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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 31.08.2007
Aktenzeichen: 1 VAs 44/07
Rechtsgebiete: BtMG
Vorschriften:
BtMG § 35 Abs. 1 |
KAMMERGERICHT Beschluß
Geschäftsnummer: 1 VAs 44/07
In der Justizverwaltungssache betreffend
wegen Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG
hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 31. August 2007 beschlossen:
Tenor:
1. Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 2. Juli 2007 wird verworfen.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Geschäftswert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
Das Landgericht Berlin (Schwurgericht) hat den Betroffenen am 20. Juni 2005 wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, sechs Monaten und zwei Wochen verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet (1 Kap Js 2077/04 Ks). Nachdem die Maßregel wegen fehlender Erfolgsaussichten durch Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 16. August 2006 für erledigt erklärt worden war, wurde der Betroffene zur Verbüßung der Freiheitsstrafe in die JVA Moabit überführt. Der Zweidrittelzeitpunkt ist für den 28. Oktober 2007 notiert. Im Anschluß daran ist (im Strafvollzug für Erwachsene) die weitere Vollstreckung einer Jugendstrafe von zwei Jahren vorgesehen, die das Amtsgericht Tiergarten gegen ihn am 15. Oktober 2003 verhängt hat (5 Op Js 137/03 Ls). Die Anträge des Betroffenen, die Strafvollstreckung in beiden Verfahren nach § 35 BtMG zurückzustellen, hat die Staatsanwaltschaft abgelehnt. Seine Beschwerde hat die Generalstaatsanwaltschaft zurückgewiesen. Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung bleibt ohne Erfolg.
Die nach den §§ 28 Abs. 3 EGGVG, 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG auf die ordnungsgemäße Ermessenausübung beschränkte Überprüfung des angefochtenen Bescheides deckt keine Rechtsfehler auf.
Unschädlich ist zunächst, daß die Staatsanwaltschaft über die Anträge entschieden hat, ohne zuvor eine Erklärung der erkennenden Gerichte darüber einzuholen, ob einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zugestimmt wird (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1998, 315).
Nicht zu beanstanden ist ferner, daß die Vollstreckungsbehörde für die Jugendstrafe die Voraussetzungen der §§ 35 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 1 Satz 1 BtMG nicht als gegeben angesehen hat, weil der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen einer Betäubungsmittelabhängigkeit des Betroffenen und dem überwiegenden Teil der abgeurteilten Taten nicht feststeht. Insoweit unterliegt die angefochtene Entscheidung der vollen Überprüfung durch den Senat (vgl. KG, Beschluß vom 27. Oktober 1989 - 4 VAs 13/89 -). Sie ergibt, daß die Vollstreckungsbehörde den Sachverhalt zutreffend gewürdigt und die Anforderungen an den Kausalitätsnachweis nicht überspannt hat (vgl. OLG Saarbrücken NStZ-RR 1996, 246).
Dem Urteil des Amtsgerichts vom 15. Oktober 2003 lagen der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln in zwei Fällen, vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis und versuchte Körperverletzung zugrunde. Einbezogen wurde das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. August 2001, mit dem gegen den Betroffenen wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung auf eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten erkannt worden war.
Für das Verkehrsdelikt und die versuchte Körperverletzung steht nach den Urteilsgründen außer Frage, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Betäubungsmittelabhängigkeit und den Taten nicht bestand, was auch der Betroffene nicht in Abrede stellt. Soweit er allerdings meint, die Zurückstellung der Strafvollstreckung sei schon aufgrund der Drogendelikte und der Raubtat gerechtfertigt, teilt der Senat diese Auffassung nicht.
Richtig ist zwar, daß bei einer Gesamtstrafe oder - wie hier - einer Einheitsjugendstrafe (§ 31 Abs. 1 Satz 1 JGG) nicht alle der Verurteilung zugrundeliegenden Taten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen sein müssen. Es reicht für die Zurückstellung der Vollstreckung vielmehr aus, wenn die Kausalität bei einem nach Bedeutung und Gewicht überwiegenden Teil der Taten gegeben war (vgl. Körner, BtMG 5. Aufl., Rdn. 52 zu § 35). Das ist hier aber nicht der Fall.
Hinsichtlich der im April 2001 begangenen Raubtat, des weitaus schwerwiegendsten Delikts, ergibt sich die Kausalität weder aus den Gründen des Urteils noch steht sie sonst fest. Eine (Mit-)Ursächlichkeit des Drogenmißbrauchs ist nicht immer schon dann gegeben, wenn zur Tatzeit eine Rauschgiftabhängigkeit bestanden hat und in ihr - unabhängig vom konkreten Einzelfall - allgemein eine Erklärung für das begangene Delikt gefunden werden kann. Kausalität besteht nur bei Taten, die der Beschaffung von Drogen zur Befriedigung der Sucht dienen sollen oder die der Täter ohne die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht begangen hätte (vgl. KG, Beschlüsse vom 2. Dezember 1985 - 4 VAs 30/85 - und 20. Januar 2003 - 4 VAs 2/03 -). Die Drogensucht muß die Bedingung und nicht nur Begleiterscheinung der Straftat gewesen sein. Das läßt sich hier nicht feststellen.
Eine aufgrund der Betäubungsmittelabhängigkeit verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), bei der in der Regel die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG anzunehmen sind (vgl. KG StV 1988, 213 mwN), ist in dem Urteil des Amtsgerichts vom 22. August 2001 für die Tatzeit nicht festgestellt. Aus den Gründen der Entscheidung geht vielmehr hervor, daß der Antrag-steller nach eigenen Angaben seit Dezember 2000 - also auch zur Tatzeit - kein Rauschgift mehr konsumiert und die Tat verübt hatte, weil er dringend Geld benötigte, um Anwaltsrechnungen zu begleichen. Im Ergebnis nichts anderes ergibt sich aus den damaligen Angaben des Betroffenen gegenüber der Jugendgerichtshilfe, wonach er mit der Beute seine Mutter finanziell habe unterstützen wollen (Bericht der JGH vom 29. Juni 2001). Soweit er im Gegensatz dazu mit seinen Zurückstellungsanträgen erstmals behauptet hat, die Beschaffung von Betäubungsmitteln als wahren Beweggrund der Tat in der Hauptverhandlung verschwiegen zu haben, um eine Strafaussetzung zur Bewährung zu erreichen, kommt dem nicht der von ihm gewünschte Beweiswert zu. Die widersprüchlichen Angaben des Betroffenen vor Gericht und bei der Jugendgerichtshilfe belegen keineswegs, wie er meint, die Richtigkeit seiner jetzigen Behauptung. Die ständig wechselnden Einlassungen belegen nur die Neigung des Betroffenen, sein Aussageverhalten danach einzurichten, mit welchen Angaben er sich Vergünstigungen verschaffen kann, was durch den Arztbericht des Krankenhauses im Maßregelvollzug vom 22. Dezember 2005 bestätigt wird, mit dem ihm "manipulatives Taktieren zur persönlichen Vorteilsnahme" bescheinigt wird.
Der Betroffene kann sich auch nicht auf das psychiatrische Gutachten des Dr. med. K. vom 10. Mai 2005 stützen, das der Sachverständige für das Verfahren 1 Kap Js 2077/04 Ks erstattet hat. Das Gutachten befaßte sich auftragsgemäß in erster Linie mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Betroffenen für die am 29. September 2004, also über drei Jahre nach der Raubtat, begangene gefährliche Körperverletzung, die mit der Anklage zunächst (auch) als versuchter Totschlag gewertet worden war. Für den hier maßgeblichen Zeitraum im April 2001 ist das Gutachten wenig aussagekräftig. Soweit der Sachverständige überhaupt auf die frühere Delinquenz des Betroffenen eingegangen ist und zu dem hier in Rede stehenden Raub ausgeführt hat, der Betroffene habe die Tat "bei gleichzeitigem Konsum von Drogen" verübt (S. 11), beruht das allein auf den, wie dargestellt, nicht verläßlichen Angaben des Betroffenen. Auch die - im Rahmen der Stellungnahme zu den Voraussetzungen des § 64 StGB - nicht näher begründete Schlußfolgerung des Sachverständigen, die Vortaten seien "in Zusammenhang mit der die Sucht begleitenden Verwahrlosung zu sehen" (S. 40), erbringt noch nicht den erforderlichen Nachweis eines unmittelbaren Kausalzusammenhanges zwischen der vom Sachverständigen für die Tatzeit angenommenen Cannabisabhängigkeit des Betroffenen und der Tat. Die bloße, wenn auch mit gewichtigen Anhaltspunkten begründete Vermutung, daß die Tat ihre Ursache in der Sucht hatte, reicht für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht aus, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hingewiesen hat. Die Kausalität muß nach dem eindeutigen Wortlaut des § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG vielmehr feststehen. Die Vollstreckungsbehörde war insoweit auch nicht gehalten, eigene Feststellungen zu treffen. Eine langwierige und schwierige Beweisaufnahme ist mit § 35 BtMG ohnehin nicht vereinbar (vgl. Körner aaO, Rdn. 58 mN). Ansätze für weitere Ermittlungen, die ohne einen erheblichen Aufwand den Kausalitätsnachweis hätten erbringen können, zeigt auch der Antragsteller nicht auf.
Der im Urteil des Amtsgerichts vom 15. Oktober 2003 weiterhin geahndete Besitz von Kokain und Marihuana zum Eigenverbrauch des Betroffenen (Tatzeiten: Dezember 2002/Januar 2003) hat für sich genommen nicht das Gewicht, um eine Zurückstellung der Strafvollstreckung zu rechtfertigen. Daß die Staatsanwaltschaft darauf nicht eingegangen ist, gefährdet den Bestand der angefochtenen Entscheidung daher nicht.
Ebenfalls nicht zu beanstanden ist schließlich, daß die Staatsanwaltschaft ihre Ablehnung des Zurückstellungsantrages allein auf die gebotene Vollstreckung der Jugendstrafe gestützt und sich wegen deren Sperrwirkung mit der Verurteilung durch das Landgericht sowie mit der in diesem Verfahren zu Tage getretenen Therapieunwilligkeit des Betroffenen im Maßregelvollzug nicht auseinandergesetzt hat.
Sind gegen einen Verurteilten mehrere Strafen zu vollstrecken und liegen bei einer von ihnen die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG nicht vor, so kann auch die Vollstreckung der anderen Strafen - wie auch § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG zeigt - nicht zurückgestellt werden, selbst wenn sie wegen Taten verhängt worden sind, die der Verurteilte aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hatte (OLG Karlsruhe MDR 1983, 76; OLG Hamm MDR 1983, 429; Körner, aaO, Rdn. 142).
Eine Zurückstellung der Strafvollstreckung ist danach mit Recht abgelehnt worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 30 Abs. 1 EGGVG, 130 KostO. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf den §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 KostO.
Ende der Entscheidung
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