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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.03.2008
Aktenzeichen: 1 W 332/06
Rechtsgebiete: ZPO, RVG VV


Vorschriften:

ZPO § 331 Abs. 3
RVG VV Nr. 3105 (1) Nr. 2
Die Terminsgebühr nach VV 3105 (1) Nr. 2 RVG entsteht auch dann, wenn das Gericht ein Versäumnisurteil erlässt, obwohl ein Antrag nach § 331 Nr. 3 ZPO nicht gestellt worden ist. Die Terminsgebühr wird in diesem Falle nicht durch eine Tätigkeit des Anwalts sondern durch den Erlass der Entscheidung ausgelöst.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 332/06

In Sachen

hier: Kostenstreit

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts am 11. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, die Richterin am Kammergericht Dr. Rasch sowie den Richter am Kammergericht Hinze beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird in Abänderung des Beschlusses des Landgerichts Berlin vom 13. April 2006 - 11 O 225/05 - die dem Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu gewährende Vergütung anderweit auf 376,07 EUR festgesetzt.

Gründe:

1. Die vom Landgericht zugelassene Beschwerde des beigeordneten Rechtsanwalts nach § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG ist innerhalb der Frist des § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden und damit zulässig. Gegenstand der Beschwerde ist die Ablehnung der mit dem Antrag vom 27. September 2005 beantragten Festsetzung der Vergütung gemäß § 55 Abs. 1 RVG in dem nach der Teilabhilfe durch die Beschlüsse des Landgerichts vom 15. Februar 2006 und - diesen abändernd - vom 13. April 2006 verbliebenen Umfang.

2. In der Sache hat die Beschwerde teilweise Erfolg.

a) Ohne Erfolg beanstandet der Rechtsanwalt, dass der Rechtspfleger beim Landgericht nur eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG in Ansatz gebracht hat. Allerdings steht der Umstand, dass im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17.10.2005 zunächst die gesamten Rechtsanwaltsgebühren gegen den Beklagten festgesetzt worden sind, einer Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren aus der Landeskasse nicht mehr entgegen, nachdem die Klägerin mit Schriftsatz vom 17.05.2006 auf die Rechte aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss verzichtet hat. Der Rechtsanwalt hat jedoch nach dem Zeitpunkt, ab dem der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, nämlich dem 17.09.2005, als beigeordneter Rechtsanwalt keine Tätigkeit mehr entfaltet, die eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG auslösen würde. Für solche Tätigkeiten, die er vor dem Wirksamwerden seiner Beiordnung geleistet hat, steht dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse kein Vergütungsanspruch zu (BGH AGS 1997, 141; OLGR Celle, 2001, 273 f.; Senat Rpfleger 1978, 390 f.). Er kann von der Staatskasse nur diejenigen Tätigkeiten vergütet verlangen, die er nach dem Wirksamwerden der Beiordnung vorgenommen hat. Er erhält nur diejenigen Gebühren, die seit seiner Beiordnung erstmals oder wiederholt entstehen in derjenigen Höhe, die seiner Tätigkeit ab diesem Zeitpunkt entspricht (OLG Celle a.a.O.). In diesem Zusammenhang beanstandet der Rechtsanwalt zu Unrecht, dass das Landgericht Prozesskostenhilfe erst mit Wirkung ab dem 17.09.2005 bewilligt hat. Der für die Klägerin unter dem 25.08.2005 gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das streitige Verfahren ist erst am 17.09.2005 bei Gericht eingegangen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen früheren Zeitpunkt als denjenigen der Antragstellung ist rechtlich nicht zulässig (BGH JurBüro 1993, 51; Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 119 Rdn. 37 m.w.N.), so dass es auf die Frage nicht mehr ankommt, ob die Beschwerde vom 31.10.2005 so aufgefasst werden kann, dass sie sich auch gegen den Zeitpunkt richtet, ab dem Prozesskostenhilfe bewilligt wurde.

Um eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG zu verdienen, hätte der Rechtsanwalt nach dem 17.09.2005 einen ein Verfahren einleitenden Antrag stellen oder einen Schriftsatz einreichen müssen, der Sachanträge, Sachvortrag oder die Zurücknahme der Klage enthielt, oder für die Klägerin einen Termin wahrnehmen müssen (vgl. Gerold/Müller-Rabe, RVG, 17, Aufl., Nr. 3101 VV RVG Rdn. 14). Anderenfalls erhält der Rechtsanwalt nur eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG. Hier hat sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach dem 17.09.2005 auf die Entgegennahme der vollstreckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils am 27. September 2005 beschränkt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9, 12 RVG), so dass es bei der 0,8 Gebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG zu verbleiben hat. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist zuzugeben, dass ein Fall der vorzeitigen Erledigung oder Beendigung des Mandats, den VV 3101 Nr. 1 als besondere Bestimmung zu § 15 Abs. 4 RVG regelt, nicht vorzuliegen scheint, da das Mandat erst mit der vollständigen Erledigung der Angelegenheit beendet war. Das Wort "bevor" ist aber nicht allein als zeitliche Bestimmung anzusehen, sondern wie "ohne dass" zu verstehen (Mayer/Kroiß, RVG Nr. 3101 Rn. 9 m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat auch nicht, was zur Entstehung der vollen Verfahrensgebühr nach VV 3100 ausreicht, "für seine Partei einen gerichtlichen Termin wahrgenommen". In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob - was nachfolgend zu 2. erörtert wird - für die Entstehung der Terminsgebühr nach VV 3105 der an sich erforderlichen "Wahrnehmung eines Termins" der Fall gleichzustellen ist, dass im schriftlichen Vorverfahren eine Entscheidung gemäß § 331 Abs. 3 ZPO ergeht. Denn das Gesetz stellt in VV 3101 ausschließlich auf die Tätigkeit des Anwalts ab und lässt eine Entscheidung des Gerichts, die ohne eine solche Tätigkeit zur Erledigung der Angelegenheit führt, gerade nicht ausreichen.

b) Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin steht jedoch gegen die Landeskasse eine 0,5 Terminsgebühr gemäß Nr. 3105 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG zu. Allerdings ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten, ob die 0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG auch dann entsteht, wenn das Gericht ein Versäumnisurteil erlässt, obwohl ein Antrag nach § 331 Nr. 3 ZPO, wie im vorliegenden Fall, nicht gestellt worden ist (dafür: OLG Jena, OLGR 2006, 280 mit zustimmender Anmerkung Schons AGS 2006, 228 ff.; OLG München, JurBüro 2006, 589; Hartung/Schons, RVG, 2. Aufl., Nr. 3105 VV Rdn. 14, 15; Riedel/Sußbauer/Keller, RVG, 9. Aufl., VV Teil 3 Abschnitt 1 Rdn. 63; Bischof, RVG 2. Aufl. Nr. 3105 VV Rdn. 40; a.A. Gerold/Müller-Rabe a.a.O. Nr. 3105 VV Rdn. 23 m.w.N.). Der Wortlaut von Nr. 3105 VV RVG setzt lediglich voraus, dass ein Versäumnisurteil gemäß § 331 Abs. 3 ZPO ergeht. Zwar ist nach § 331 Abs. 3 ZPO für den Erlass eines Versäumnisurteils ein Antrag des Klägers erforderlich und es erscheint zweifelhaft, ob bereits in dem Sachantrag ein stillschweigender Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils gesehen werden kann(vgl. OLG Jena a.a.O.), wobei ein solcher Antrag im vorliegenden Fall ohnehin außer Betracht zu bleiben hätte, da er vor Bewilligung der PKH gestellt wurde. Nr. 3105 VV RVG setzt jedoch seinem Wortlaut nach lediglich voraus, dass eine Entscheidung gemäß § 331 Abs. 3 ZPO ergeht, nicht aber dass die Entscheidung verfahrensfehlerfrei erlassen wurde (OLG München a.a.O.).

Soweit ein Antrag auf Erlass des schriftlichen Versäumnisurteils im Rahmen der Nr. 3105 Abs. 1 Nr. 2 für unentbehrlich gehalten wird, da nur eine auf die Entscheidung nach § 331 Abs. 3 ZPO gerichtete Tätigkeit des Anwalts zu vergüten sei (Müller-Rabe a.a.O.), überzeugt dies nicht. Denn das Antragserfordernis gilt auch nicht für die Entstehung der (vollen) Terminsgebühr nach VV 3104 Abs. 1 Nr. 2, wenn ein Anerkenntnisurteil nach § 307 ZPO im schriftlichen Verfahren ergeht. Die Terminsgebühr in diesen Fällen vergütet nicht - wie im Regelfall - den mit der Wahrnehmung eines Termins verbundenen Aufwand des Anwalts, sondern schafft einen Ausgleich dafür, dass dem Rechtsanwalt durch die Erledigung im schriftlichen Verfahren die bei Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung sonst zu erwartende Terminsgebühr für die Wahrnehmung eines Termins entgeht (vgl. BGH NJW 06, 157 = MDR 06, 474 zum Fall des § 278 Abs. 6 ZPO). Die Terminsgebühr wird in diesen Fällen nicht durch die Tätigkeit des Anwalts, sondern durch den Erlass der Entscheidung ausgelöst (BGH a.a.O). Dieser lag im vorliegenden Fall nach dem Zeitpunkt, ab dem PKH bewilligt war.

Danach ergibt sich folgende Berechnung:

 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG 187,20 EUR
0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG 117,00 EUR
Auslagenpauschale 20,00 EUR
16 % Umsatzsteuer 51,87 EUR
Insgesamt 376,07 EUR

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 RVG).

Ende der Entscheidung

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