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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 04.06.2009
Aktenzeichen: 1 VAs 22/09
Rechtsgebiete: StPO, GVGEG


Vorschriften:

StPO § 456a Abs. 2 S. 3
GVGEG § 23
GVGEG § 28 Abs. 1 S. 4
1. Für die Aussetzung von Fahndungsmaßnahmen im Sinne des § 456a Abs. 2 Satz 3 StPO ist der Rechtsweg gemäß den §§ 23 ff EGGVG eröffnet.

2. Zum Feststellungsinteresse gemäß § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG bei beabsichtigter Amtshaftungsklage.


KAMMERGERICHT

Beschluss

Geschäftsnummer: 1 VAs 22/09

M 12/1 Kap Js 1810/99 VRs

In der Justizverwaltungssache

wegen Aussetzung der Fahndung

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 4. Juni 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Verurteilten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts S. zur Anbringung eines Antrages auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Ablehnung der Aussetzung der Fahndung wird verworfen.

Gründe:

Der Betroffene begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts S. für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, durch den - nach Umstellung seines ursprünglichen, infolge Zeitablaufs erledigten Verpflichtungsantrages gemäß § 23 Abs. 2 EGGVG - festgestellt werden soll (§ 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG analog), die Staatsanwaltschaft Berlin habe es rechtswidrig abgelehnt, die gegen ihn nach § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO angeordneten Fahndungsmaßnahmen in der Zeit vom 30. März bis 1. April 2009 auszusetzen. Der Antrag hat keinen Erfolg.

1. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Antrag zulässig ist.

Der Antragsteller hat zwar die nach § 29 Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 ZPO erforderliche formularmäßige Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt. Ungeachtet des Umstandes, dass seine Angaben über andere Einnahmen ("Gelegentliche Arbeiten, die in Naturalien z.B. Wohnen und Essen vergütet werden") - auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 18. April 2009 - vage und nicht belegt sind, ist die Erklärung schon deshalb unvollständig/widersprüchlich, weil der Antragsteller einerseits angegeben hat, über kein Vermögen zu verfügen - auch nicht über Forderungen -, sich andererseits aber aus dem von ihm übersandten rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. April 2008 ergibt, dass er für den Vollzug der Untersuchungshaft vom 7. Dezember 2006 bis zum 10. Dezember 2007 zu entschädigen ist und ihm daher zumindest wegen des immateriellen Schadens (§ 7 Abs. 2 StrEG) ein nicht unerheblicher Vermögenswert zusteht. Hierzu verhält der Antragsteller sich nicht, insbesondere nicht, ob und in welcher Höhe er den Entschädigungsanspruch geltend gemacht hat und ob und in welcher Höhe bereits Entschädigung geleistet worden ist.

2. Der Senat hat davon abgesehen, dem Antragsteller unter Fristsetzung Gelegenheit zu geben, die Mängel seiner Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu beheben (vgl. dazu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 67. Aufl., § 117 Rdn. 35). Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet entgegen § 29 Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre unzulässig.

a) Zwar ist der Rechtsweg gemäß den §§ 23 ff EGGVG eröffnet. Bei der von dem Antragsteller ursprünglich beantragten befristeten Aussetzung der Fahndungsmaßnahmen handelt es sich um einen Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 EGGVG. Ein anderes Gericht als das Oberlandesgericht, hier das Kammergericht, kann nicht angerufen werden (§ 23 Abs. 3 EGGVG). Denn der Gesetzgeber hat in § 458 Abs. 2 StPO nicht angeordnet, obwohl sich dies wegen der Sachnähe zu den dort geregelten Fällen angeboten hätte, dass auch eine Aussetzung von Fahndungsmaßnahmen im Sinne des § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO dem Rechtsweg gemäß § 462 a Abs. 1 bzw. Abs. 2 i.V.m. § 461 StPO unterfällt.

b) Der Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller gegen die Ablehnung seines Antrags auf Aussetzung der Fahndungsmaßnahmen nicht von der Beschwerdemöglichkeit nach § 21 StVollstrO Gebrauch gemacht hat. Denn nach nahezu einhelliger Auffassung (vgl. OLG Stuttgart NStZ 1984, 574; LR-Böttcher, StPO 25. Aufl., § 24 EGGVG Rdn. 16; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 28 EGGVG Rdn. 5; jew. m.w.N.) entfällt die durch § 24 Abs. 2 EGGVG vorgeschriebene Einhaltung des Vorschaltverfahrens, wenn sich, wie hier, die verfahrensgegenständliche Maßnahme erledigt hat und eine Feststellung nach § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG erstrebt wird. Ein Vorschaltverfahren ist dann nicht mehr erforderlich, weil der damit verfolgte Zweck - die mögliche Selbstkorrektur der Behörden und infolgedessen die Entlastung der Oberlandesgerichte - nicht mehr erreicht werden kann (vgl. LR/Böttcher ebenda).

c) Der beabsichtigte Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre jedoch unzulässig, weil nach dem Antragsvorbringen das gemäß § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG erforderliche Feststellungsinteresse nicht gegeben ist.

aa) Nach dem Vortrag des Betroffenen in seinem Schriftsatz vom 18. April 2009 hat das Amtsgericht Tiergarten gegen ihn am 31. März 2009 ein zivilrechtliches Versäumnisurteil erlassen, weil er infolge der Ablehnung seines Antrags, für drei Tage die Fahndung auszusetzen, nicht habe vor dem Gericht erscheinen können. Er mache "die durch das Versäumnisurteil entstandenen Nachteile in Form von Gerichtskosten geltend". Bereits jetzt sei erwiesen, "dass für die aus dem Versäumnisurteil entstandenen Gerichtskosten die Staatsanwaltschaft Berlin schuldig ist", die Entscheidung des Senats werde dies bestätigen.

bb) Das Interesse des Antragstellers zielt danach auf die Vorbereitung einer Amtshaftungsklage (Art. 34 GG, § 839 BGB) ab.

cc) Ob die beabsichtigte Erhebung einer Amtshaftungsklage ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG begründen kann, ist umstritten.

Der Bundesgerichtshof hat durch Urteil vom 17. März 1994 - III ZR 15/93 - (NJW 1994, 1950 = LM BGB § 839 (Ca) Nr. 95) klargestellt, dass dem in einem Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG ergangenen Feststellungsausspruch des Strafsenats im Amtshaftungsprozess dieselbe materielle Rechtskraft und damit Bindungswirkung wie einem inhaltsgleichen verwaltungsgerichtlichen Urteil zukommt. Es erscheint daher zweifelhaft, ein Feststellungsinteresse in Fällen der beabsichtigten Amtshaftungsklage generell zu verneinen (so aber wohl noch Meyer-Goßner aaO, § 28 EGGVG Rdn. 6 unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung des Kammergerichts). Dass eine Entscheidung des Strafsenats im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG Bindungswirkung für den Amtshaftungsprozess entfaltet, bedeutet andererseits aber nicht, dass allein aus diesem Umstand stets ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG zu folgern ist. Denn der Antragsteller kann den Rechtsschutz ebenso auch im Amtshaftungsprozess erhalten, da die Zivilgerichte dort über die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Maßnahme als Vorfrage entscheiden (vgl. LR/Böttcher aaO, § 28 EGGVG Rdn. 13).

Ausschlaggebend ist daher nach richtiger Auffassung der Gesichtspunkt der Prozessökonomie, wobei jeweils auf die konkrete Verfahrenssituation abzustellen ist (vgl. OLG Hamm bei Matzke NStZ 2001, 414; KG, Beschluss vom 18. März 2002 - 5 Ws 123/02 Vollz -; LR/Böttcher ebenda). Ein Feststellungsinteresse ist dann zu bejahen, wenn das Verfahren vor dem Oberlandesgericht im Zeitpunkt der Erledigung schon zur Entscheidungsreife gediehen ist, der Strafsenat mithin ohne weitere Ermittlungen auf einen nunmehr gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag hin entscheiden kann (vgl. OLG Hamm und LR/Böttcher ebenda).

So liegt es hier nicht. Das Verfahren war im Zeitpunkt der Erledigung des ursprünglichen Antrages auf gerichtliche Entscheidung (Ablauf des 1. April 2009) nicht entscheidungsreif, auch nicht unter Berücksichtigung der dem Senat an diesem Tag von der Generalstaatsanwaltschaft vorgelegten Vollstreckungsakten. Selbst unter Berücksichtigung des Sachvortrags des Betroffenen nach dem Erledigungszeitpunkt könnte eine abschließende Entscheidung noch nicht getroffen werden, weil es hierzu weiterer Ermittlungen bedürfte.

3. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 29 Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO) kommt nicht in Betracht, weil sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe voraussetzt.

4. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst. Denn die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeht gerichtsgebührenfrei (vgl. KG, Beschluss vom 22. Mai 2006 - 4 VAs 31-34/06 - m.w.N.)



Ende der Entscheidung

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