Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.02.2002
Aktenzeichen: 1 W 3146/00
Rechtsgebiete: BGB, KostO


Vorschriften:

BGB § 2261
KostO § 16 Abs. 1
KostO § 102
KostO § 103
1. Werden mehrere Testamente desselben Erblassers bei verschiedenen Gerichten verwahrt und getrennt eröffnet, so fällt die Eröffnungsgebühr mehrfach an.

2. Als Geschäftswert für die Eröffnungsgebühren ist jeweils der volle Wert des reinen Nachlasses anzusetzen, über den in den Testamenten verfügt wird. Die materiellrechtlichen Auswirkungen der einzelnen Verfügungen auf die Erbfolge sind nicht zu berücksichtigen.

3. Die Eröffnung eines 1944 im ehemaligen Ostgebiet Deutschlands hinterlegten und nach dem 3.Oktober 1990 in Verwahrung eines im ehemaligen Ostteil Berlins belegenen Amtsgerichts aufgefundenen Testaments stellt keine unrichtige Sachbehandlung dar, auch wenn das Testament durch ein später errichtetes widerrufen worden war und der Erbfall bereits mehrere Jahre zurückliegt.


Kammergericht

1 W 3146/00

Beschluss

in der Testamentseröffnungssache

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss der Zivilkammer 82 des Landgerichts Berlin vom 25. Februar 2000 in der Sitzung vom 19. Februar 2002 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die weitere Beschwerde ist vom Landgericht zugelassen und auch sonst gemäß § 14 Abs.3 Satz 2 bis 4, Abs.4 KostO (in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung) zulässig. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss beruht nicht auf einem Rechtsfehler, auf den das Rechtsmittel mit Erfolg allein gestützt werden kann (§14 Abs.3 Satz 3 KostO in Verbindung mit §§ 546f. ZPO n.F.).

Das Landgericht hat rechtlich zutreffend angenommen, dass für die durch den Rechtspfleger des Amtsgerichts im 10.Februar 1998 vorgenommene Eröffnung des am 11.Februar 1944 vor dem Notar in errichteten und ursprünglich bei dem Amtsgericht hinterlegten gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute die in § 102 KostO vorgesehene Gebühr nach dem gemäß §§ 103 Abs.1, 46 Abs.4 KostO berechneten vollen Geschäftswert angefallen ist und nicht lediglich die Mindestgebühr (§ 33 KostO) anzusetzen ist. Weiter ist es rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Erhebung der Gebühr auch keine unrichtige Sachbehandlung seitens des Gerichts (§ 16 Abs.1 KostO) entgegensteht.

1. Nach der Vorschrift des § 102 KostO wird für die Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen die Hälfte der vollen Gebühr erhoben. Deren Geschäftswert richtet sich gemäß §§ 103 Abs.1, 46 Abs.4 KostO nach dem vollen Betrag des nach Abzug der Verbindlichkeiten verbleibenden Werts des reinen Nachlasses, soweit über ihn verfügt worden ist. Nach vom Senat geteilter und - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung der Oberlandesgerichte und herrschender Meinung in der Literatur gilt dies auch dann, wenn mehrere Verfügungen desselben Erblassers nacheinander eröffnet werden und in diesen jeweils über den gesamten Nachlass bzw. denselben Teil des Nachlasses verfügt worden ist (vgl. Senat JurBüro 1979, 1049; OLG Düsseldorf Rpfleger 1981, 77; OLG Frankfurt/Main JurBüro 1986, 426; OLG Stuttgart Rpfleger 1988, 485 und NJW-FER 1997, 67; OLG Köln Rpfleger 1992, 394 m.Anm.Stolte; BayObLG FamRZ 1997, 644 und NJW-FER 2000, 165; SchlHOLG SchlHA 2000, 204; offengelassen von OLG Düsseldorf Rpfleger 2001, 100/101; Hartmann, Kostengesetze, 31.Aufl., KostO, § 102 Rdn.4 und § 103 Rdn.2ff.; Göttlich/Mümmler, KostO, 14.Aufl., Stichwort "Eröffnung" 1.3.2.1). Nach der Gegenansicht ist in verfassungskonformer Auslegung (Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes) auf den Inhalt der Verfügungen abzustellen. So komme bei Verfügungen gleichen Inhalts nur der ersten der volle Wert zu, den übrigen lediglich ein Bestätigungswert; eine widerrufene Verfügung habe keinen Wert mehr, es sei nur der Mindestwert anzusetzen (vgl. zu Vorstehendem Korintenberg/Lappe, KostO, 14. Aufl., § 103 Rdn.31ff.; Rohs/Waldner, KostO, 2.Aufl., § 103 Rdn.6).

Der Senat sieht auch nach erneuter Überprüfung aus den weiterhin zutreffenden Gründen seiner vorzitierten Entscheidung keinen Anlass, von seiner Auffassung abzugehen. Wie auch in der Vorschrift des § 103 Abs.2 KostO, wonach bei gleichzeitiger Eröffnung mehrerer Verfügungen von Todes wegen desselben Erblassers bei demselben Gericht nur eine Gebühr nach dem zusammengerechneten Wert zu erheben ist, deutlich zum Ausdruck kommt, stellen die genannten Gebührenvorschriften allein auf die äußerlich leicht und zweifelsfrei feststellbare Anzahl der Verfahrensakte der Eröffnung ab, nicht aber auf das sich aus dem Inhalt der insgesamt eröffneten Verfügungen ergebende materiellrechtliche Gesamtergebnis. Auch bei der Berechnung des Geschäftswerts der einzelnen Gebühr kann daher nach der insoweit eindeutigen Regelung der §§ 103 Abs.1, 46 Abs.4 KostO nicht auf die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Verfügung unter Berücksichtigung der gesamten Erbrechtslage nach dem Erblasser abgestellt werden.

Dies ist schon aus dem Gebot der Praktikabilität des Gebührenrechts allein sachgerecht, da für die Eröffnung nicht allein das Nachlassgericht (§ 2260 BGB), sondern gemäß § 2261 BGB jedes andere Gericht zuständig ist, das ein Testament in amtlicher Verwahrung hat, wobei gemäß § 2258a Abs.2 und 3 BGB eine beliebige Zahl von Verwahrungsgerichten zuständig sein kann. Zwar wird gemäß § 103 Abs.3 KostO die Gebühr vom Nachlassgericht erhoben, dem letztlich sämtliche Verfügungen vorliegen müssen. Jedoch können die einzelnen Eröffnungen - wie hier - zeitlich weit auseinanderliegen, sodass der Wert mehrerer Verfügungen jeweils neu überdacht werden müsste, zumal nie ausgeschlossen werden kann, dass später ein Testament aufgefunden wird, durch das ein früheres wieder Gültigkeit erlangt (§ 2257 BGB). Vor allem ist eine solche Prüfung aber systemfremd, da die Auswirkungen einer letztwilligen Verfügung auf die Erbfolge nach dem Erblasser erst im Erbscheinsverfahren abschließend zu beurteilen sind. Hier kann sich - etwa bei zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebener Testierunfähigkeit des Erblassers - herausstellen, dass auch bloß wiederholende oder widerrufene Verfügungen für die Erbfolge maßgebend sind.

Im vorliegenden Fall wäre zudem erst im Erbscheinsverfahren der Umfang des in dem notariellen gemeinschaftlichen Testament vom 5.Dezember 1967 enthaltenen Widerrufs des hier eröffneten früheren Testaments gemäß §§ 2253, 2254 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Denn beide Testamente enthalten jeweils übereinstimmend die gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute sowie die Schlusserbeinsetzung der Beteiligten zu 1. Darüber hinaus enthält das Testament vom 11.Februar 1944 jedoch die Bestimmung von Ersatzerben, umfangreiche Vermächtnisanordnungen, Regelungen betreffend das Unternehmen des Erblassers und die Benennung von Testamentsvollstreckern. Damit kommt in Betracht, dass der Widerruf nicht die inhaltlich übereinstimmenden Erbeinsetzungen, sondern lediglich die sonstigen Verfügungen betraf. Dann blieb auch das frühere Testament wirksam; das Erbrecht beruht auf jedem der Testamente. Nur wenn der Wille der Erblasser dahin ging, durch das spätere Testament die Erbfolge abschließend und ausschließlich zu regeln, wurde das frühere durch das spätere aufgehoben. Nach der Mindermeinung wäre im ersteren Fall nur für das erste Testament der volle Wert anzusetzen, während dem zweiten nur ein Bestätigungswert zukäme; bei Annahme eines vollständigen Widerrufs hätte das erste keinen Wert mehr (vgl. Lappe a.a.O. Rdn.31f.). Es liegt jedoch auf der Hand, dass der Gebührenansatz nicht in dieser Weise vom Ausgang eines Erbscheinsverfahrens abhängig gemacht werden kann.

2. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht auch eine unrichtige Sachbehandlung seitens eines der beteiligten Gerichte verneint. Nach ganz überwiegender und vom Senat geteilter Ansicht liegt eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne von § 16 Abs.1 KostO nur dann vor, wenn dem Gericht ein offen zutage tretender Verstoß gegen eindeutige gesetzliche Normen oder ein offensichtliches Versehen unterlaufen ist; die darin liegende Beschränkung der Beurteilung auf eindeutige Sachverhalte soll das Kostenerhebungsverfahren von rechtlich oder tatsächlich zweifelhaften Fragen freihalten (vgl. Senat JurBüro 1976, 351 und 1982, 752; BayObLG NJW-RR 2001, 1654; Korintenberg/Bengel a.a.O. § 16 Rdn.2; Hartmann a.a.O. § 16 Rdn.4). Als Folge der unrichtigen Sachbehandlung werden diejenigen Kosten nicht erhoben, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären; dagegen sind Kosten, die auch bei richtiger Sachbehandlung entstanden wären, auch hier zu erheben (vgl. Korintenberg/Bengel a.a.O. Rdn.60; Hartmann a.a.O. Rdn.3).

a) Der Umstand, dass der Rechtspfleger des Amtsgerichts am 10.Februar 1998 das ursprünglich beim Amtsgericht hinterlegte Testament vom 11.Februar 1944 eröffnet hat, stellt keine unrichtige Sachbehandlung dar.

Es ist allgemein anerkannt, dass nach den Vorschriften der §§ 2260, 2261 BGB das Nachlassgericht und auch jedes Gericht, das ein Testament in amtlicher Verwahrung hat, verpflichtet ist, dieses zu eröffnen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es formell oder materiell überhaupt wirksam oder aufgehoben, nichtig oder überholt ist; eine solche Prüfung ist erst im Erbscheinsverfahren vorzunehmen (vgl. Senat OLGZ 1977, 394; Rpfleger 1979, 277; OLG Frankfurt/Main JurBüro 1986, 426; BayObLGZ 1989,322; FamRZ 1997, 644; NJW-FER 2000, 165; Palandt/Edenhofer, BGB, 61 Aufl., § 2260 Rdn.1). Vorliegend ist das Testament vom 11.Februar 1944 schließlich in die amtliche Verwahrung des Amtsgerichts gelangt. Dieses war daher gemäß § 2261 BGB auch verpflichtet, es unabhängig von seiner inhaltlichen Fortgeltung zu eröffnen.

b) Es kann dahingestellt bleiben, ob eine unrichtige Sachbehandlung des Amtsgerichts als Verwahrungsgericht darin liegen könnte, dass das Testament erst am 4.August 1997 der amtlichen Verwahrung entnommen, geöffnet und nach Durchführung von Ermittlungen eröffnet wurde. Denn eine verspätete Eröffnung wäre jedenfalls nicht ursächlich für die Entstehung der angesetzten Gebühr nach § 102 KostO, da diese auch bei einer Eröffnung zu einem früheren Zeitpunkt seit dem 3. Oktober 1990 entstanden wäre.

Soweit das Testament bis zum 2.Oktober 1990 eventuell bei einem Staatlichen Notariat der ehemaligen DDR in Verwahrung war und dort ohne die Kostenfolge des § 102 KostO hätte eröffnet werden können (die Akten des AG - enthalten dazu keinen Hinweis), kann eine unrichtige Sachbehandlung seitens des Nachlassgerichts nicht deshalb angenommen werden, weil es seinerzeit unterlassen hat, im Hinblick auf die Erwähnung des früheren im späteren Testament eine Anfrage an das Staatliche Notariat der DDR zu richten bzw. eine solche durch die Beteiligte zu 1. zu veranlassen. Denn für die Annahme, dass gerade dort das im ehemaligen Ostgebiet Deutschlands hinterlegte Testament verwahrt sein könnte, bestand schon deshalb kein Anlass, weil die Ehefrau des Erblassers dem Amtsgericht bei dem das Testament vom 5.Dezember 1967 verwahrt und eröffnet wurde, auf dessen Anfrage mit Schreiben vom 8.Oktober 1977 mitgeteilt hatte, dass das beim Amtsgericht hinterlegte Testament vor Kriegsende aus der Verwahrung zurückgenommen und vernichtet worden sei (vgl. Bl.10 d.A. AG).

Auf die vorliegend infolge der politischen Ereignisse seit dem Ende des zweiten Weltkriegs eingetretenen besonderen Umstände, dass das Testament, das seinerzeit bei einem Gericht in Verwahrung gegeben wurde, an dessen Sitz deutsche Gerichtsbarkeit nicht mehr ausgeübt wird, später offenbar in Verwahrung durch Behörden der ehemaligen DDR gelangte und schließlich seit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3.Oktober 1990 wieder durch ein Gericht verwahrt wurde, das zur Eröffnung mit der Kostenfolge des § 102 KostO verpflichtet war, kann sich die Beschwerdeführerin insoweit nicht mit Erfolg berufen. Denn aus diesen Umständen folgt jedenfalls nicht, dass in der Eröffnung eine unrichtige Sachbehandlung mit der Folge der Nichterhebung der Gebühr läge.

c) Eine unrichtige Sachbehandlung seitens des Verwahrungs- oder des Nachlassgerichts liegt schließlich nicht darin, dass das Testament vom 11.Februar 1944 nicht gleichzeitig mit dem Testament der Erblasser vom 5.Dezember 1967 eröffnet wurde, was zu einem zusammengerechneten Geschäftswert gemäß § 103 Abs.2 KostO geführt hätte. Denn weder das frühere noch das spätere Testament war bei dem Nachlassgericht, dem Amtsgericht Schöneberg, in Verwahrung, sodass ihre gleichzeitige Eröffnung durch dasselbe Gericht von vornherein ausgeschlossen war. § 103 Abs.2 KostO greift aber nur ein, wenn mehrere letztwillige Verfügungen durch dasselbe Gericht eröffnet werden (vgl. OLG Stuttgart NJWE-FER 1997,67; vgl. a. zum hier nicht gegebenen Auseinanderfallen von Verwahrungs- und Nachlassgericht infolge kommunaler Neugliederung OLG Düsseldorf Rpfleger 1981, 77).

Nach alledem ist die festgesetzte Gebühr nicht zu beanstanden.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 14 Abs.5 KostO).



Ende der Entscheidung

Zurück