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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.03.2008
Aktenzeichen: 1 W 45/08
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 28 Abs. 2
FGG § 30 Abs. 1 S. 3
In Verfahren über die Bestellung eines Betreuers oder die Aufrechterhaltung einer Betreuung ist die Übertragung der Entscheidung auf den Einzelrichter gemäß § 30 Abs. 1 S. 3 FGG nicht generell ausgeschlossen (entgegen OLG Rostock, Beschluss vom 24. August 2006 - 3 W 81/06). (Die Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 28 Abs. 2 FGG ist unterblieben, weil die Betroffene kurz nach der Entscheidung des Senats verstorben ist).
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 45/08

In der Betreuungssache betreffend

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die weitere Beschwerde der Betroffenen vom 13. September 2007 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 16. August 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, die Richterin am Kammergericht Dr. Rasch und den Richter am Kammergericht Müller am 17. März 2008 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde der Betroffenen wird dem Bundesgerichtshof gemäß § 28 Abs. 2 FGG vorgelegt.

Gründe:

I.

Das Vormundschaftsgericht bestellte nach Einholung eines Gutachtens der Ärztin Fnn und persönlicher Anhörung der Betroffenen für diese mit Beschluss vom 19. April 2005 eine Berufsbetreuerin mit den Aufgabenkreisen "Aufenthaltsbestimmung", "Gesundheitssorge", "Vermögenssorge" und "Wohnungsangelegenheiten".

Mit Schreiben vom 12. April 2007 beantragte die Betroffene die Aufhebung der Betreuung. Dies lehnte das Vormundschaftsgericht mit Beschluss vom 4. Juli 2007 ab, nachdem es die Betroffene zuvor persönlich angehört und ein weiteres Gutachten der Ärztin Fnn eingeholt hatte. Gegen diesen Beschluss hat die Betroffene am 2. August 2007 Beschwerde erhoben. Das Landgericht hat das Verfahren mit Beschluss vom 16. August 2007 auf den Einzelrichter übertragen, der die Beschwerde mit Beschluss vom 27. August 2007 zurückgewiesen hat. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrem als "Beschwerde" bezeichneten Rechtsmittel vom 13. September 2007.

II.

Das Rechtsmittel der Betroffenen ist als weitere Beschwerde gemäß § 27 Abs. 1 FGG statthaft und zulässig. Der Senat hält die weitere Beschwerde für unbegründet, weil die angefochtene Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht, §§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, 546 ZPO. Im Hinblick auf eine neuere Rechtsprechung des OLG Rostock zur Zulässigkeit der Übertragung der Entscheidung auf den Einzelrichter sieht sich der Senat aber an einer Entscheidung in der Sache gehindert, § 28 Abs. 2 S. 1 FGG. Das OLG Rostock hält eine solche Übertragung in Verfahren über die Bestellung eines Betreuers oder die Aufrechterhaltung einer Betreuung für unzulässig mit der Folge, dass ein entsprechender Beschluss des Einzelrichters wegen nicht ordnungsgemäßer Besetzung des Gerichts aufzuheben und an die Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen sei (OLG Rostock, Beschluss vom 24. August 2006 - 3 W 81/06 - und Beschluss vom 30. Juli 2007 - 3 W 118/07 - MDR 2008, 103). Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

1. Gemäß § 30 Abs. 1 S. 1 FGG erfolgen die Entscheidungen über Beschwerden bei den Landgerichten durch eine Zivilkammer, die mit drei Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden besetzt ist, § 75 GVG. Ist die Zivilkammer des Landgerichts im Beschwerdeverfahren zuständig, was in Betreuungssachen der Fall ist, §§ 69g, 19 Abs. 2 FGG, findet § 526 ZPO entsprechende Anwendung. Danach kann die Zivilkammer das Beschwerdeverfahren einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn die einzelnen in Abs. 1 Nr. 1 bis 4 aufgeführten Voraussetzungen vorliegen. Überträgt die Zivilkammer die Sache dem Einzelrichter, kann dies nicht zum Gegenstand eines Rechtsmittelangriffs gemacht werden, § 526 Abs. 3 ZPO. Insbesondere kann nicht die Besetzung des Gerichts gerügt werden, §§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, 547 Nr. 1 ZPO (Briesemeister, in: Jansen, FGG, 3. Aufl., § 30, Rdn. 18; Ball, in: Musielak, ZPO 5. Aufl., § 526, Rdn. 9). Denn der Einzelrichter, dem die Sache zur Entscheidung übertragen worden ist, wird mit der Übertragung zum gesetzlichen Richter. Eine Aufhebung und Zurückverweisung durch das Gericht der weiteren Beschwerde kommt wegen nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Beschwerdegerichts danach nur dann in Betracht, wenn die Übertragung auf den Einzelrichter nicht wirksam erfolgt ist, etwa wenn ein solcher Beschluss gar nicht ergangen war (vgl. OLG Zweibrücken, FGPrax 2003, 268; BayObLG, FGPrax 2004, 77). Vorliegend hat die Kammer die Sache dem Einzelrichter mit Beschluss vom 16. August 2007 übertragen.

Vor diesem Hintergrund kann es nicht darauf ankommen, ob die Zivilkammer des Landgerichts die Voraussetzungen von § 526 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO zutreffend erkannt hat. Auch die Besonderheiten des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit gebieten eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung der Zivilkammer durch das Gericht der weiteren Beschwerde nicht. Der Gesetzgeber hielt vielmehr einen Gleichlauf zwischen dem zivilprozessualen Berufungsverfahren und dem Beschwerdeverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit für geboten. Das lässt sich ausdrücklich der amtlichen Begründung zu Art. 13 Nr. 2 des Gesetztes zur Reform der Zivilprozessordnung vom 27. Juli 2001 (BGBl. I, 1887) entnehmen, mit dem § 30 Abs. 1 S. 3 FGG eingefügt worden ist (BT-Drs. 14/4722, S. 130 li. Sp.). Damit ergibt sich zugleich, dass auch bei Beschwerden in betreuungsrechtlichen Verfahren, insbesondere wenn sich die Beschwerden gegen die Bestellung eines Betreuers oder die Aufrechterhaltung einer Betreuung richten, eine Entscheidung zur Übertragung auf den Einzelrichter durch das Gericht der weiteren Beschwerde nicht beanstandet werden und nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung nach §§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, 547 Nr. 1 ZPO führen kann.

Aber selbst wenn eine Überprüfung der Entscheidung nach §§ 30 Abs. 1 S. 3 FGG, 526 ZPO durch das Gericht der weiteren Beschwerde möglich wäre, so ließe sich eine generelle Unzulässigkeit der Übertragung auf den Einzelrichter in Beschwerdeverfahren, die die Bestellung eines Betreuers oder die Aufrechterhaltung der Betreuung zum Gegenstand haben, nicht herleiten. Insbesondere folgt dies nicht aus § 526 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, wonach die Übertragung voraussetzt, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Es kann dahinstehen, ob es insoweit Materien gibt, die generell so schwierig sind, dass eine Übertragung auf den Einzelrichter ausscheidet (dagegen Gummer/Heßler, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 526, Rdn. 5). Nach dem Willen des Gesetzgebers ist maßgeblich darauf abzustellen, ob der Rechtsstreit deutlich über dem Durchschnitt sonstiger Verfahren liegende Anforderungen an den Richter stellt, die sich sowohl aus besonderen Schwierigkeiten bei der Tatsachenfeststellung und Beweiserhebung als auch bei der Beweiswürdigung und vor allem bei der Rechtsanwendung ergeben können (so die amtliche Begründung zur insoweit inhaltsgleichen Regelung in § 348a Abs. 1 Nr. 2 ZPO, BT-Drs. 14/4722, S. 89 re. Sp.). Auf die Bestellung eines Betreuers oder die Aufrechterhaltung einer Betreuung gerichtete Verfahren stellen nicht in jedem Fall derartige Anforderungen an den Richter. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass mit solchen Entscheidungen in Grundrechte der Betroffenen eingegriffen wird. Zwar erfordert die Schwere des Eingriffs in verfassungsrechtlich geschützte Rechte des Betroffenen eine besonders sorgfältige Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung, was im Gesetz u.a. dadurch zum Ausdruck kommt, dass vor jeder Betreuerbestellung das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen und der Betroffene persönlich anzuhören ist, was im Grundsatz auch im Beschwerdeverfahren gilt, §§ 69g Abs. 5 S. 1, 68 Abs. 1 S. 1, 68b Abs. 1 S. 1 FGG. Das Gleiche gilt regelmäßig bei der Verlängerung einer Betreuung, § 69i Abs. 6 FGG. Bei Entscheidungen über eine von dem Betroffenen beantragte Aufhebung der Betreuung ist das Gericht jedoch nicht zu diesen Verfahrenshandlungen verpflichtet, § 69i Abs. 3 FGG; insoweit gilt die allgemeine Regelung des § 12 FGG. Die Würdigung von Sachverständigengutachten und der persönliche Umgang mit den Verfahrensbeteiligten stellen als solche aber keine besonderen Anforderungen an den Richter, sondern gehören zu seiner alltäglichen Routine.

Auch aus der Gesetzessystematik folgt nichts anderes. Insbesondere kann aus der Regelung zur Anhörung durch das Beschwerdegericht, § 69g Abs. 5 S. 2 FGG, nicht hergeleitet werden, eine Übertragung auf den Einzelrichter scheide aus. Zwar kommt danach die Anhörung durch einen beauftragten Richter nur in Ausnahmefällen in Betracht. Mit dieser Regelung wird jedoch nur gewährleistet, dass im Regelfall sämtliche Mitglieder des Spruchkörpers, der anschließend in der Sache zu entscheiden hat, sich einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen verschafft haben (vgl. Kayser, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 69g, Rdn. 26). Eine Übertragung des gesamten Beschwerdeverfahrens auf den Einzelrichter wird dadurch nicht ausgeschlossen. Hat die Kammer so entschieden, findet § 69g Abs. 5 S. 2 FGG vielmehr gar keine Anwendung mehr, weil dann ohnehin nur noch der Einzelrichter die erforderliche Anhörung durchzuführen hat. Die übrigen Mitglieder müssen sich in diesem Fall keinen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen mehr verschaffen, weil sie an der Entscheidung über die Beschwerde nicht mitwirken.

Wenn der Gesetzgeber eine Einschränkung der Übertragung auf den Einzelrichter in Betreuungsverfahren gewollt hätte, dann wäre es im Übrigen naheliegend gewesen, in § 69g Abs. 5 FGG eine den § 30 Abs. 1 S. 3 FGG einschränkende Regelung ausdrücklich aufzunehmen, denn § 30 Abs. 1 S. 3 FGG ist erst nachträglich eingefügt worden, nachdem § 69g Abs. 5 S. 2 FGG bereits am 1. Januar 1999 in Kraft getreten war (vgl. Art. 5 Abs. 2 des - Ersten - Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 25. Juni 1998, BGBl I S. 1580).

Schließlich hat der Gesetzgeber auch nachträgliche Gesetzesänderungen nicht zu einer generellen Einschränkung von § 30 Abs. 1 S. 3 FGG genutzt. Insbesondere wäre hierzu im Rahmen des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes Gelegenheit gewesen, bei dem Besonderheiten des Betreuungsverfahrens gesehen worden sind. So wurde § 65 Abs. 6 FGG eingefügt, wonach Richter auf Probe im ersten Jahr nach ihrer Ernennung nicht in Betreuungssachen tätig sein dürfen. Damit soll ein Mindestmaß richterlicher Erfahrung gewährleistet werden (BT-Drs. 15/4874, S. 28 re. Sp.). Wenn der Gesetzgeber bei der Bearbeitung von Betreuungsverfahren generell besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art im Sinne des § 526 Abs. 1 Nr. 2 ZPO gesehen hätte, wäre entsprechende Einschränkungen in § 30 Abs. 1 S. 3 FGG erforderlich gewesen. Dies ist aber gerade nicht erfolgt.

Das Landgericht konnte danach das Verfahren gemäß §§ 30 Abs. 1 S. 3 FGG, 526 Abs. 1 ZPO dem Einzelrichter übertragen. Insbesondere war dies auch deshalb möglich, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, § 526 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.

2. Die weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil die angegriffene Entscheidung des Landgerichts einer rechtlichen Nachprüfung standhält, §§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, 546 ZPO.

Voraussetzung für die Bestellung eines Betreuers ist, dass ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB. Fallen diese Voraussetzungen weg, ist die Betreuung aufzuheben, § 1908d Abs. 1 S. 1 FGG. Im Gegensatz zur Bestellung eines Betreuers bestehen bei der Prüfung über die Aufhebung der Betreuung grundsätzlich keine besonderen verfahrensrechtlichen Vorschriften. Soweit in § 69i Abs. 3 FGG solche enthalten sind, gelten diese nur dann, wenn das Vormundschaftsgericht die Betreuung tatsächlich auch aufhebt, nicht jedoch, wenn es einem darauf gerichteten Antrag, der als Anregung aufzufassen ist, von Amts wegen tätig zu werden, wie im vorliegenden Fall nicht entspricht (BayObLG, FamRZ 1994, 1602 = Juris, Rdn. 7; FamRZ 1998, 323 = Juris, Rdn. 6). Deshalb gilt für den Umfang der von dem Tatsachenrichter zu treffenden Ermittlungen die Vorschrift des § 12 FGG. Danach hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Das ist hier in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Weise erfolgt.

Das Vormundschaftsgericht hat das Gutachten der bereits im Rahmen der Betreuerbestellung als Sachverständige tätig gewesenen Ärztin Fnnn sowie die schriftliche Stellungnahme der Berufsbetreuerin eingeholt. Außerdem hat es sich einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen im Rahmen der Anhörung vom 4. Juli 2007 verschafft und dies in einem Vermerk in den Akten niedergelegt. Darüber hinausgehende Ermittlungen musste das Landgericht nicht durchführen, weil zusätzliche Erkenntnisse bei einer erneuten Vornahme entsprechender Verfahrenshandlungen nicht zu erwarten waren, § 69g Abs. 5 S. 4 FGG. Soweit das Landgericht auf der Grundlage der Ermittlungen des Vormundschaftsgerichts auf eine weitere Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen und die Erforderlichkeit der Betreuerbestellung geschlossen hat, ist dies aus rechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Sowohl die Sachverständige als auch die Betreuerin haben die weitere Betreuung der Betroffenen wegen ihres jahrelangen Alkoholmissbrauchs, der zu hirnorganischen Veränderungen geführt hat, für erforderlich gehalten. Dass die Betroffene wieder zu trinken angefangen hat, folgt aus ihren eigenen Angaben gegenüber der Sachverständigen und der Amtsrichterin. Soweit sie dies nunmehr in Abrede stellt, führt sie neue Tatsachen ein, die im Verfahren der weiteren Beschwerde keine Berücksichtigung finden können. Das Gericht der weiteren Beschwerde kann nur nachprüfen, ob die angefochtene Entscheidung nach dem seinerzeitigen Sachverhalt auf einer Verletzung des Rechts beruht (Briesemeister, a.a.O., § 27, Rdn. 90).

3. Der Senat kann die weitere Beschwerde nicht wie beabsichtigt zurückweisen, ohne von den Entscheidungen des OLG Rostock abzuweichen. Deshalb ist die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen, § 28 Abs. 2 FGG.

Ende der Entscheidung

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