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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 14.11.2006
Aktenzeichen: 1 W 343/06
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 2
BGB § 1896 Abs. 3
FGG § 34
Dem Vorsorgebevollmächtigten, der nicht zugleich zum nach § 69g Abs. 1 FGG beschwerdeberechtigten Personenkreis zählt, kann die Einsicht in die Betreuungsakten nur dann verwehrt werden, wenn die Unwirksamkeit der Vollmacht offenkundig ist. Ein Betreuer, dem nicht sämtliche Aufgabenkreise übertragen oder der nicht zum Vollmachtsüberwachungsbetreuer bestellt wurde, hat nicht die Befugnis, eine von dem Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht zu widerrufen. Im Interesse der Rechtsklarheit ist es erforderlich, die Befugnis zum Widerruf einer solchen Vollmacht bei der Bestimmung der Aufgabenkreise ausdrücklich festzulegen.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 343/06

14.11.2006

In der Betreuungssache betreffend

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3 vom 14. September 2006 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 17. August 2006 - 83 T 370/06 - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, die Richterin am Kammergericht Dr. Rasch und den Richter am Kammergericht Müller am 14. November 2006 beschlossen:

Tenor:

Unter Abänderung des Beschlusstenors des Beschlusses des Landgerichts Berlin vom 17. August 2006 wird der Beteiligten zu 3 Akteneinsicht gewährt.

Gründe:

I. Die weitere Beschwerde ist zulässig, §§ 29 Abs. 1 S. 2, 27 Abs. 1 FGG. Gegen die Verweigerung der Akteneinsicht in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Beschwerde und ggf. die weitere Beschwerde eröffnet, weil es sich bei der Entscheidung über die Akteneinsicht nicht um einen Justizverwaltungsakt, sondern um eine gerichtliche Verfügung handelt (Senat, Beschluss vom 4. April 1978 - 1 W 1331/87 - Rpfleger 1978, 253; Beschluss vom 24. Januar 2006 - 1 W 133/05 - FGPrax 2006, 122; Beschluss vom 14. März 2006 - 1 W 445/04, OLG-Report 2006, 576 = BtPrax 2006, 118; OLG Zweibrücken OLG-Report 2003, 111; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 34; Rdn. 13). Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3 folgt aus der Zurückweisung ihrer Erstbeschwerde durch die angegriffene Entscheidung des Landgerichts (vgl. Meyer-Holz, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27, Rdn. 10).

II. Die weitere Beschwerde ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht auf der Verletzung des Rechts, §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO.

1. Das Landgericht hat die Akteneinsicht durch die Beschwerdeführerin mit der Begründung verweigert, die ihr von der Betroffenen erteilte Vollmacht sei spätestens durch den Widerruf durch die Beteiligte zu 1 unwirksam geworden, so dass es der Beschwerdeführerin verwehrt sei, im Namen der Betroffenen aufzutreten. Deshalb bestehe keine Möglichkeit für sie, im Namen der Betroffenen die Bestellung der Beteiligten zu 1 zur Betreuerin überprüfen zu lassen. Ein eigenes Beschwerderecht stehe der Beschwerdeführerin nicht zu. Die von ihr beabsichtigte Beschwerde gegen die Betreuerauswahl sei deshalb von vornherein als unzulässig erkennbar.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 FGG kann die Einsicht in die Gerichtsakten jedem insoweit gestattet werden, als er ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht. Berechtigtes Interesse ist jedes vernünftigerweise gerechtfertigte Interesse tatsächlicher, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art, das sich nicht auf vorhandene Rechte zu gründen oder auf das Verfahren zu beziehen braucht (Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RPflG, 9. Aufl., § 34, Rdn. 5); es reicht im Allgemeinen aus, dass vernünftiges Verhalten durch die Aktenkenntnis beeinflusst werden kann (BayObLGZ 1997, 315, 318; BayObLG-Report 2005, 54).

a) Die Beschwerdeführerin hat vortragen lassen, sie lasse die Erfolgsaussichten einer Beschwerde gegen die Betreuerbestellung prüfen und benötige in diesem Zusammenhang zunächst Akteneinsicht. Hierin ist ein berechtigtes Interesse im vorgenannten Sinn zu sehen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass eine solche Beschwerde zulässig wäre. Dabei kommt es nicht auf die Frage an, ob der Vorsorgebevollmächtigte berechtigt ist, im eigenen Namen Beschwerde gegen eine Betreuerbestellung zu erheben (so OLG Zweibrücken, FGPrax 2002, 260; a.A. aber BayObLG FGPrax 2003, 171; BayObLG, Beschluss vom 16. Oktober 2003 - 3z BR 163/03; Juris, Rdn. 12). Denn die Beschwerdeführerin könnte im Namen der Betroffenen aufgrund der ihr erteilten notariellen Vollmacht vom 14. November 2003 eine solche Beschwerde im Namen der Betroffenen erheben (Senat, Beschluss vom 27. September 2005 - 1 W 169/04, BtPrax 2006, 39 = FGPrax 2006, 18). Die Betroffene hat die Beschwerdeführerin u.a. bevollmächtigt, sie in vermögensrechtlichen und persönlichen Angelegenheiten gerichtlich zu vertreten. Die Vollmacht sollte wirksam bleiben, auch wenn für die Betroffene ein Betreuer bestellt wird. Da der Beteiligten zu 1 als Betreuerin die Aufgabenkreise der Vermögens- und Gesundheitssorge übertragen wurden, wäre eine Beschwerde gegen ihre Bestellung vom Umfang der Vollmacht vom 14. November 2003 umfasst. Dass die Beschwerdeführerin ihre Anträge vom 29. Mai 2006 nicht als Bevollmächtigte der Betroffenen, sondern ersichtlich in eigenem Namen gestellt hat, schließt nicht aus, dass sie in den mittelbar ihre Vollmacht betreffenden Angelegenheiten zugleich im Namen der Betroffenen vorgeht. So hat sie ihren - vom ursprünglich zuständigen Vormundschaftsgericht nnnnnnnnn als Anregung zur Bestellung eines Betreuers gedeuteten - Antrag vom 25. November 2005 auf "Bestellung eines Verfahrenspflegers" als notariell Bevollmächtigte der Betroffenen gestellt und mit einer Gefährdung der Interessen der Betroffenen begründet.

Durchgreifende Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmacht bestehen nicht. Feststellungen dazu, ob die Betroffene am 14. November 2003 geschäftsunfähig war, hat das Landgericht nicht getroffen. Dies war im Rahmen der Prüfung, ob die Beschwerdeführerin ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht hat, auch nicht erforderlich. Ein berechtigtes Interesse wäre nur dann zu verneinen gewesen, wenn sich aus dem Akteninhalt offenkundig ergeben hätte, dass die Betroffene zur Vollmachtserteilung krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage gewesen wäre. Entsprechendes ist der Akte jedoch nicht zu entnehmen. Das Vormundschaftsgericht ist vielmehr davon ausgegangen, dass die notarielle Vollmacht vom 14. November 2003 zu einem wirksamen Widerruf der ebenfalls notariell erteilten Vollmacht vom 8. April 2003 geführt hat.

Für die Annahme des Vormundschaftsgerichts, die Vollmacht vom 14. November 2003 sei bereits durch die der Beteiligten zu 1 am 17. November 2003 erteilte privatschriftliche Generalvollmacht widerrufen worden, ergeben sich aus dem Akteninhalt jedoch keine Anhaltspunkte. Allerdings ist die Vermutung der Beschwerdeführerin, die Betroffene sei erst bei Erteilung dieser Generalvollmacht geschäftsunfähig gewesen, angesichts des nahen zeitlichen Zusammenhangs mit der ihr drei Tage zuvor erteilten Vollmacht eher fern liegend. Durch die Generalvollmacht ist die zu Gunsten der Beschwerdeführerin erteilte Vollmacht aber nicht widerrufen worden. Zwar bedurfte der Widerruf nach §§ 168 S. 3, 167 BGB keiner besonderen Form. Ausdrücklich enthält die Urkunde vom 17. November 2003 aber nur die Bestätigung ("lege ich fest"), dass die Beteiligte zu 1 aufgrund der ihr erteilten Vollmacht "allein zuständig" sein sollte, was die Befugnis der Beschwerdeführerin, von der ihr erteilten Vollmacht nach Abstimmung mit der Beteiligten zu 1 weiterhin Gebrauch zu machen, nicht ausschloss. Und selbst wenn es der Wille der Betroffenen gewesen wäre, die Vollmacht vom 14. November 2003 zu widerrufen, ist dies durch Erteilung der Generalvollmacht nicht wirksam geschehen. Der Widerruf ist entweder gegenüber dem Bevollmächtigten oder einem Dritten, dem gegenüber die Vertretung stattfinden soll, zu erklären, §§ 168 S. 3, 167 Abs. 1 BGB. Gegenüber der Beschwerdeführerin hat die Betroffene die Vollmacht nicht ausdrücklich widerrufen; auch ein konkludenter Widerruf kommt nicht in Betracht, da die Beschwerdeführerin von der Betroffenen nicht über die spätere Generalvollmacht informiert wurde. Der einem Dritten gegenüber erklärte Widerruf hat keine Gesamtwirkung, sondern wirkt nur im Verhältnis zum Widerrufsempfänger (Schramm, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl., § 168, Rdn. 19). Danach wäre die Vollmacht vom 14. November 2003 allenfalls gegenüber der Beteiligten zu 1 entfallen, was die Beschwerdeführerin aber nicht daran hinderte, im Namen der Betroffenen weiter etwa gegenüber Banken oder Ärzten Erklärungen abzugeben oder im vorliegenden Betreuungsverfahren Rechtsmittel einzulegen.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat die Beteiligte zu 1 den Widerruf der Vollmacht vom 14. November 2003 auch nicht wirksam durch den von ihr beauftragten Rechtsanwalt erklären lassen. Der Beteiligten zu 1 fehlte es insofern an der erforderlichen Vertretungsmacht. Rechtsgeschäftlich war die Beteiligte zu 1 von der Betroffenen nicht zum Widerruf der am 14. November 2003 erteilten Vollmachte ermächtigt worden. Gesetzlich konnte die Beteiligte zu 1 die Betroffene nicht beim Widerruf der Vollmacht vertreten. Gemäß § 1902 BGB vertritt der Betreuer den Betroffenen in dem ihm, dem Betreuer, übertragenen Aufgabenkreis gerichtlich und außergerichtlich. Die Befugnis zum Widerruf von Vollmachten ist der Beteiligten zu 1 ausdrücklich nicht übertragen worden. Das wäre aber erforderlich gewesen, denn nur im Rahmen des Aufgabenkreises "Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber dem Bevollmächtigten", vgl. § 1896 Abs. 3 BGB, oder bei einer Betreuung für sämtliche Angelegenheiten des Betroffenen - "Totalbetreuung" - ist der Betreuer ohne weiteres auch zum Widerruf einer Vollmacht berechtigt (vgl. BayObLG, FamRZ 1994, 1550; FamRZ 2002, 1220; OLG Köln, OLG-Report 2001, 91, 92; vgl. auch Knittel, Betreuungsgesetz, Loseblatt Stand März 2006, § 1896 BGB, Rdn. 25; Bauer, in: HK-BUR, Loseblatt Stand Februar 2006, § 1896 BGB, Rdn. 258; Jürgens, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1896 BGB, Rdn. 37). Für sämtliche Angelegenheiten der Betroffenen (vgl. hierzu Schwab, in: Münchener Kommentar zum BGB, a.a.O., § 1896, Rdn. 107) ist die Beteiligte zu 1 nicht bestellt worden. Ebenso wenig wurde ihr der Aufgabenbereich der Geltendmachung von Rechten gegenüber der Beschwerdeführerin übertragen. Hierzu bestand aus Sicht des Vormundschaftsgerichts keine Veranlassung, weil es davon ausging, die der Beschwerdeführerin erteilte Vollmacht sei bereits durch die Generalvollmacht vom 17. November 2003 widerrufen worden. Dass dies - wie dargelegt - nicht zutraf, führt nicht dazu, dass der Aufgabenkreis der Betreuerin stillschweigend auch den Widerruf der Vollmacht einschloss. Im Interesse der Rechtsklarheit ist es erforderlich, die Befugnis des Betreuers zum Widerruf einer vom Betroffenen erteilten Vollmacht bei der Bestimmung seines Aufgabenkreises festzulegen.

b) Ihr berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht hat die Beschwerdeführerin durch Vorlage der notariellen Vollmachtsurkunde vom 14. November 2003 hinreichend glaubhaft gemacht.

c) Hat das Gericht ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht bejaht, entscheidet es über die Gewährung von Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen (OLG München, OLG-Report 2006, 62). Der Senat kann, da eine weitere tatsächliche Aufklärung des Sachverhalts nicht erforderlich ist, entsprechend § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden und insbesondere das Ermessen selbständig ausüben (Meyer-Holz, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27, Rdn. 56). Bei der Ermessensausübung ist vor allem das Recht der Betroffenen an ihrer informationellen Selbstbestimmung zu beachten und gegen das berechtigte Interesse an der Akteneinsicht abzuwägen (OLG München, a.a.O.).

Vorliegend überwiegt das berechtigte Interesse an der Akteneinsicht. Die Beschwerdeführerin begründet ihr Interesse an der Akteneinsicht damit, dass sie die vollständige Kenntnis des Akteninhalts benötigt, um die Einlegung von Rechtsmitteln - auch im Namen der Betroffenen - gegen die Betreuerauswahl zu prüfen. Dem steht das Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung nicht entgegen. Allerdings ist die Betroffene davor zu schützen, dass Einzelheiten des Betreuungsverfahrens an die Öffentlichkeit getragen werden, und weder ist die Beschwerdeführerin aufgrund der Vollmacht noch die Beteiligte zu 1 als Betreuerin berechtigt, die Medien zu unterrichten. Der Schutz der Betroffenen erfordert es aber nicht, dass der Beschwerdeführerin als Bevollmächtigter die Einsicht in die Akten versagt und damit eine Vertretung in diesem Verfahren erschwert wird.

III. Über die Art und Weise der Akteneinsicht wird das Vormundschaftsgericht zu entscheiden haben, weil dort die Akten geführt werden und, nachdem das Beschwerdeverfahren mit diesem Beschluss beendet worden ist, dorthin zurückzugeben sind.

Eine Kostenentscheidung gemäß § 13a FGG war nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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