 4 VAs 21, 22/99 - [juris] und 21. April 2006 - 4 VAs 86/05 -; jeweils m.w.Nachw.).

2. Ist ein Vollstreckungshaftbefehl bereits erledigt, kommt ein Verfahren nach den §§ 23 ff EGGVG ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG in Betracht, also bei Vorliegen eines berechtigten Interesses des Antragstellers an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme. Ein solches Interesse ist hier nicht gegeben.

a) Der Umstand, dass der Antragsteller auf Grund des Erlasses des Vollstreckungshaftbefehls nach seiner Inhaftierung statt im offenen im geschlossenen Vollzug untergebracht wurde, begründet kein berechtigtes Feststellungsinteresse (vgl. KG, Beschlüsse vom 16. Juli 1999 und 21. April 2006 aaO).

Zwar ist ein Verurteilter im Falle seiner Selbstgestellung zunächst im offenen Vollzug aufzunehmen. Die Anstalt muss aber prüfen, ob nach den im Rahmen der Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (ABl. Berlin 2004 S. 4482) und den bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften (VV StVollzG) zu § 10 StVollzG getroffenen Regelungen ein Ausschlussgrund für die Aufnahme im offenen Vollzug vorliegt. Der Vollstreckungshaftbefehl ist nach diesen Bestimmungen (Nrn. 1 ff AV Berlin, Nrn. 1 und 2 VV StVollzG) ohne Belang (vgl. KG, Beschlüsse vom 16. Juli 1999 und 21. April 2006 aaO).

Selbst wenn dem Antragsteller aus dem Erlass des Vollstreckungshaftbefehls Nachteile erwachsen wären, was er allerdings nicht näher vorgetragen hat, könnte er hieraus kein Feststellungsinteresse im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG herleiten. Der Rechtsweg nach den §§ 23 ff EGGVG tritt nämlich zurück, wenn bereits auf Grund anderer Vorschriften die ordentlichen Gerichte angerufen werden können (§ 23 Abs. 3 EGGVG). So läge es hier. Denn ein Gefangener kann gegen die von der Anstalt bei der Vollzugsplanung zu treffenden Entscheidungen gemäß den §§ 109, 110 StVollzG die Strafvollstreckungskammer anrufen, die dann auch die Rechtmäßigkeit des früheren Vollstreckungshaftbefehls zu prüfen hätte (vgl. OLG Frankfurt NStZ 2002, 224; KG, Beschlüsse vom 16. Juli 1999 und 21. April 2006 aaO). Im Falle der Unrechtmäßigkeit des Erlasses des Vollstreckungshaftbefehls wäre der Verurteilte als Selbststeller zu betrachten (vgl. OLG Frankfurt ebenda).

b) Wiederholungsgefahr oder ein Bedürfnis nach Rehabilitierung wegen des diskriminierenden Charakters der Maßnahme, die ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG begründen könnten (vgl. KG, Beschluss vom 16. Juli 1999 aaO m.Nachw.), hat der Antragsteller nicht dargelegt. Hierfür ist auch sonst nichts ersichtlich.

c) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG NStZ-RR 2004, 252) ist das Rechtsschutzbedürfnis an einer gerichtlichen Überprüfung auch dann gegeben, wenn nicht die Anordnung einer Freiheitsentziehung als solche beanstandet wird, sondern die besonders einschneidende Art und Weise ihrer Durchführung. Das kommt in Betracht, wenn - was hier allerdings offensichtlich nicht der Fall ist - eine Verletzung der Menschenwürde in Frage steht. Eine Überprüfung muss dem Betroffenen darüber hinaus offen stehen, wenn er ein am Maßstab des einfachen Rechts so eklatant fehlerhaftes Vorgehen eines Hoheitsträgers geltend machen kann, dass objektive Willkür nahe liegt (vgl. BVerfG ebenda).

Grob fehlerhaft in diesem Sinne kann es sein, wenn die Vollstreckungsbehörde entgegen §§ 457 Abs. 2 StPO, 27 StVollstrO davon absieht, den Verurteilten zum Strafantritt zu laden, sondern sogleich einen Vollstreckungshaftbefehl erlässt (vgl. BVerfG ebenda; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 325; KG, Beschluss vom 21. April 2006 aaO).

Ein derartiges Fehlverhalten behauptet der Antragsteller indes nicht. Die Staatsanwaltschaft hat zunächst versucht, ihn unter der von ihm mitgeteilten Anschrift 12555 Berlin, Lüdersstraße 2, unter der er nicht gemeldet war, zum Strafantritt zu laden. Nachdem die Zustellungsurkunde mit dem Vermerk "Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" zurückgesandt worden war, hat die Staatsanwaltschaft den Versuch unternommen, ihn unter seiner Meldeanschrift aaaaa B., Gweg a, zu laden. Auch diese Zustellungsurkunde ist von der Post mit dem Vermerk "Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln" zurückgeschickt worden. Die Staatsanwaltschaft hat darauf hin Aufenthaltsermittlungen veranlasst, die zu dem Ergebnis führten, dass er unter der Meldeanschrift nie wohnhaft gewesen war. Erst darauf hin hat die Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft den Vollstreckungshaftbefehl erlassen.

Ob die nach der Rücksendung der ersten Zustellungsurkunde gezogene und in einem späteren Vermerk vom 1. Oktober 2008 dokumentierte Schlussfolgerung der Rechtspflegerin, dass unter der Anschrift zzzzz B., Lstraße z, die Ladung nicht zugestellt werden konnte, tatsächlich zutraf, ist zweifelhaft, weil die Urkunde nicht eindeutig ist. Das kann im vorliegenden Verfahren jedoch dahinstehen. Denn auch wenn die Schlussfolgerung der Rechtspflegerin unzutreffend gewesen wäre, könnte dieser Umstand das nach § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG erforderliche Feststellungsinteresse des Antragstellers nicht begründen, weil von einem eklatanten fehlerhaften Vorgehen eines Hoheitsträgers, das objektive Willkür nahe legt, nicht die Rede sein kann.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 130 KostO. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf den §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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