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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.02.2009
Aktenzeichen: 1 VAs 38/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 170 Abs. 2
StPO § 489 Abs. 2 S. 1
1. Ein Anspruch auf Vernichtung der in Papierform geführten Akten nach einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO besteht bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfristen nicht.

2. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über einen Antrag auf Löschung der in einem automatisierten Verfahrensregister gespeicherten personenbezogenen Daten (§ 489 Abs. 2 Satz 1 StPO) setzt hinsichtlich der Erforderlichkeit der weiteren Speicherung eine Abwägung des Rechtes des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung und des Interesses der Allgemeinheit an Strafverfolgung und Vorgangsverwaltung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anhand der Umstände des Einzelfalls voraus.


KAMMERGERICHT Beschluss

1552 E GStA 9/08 - 1 VAs 38/08

In der Justizverwaltungssache

wegen Vernichtung der in Papierform geführten Akten u. a.

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 17. Februar 2009 beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Amtsanwaltschaft Berlin vom 19. Mai 2008 wird, soweit er die Verpflichtung zur Vernichtung der in Papierform geführten Akte betrifft, verworfen.

2. Der Antrag auf Löschung der in dem automatisierten Verfahrensregister gespeicherten personenbezogenen Daten wird an die Amtsanwaltschaft zu neuer Prüfung und Entscheidung zurückverwiesen.

3. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens hinsichtlich des Antrages zu 1. zu tragen.

Der Geschäftswert wird insoweit auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Amtsanwaltschaft Berlin hat das gegen den Antragsteller wegen des Verdachts des Diebstahls in besonders schwerem Fall geführte Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrt er, die Antragsgegnerin zu verpflichten, alles Schriftgut, das Daten des Antragstellers beinhaltet, zu vernichten und alle Daten des Antragstellers, die in dem automatisierten Verfahrensregister der Berliner Strafverfolgungsbehörden (AStA) gespeichert sind, zu löschen, hilfsweise hinsichtlich des zweiten Antrags, die Antragsgegnerin zu verpflichten, eine Einzelfallbearbeitung zur Prüfung der Löschung der auf den Antragsteller bezogenen Daten aus dem AStA vorzunehmen. Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen war er zu verwerfen.

1. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Antragsschrift vom 12. September 2008 zu der Zulässigkeit des Rechtsmittels wie folgt Stellung genommen:

"Die Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff EGGVG sind zulässig.

Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung der Amtsanwaltschaft, vertreten durch deren Leiterin, zum Erlass bestimmter abgelehnter Justizverwaltungsakte auf dem Gebiet der Strafrechtspflege nach § 23 Abs. 2 EGGVG. Mangels eines förmlichen Rechtsbehelfs bedarf es keines Vorschaltverfahrens nach § 24 Abs. 2 EGGVG. Mit Schreiben vom 19. Mai 2008 hat die Amtsanwaltschaft über beide Anträge ablehnend beschieden. Bei Betrachtung des Zusammenhangs der beiden Anträge beinhaltet die Ablehnung, eine Aktenvernichtung vor dem Ende des Jahres 2013 vorzunehmen, ohne weiteres auch die Ablehnung der vorzeitigen Löschung der Daten, die zur Vorgangsverwaltung erforderlich sind. Die Frist nach § 26 Abs. 1 EGGVG ist gewahrt."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

2. Der Antrag auf Vernichtung der Vorgänge, die in Papierform unter dem Aktenzeichen 3022 PLs 2755/08 geführt werden, ist unbegründet.

Die Voraussetzungen einer Aktenaufbewahrung bis Ende 2013 sind gegeben. Gemäß Abschnitt I Nr. 6 Abs. 1, Abschnitt II Lfd. Nr. 621 der durch Allgemeine Verfügung vom 30. Juli 2004 in Kraft gesetzten Neufassung der Bestimmungen über die Aufbewahrung für das Schriftgut der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsbehörden (ABl. 2004 S. 3274 ff.), zuletzt geändert durch die Fassung vom 29. Januar 2007 (ABl. 2007, 274), beträgt die Aufbewahrungsdauer amtsanwaltschaftlicher Akten (PLs) bei dem Vorwurf eines Vergehens fünf Jahre. Die Frist beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO verfügt wurde. Diese Ausführungsvorschrift beruht auf § 2 Abs. 2 Schriftgutaufbewahrungsgesetz (SchrAG; GVBL. 2008, 410); vor dessen Inkrafttreten auf den §§ 8, 22 AGGVG in Verbindung mit § 153 Abs. 4 GVG. § 2 Abs. 2 SchrAG stellt die gesetzliche Grundlage für den fortdauernden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.

Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmungen bestehen nicht.

Die Akten der Staatsanwaltschaft sowie der Amtsanwaltschaft, aus denen sich ergibt, dass der objektive Tatbestand eines Verbrechens oder Vergehens vorliegt, der Täter aber nicht zur Aburteilung zu bringen ist, sind in allen Fällen mindestens so lange aufzubewahren, bis nicht die Strafverfolgung durch Verjährung ausgeschlossen ist. In den Fällen, in denen die Tat der Verjährung nicht unterliegt, sind sie so lange aufzubewahren, als eine Strafverfolgung den Umständen nach noch möglich ist. Die Staatsanwaltschaft ist aufgrund der auf den Verjährungsfristen basierenden Aufbewahrungsbestimmung für Akten verpflichtet, auch im Falle der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens die entsprechenden Akten mindestens fünf Jahre aufzubewahren, weil die Akten bis zum Ablauf der Verjährungsfristen für die Verfolgung von Straftaten auffindbar und verfügbar sein müssen (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - 2 VAs 5/08 -). Dies ist für die Erhaltung der Funktionsbereitschaft der Staatsanwaltschaft und ihrer Arbeitsfähigkeit erforderlich, weil diese ohne vollständige schriftliche Unterlagen ihren gesetzlichen Auftrag (§ 152 Abs. 2 StPO) nicht erfüllen kann. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass auch nach längerer Zeit und noch vor Ablauf der Verjährungsfristen noch weitere Indizien - etwa durch Auffinden der Diebesbeute oder Zuordnung von Tatortspuren - bekannt werden. Der Verdacht gegen frühere Beschuldigte kann sich dadurch verdichten. Auch wenn dies nicht der Fall ist, kommen sie als Zeugen in Betracht. Bestünde die Strafakte dann nur noch aus Fragmenten, weil Ermittlungsergebnisse gegen frühere Beschuldigte zwischenzeitlich vernichtet wurden, würde die Aufklärung der Tat erheblich erschwert oder gar unmöglich werden. Ein Ermessen für das Aufheben der Akten, etwa angelehnt an den Grad des Tatverdachts, ist zu Recht nicht vorgesehen, weil dies mit dem Strafverfolgungszwecken nicht vereinbar ist.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist durch die festgelegten Fristen gewahrt, weil die Aufbewahrungsfristen auf das Erforderliche beschränkt sind (vgl. § 2 Abs. 2 SchrAG).

Im vorliegenden Fall beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre, so dass die Amtsanwaltschaft zutreffend davon ausgeht, dass die Akten noch bis 2013 aufzubewahren sind. Das Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung wird hierdurch nicht unangemessen beeinträchtigt, weil die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, besondere Vorkehrungen zum Schutz von missbräuchlicher Verwendung der Daten zu treffen (vgl. KG, Beschluss vom 6. August 1999 - 4 VAs 10/99 -).

3. Hinsichtlich des Antrags auf Löschung der in AStA gespeicherten Daten hat die Generalstaatsanwaltschaft wie folgt Stellung genommen:

"Der Antrag auf Löschung der in AStA gespeicherten Daten des Antragstellers hat der Sache nach insoweit (vorläufigen) Erfolg, dass es einer Zurückverweisung an die Amtsanwaltschaft zur Entscheidung der Datenlöschung bedarf.

Nach § 489 Abs. 2 Satz 1 StPO besteht ein Löschungsanspruch immer dann, wenn die Speicherung entweder unzulässig ist oder die Daten für die in den §§ 483 bis 485 StPO niedergelegten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

Dass die grundsätzliche Speicherung der personenbezogenen Daten des Antragstellers für Zwecke des Ermittlungsverfahrens 3022 PLs 2755/08 unzulässig ist bzw. auf unzulässige Art und Weise erfolgte, ist nicht ersichtlich. Zu klären bleibt auf Grund des Antrags, der als Anlass der Einzelfallbearbeitung im Sinne des § 489 Abs. 2 Satz 1 letzte Alternative StPO zu werten ist, ob die Speicherung für die in den §§ 483 bis 485 StPO jeweils bezeichneten Zwecke nicht mehr erforderlich ist. Das "Erforderlichsein" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Mangels Spruchreife vermag der Senat noch keine Entscheidung zu treffen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Amtsanwaltschaft Berlin eine Abwägung des Rechtes des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung und des Interesses der Allgemeinheit an Strafverfolgung und Vorgangsverwaltung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anhand der Umstände des Einzelfalls vorgenommen hat (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 183). Die Aktenbearbeitung lässt die Prüfung im gebotenen Umfang vermissen. Weder der allgemein gehaltenen Mitteilung vom 19. Mai 2008 zum Zeitpunkt der Aktenvernichtung noch aus sonstigen Hinweisen in den Akten lässt sich die gemäß § 489 Abs. 2 Satz 1 letzte Alternative StPO notwendige Einzelfallprüfung entnehmen. Der Bescheid vom 19. Mai 2008 ist insoweit aufzuheben und die Sache zur Prüfung der Fortdauer der Speicherung personenbezogener Daten an die Amtsanwaltschaft zurückzuverweisen."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Der Schriftsatz der Verteidigerin vom 15. Oktober 2008 rechtfertigt keine andere Entscheidung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 130 KostO, die Festsetzung des Geschäftswertes folgt aus §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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