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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.02.2002
Aktenzeichen: 1 W 4112/00
Rechtsgebiete: FGG, BGB


Vorschriften:

FGG § 18
FGG § 20
FGG § 27
BGB § 2247
1. Hat das Landgericht eine Beschwerde aus sachlichen Gründen zurückgewiesen, ohne die für die Bejahung der Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderlichen Feststellungen zu treffen, so bedarf es, wenn die dagegen eingelegte weitere Beschwerde jedenfalls in der Sache keinen Erfolg hätte, der Nachholung der unterbliebenen Feststellungen ausnahmsweise dann nicht, wenn sich für den Beschwerdeführer aus der von der Sachentscheidung ausgehenden Bindungswirkung kein Nachteil ergeben kann.

2. Zum Begriff des Brieftestaments.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 4112/00

in der Nachlasssache

der am 26. Oktober 1912 geborenen und am 1. September 1996 verstorbenen, zuletzt in B W wohnhaft gewesenen E C M G

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 2 bis 5 gegen den Beschluss der Zivilkammer 87 des Landgerichts Berlin vom 23. Februar 2000 in der Sitzung vom 19. Februar 2002 beschlossen:

Tenor:

Die weiteren Beschwerden werden zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 2. bis 5. haben der Beteiligten zu 1 die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird für die Beteiligten zu 2 bis 5 auf jeweils 14.500,00 DM festgesetzt.

Gründe:

Die Beteiligte zu 1, die eine Wohnungsnachbarin der Erblasserin war, hat aufgrund eines an sie gerichteten handschriftlich verfassten Schriftstücks der Erblasserin, das vom eingesetzten Nachlasspfleger einige Tage nach dem Tod der Erblasserin auf deren Wohnzimmertisch aufgefunden worden war, die Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins beantragt. Das Nachlassgericht hat durch einen Vorbescheid die Erteilung des beantragten Erbscheins angekündigt. Die Beteiligten zu 2 bis 5 haben geltend gemacht, das aufgefundene Schriftstück stelle kein Testament dar, weshalb sie als einzige Verwandte die Erblasserin aufgrund gesetzlicher Erbfolge beerbt hätten, und haben Beschwerde gegen den Vorbescheid eingelegt. Das Landgericht hat die Beschwerden der Beteiligten zu 2 bis 5 als unbegründet zurückgewiesen, wogegen diese sich mit ihren weiteren Beschwerden wenden.

Die Rechtsmittel sind gemäß §§ 27, 29 FGG zulässig.

Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 2 bis 5 ergibt sich bereits aus der Erfolglosigkeit ihrer Erstbeschwerden. In der Sache haben die Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Zwar ist dem Landgericht insofern ein Rechtsfehler unterlaufen, als es ohne Weiteres von der Erstbeschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 2 bis 5 ausgegangen ist, obwohl es die hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen hat; dies wirkt sich auf das Ergebnis aber nicht aus, weil die weiteren Beschwerden in jedem Fall unbegründet sind und es einer Klärung der Frage, ob das Landgericht die Beschwerden nicht bereits als unzulässig hätte verwerfen müssen, unter den hier gegebenen Umständen nicht bedarf.

Gegen die durch einen Vorbescheid des Nachlassgerichts angekündigte Erteilung eines Erbscheins ist derjenige gemäß § 20 Abs. 1 FGG beschwerdeberechtigt, der durch dessen Erteilung in seinen Rechten beeinträchtigt würde. Die Rechtsbeeinträchtigung des Beschwerdeführers muss tatsächlich bestehen, wobei für deren Prüfung die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu unterstellen ist. Nur in dem besonderen Fall, dass die Tatsachen, aus denen sich das betroffene subjektive Recht ergibt, mit den Tatsachen identisch sind, von denen die Begründetheit des Rechtsmittels abhängt (sog. doppelrelevante Tatsachen), gilt der allgemeine Grundsatz, dass verfahrensrechtliche Voraussetzungen keines Nachweises bedürfen, soweit sie mit den Voraussetzungen der Sachprüfung identisch sind. Derartige Überschneidungen sind hier nicht gegeben, so dass die Rechtsbeeinträchtigung als Voraussetzung der Zulässigkeit der Erstbeschwerde abschließend hätte geprüft werden müssen.

Vorliegend ist nicht durch Vorlage von Personenstandsurkunden nachgewiesen oder durch sonstige Feststellungen geklärt, dass die Beteiligten zu 2 bis 5 gesetzliche Erben der Erblasserin sind, dass sie insbesondere auch nicht durch einen bisher nicht hervorgetretenen Angehörigen einer vorrangigen Erbordnung von der Erbfolge ausgeschlossen sind.

Es kommt daher in Betracht, dass die Erstbeschwerden oder einige von ihnen bereits unzulässig waren und hätten verworfen werden müssen. Vorliegend bedarf es jedoch nicht der Nachholung der insoweit geboten gewesenen Ermittlungen. Denn bei unterstellter Erstbeschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 2 bis 5 hat das Landgericht die Beschwerden - wie noch auszuführen ist - rechtsfehlerfrei als in der Sache unbegründet zurückgewiesen; ferner wirkt es sich für die Beschwerdeführer nicht nachteilig aus, wenn die Frage ihrer Erstbeschwerdeberechtigung ungeklärt bleibt:

Wird eine unzulässige Beschwerde aus sachlichen Gründen zurückgewiesen, so ist die dagegen eingelegte weitere Beschwerde grundsätzlich mit der klarstellenden Maßgabe zurückzuweisen, dass die Erstbeschwerde als unzulässig verworfen wird. Dies beruht auf der Erwägung, dass das Gericht erster Instanz, das nach § 18 Abs. 1 FGG die von ihm erlassene Verfügung nachträglich ändern kann, diese Änderungsbefugnis verliert, wenn ein Rechtsmittelgericht sachlich über die Angelegenheit entschieden hat, nicht aber dann, wenn eine Beschwerde als unzulässig verworfen worden ist. Wenn sich aus dieser von der Sachentscheidung des Beschwerdegerichts ausgehenden Bindungswirkung Nachteile für den Beschwerdeführer ergeben können, wird eine derartige Klarstellung in der Entscheidung über die weitere Beschwerde mit Recht für erforderlich gehalten (vgl. BayObLGZ 1961, 200/203; Senat NJW 1962, 2354/2355; OLG Hamm MDR 1972, 700; Keidel/Kahl, FGG, 14. Auflage, § 27 Rdn. 67 mit weiteren Nachweisen), während sie in anderen Fällen als zweckmäßig angesehen wird (vgl. Keidel/Kahl a. a. O.).

Nach diesen Grundsätzen bedürfte es hier für den Fall der Unzulässigkeit der Erstbeschwerde eines derartigen klarstellenden Ausspruchs in der Entscheidung des Senats nicht. Sind die Beteiligten zu 2 bis 5 nicht als gesetzliche Erben zur Erbfolge berufen, so scheidet bereits theoretisch die Möglichkeit aus, dass ihnen eine Änderung der dem angefochtenen Vorbescheid zugrundeliegende Auffassung zum Vorteil gereichte, können sich also aus der von der Sachentscheidung des Landgerichts ausgehenden Bindungswirkung für sie keine Nachteile ergeben. In diesem Zusammenhang sei bemerkt, dass das die Unzulässigkeit der Erstbeschwerde bewirkende Fehlen einer Rechtsbeeinträchtigung nicht generell zwingend dazu führt, einen sich aus der Bindungswirkung der Sachentscheidung des Beschwerdegerichts ergebenden möglichen Nachteil zu verneinen; vielmehr kann, wie der der Entscheidung BayObLGZ 1961, 200 zugrunde liegende Fall zeigt, ein solcher möglicher Nachteil auch bei fehlender Beschwerdeberechtigung zu bejahen sein.

Ist hiernach bei unterstellter Unzulässigkeit der Erstbeschwerden ein entsprechender klarstellender Ausspruch in der Entscheidung des Senats nicht geboten, sondern nur zweckmäßig, kann er aus Gründen der Verfahrensökonomie unterbleiben, wenn es dazu nicht unerheblicher weiterer Ermittlungen bedürfte, wie das hier der Fall ist.

In der Sache hat das Landgericht das Alleinerbrecht der Beteiligten zu 1 aufgrund Testaments rechtsfehlerfrei bejaht. Die Feststellungen des Landgerichts betreffend die formwirksame Errichtung eines Testaments durch die Erblasserin sowie die Auslegung dieses Testaments sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Das Landgericht hat das aufgefundene Schriftstück als Brieftestament angesehen und ist davon ausgegangen, dass an den Nachweis des Testierwillens gemäß § 133 BGB strenge Anforderungen zu stellen seien, weil die Abfassung eines Testaments in Form eines Briefes nicht den üblichen Gepflogenheiten entspreche. Allerdings unterscheidet sich der hier vorliegende Fall von typischen Fällen der Abfassung und Übermittlung eines Briefes, die - bei aller möglicher Vielgestaltigkeit - dadurch gekennzeichnet sind, dass der Briefschreiber in der Regel keine rechtsgeschäftlichen Erklärungen abgeben, sondern auf gesellschaftlicher Ebene Mitteilungen machen will, dass er das Schriftstück durch die Versendung mit der Post einem gewissen Verlustrisiko aussetzt und dass er sich, in dem er das Schriftstück im Original aus der Hand gibt und meist auch keine Abschrift zurückbehält, der Möglichkeit begibt, später Änderungen oder Ergänzungen am Original anzubringen und sich jederzeit den genauen Text des Erklärten wieder vor Augen zu führen und darauf zu überprüfen, ob er weiterhin seinem Willen entspricht (vgl. dazu Staudinger/Baumann, BGB [1996], 13. Auflage, § 2247 Rdn. 76). Demgegenüber bestand hier der Text des Schriftstückes nur aus zwei als letztwillige Verfügung in Betracht kommenden Sätzen ohne Verbindung mit weiteren Mitteilungen und sollte das Schriftstück nach den Feststellungen des Landgerichts nach dem Tod der Erblasserin nach deren Willen in der Wohnung aufgefunden werden. Danach erschöpfte sich die Abweichung von den üblichen Gepflogenheiten bei der Abfassung letztwilliger Verfügungen im wesentlichen darin, dass die als Begünstigte in Betracht kommende Person nicht in der dritten Person bezeichnet, sondern unmittelbar angesprochen wurde. Wenn das Landgericht unter diesen Umständen dennoch einschränkungslos die Grundsätze betreffend das Brieftestament (vgl. dazu etwa BayObLG FamRZ 1990, 672 und FamRZ 2001, 944; Staudinger/Baumann a. a. O., Rdn. 75 ff.) berücksichtigt hat, wirkt sich das nicht zum Nachteil der Beteiligten zu 2 bis 5 aus.

Die Wahrung der Formerfordernisse eines eigenhändigen Testaments nach § 2247 Abs. 1 BGB hat das Landgericht rechtsbedenkenfrei und unbeanstandet bejaht. Die Beteiligten zu 2 bis 5 rügen im wesentlichen, das Landgericht habe zu Unrecht einen ernstlichen Testierwillen der Erblasserin angenommen. Verneint oder bejaht das Gericht der Tatsacheninstanz einen ernstlichen Testierwillen des Erblassers, so ist dies eine auf tatsächlichem Gebiet liegende Feststellung (vgl. BayObLG FamRZ 1990, 672 mit Nachweisen). Das Rechtsbeschwerdegericht ist gemäß §§ 27 Abs. 1 FGG, 559 ZPO an die dieser Feststellung zugrunde liegende Auslegung der Urkunde und die sonstige Tatsachenwürdigung gebunden, es sei denn, das Tatsachengericht hat den maßgeblichen Sachverhalt unzureichend erforscht, bei der Erörterung des Beweisstoffs nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt oder gegen gesetzliche Beweis- oder Auslegungsregeln bzw. feststehende Erfahrungssätze verstoßen. Derartige Fehler sind dem Landgericht nicht unterlaufen; vielmehr versuchen die Beteiligten zu 2 bis 5 ihre eigene abweichende tatsächliche Würdigung zur Geltung zu bringen, womit sie keinen Erfolg haben können.

Insbesondere ist es entgegen der Rüge der Beteiligten zu 2 bis 5 nicht zu beanstanden, dass das Landgericht seine Feststellung, die Erblasserin habe das aufgefundene Schreiben mit dem Bewusstsein verfasst, rechtsverbindliche Anordnungen über ihr Vermögen nach ihrem Tode zu treffen, maßgeblich auch darauf gestützt hat, dass die Erblasserin den Brief mitten auf ihren Wohnzimmertisch gelegt habe, damit er für jeden, der nach ihrem Tod die Wohnung betritt, deutlich erkennbar sei, und dass sie den Brief nicht nur mit dem Namen der Beteiligten zu 1, sondern zusätzlich mit einem näher beschreibenden Identifikationsmerkmal ("meine Nachbarin") adressiert hat. Die Annahme, das Schriftstück sei von der Erblasserin in der bezeichneten Absicht auf den Wohnzimmertisch gelegt worden und habe dort nicht rein zufällig gelegen, ist zwar in der Tat nicht zwingend, aber nach den Umständen möglich und naheliegend. Im Rechtsbeschwerdeverfahren kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, eine vom Tatrichter gezogene Folgerung sei nicht schlechthin zwingend, eine abweichende Schlussfolgerung liege ebenso nahe oder gar näher.

Das Landgericht ist im Wege der Testamentsauslegung (§ 2084 BGB) zu dem Ergebnis gelangt, die Erblasserin habe die Beteiligte zu 1 als Alleinerbin eingesetzt. Die auf tatsächlichem Gebiet liegende Auslegung kann vom Senat als Rechtsbeschwerdegericht ebenfalls nur eingeschränkt nachgeprüft werden, nämlich auf die Berücksichtigung aller wesentlicher Tatsachen, die Beachtung gesetzlicher und allgemein anerkannter Auslegungsregeln, allgemeiner Erfahrungssätze und der Denkgesetze und die Einbeziehung auch anderer in Betracht kommender Auslegungen in die Erwägungen. Ob eine andere Auslegung als die vom Landgericht vorgenommene ebenso möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre, kann dagegen nicht mit Erfolg geltend gemacht werden.

Danach bleiben auch die gegen die Auslegung des Testaments gerichteten Angriffe der Beteiligten zu 2. bis 5. erfolglos. Insbesondere gehörte die Frage, wie eng die Beziehung der Erblasserin zur Beteiligten zu 1 konkret war und in welchem Umfang diese ihr Hilfeleistungen erbracht hat, nicht zu den für die Auslegung wesentlichen Tatsachen, die deshalb hätten aufgeklärt werden müssen. Die Feststellung, die Beteiligte zu 1 sei eine der Erblasserin räumlich und persönlich nahestehende Person gewesen, wird bereits durch den Umstand, dass sie die Wohnungsnachbarin war, und die mit nur dem Vornamen abgeschlossene Grußformel im aufgefundenen Schriftstück getragen. Weitergehender Feststellungen bedurfte es nicht, weil es keine allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze oder feststehende Erfahrungssätze dahin gibt, dass die Erbeinsetzung einer nicht mit dem Erblasser verwandten Person eine ganz bestimmte Intensität der persönlichen Beziehung voraussetzt.

Die Kostenerstattungsanordnung zugunsten der Beteiligten zu 1. beruht auf der zwingenden Vorschrift des § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG, die Wertfestsetzung auf §§ 131 Abs. 2, 30, 161 KostO.

Ende der Entscheidung

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