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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 24.05.2005
Aktenzeichen: 1 W 405/04
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1
BRAGO § 32 Abs. 1
Wird die zur Fristwahrung eingelegte und unbegründet gebliebene Berufung zurückgenommen, so ist dem Rechtsmittelgegner lediglich die hälftige Prozessgebühr zu erstatten, wenn er den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung vor Ablauf der Begründungsfrist gestellt hat. Dies gilt auch bei Rücknahme der Berufung erst nach Ablauf der Begründungsfrist jedenfalls dann, wenn nicht nach Ablauf der Frist und vor Rücknahme der Berufung ein (erneuter) Sachantrag auf Verwerfung des Rechtsmittels gestellt wurde.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 405/04

In Sachen

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegner gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 18. März 2004 - 15 O 260/03 - in der Sitzung vom 24. Mai 2005 beschlossen:

Tenor:

In Änderung des angefochtenen Beschlusses werden die nach dem Beschluss des Kammergerichts vom 23. Januar 2004 von den Antragsgegnern an den Antragsteller zu erstattenden Kosten auf - nur - je 405,94 EUR (in Worten: vierhundertfünf 94/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Januar 2004 festgesetzt.

Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von 394,34 EUR für jeden Antragsgegner hat der Antragsteller zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

1. Mit Beschluss vom 23. Januar 2004 - 5 U 318/03 - hat das Kammergericht den Antragsgegnern je zur Hälfte die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auferlegt, nachdem sie die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. August 2003 - 15 O 260/03 - zurückgenommen haben.

Entsprechend dem Kostenfestsetzungsantrag vom 30. Januar 2004 hat das Landgericht die von den Antragsgegnern an den Antragsteller zu erstattenden Kosten der Berufungsinstanz auf je 800,28 Euro nebst Zinsen festgesetzt und dabei eine 13/10-Prozessgebühr gemäß §§ 11 Abs. 1 Satz 4, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO nach einem Streitwert von 50.000,00 Euro für den mit Schriftsatz vom 14. November 2003 gestellten Antrag auf Zurückweisung der Berufung zugrundegelegt.

2. Gegen den am 1. April 2004 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss haben die Antragsgegner am 15. April 2004 rechtzeitig per Fax sofortige Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 14. Juni 2004 begründet. Sie machen geltend: Es sei "allenfalls eine 13/20-Prozess-gebühr angemessen", da für den Antragsteller außer der bloßen Antragstellung vom 14. November 2003 keine weitere Tätigkeit in der Berufungsinstanz angefallen sei. Die Berufung mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2003 sei nur fristwahrend mit der Erklärung eingelegt worden, innerhalb der laufenden Begründungsfrist sei "noch abschließend zu klären, ob und in welcher Form das Berufungsverfahren überhaupt durchgeführt wird". Mit Schriftsatz vom 12. November 2003 sei die Verlängerung der Frist um einen Monat bis 15. Dezember 2003 beantragt worden, da die Durchführung des Berufungsverfahrens aus terminlichen Gründen immer noch nicht abschließend habe geklärt werden können. Die Berufungsrücknahme sei dann nach gerichtlichem Hinweis auf den Fristablauf mit dem am 20. Januar 2004 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 12. November 2003 erklärt worden, ohne dass bis dahin für die Gegenseite Veranlassung bestanden habe, hinsichtlich des unbegründet gebliebenen Rechtsmittels eine weitere Tätigkeit zu entfalten.

Der Antragsteller hält dem entgegen: Die Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO setze im Rechtsmittelverfahren nicht voraus, dass das Rechtsmittel begründet werde. Sie sei nicht nach § 32 Abs. 1 BRAGO zu ermäßigen, da die Stellung eines Sachantrages auf Zurückweisung des Rechtsmittels ebenfalls nicht voraussetze, dass das Rechtsmittel begründet worden sei. Die Antragsgegner hätten ihr Rechtsmittel nicht innerhalb der verlängerten Begründungsfrist zurückgenommen. Sie könnten dem Erstattungsbegehren daher auch nicht entgegenhalten, dass sie das Rechtsmittel zunächst nur fristwahrend eingelegt hätten. - Hilfsweise macht der Antragsteller eine zusätzliche 13/10-Prozessgebühr nach einem Kostenwert von 1.715,75 Euro für den mit Schriftsatz vom 26. Januar 2004 gestellten Antrag gemäß § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO geltend.

3. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt.

Der Einzelrichter hat die Sache gemäß § 568 Satz 2 ZPO auf den Senat übertragen.

II.

1. Die sofortige Beschwerde richtet sich, wie aus der Beschwerdebegründung hervorgeht, gegen den Ansatz der 13/10-Prozessgebühr gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO statt der von den Beschwerdeführern für erstattungsfähig gehaltenen 13/20-Gebühr gemäß § 32 Abs. 1 BRAGO.

2. Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet. Gegen die Antragsgegner ist lediglich die unstrittig entstandene hälftige Prozessgebühr gemäß § 32 Abs. 1 BRAGO festzusetzen. In Höhe der weiteren Hälfte ist die Prozessgebühr gemäß §§ 11 Abs. 1 Satz 4, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO zwar entstanden, sie ist aber nicht nach § 91 Abs. 1 ZPO erstattungsfähig, da die Stellung des sie auslösenden Sachantrages zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Berufungsverfahren nicht notwendig war.

a) Allerdings erfüllt der mit Schriftsatz vom 14. November 2003 gestellte Antrag auf Zurückweisung der Berufung die Voraussetzungen eines Sachantrages, so dass § 32 Abs. 1 BRAGO nicht unmittelbar zur Anwendung kommt.

Insoweit ist es allgemein anerkannt, dass der Sachantrag des Rechtsmittelgegners auf Zurückweisung des Rechtsmittels nach dessen Einlegung bereits gestellt werden kann, ehe das Rechtsmittel begründet worden ist und die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken, BRAGO 15. Aufl., § 32 Rdnr. 15 mit weiteren Nachweisen). Ein solcher Antrag, der auf keine antragsgebundene Entscheidung des Gerichts abzielt, bedarf auch keiner eigenen Begründung. Die durch ihn ausgelösten Kosten - hier also die zweite Hälfte der anwaltlichen Prozessgebühr - sind in der Regel auch nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähig. Denn die Notwendigkeit zur Rechtsverteidigung wird bereits durch die Einlegung des gegnerischen Rechtsmittels begründet. Die Sachdienlichkeit des auftragsgemäßen anwaltlichen Vorgehens ist im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich nicht zu prüfen.

b) Die vorstehenden Grundsätze erfahren jedoch eine Einschränkung jedenfalls dann, wenn der Rechtsmittelführer das Rechtsmittel erkennbar nur fristwahrend eingelegt hat und über die Durchführung des Rechtsmittels innerhalb der noch laufenden Begründungsfrist noch entscheiden will. Dem Rechtsmittelgegner ist dann zuzumuten, sich auf die Anzeige der anwaltlichen Vertretung im Rechtsmittelverfahren zu beschränken. Der Senat folgt, in Fortführung seiner früheren Rechtsprechung (vgl. JurBüro 1991, 1193), der Rechtsprechung des BGH (MDR 03, 1140 = BB 03, 1754; AGS 04, 124). Ausschlaggebend ist die Erwägung, dass es dem Gebot prozessualer Rücksichtnahme entspricht, einen Gegner, der ein noch der Zulassung oder Begründung bedürftiges Rechtsmittel eingelegt hat, vor der Entscheidung über dessen Durchführung nicht mit objektiv überflüssigen Kosten zu belasten. Die erstattungsrechtliche "Sperre" für solche Kosten gilt nach der Rechtsprechung des Senats - Einzelrichter, Rpfleger 04, 123 = JurBüro 04, 91, insoweit abweichend von Senat, JurBüro 1991, 1193 - auch dann, wenn der Berufungsführer in seinem Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist nicht nochmals auf die Vorsorglichkeit der Berufung hingewiesen hat. Offengelassen hat der Senat bisher, ob an seiner Rechtsprechung (JurBüro 1990, 1003) festzuhalten ist, dass ein vor der Berufungsbegründung gestellter Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung stets als notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen ist, wenn die Berufung ohne Vorsorglichkeitserklärung eingelegt wurde (verneinend OLG Koblenz Rpfleger 2005, 166 unter Zulassung der Rechtsbeschwerde; BAG NJW 03, 3796; BGH NJW 03, 1324 betreffend Revisionsverfahren; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG 16. Aufl., VV 3200 Rdnr. 50).

c) Im vorliegenden Fall ist bei Einlegung der Berufung und nochmals im Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist eine Vorsorglichkeitserklärung abgegeben worden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die hierauf beruhende erstattungsrechtliche "Sperre" auch dann noch gilt, wenn die Berufung erst nach Ablauf der Begründungsfrist zurückgenommen wird, und zwar ohne dass nach dem Fristablauf ein erneuter Sachantrag, diesmal auf Verwerfung der Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO, gestellt wurde (nicht einschlägig daher: Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O. Rdnr. 53).

Der Senat bejaht die auf diese Fallgestaltung beschränkte Frage. Es fehlt an hinreichenden Gründen dafür, die erstattungsrechtliche "Sperre" einer Vorsorglichkeitserklärung mit Ablauf der (evtl. verlängerten) Berufungsbegründungsfrist rückwirkend fortfallen zu lassen mit der Folge, dass ein früher gestellter Sachantrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels nunmehr beachtlich wird. Denn der Ablauf der Frist führt nicht etwa dazu, dass die Vorsorglichkeitserklärung nunmehr bedeutungslos wird. Es steht fest - vorbehaltlich eines Wiedereinsetzungsantrages - dass der Rechtsmittelführer das Rechtsmittel nicht durchführen wird. Der nach Einlegung der Berufung und vor Fristablauf gestellte Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung erweist sich nicht dadurch als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, dass nach Fristablauf eine Entscheidung auf Verwerfung des Rechtsmittels gemäß § 522 Abs. 1 ZPO erfolgen kann. Diese Entscheidung ergeht von Amts wegen, ohne dass es eines Antrags bedarf. Ob ein nach Ablauf der Begründungsfrist, aber vor der Entscheidung des Berufungsgerichts oder der Rücknahme der Berufung gestellter Verwerfungsantrag unter die erstattungsrechtliche "Sperre" fällt, oder ob hier die zu a) dargestellten Grundsätze uneingeschränkt gelten (vgl. dazu Müller-Rabe, a.a.O. mit weiteren Nachweisen), bedarf keiner Entscheidung. Insoweit lässt sich anführen, dass durch die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Entscheidungsreife für einen Verwerfungsbeschluss nach § 522 Abs. 1 ZPO eingetreten ist, und es einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entspricht, auf den erforderlichen Gerichtsbeschluss hinzuwirken (vgl. N. Schneider, BRAGOreport 2001, 65 f. gegen OLG Karlsruhe ebenda). Das Gebot der Rücksichtnahme - auch - auf das Kosteninteresse des Gegners besteht nur für die Dauer der (evtl. verlängerten) Begründungsfrist, die ihm zugleich als Überlegungsfrist für die Durchführung des Rechtsmittels dienen soll.

Nach alledem ist dem Antragsteller nur eine hälftige Prozessgebühr nach §§ 11 Abs. 1 Satz 4, 32 Abs. 1 BRAGO zu erstatten.

d) Die hilfsweise beantragte Festsetzung einer 13/10-Prozessgebühr nach dem Kostenwert des Antrags vom 26. Januar 2004 (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken, a.a.O. § 32 Rdnr. 15, 15 a) kommt nicht in Betracht. Denn die für diesen Antrag entfaltete Tätigkeit ist durch die zum vollen Wert entstandene und hälftig zu erstattende Prozessgebühr mit abgegolten, §§ 13 Abs. 2 Satz 2, 37 Nr. 7 BRAGO. Ein neuer Auftrag - auf den sich die zitierte Kommentarstelle bezieht - ist dem Rechtsanwalt hierfür nicht erteilt worden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

4. Wegen der zu 2 c) entschiedenen Frage, ob die erstattungsrechtliche "Sperre" im Sinne der Rechtsprechung des BGH auch dann gilt, wenn die zur Fristwahrung eingelegte Berufung erst nach Ablauf der Begründungsfrist zurückgenommen wird, war die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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