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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 02.10.2007
Aktenzeichen: 1 W 180/07
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 70h
FGG § 70e
FGG § 70c
FGG § 69f
FGG § 68
Wird vor der Anordnung einer vorläufigen Unterbringungsmaßnahme von der Anhörung des Betroffenen und der Bestellung eines Verfahrenspflegers wegen Gefahr im Verzug abgesehen, ist darauf abzustellen, dass die Unterbringungsmaßnahme wegen drohender Nachteile für den Betroffenen oder (bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung) für Dritte so dringend ist, dass keine Zeit für eine vorherige Anhörung verbleibt. Im Falle einer vorläufigen behördlichen Unterbringung kann sich dies aus dem drohenden Ablauf der Frist nach § 26 Abs. 1 PsychKG ergeben. Bei den unverzüglich nachzuholenden Verfahrenshandlungen gemäß §§ 70h, 69f Abs. 1 S. 4 FGG kann es keine Rolle spielen, wann der nächste routinemäßige Anhörungstag des Richters in der Unterbringungseinrichtung stattfindet. Von der Einholung eines Gutachtens gemäß § 70 e FGG hat das Gericht den Betroffenen bereits vor der Untersuchung oder Befragung durch den Sachverständigen zu unterrichten. Soll der behandelnde Arzt als Sachverständiger das Gutachten erstatten, so muss der Betroffene bei der Befunderhebung wissen, dass dieser ihm als Sachverständiger gegenübertritt (Fortführung von Senat, Beschluss vom 28. November 2006 - 1 W 279/06 -, OLG-Report 2007, 332 = R&U 2007, 84 = FamRZ 2007, 1043 = BtPrax 2007, 137). Das zur Gewährung des rechtlichen Gehörs erforderliche Schlussgespräch, §§ 70c S. 5, 68 Abs. 5 FGG, setzt voraus, dass der Betroffene Gelegenheit hat, sich mit dem Gutachten des Sachverständigen auseinander zu setzen. Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn der Betroffene im ersten Anhörungstermin durch die Erstattung des mündlichen Gutachtens ohne vorherige Ankündigung überfordert ist.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 179/07 1 W 180/07

02.10.2007

In der Unterbringungssache betreffend

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 14. März 2007 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 13. Februar 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, die Richterin am Kammergericht Dr. Rasch und den Richter am Kammergericht Müller am 2. Oktober 2007 beschlossen:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Anordnung der Unterbringung des Betroffenen durch die Beschlüsse des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 19. Mai 2006 und vom 23. Mai 2006 - 52 XIV 40/2006 L - rechtswidrig war.

Gründe:

I. Die mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der durch die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 19. und 23. Mai 2006 angeordneten Unterbringung eingelegte sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist zulässig, §§ 13 PsychKGBerlin, 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 70g Abs. 3, 70m Abs. 1, 22, 27, 29 FGG. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen ist nicht durch seine zwischenzeitliche Entlassung entfallen. Die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Unterbringungsmaßnahme ist möglich. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet die Annahme eines Rechtsschutzinteresses in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe, in denen sich eine direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Eine Unterbringungsmaßnahme ist ein tief greifender Grundrechtseingriff (BVerfG, NJW 1998, 2432 ff; BVerfGE 104, 220 ff). Aufgrund der zunächst bis zum 6. Juni 2006 vorläufig und der dann bis zum 13. Juni 2006 im Hauptsacheverfahren angeordneten Unterbringung konnte der Betroffene auch keine Entscheidung in den von der Verfahrensordnung vorgegebenen Instanzen erreichen (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Mai 2000 - 1 W 2749/00, FGPrax 2000, 213f.), zumal der Beschluss vom 23. Mai 2006 bereits am 1. Juni 2006 wieder aufgehoben wurde.

II. Die sofortige weitere Beschwerde ist sowohl hinsichtlich der im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgten Unterbringung (dazu nachfolgend unter 1.) als auch hinsichtlich der im Hauptsacheverfahren getroffenen Anordnung (dazu nachfolgend unter 2.) begründet.

1. Die durch den Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 19. Mai 2006 angeordnete vorläufige Unterbringung des Betroffenen war rechtswidrig.

a) Nach §§ 70h Abs. 1, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FGG kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme getroffen werden, wenn dringende Gründe im Sinne einer erheblichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BayObLGZ 2000, 220 ff; Marschner, in: Jürgens, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 70h FGG, Rdn. 3) für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für eine endgültige Unterbringung gegeben sind und mit dem Aufschub Gefahr verbunden wäre sowie die weiteren in § 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 4 FGG genannten Voraussetzungen vorliegen. Die freiheitsentziehende Unterbringung nach dem in Berlin geltenden Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG) ist eine Unterbringungsmaßnahme im Sinne des § 70h Abs. 1 FGG, vgl. § 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 FGG. Sieht das Vormundschaftsgericht, wie hier, vor Erlass der einstweiligen Anordnung von der Bestellung eines Verfahrenspflegers und der persönlichen Anhörung des Betroffenen ab, so ist dies nur bei Gefahr im Verzug zulässig. Diese Verfahrenshandlungen hat das Vormundschaftsgericht unverzüglich nachzuholen, § 69f Abs. 1 S. 4 FGG.

Die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme erfordert vorwiegend die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse und kann im Verfahren der weiteren Beschwerde nur darauf überprüft werden, ob sie von irrigen rechtlichen Grundlagen ausgeht, gegen Denkgesetze oder gegen Verfahrensvorschriften verstößt oder ob Schlüsse gezogen werden, die mit feststehenden Beweisregeln oder mit der allgemeinen Lebenserfahrung unvereinbar sind, oder ob solche Anforderungen an eine Überzeugungsbildung sonst überspannt oder vernachlässigt werden (Senat, Beschluss vom 23. 5. 2000 - 1 W 2749/00 - FGPrax 2000, 213f.). Vorliegend ist die einstweilige Anordnung unter Verletzung von Verfahrensvorschriften erlassen worden.

b) Das Landgericht hat ausgeführt, aufgrund des Attests der Fachärztin Dr. Knnnn vom 19. Mai 2006 habe das Vormundschaftsgericht davon ausgehen müssen, dass der Betroffene an einem manischen Syndrom litt, Dritte durch das Laufen vor ein vorbeifahrendes Auto sowie durch das Herauswerfen von Gegenständen aus dem Fenster gefährdet und auch sich selbst durch krankheitsbedingtes Fehlverhalten in Gefahr gebracht habe. Da er von Polizei und Feuerwehr in Handschellen in die Klinik gebracht worden sei, habe das Vormundschaftsgericht auch davon ausgehen dürfen, dass Gefahr im Verzuge bestanden und deshalb zunächst schon vor der möglichen persönlichen Anhörung eine einstweilige Anordnung zu ergehen habe, damit er in dem geschützten Rahmen der geschlossenen Klinik habe verbleiben können.

Die persönliche Anhörung des Betroffenen sei gerade noch im Rahmen des Begriffs der Unverzüglichkeit nachgeholt worden. Es könne von keinem Amtsrichter erwartet werden, dass er täglich in die für seinen Amtsgerichtsbezirk zuständigen Kliniken zur Anhörung fahre, weil dies die gerichtsbekannte allgemeine Belastung der Vormundschaftsrichter nicht zulasse. Mit Rücksicht darauf, dass die Vormundschaftsrichterin für den nächsten Dienstag ohnehin einen Anhörungstermin in der Klinik vorgesehen habe, sei es vertretbar gewesen, dass sie nicht bereits am Montag oder gar am Wochenende die Anhörung durchgeführt habe.

c) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung, auf die das Gericht der weiteren Beschwerde beschränkt ist, §§ 27 FGG, 546 ZPO, nicht stand.

aa) Das Vormundschaftsgericht konnte von einer vorherigen Anhörung des Betroffenen nicht absehen, weil nicht ersichtlich ist, dass bei Erlass der einstweiligen Anordnung am Freitag dem 19. Mai 2006 Gefahr im Verzuge bestanden hat. Das Vormundschaftsgericht hat dieses Tatbestandsmerkmal in seinem Beschluss vom 19. Mai 2006 nicht weiter begründet, was jedoch erforderlich ist, weil eine lediglich formelhafte Wiedergabe des Gesetzestextes die Begründung durch konkrete Tatsachen nicht ersetzen kann (OLG Schleswig, BtPrax 1994, 62, 63; BayObLG, NJW-RR 2001, 654, 655; OLG München, OLG-Report 2006, 113, 114).

Auch den Akten lassen sich Gründe für die Annahme, es habe Gefahr im Verzug bestanden, nicht entnehmen. Da für eine einstweilige Unterbringungsanordnung in jedem Fall Voraussetzung ist, dass mit dem Aufschub bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Gefahr verbunden ist, §§ 70h Abs. 1 S. 2, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FGG, muss die Gefahr bei "Gefahr im Verzug" einen besonderen Ausprägungsgrad haben (KG, 9. ZS, R & P 1996, 86). Dabei ist nicht darauf abzustellen, dass die Unterbringungsmaßnahme wegen drohender Nachteile für den Betroffenen oder (bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung) für Dritte so dringend ist, dass keine Zeit für eine vorherige Anhörung verbleibt (Sonnenfeld, in: Jansen, FGG, 3. Aufl., § 70h, Rdn. 22; Knittel, Betreuungsrecht, Loseblatt Stand März 2006, § 70h, Rdn. 11). Deshalb konnte allein aus dem Umstand, dass der Betroffene von der Polizei und der Feuerwehr in Handschellen in die Klinik gebracht worden war, eine solche Eilbedürftigkeit nicht hergeleitet werden. Diese konnte sich vielmehr nur daraus ergeben, dass nach § 26 Abs. 1 PsychKG eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts über den ihm vorliegenden Antrag des Beteiligten zu 1 bis zum Ablauf des auf die Einlieferung folgenden Tages geboten war. Anhaltspunkte dafür, dass dem Vormundschaftsgericht eine vorherige Anhörung - notfalls unter Zurückstellung anderer weniger vordringlicher Dienstgeschäfte (BVerfG, NJW 1982, 691, 692) - bis zum Ablauf des 19. Mai 2006 nicht möglich gewesen wäre, liegen aber nicht vor. Der Antrag des Betroffenen zu 1 ging an diesem Tag per Fax um 12.15 Uhr bei dem Vormundschaftsgericht ein, der Beschluss gelangte um 14.00 Uhr zur Geschäftsstelle. Das Wnnnnnnnnn ist von dem Vormundschaftsgericht mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Eine Anhörung noch am selben Nachmittag war deshalb möglich. Dagegen spricht auch nicht die allgemeine Belastung der Vormundschaftsrichter bei den Amtsgerichten. Darauf, ob diese Belastung einer täglichen Fahrt in die zum Gerichtsbezirk gehörenden Kliniken entgegensteht, konnte es nicht ankommen, weil insoweit die konkrete Situation am 19. Mai 2006 maßgeblich war. Nicht entscheidend war es, dass die Geschäftsstelle des Vormundschaftsgerichts im Zeitpunkt einer Anhörung am Freitagnachmittag ggf. nicht mehr zur Verfügung stand. Notfalls ist es für den Eintritt der sofortigen Wirksamkeit einer Unterbringungsmaßnahme ausreichend, wenn die Entscheidung einem Dritten zum Zweck ihres Vollzugs mitgeteilt wird, § 70g Abs. 3 S. 3 FGG. Dies kann auch der Leiter der Unterbringungseinrichtung sein (BT-Drs. 13/7158, S. 40, re. Sp.).

Soweit das Vormundschaftsgericht - was der Begründungszusammenhang des Beschlusses vom 19. Mai 2006 nahe legt - davon ausging, dass eine persönliche Anhörung an diesem Tag nicht geboten war, weil nach dem ärztlichen Zeugnis "ein geordnetes Gespräch mit dem Betroffenen nicht möglich" war, fehlt es an den dazu erforderlichen Feststellungen des Gerichts. Grundsätzlich kann nur durch richterlichen Augenschein festgestellt werden, ob die persönliche Anhörung unterbleiben kann, weil der Betroffene "offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun", §§ 70c S. 7, 68 Abs. 2 Nr. 2 FGG, so dass in der Regel die Bestellung eines Verfahrenspflegers erforderlich ist, § 70b FGG. Hiervon kann auch vor Erlass der einstweiligen Anordnung nur bei Gefahr im Verzug abgesehen werden, §§ 70h Abs. 1, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4, S. 3 und 4 in Verbindung mit §§ 67 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 68 Abs. 2 Nr. 2, 69d Abs. 1 S. 3 FGG. Das Amtsgericht hat jedenfalls keine Sachlage vorgefunden und auch keine eigenen Feststellungen getroffen, die den unmittelbaren Eindruck des Gerichts vom Zustand des Betroffenen ausnahmsweise ersetzen konnten.

Der Verfahrensverstoß des Vormundschaftsgerichts ist durch die Anhörung vom 23. Mai 2006 nicht geheilt worden.

Gemäß Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG darf in die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen eingegriffen werden. Dadurch wird die Pflicht, diese Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhoben (BVerfG, a.a.O., 692). Zum Kernstück des auf Amtsermittlung beruhenden Unterbringungsverfahrens gehört der persönliche Eindruck von dem Betroffenen, den sich der entscheidende Richter durch die Anhörung verschafft. Wird gegen das Gebot vorhergehender Anhörung verstoßen, so drückt dieses Unterlassen der Unterbringung den Makel rechtswidriger Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholung der Maßnahme nicht mehr zu tilgen ist (BVerfG, a.a.O.; NJW 1990, 2309, 2310).

bb) Vor diesem Hintergrund kam es nicht mehr darauf an, ob die erst am Dienstag dem 23. Mai 2006 erfolgte Anhörung noch unverzüglich im Sinne des § 69f Abs. 1 S. 4 FGG nachgeholt worden war, wogegen allerdings gewichtige Gründe sprechen. Unabhängig davon, ob die Nachholung der Anhörung nur am auf den Erlass der einstweiligen Anordnung folgenden Tag (Marschner, in: Jürgens, a.a.O., § 70h FGG, Rdn. 9; Dodegge, in: Dodegge/Roth, Betreuungsrecht, 2. Aufl., Teil G, Rdn. 187; Rink, in: HK-BUR, § 69f FGG, Loseblatt Stand Oktober 2006, Rdn. 39; Kayser, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 70h, Rdn. 8) erfolgen kann, oder ob es auch ausreichend sein kann, bis zum nächsten Werktag (BayObLG, FamRZ 2001, 578, 579; Knittel, a.a.O., § 70h FGG, Rdn. 12; Sonnenfeld, a.a.O., § 70h FGG, Rdn. 23) und ggf. noch darüber hinaus damit zu warten, hat die Nachholung der Anhörung jedenfalls so bald als möglich zu erfolgen (vgl. BVerfGE 66, 191, 197 sowie FamRZ 2007, 1627, 1628 f.). Es kann keinesfalls darauf ankommen, wann der nächste routinemäßige Anhörungstag des Richters in der Klinik stattfindet (Knittel, a.a.O.; Sonnenfeld, a.a.O.). Die am 23. Mai 2006 erfolgte Anhörung war auch nicht so zeitnah zum Erlass der einstweiligen Anordnung, dass dies ausnahmsweise hätte ausreichend sein können. Der Betroffene befand sich bereits seit dem 18. Mai 2006 in der geschlossenen Abteilung des Beteiligten zu 2. Ausweislich des Rettungsdienst-Einsatzbogens der Feuerwehr war der Betroffene dort um 17.30 Uhr eingeliefert worden. Die richterliche Anhörung fand also erst am fünften Tag danach statt, wobei mit Montag dem 22. Mai 2006 ein voller Werktag nach Erlass der einstweiligen Anordnung für eine Anhörung zur Verfügung gestanden hätte. Dass dieser Tag hierfür nicht genutzt worden war, kann mit einer allgemeinen hohen Belastung der Vormundschaftsrichter ebenfalls nicht begründet werden. Vielmehr hätte es auch hier konkreter Tatsachen bedurft, die ein weiteres Abwarten gegebenenfalls hätten rechtfertigen können. Solche Tatsachen sind jedoch nicht ersichtlich.

2. Auch die im Hauptsacheverfahren angeordnete Unterbringung des Betroffenen war rechtswidrig.

a) Nach § 8 Abs. 1 S. 1 PsychKG können psychisch Kranke gegen oder ohne ihren Willen nur untergebracht werden, wenn und solange sie durch ihr krankheitsbedingtes Verhalten ihr Leben, ernsthaft ihre Gesundheit oder besonders bedeutende Rechtsgüter anderer in erheblichem Maße gefährden und diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Psychisch Kranke in diesem Sinne sind Personen, die an einer Psychose, einer psychischen Störung, die in ihren Auswirkungen einer Psychose gleichkommt, oder einer mit dem Verlust der Selbstkontrolle einhergehenden Abhängigkeit von Suchtstoffen leiden und bei denen ohne Behandlung keine Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht, § 1 Abs. 1 Nr. 2a und Abs. 2 PsychKG.

Vor einer solchen Unterbringungsmaßnahme hat das Vormundschaftsgericht das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, der den Betroffenen persönlich zu untersuchen oder zu befragen hat, §§ 13 PsychKG, 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 70e Abs. 1 S. 1 FGG. Außerdem ist der Betroffene durch das Gericht persönlich anzuhören, § 70c FGG.

Hier hat das Vormundschaftsgericht den Beteiligten zu 2 mit Verfügung vom 19. Mai 2006 aufgefordert, im Rahmen der gerichtlichen Anhörung am 23. Mai 2006 ein aussagekräftiges mündliches psychiatrisches Sachverständigengutachten durch den zuständigen Stationsarzt zu erstellen. Im Anhörungstermin wurden die "wesentlichen Kernaspekte" der Erläuterungen der Stationsärztin Hnnn im Protokoll festgehalten. Im Anschluss an die Anhörung wurde der Unterbringungsbeschluss verkündet. Das Landgericht hat ausgeführt, es sei ausreichend gewesen, den Betroffenen zu Beginn der Anhörung darauf hinzuweisen, dass die Stationsärztin ein Gutachten erstellen werde. Der Verwertung der gutachterlichen Äußerungen stehe die ärztliche Schweigepflicht nicht entgegen, weil sich diese bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung allenfalls auf Umstände beziehen könne, die dem Arzt vom Patienten anvertraut worden seien, nicht aber auf sonstige Beobachtungen oder fremdanamnestische Erhebungen. Die Sachverständige habe bei der Begutachtung keine ihr von dem Betroffenen anvertrauten Geheimnisse verwertet. Das Gutachten genüge auch den Anforderungen, die an ein Sachverständigengutachten in Unterbringungssachen zu stellen seien. Letztlich ergebe sich aus dem angefochtenen Beschluss des Vormundschaftsgerichts, dass die Sachverständige über die protokollierten Ausführungen zur Diagnostik hinaus weitere Angaben gemacht habe. Daraus ergebe sich, dass die Ärztin ihre diagnostischen Überlegungen auf die bisherige Beobachtung des Patienten unter Berücksichtigung der im Einweisungsattest genannten Unterbringungsgründe gestützt hat. Ein Verfahrenspfleger habe für den Betroffenen nicht bestellt werden müssen, weil er anwaltlich vertreten gewesen sei.

b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Vormundschaftsgericht hat das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, verletzt.

aa) Der Senat hat bereits entschieden, dass es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet, vor der Einholung eines ärztlichen Gutachtens dem davon Betroffenen den Zweck der Begutachtung zu eröffnen, weil er nur dann in die Lage versetzt wird, seine Verfahrensrechte wirksam auszuüben (Senat, Beschluss vom 28. November 2006 - 1 W 279/06 -, OLG-Report 2007, 332, 333 = R & P 2007, 84 mit Anmerkung Lesting). Der Hinweis der Vormundschaftsrichterin zu Beginn der Anhörung, die Stationsärztin werde als Sachverständige über ihn berichten, konnte nicht ausreichend sein. Denn die Beweisaufnahme beschränkte sich nicht auf die Ausführungen der Sachverständigen im Anhörungstermin. Die Sachverständige hatte den Betroffenen im Rahmen der Begutachtung persönlich zu untersuchen oder zu befragen, § 70e Abs. 1 S. 1 FGG. Dass dies im Anhörungstermin geschehen ist, geht aus dem Protokoll nicht hervor. Die Sachverständige war auch nicht befugt, auf ihre Kenntnisse als behandelnde Ärztin zurückzugreifen; insoweit war sie Zeugin und unterlag der ärztlichen Schweigepflicht (vgl. Senat, a.a.O.; Volckart, in: Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., § 70e, Rdn. 12ff). Die danach zur Vorbereitung des Gutachtens erforderliche - nochmalige - Untersuchung und Befragung des Betroffenen hatten im Rahmen der gerichtlich angeordneten Beweiserhebung zu erfolgen. Diese durfte aber ohne Kenntnis des Betroffenen nicht durchgeführt werden, andernfalls wurde sein Recht auf rechtliches Gehör verletzt (zum Grundsatz der Parteiöffentlichkeit des Beweisverfahrens vgl. OLG Zweibrücken, FGPrax 2000, 109; BayObLG, NJW 1967, 1867; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 357, Rdn. 1). Dem Betroffenen musste vor Beginn der Untersuchung oder Befragung seiner selbst daher eröffnet werden, dass die erhobenen Befunde im Rahmen eines Gutachtens verwertet werden sollen. Es war nicht ausreichend, mit Verfügung vom 19. Mai 2006 nur den Beteiligten zu 2 mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen, das Vormundschaftsgericht hätte zugleich auch den Betroffenen hiervon unterrichten müssen.

bb) Aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs folgt außerdem, ein Gutachten nur dann zu verwerten, wenn der Betroffene ausreichend Gelegenheit hatte, vor der Entscheidung dazu Stellung zu nehmen (BVerfGE 62, 392). Das ist im Termin vom 23. Mai 2006 nicht in ausreichendem Maße geschehen. Nach §§ 70c S. 5, 68 Abs. 5 FGG ist das Gutachten des Sachverständigen mit dem Betroffenen mündlich zu erörtern, soweit dies zur Gewährung des rechtlichen Gehörs erforderlich ist. Dieses Schlussgespräch kann allerdings im Anschluss an die persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 70c S. 1 FGG stattfinden. Das setzt regelmäßig aber voraus, dass ein schriftliches Gutachten vorliegt. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist unbestritten, dass ein schriftliches Gutachten dem Betroffenen vollständig und rechtzeitig vor der Anhörung zuzugehen hat (BayObLG, FamRZ 1987, 412, 413; BayObLG-Report 1993, 84, 86; Rpfleger 2002, 24; BtPrax 2003, 175; OLG Düsseldorf, FamRZ 1997, 1361, 1362; Senat, Beschluss vom 28. November 2006 - 1 W 446/05 - OLG-Report 2007, 306, 308). Damit wird dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben, die Ausführungen des Sachverständigen mit ausreichendem Abstand einzuordnen und selbst zu entscheiden, ob er dessen Argumentation folgen kann oder Umstände vorhanden sind, die der Gutachter übersehen hat oder die ihm nicht bekannt waren und die ein anderes Ergebnis rechtfertigen können. Anders liegt es daher, wenn das Gutachten im Unterbringungsverfahren lediglich mündlich erteilt wird. Hier kann der Betroffene überfordert sein, wenn von ihm eine sofortige Stellungnahme zu den Ausführungen des Sachverständigen verlangt wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Begutachtung durch den Sachverständigen ihm nicht vorher angekündigt wurde und er daher nicht in der Lage ist, sich auf die von dem Sachverständigen erhobenen Befunde und die für sein Gutachten maßgeblichen Gesichtspunkte einzustellen. So war es hier, denn dem Betroffenen war erst durch die Vormundschaftsrichterin zu Beginn der Anhörung mitgeteilt worden, dass ein solcher Termin überhaupt stattfand und dabei zugleich ein Gutachten erstellt werden sollte. Das Vormundschaftsgericht hatte den Betroffenen mit Schreiben vom 19. Mai 2006 - nur - von dem Termin unterrichtet, dieses Schreiben wurde ihm auch erst nach dem Termin, nämlich am 29. Mai 2006 zusammen mit dem seine vorläufige Unterbringung anordnenden Beschluss vom 19. Mai 2006 zugestellt. Es kommt hinzu, dass es sich überhaupt um die erstmalige richterliche Anhörung handelte, nachdem der Betroffene sich bereits den fünften Tag in der geschlossenen Abteilung des Beteiligten zu 2 befand.

cc) Als weitere Gehörsverletzung kommt hinzu, dass dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen keine Gelegenheit zur Teilnahme an dem Anhörungstermin vom 23. Mai 2006 gegeben worden war und er deshalb vor der Entscheidung über die Unterbringung keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Der Verfahrensbevollmächtigte hatte sich bereits am 22. Mai 2006 für den Betroffenen gemeldet und per FAX, das um 9.55 Uhr bei dem Vormundschaftsgericht eingegangen war, sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 19. Mai 2006 eingelegt. Er wäre deshalb zu dem am folgenden Tag vorgesehenen Anhörungstermin zu laden gewesen.

Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass dem FAX keine schriftliche Vollmacht des Betroffenen beigefügt war. Zwar hat das Gericht von Amts wegen das Vorliegen einer Vollmacht zu prüfen. Es liegt aber in seinem pflichtgemäßen Ermessen, ob es die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht verlangt. Davon wird regelmäßig abgesehen werden können, wenn auf Grund der besonderen Umstände eine Bevollmächtigung anzunehmen ist, was insbesondere dann der Fall ist, wenn ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt und für den Betroffenen ein Rechtsmittel einlegt (OLG Frankfurt/Main, OLG-Report 1994, 48; Baronin von König, in: Jansen, a.a.O., § 13, Rdn. 46). Anhaltspunkte, die gegen eine Bevollmächtigung sprechen könnten, ergeben sich aus den Akten nicht. Zudem wäre der fehlende Nachweis einer Bevollmächtigung kein Grund gewesen, dem Verfahrensbevollmächtigten den für den folgenden Tag anberaumten Anhörungstermin nicht mitzuteilen, zumal dort in Anwesenheit des Betroffenen eine Bevollmächtigung ohne Zweifel hätte geklärt werden können.

Unmaßgeblich war es zudem, dass sich der Verfahrensbevollmächtigte zunächst nicht ausdrücklich auch für das Hauptsacheverfahren legitimiert hatte. Da der Betroffene vor seiner vorläufigen Unterbringung nicht angehört worden war, diente der Termin vom 23. Mai 2006 zugleich der Nachholung dieser Verfahrenshandlung. Außerdem ist es naheliegend, dass der Rechtsanwalt nicht nur zur Vertretung im Verfahren der einstweiligen Anordnung beauftragt wird, sondern auch für das Hauptsacheverfahren bevollmächtigt ist, wenn beide Verfahren so zeitnah wie hier betrieben werden und einzelne Verfahrenshandlungen sogar zeitgleich erfolgen sollen. Schließlich strebte der Betroffene seine möglichst schnelle Entlassung an. Selbst wenn ein Auftrag für die anwaltliche Vertretung in der Hauptsache noch nicht erteilt worden war, wäre dies mit Sicherheit im Anhörungstermin geschehen, zumal der Betroffene dort erstmals erfuhr, dass das Vormundschaftsgericht beabsichtigte, in diesem Termin abschließend zu entscheiden.

Die rechtzeitige Beteiligung des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen war hier zur Gewährung rechtlichen Gehörs geboten. Der Betroffene war, wie ausgeführt wurde, durch die Erstattung des mündlichen Gutachtens ohne vorherige Ankündigung im ersten Anhörungstermin als Grundlage für die Entscheidung des Amtsgerichts über die Unterbringung im Hauptsacheverfahren überfordert. Zur Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs sieht das Gesetz in § 70c S. 5 FGG in Verbindung mit § 68 Abs. 5 FGG das Schlussgespräch vor, zu dem auf Verlangen des Betroffenen nach § 68 Abs. 5 S. 3 FGG in Verbindung mit Abs. 4 S. 2 einer Person seines Vertrauens die Anwesenheit zu gestatten ist. Daraus folgt, dass das rechtliche Gehör des Betroffenen dadurch verletzt wurde, dass seinem Verfahrensbevollmächtigten die Teilnahme am Schlussgespräch mangels Mitteilung von dem Termin, in dem dieses stattfinden sollte, nicht ermöglicht wurde. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen beantragte dann auch mit Schriftsatz vom 29. Mai 2006 die erneute Anberaumung eines Termins zur Überprüfung der Unterbringung.

c) Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Verfahrensfehler des Vormundschaftsgerichts auf dessen Entscheidung ausgewirkt haben. Für die gegen § 70e FGG verstoßende Verwertung des Gutachtens der Sachverständigen gilt dies ohne weiteres, weil eine Heilung dieses Verfahrensfehlers nur dann in Betracht kommt, wenn Verfahrensgegenstand des Beschwerdeverfahrens nicht nur die in der Vergangenheit erfolgte Anordnung der Unterbringungsmaßnahme, sondern auch noch deren Aufrechterhaltung bzw. Beendigung ist. Da aber ein Gutachten vor der Unterbringungsmaßnahme einzuholen ist, kann dies nach deren Beendigung nicht nachgeholt werden (Senat, Beschluss vom 28. November 2006 - 1 W 279/06 - OLG-Report 2006, 332, 333).

Dies muss hier aber auch für die übrigen Gehörsverletzungen durch das Vormundschaftsgericht gelten. Zwar ist die Verletzung des rechtlichen Gehörs kein absoluter Beschwerdegrund, bei dem unwiderlegbar vermutet wird, dass die Entscheidung auf dieser Gesetzesverletzung beruhe (BayObLG, Beschluss vom 19. Mai 2004 - 3Z BR 76/04 - Juris, Rdn. 14). Vielmehr ist dies zu prüfen, doch genügt dazu, wie stets bei Verfahrensfehlern, die Möglichkeit, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen Entscheidung des Amtsgerichts geführt hätte (BayObLG, a.a.O.; OLG Zweibrücken, OLG-Report 2005, 316, 319; Bumiller/Winkler, FGG, 8. Aufl., § 12, Rdn. 73; Briesemeister, in: Jansen, a.a.O., § 12, Rdn. 144). So ist es hier. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts anders ausgefallen wäre, wenn der Betroffene selbst bzw. sein Verfahrensbevollmächtigter ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hätten. Hierfür spricht in erster Linie, dass dem Betroffenen bereits nach einer Woche am 30. Mai 2006 ein Nachtausgang gestattet wurde, von dem er nicht zurückgekehrt ist, woraufhin seine Entlassung erfolgte. Die Gefahr einer Selbst- bzw. Fremdgefährdung bestand also nach relativ kurzer Zeit der Unterbringung schon nicht mehr, so dass es möglich erscheint, dass das Vormundschaftsgericht die Unterbringung in der Hauptsache nicht angeordnet hätte, wenn es nicht bereits im Anschluss an die Anhörung vom 23. Mai 2006 entschieden hätte.

III. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 128b KostO. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Das hätte nur der Fall sein können, wenn das Unterbringungsverfahren ergeben hätte, dass für die zuständige Verwaltungsbehörde ein begründeter Anlass zur Antragstellung nicht vorgelegen hat, § 13a Abs. 2 S. 3 FGG. Ein solcher Anlass bestand aber aufgrund des Verhaltens des Betroffenen am 18. Mai 2006 sehr wohl, was auch durch das ärztliche Zeugnis der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Knnnn des Bnnnnn Tnnnnnnnnnn vn Bnnn bestätigt worden ist. Die Auferlegung der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen auf die Staatskasse kam nicht in Betracht, weil dies nur in Fällen zivilrechtlicher Unterbringungsmaßnahmen möglich ist, § 13a Abs. 2 S. 1 FGG.

Ende der Entscheidung

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