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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.07.2007
Aktenzeichen: 1 W 256/07
Rechtsgebiete: ZPO, RVG
Vorschriften:
ZPO § 91 | |
ZPO § 104 | |
RVG Anl. 1 Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 | |
RVG VV Nr. 2300 | |
RVG VV Nr. 3100 |
Kammergericht
Beschluss
Geschäftsnummer: 1 W 256/07
17.07.2007
In Sachen
hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts am 17. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, die Richterin am Kammergericht Dr. Rasch sowie den Richter am Kammergericht Hinze beschlossen:
Tenor:
Der als sofortige Beschwerde auszulegende Rechtsbehelf der Klägerin vom 25. April 2007 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von bis zu 600,00 EUR zu tragen.
Gründe:
1. Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RpflG, 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat die Rechtspflegerin am Landgericht in der angefochtenen Entscheidung die beantragte 1,3-Verfahrensgebühr festgesetzt. Die Höhe der dem Rechtsanwalt in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zustehenden Gebühren bestimmt sich nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses. Danach verdient der Rechtsanwalt im ersten Rechtszug eine 1,3-Verfahrensgebühr. Zutreffend hat das Landgericht hiervon keinen Abzug gemacht.
Allerdings wird in der Rechtsprechung, jedenfalls für den Bereich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, die Auffassung vertreten, aus der Regelung in Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG, wonach eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr angerechnet werde, folge, dass im Kostenfestsetzungsverfahren nicht die volle 1,3-Verfahrensgebühr gegen den unterlegenen Prozessgegner festgesetzt werden könne, wenn auf Seiten der obliegenden Partei zuvor eine Geschäftsgebühr angefallen ist (VGH München, 19. Senat, NJW 2006, 1990 f., aufgegeben durch Beschluss vom 07. Dezember 2006 - 19 C 06.2279 - sowie Beschluss vom 06. März 2007 - 19 C 06.2591 -, beide bei juris; Niedersächsisches OVG, AGS 2007, 377 f, VG Minden, Beschluss vom 31. Mai 2007 - 10 K 1944/06.A - m.w.N., bei juris). Begründet wird diese Auffassung damit, dass der Wortlaut der Regelung in Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG eine andere Auslegung nicht zulasse. Zudem werde dem Rechtsuchenden im Verwaltungsprozess zugemutet, das behördliche Ausgangsverfahren auf eigene Kosten durchzuführen. Daher sei es nicht sinnwidrig, wenn er diese Kosten nicht auf die im gerichtlichen Verfahren unterlegene Gegenseite abwälzen könne (VG Minden a.a.O.).
Demgegenüber hat der Senat mit Beschluss vom 20. Juli 2005 (KGR Berlin, 2005, 934) der Sache nach entschieden, dass die obsiegende Partei nicht allein deshalb, weil auf ihrer Seite bereits eine Geschäftsgebühr angefallen ist, daran gehindert ist, gegen den unterlegenden Prozessgegner die Verfahrensgebühr in voller Höhe im Kostenfestsetzungsverfahren geltend zu machen. Daran hält der Senat nach nochmaliger Prüfung im Grundsatz fest.
Sinn und Zweck der Anrechnungsregel in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist es, den Mandanten vor zu hohem Rechtsanwaltshonorar und insbesondere auch davor zu schützen, dass der Rechtsanwalt allein im Hinblick auf seinen Vergütungsanspruch ein gerichtliches Verfahren einleitet (VGH München, 4. Senat, NJW 2007, 170 f., OVG NRW NJW 2006, 1991; VGH Kassel, NJW 2006, 1992 f.).
Wie das gesamte RVG, so betrifft auch die Regelung in Anl. 1 Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 ihrem Sinn und Zweck nach nur das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten (ebenso Schons NJW 2005, 3089, 3091; Schneider, NJW 2007, 2001, 2006; wohl auch Hansens, RVGreport 2006, 311; derselbe RVGreport 2005, 392, 393, RVGreport 2007, 121, 122). Normzweck des RVG ist es demgegenüber nicht, die Erstattungsforderung der obsiegenden Partei zu begrenzen. Diese richtet sich hier nach den Grundsätzen des § 91 ZPO. Danach sind der Partei die "Kosten des Rechtsstreits" zu erstatten, soweit sie notwendig sind. Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts sind nach § 91 Abs. 2 ZPO stets zu erstatten. Zu diesen gehört die Verfahrensgebühr - soweit sie erwachsen ist - in der sich aus VV 3100, 3101 ergebenden Höhe auch dann, wenn sie sich im Verhältnis zum Mandanten durch Anrechnung einer zuvor entstandenen außergerichtlichen Geschäftsgebühr (VV 2400, jetzt: VV 2300) nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV vermindert. Materiell-rechtliche Einwendungen - zu denen die Anrechnung der außergerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr auf die zu erstattende Verfahrensgebühr gehört - sind im Kostenfestsetzungsverfahren nur dann beachtlich, wenn sie unstreitig oder evident sind, was etwa dann anzunehmen ist, wenn die Geschäftsgebühr als materiell-rechtlicher Schadensersatzanspruch in voller Höhe tituliert oder unstreitig außergerichtlich ausgeglichen worden ist.
Jedenfalls für den Bereich des Zivilprozesses ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum die unterlegene Partei nur deshalb niedrigere Kosten zu erstatten haben soll, weil der Rechtsanwalt der Gegenseite bereits vorgerichtlich das Geschäft seines Mandanten betrieben hat (vgl. OVG NRW a.a.O.; VGH München, 4. Senat, a.a.O., OLG Koblenz, Rpfleger 2007, 433, Hansens, RVGreport 2007, 241, 242). Dies wird vom VGH Kassel (a.a.O.) bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Es kommt hinzu, dass dem für das Kostenfestsetzungsverfahren zuständigen Beamten in der Regel nicht bekannt ist, in welcher Höhe eine Geschäftsgebühr für die vorangegangene Tätigkeit des Rechtsanwalts entstanden ist (VGH München, 19. Senat, Beschluss vom 7. Dezember 2006 a.a.O.). Soweit derselbe Senat des VGH München in seinem früheren Beschluss vom 6. März 2006 (NJW 2006, 1990) sowie das VG Minden (a.a.O.) für den Bereich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens einer Beschränkung der Anrechnungsregelung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG widersprechen, weil es mit dem Normziel nicht vereinbar sei, wenn der Prozessgegner im gerichtlichen Verfahren die im vorangegangenen Verwaltungsverfahren entstandene Geschäftsgebühr (jetzt: VV 2301) sozusagen nachträglich zu übernehmen hätte, greift diese Überlegung im Zivilprozess nicht. Eine allgemeine Regelung, wonach jede Partei ihre vorgerichtlich entstandenen Kosten selbst zu tragen hätte, besteht hier nicht. Vielmehr hat der Kläger grundsätzlich die Möglichkeit, eine ihm vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr im Prozess als Verzugsschaden geltend zu machen (BGH, Urteil vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 - AGS 2007, 283 ff.; Urteil vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06 -, bei juris). Geschieht dies, so hat die Anrechnung gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG zu erfolgen. Soweit der Bundesgerichtshof in der zuletzt zitierten Entscheidung unter II.2.d) ausgeführt hat, "diese Anrechnung" sei "erst im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zu berücksichtigen", besagt dies lediglich, dass die im dortigen Hauptverfahren titulierte Geschäftsgebühr zu berücksichtigen ist (Schneider a.a.O. S. 2006, Hansens RVGreport 2007, 241). In beiden vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen hatte die klagende Partei die ihr entstandene Geschäftsgebühr jeweils in vollem Umfang als Teil der Klageforderung geltend gemacht und zugesprochen erhalten. Dann entspricht es den oben dargestellten allgemeinen Grundsätzen, dass die klagende Partei nicht neben der bereits durch Urteil zugesprochenen vollen Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren die unverminderte Verfahrensgebühr beanspruchen kann (ebenso Hansens, AGS 2007, 285, 286; Schneider, AGS 2007, 287). Da ein Ausnahmefall, in dem die volle Geschäftsgebühr durch Urteil tituliert oder - was dem gleichzustellen ist - unstreitig bezahlt worden ist, hier nicht vorliegt, ist die Beklagte nicht daran gehindert, im Kostenfestsetzungsverfahren die volle Verfahrensgebühr geltend zu machen.
Soweit der Entscheidung des Senats vom 20. Juli 2005 (a.a.O.) entnommen worden ist, dass sich die vorgerichtliche Geschäftsgebühr reduziert, wenn später wegen desselben Gegenstandes eine Verfahrensgebühr entstanden ist (so offenbar Hansens, RVG Report 2005, 392, 393; auch BGH, Urteil vom 7. März 2007 a.a.O.; vgl. jedoch Schneider a.a.O. S. 2006) wird an dieser Betrachtungsweise - die für die Kostenfestsetzung ohne Bedeutung ist - nicht festgehalten.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (vgl. OLG Koblenz a.a.O.).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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