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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 07.10.2008
Aktenzeichen: 1 VAs 40/08
Rechtsgebiete: BtMG
Vorschriften:
BtMG § 35 Abs. 1 S. 1 |
KAMMERGERICHT Beschluß
Geschäftsnummer: 1 Zs 1542/08 - 1 VAs 40/08 1 Zs 1562/08 - 1 VAs 40/08
In der Justizverwaltungssache betreffend
wegen Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG
hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 7. Oktober 2008 beschlossen:
Tenor:
1. Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Berlin vom 16. Juni 2008 wird verworfen.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Geschäftswert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
4. Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts zzz wird zurückgewiesen.
Gründe:
Gegen den Betroffenen sind zwei (Rest-)Freiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Tiergarten vom 9. August 2005 (93 Js 1897/05) und 31. August 2006 (5 Op Js 725/06) zu vollstrecken. Seinen Antrag, die Strafvollstreckung in beiden Verfahren nach § 35 BtMG zurückzustellen, hat die Staatsanwaltschaft mit Bescheid vom 16. Juni 2008 abgelehnt. Die Anträge des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung und Bewilligung von Prozeßkostenhilfe sowie Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten bleiben ohne Erfolg.
Der Senat kann offen lassen, ob der Antrag auf gerichtliche Entscheidung trotz des nicht durchgeführten Vorschaltverfahrens (§§ 24 Abs. 2 EGGVG, 21 StVollstrO) hier ausnahmsweise deswegen zulässig ist, weil das Amtsgericht in dem Verfahren 5 Op Js 725/06 die nach § 35 BtMG erforderliche Zustimmung verweigert hat. Denn der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
Die Ablehnung der Zurückstellung der Strafvollstreckung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dabei ist unerheblich, ob die Voraussetzungen des § 35 BtMG für das Verfahren 5 Op Js 725/06 vorliegen, wie der Antragsteller mit beachtlichen Gründen meint. Die Staatsanwaltschaft hat ihren Bescheid aber zu Recht (auch) damit begründet, daß in dem Verfahren 93 Js 1897/05 der für die Anwendung des § 35 BtMG erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen einer Betäubungsmittelabhängigkeit des Betroffenen und den abgeurteilten Taten der Unterschlagung und räuberischen Erpressung in jeweils zwei Fällen sowie der Bedrohung in vier Fällen nicht feststeht.
Eine (Mit-)Ursächlichkeit des Drogenmißbrauchs ist nicht immer schon dann gegeben, wenn zur Tatzeit eine Rauschgiftabhängigkeit bestanden hat und in ihr - unabhängig vom konkreten Einzelfall - allgemein eine Erklärung für das begangene Delikt gefunden werden kann. Kausalität besteht nur bei Taten, die der Beschaffung von Drogen zur Befriedigung der Sucht dienen sollen oder die der Täter ohne die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht begangen hätte. Die Drogensucht muß die Bedingung und nicht nur Begleiterscheinung der Straftat gewesen sein (vgl. Senat, Beschluß vom 31. August 2007 - 1 VAs 44/07 -). Das läßt sich hier weder den Gründen des Urteils entnehmen noch sonst anhand der Akten feststellen. Vielmehr geht aus dem Urteil hervor, daß der Betroffene die Unterschlagungen begangen hatte, da er "mit Spielkarten um Geld zockte". Auch bei den abgeurteilten räuberischen Erpressungen, mit denen er von seiner Freundin jeweils die Herausgabe ihrer Autoschlüssel - offenbar zur vorübergehenden Nutzung des Fahrzeugs - erzwungen hatte, ist selbst bei Annahme einer Betäubungsmittelabhängigkeit deren Ursächlichkeit für die Taten nicht ersichtlich. Gleiches gilt für die vier Fälle eines Vergehens nach § 241 StGB.
Soweit der Betroffene sich für seine Cannabisabhängigkeit im Tatzeitraum und die erforderliche Kausalität erstmals mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 9. August 2008 auf das Zeugnis von (nicht benannten) Personen aus seinem "familiären Umfeld" berufen und dazu mit weiterem Schriftsatz vom 21. August 2008 "ergänzenden Beweis" angeboten hat, muß der Senat dem nicht nachgehen. Drogensucht und ihre Tatursächlichkeit müssen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG feststehen. Eine gesonderte Beweisaufnahme darüber sieht das Gesetz nicht vor.
Die Staatsanwaltschaft hat demnach ihre Ablehnung des Zurückstellungsantrages zu Recht auf die Sperrwirkung der weiterhin gebotenen Strafvollstreckung in dem Verfahren 93 Js 1897/05 gestützt. Sofern nämlich die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG bei nur einer von mehreren noch offenen Freiheitsstrafen nicht vorliegen, kann die Vollstreckung der anderen Strafen, wie § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG zeigt, nicht zurückgestellt werden, selbst wenn sie wegen Taten verhängt worden sind, die der Verurteilte aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hatte (vgl. Senat aaO).
Unzutreffend ist auch die Ansicht des Antragstellers, wonach die Sperrwirkung infolge einer Verbüßung des "nicht nach § 57 StGB aussetzungsfähigen" Teils der Strafe entfallen sei. Richtig ist zwar, daß es im Hinblick auf § 454b Abs. 3 StPO geboten ist, zunächst die nicht zurückstellungsfähige Strafe solange zu vollstrecken, bis die Voraussetzungen des § 57 StGB geschaffen sind und nach dieser Vorschrift eine Aussetzung des Strafrestes erfolgen könnte (vgl. OLG München NStZ 2000, 223), hier also nach den §§ 454b Abs. 2 Nr. 1 StPO, 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB bis zum Halbstrafenzeitpunkt am 23. Dezember 2007 (TE). Dieser Zeitpunkt ist jedoch bei dem Betroffenen für die Entscheidung über die Strafaussetzung nicht maßgebend. Denn die Bestimmung des § 454b Abs. 3 StPO schreibt auch vor, daß eine solche Entscheidung bei der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen nur gleichzeitig und erst dann getroffen werden darf, wenn bei allen Strafen die zeitlichen Voraussetzungen des § 57 StGB gegeben sind. Das kann - wie hier - dazu führen, daß auch eine an sich zurückstellungsfähige Strafe weiter bis zum Zweidrittelzeitpunkt vollstreckt werden muß, wenn erst dadurch eine Entscheidung über die Aussetzung auch derjenigen Strafe ermöglicht wird, bei der die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 BtMG nicht vorliegen (vgl. OLG Hamburg, Beschluß vom 27. September 2002 - 2 Ws 192/92 - bei juris). Dieser Zeitpunkt war in dem Verfahren 5 Op Js 725/06 erst mit Ablauf des 17. September 2008 erreicht.
Das bedeutet aber nicht, daß bereits zu diesem Zeitpunkt die Sperrwirkung des Verfahrens 93 Js 1897/05 ohne weiteres entfallen war. Ein derartiger Rechtssatz ist entgegen der Ansicht des Antragstellers auch der Entscheidung des OLG München (aaO) nicht zu entnehmen. Das OLG München hat vielmehr ausdrücklich hervorgehoben, daß neben den zeitlichen auch die übrigen Voraussetzungen des § 57 StGB gegeben sein müssen.
Eine Aussetzung des Strafrestes nach § 57 StGB in dem Verfahren 93 Js 1897/05, welche die Sperrwirkung entfallen ließe, ist jedoch bisher nicht erfolgt und könnte zur Zeit schon deshalb nicht erfolgen, weil der Antragsteller es bisher ausdrücklich abgelehnt hat, die erforderliche Einwilligung zu erteilen (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 StGB).
Eine Zurückstellung der Strafvollstreckung wird demnach, wenn nicht zuvor deren Aussetzung nach § 57 StGB erfolgen sollte, frühestens nach vollständiger Verbüßung der Strafe aus dem Verfahren 93 Js 1897/05 VRs ab dem 20. Juni 2009 möglich sein.
Gegen die diesem Ergebnis zugrunde liegende Strafzeitberechnung der Vollstreckungsbehörde ist nichts zu erinnern. Denn entgegen der Ansicht des Antragstellers konnte nicht mit der Vollstreckung der kürzeren Strafe von einem Jahr und sechs Monaten aus der "älteren" Verurteilung in dem Verfahren 93 Js 1897/05 begonnen werden, wie es § 43 Abs. 2 StVollstrO bei mehreren offenen Strafen vorsieht. Denn diese Freiheitsstrafe war bei Strafantritt (16. November 2006) noch zur Bewährung ausgesetzt. Nach dem Widerruf der Strafaussetzung durch Beschluß des Landgerichts Berlin vom 22. Dezember 2006 (rechtskräftig seit dem 16. Januar 2007) ist auch zu Recht gemäß § 43 Abs. 3 StVollstrO die Vollstreckung in dem Verfahren 5 Op Js 725/06 fortgesetzt worden. Eine Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge "aus wichtigem Grund" (§ 43 Abs. 4 StVollstrO) war erst auf den Antrag des Verurteilten ab dem 14. April 2007 veranlaßt, nachdem er angekündigt hatte, sich einer Drogentherapie unterziehen zu wollen. Die Vollstreckung in dem Verfahren 93 Js 1897/05 mußte jedoch gemäß § 454b Abs. 2 Nr. 1 StPO mit Ablauf des 23. Dezember 2007 zum Halbstrafenzeitpunkt wieder unterbrochen werden, da die zeitlichen Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB vorlagen und die gesetzliche Regelung des § 454b StPO der Verwaltungsvorschrift des § 43 Abs. 4 StVollstrO vorgeht (vgl. KG, Beschluß vom 30. Juli 2002 - 5 Ws 236/02 -). Das hatte hier im Hinblick auf § 454b Abs. 3 StPO - wie dargelegt - zur Folge, daß zunächst zwei Drittel der Strafe in dem Verfahren 5 Op Js 725/06 verbüßt sein mußten, bevor die Vollstreckungsreihenfolge - wie geschehen - mit Wirkung vom 18. September 2008 erneut geändert werden konnte (vgl. KG aaO).
Wegen der Erfolglosigkeit des Antrages auf gerichtliche Entscheidung scheiden die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts aus (§§ 29 Abs. 3 EGGVG, 114 Satz 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 130 KostO; die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf den §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 KostO.
Ende der Entscheidung
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