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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 23.04.2008
Aktenzeichen: 1 W 48/08
Rechtsgebiete: AufenthG, BPolG, FEVG


Vorschriften:

AufenthG § 82 Abs. 4 S. 3
BPolG § 40
FEVG § 5
FEVG § 11
Plant die Ausländerbehörde zur Durchsetzung einer Anordnung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG die zwangsweise Vorführung eines Ausländers vor dessen Auslandsvertretung, ist jedenfalls dann, die richterliche Entscheidung herbeizuführen. Für eine solche Entscheidung stellen die §§ 82 Abs. 4 Satz 3 AufenthG, 40 Abs. 1 BPolG eine ausreichende Ermächtigungsnorm dar. Zum Erfordernis der vorherigen Ladung des Ausländers zur persönlichen Anhörung durch den Richter in einem solchen Fall.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 48/08

In der Freiheitsentziehungssache betreffend

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers vom 6. Februar 2008 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 27. Dezember 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking sowie die Richter am Kammergericht Hinze und Müller am 23. April 2008 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Land Berlin dem Betroffenen die diesem in den drei Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen nicht zu erstatten hat.

Gründe:

I.

Die Ausländerbehörde ordnete mit Bescheid vom 3. Mai 2005 das persönliche Erscheinen des Betroffenen im türkischen Generalkonsulat für den Zeitraum vom 16. bis 20. Mai 2005 zum Zwecke der Passbeantragung bzw. zur Verlängerung des abgelaufenen Passes an. Zugleich erfolgte die Androhung unmittelbaren Zwangs.

Auf den Antrag der Ausländerbehörde vom 2. Oktober 2006 hat das Amtsgericht Schöneberg mit Beschluss vom 1. November 2006 im Wege der einstweiligen Anordnung ohne Anhörung des Betroffenen den Entzug der Freiheit des Betroffenen vom 6. November bis zum Ablauf des 8. November 2006 und die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses gemäß § 8 FEVG angeordnet. Zugleich kündigte das Amtsgericht an, einen Anhörungstermin von Amts wegen anzuordnen "vorbehaltlich der Botschaftsvorführung". Da die Festnahme scheiterte, nahm die Behörde am 7. November 2006 den Haftantrag zurück.

Auf die gegen den Beschluss vom 1. November 2006 gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 27. Dezember 2007 festgestellt, dass die Anordnung der Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen sei. Zugleich hat es dem Land Berlin aufgegeben, die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. Hiergegen wendet sich die Ausländerbehörde mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde vom 6. Februar 2008.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben worden, §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 S. 1 und 3, Abs. 4 FGG, 3 S. 2, 7 Abs. 1 und 2, 13 Abs. 2 FEVG, 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG. Die sofortige weitere Beschwerde ist dahin auszulegen, dass die Zurückweisung der Erstbeschwerde angestrebt wird. Insoweit besteht für den Antragsteller auch ein Rechtsschutzbedürfnis, weil mit der angefochtenen Entscheidung letztlich auch sein Haftantrag abgelehnt worden ist, vgl. § 7 Abs. 2 HS 2 FEVG. Zwar bezog sich dieser Antrag nur auf den Zeitraum vom 6. bis 8. November 2006 und der Antragsteller hat seinen Antrag am 7. November 2006 zurückgenommen. Gleichwohl ist der Antragsteller weiterhin beschwert, wie sich aus § 16 FEVG ergibt. Das Landgericht hat ihm die Erstattung der notwendigen aussergerichtlichen Kosten des Betroffenen auferlegt.

2. Die sofortige weitere Beschwerde hat jedoch nur im Hinblick auf die Kostenentscheidung in dem angefochtenen Beschluss Erfolg. In der Hauptsache beruht die Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis nicht auf einer Verletzung des Rechts, §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO.

a) Allerdings teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, es habe bereits an einer Rechtsgrundlage für die von dem Amtsgericht angeordnete Freiheitsentziehung gefehlt, nicht. Gemäß § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG kann die Ausländerbehörde unter den dortigen weiteren Voraussetzungen anordnen, dass ein Ausländer bei den Vertretungen des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint. Kommt der Ausländer dem nicht nach, kann die Anordnung zwangsweise durchgesetzt werden, § 82 Abs. 4 S. 2 AufenthG. Hierfür gelten die allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsrechts (OVG Münster, Beschluss vom 28. November 2006 - 10 B 1789/06 -, Juris, Rdn. 9; BayObLG, Beschluss vom 11. April 2001 - 3Z BR 1/01 -, Juris, Rdn. 23). Darüber hinaus finden §§ 40 Abs. 1 und 2, 41, 42 Abs. 1 S. 1 und 3 BPolG entsprechende Anwendung, § 82 Abs. 4 S. 3 AufenthG. Nach § 40 Abs. 1 BPolG hat die Bundespolizei, wenn eine Person festgehalten wird, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen, wobei im Zusammenhang mit einer Anordnung nach § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG die Ausländerbehörde an Stelle der Bundespolizei zuständig bleibt (BT-Drs. 15/420, S. 97). Dabei beschränkt sich die Verweisung in § 82 Abs. 4 S. 3 AufenthG auf § 40 Abs. 1 BPolG nicht auf solche Fälle, in denen der Ausländer bereits festgehalten wird. Der von dem Landgericht hierfür herangezogene Wortlaut des § 40 Abs. 1 BPolG verlangt dies nicht. Vielmehr muss die Vorschrift im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG ausgelegt werden. Danach hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Die Freiheitsentziehung setzt somit grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus (BVerfG, NJW 2002, 3161, 3162; Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 129/04 -, Juris, Rdn. 25, mit Anmerkung von Lorbacher, FGPrax 2007, 39; Beschluss vom 1. April 2008 - 2 BvR 1925/04, bei Melchior, Abschiebehaft, Internetkommentar). Einfachgesetzlich ist dies bundesrechtlich in § 40 BPolG geregelt, der etwa im Landesrecht von Berlin seine Entsprechung in § 31 ASOG findet. Für diese Vorschrift wird nicht in Zweifel gezogen, dass ihr Regelungsinhalt sowohl die vorgängige richterliche Anordnung als auch die nur in Eilfällen zulässige, unverzüglich einzuholende nachträgliche Entscheidung des Richters umfasst (Baller/Eiffler/Tschisch, ASOG Berlin, § 31, Rdn. 1; Knape/Kiworr, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht für Berlin, 9. Aufl., ASOG Bln, § 31, Anm. II. A.). Das Gleiche gilt für § 40 BPolG.

Nichts anderes folgt aus der Verweisung in § 82 Abs. 4 S. 3 AufenthG auf §§ 40 Abs. 1 und 2, 41, 42 Abs. 1 S. 1 und 3 BPolG. Der Gesetzgeber wollte dadurch eine Rechtsgrundlage für die zwangsweise Vorführung eines geladenen, aber nicht freiwillig erschienenen Ausländers schaffen (BT-Drs. 15/420, S. 97). Auch § 25 Abs. 3 BPolG, auf den § 40 Abs. 1 BPolG verweist, regelt den Fall, dass eine polizeiliche Vorladung zwangsweise durchgesetzt werden soll. Der polizeilichen Vorladung entspricht in § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG die Anordnung des persönlichen Erscheinens bei der Behörde oder Auslandsvertretung, zu deren zwangsweiser Durchsetzung die richterliche Entscheidung nach § 40 Abs. 1 BPolG herbeizuführen ist. Eine Beschränkung auf Fälle der ungeplanten Festnahme hat der Gesetzgeber demnach nicht vorgesehen. Eine solche Beschränkung widerspräche auch den offensichtlichen Bedürfnissen der Praxis. Da das persönliche Erscheinen des Ausländers bei seiner Auslandsvertretung regelmäßig die vorherige Vereinbarung eines Termins voraussetzt, entfiele die Möglichkeit einer zwangsweisen Vorführung in der überwiegenden Zahl der Fälle, weil es sich hier regelmäßig gerade nicht um Spontanmaßnahmen der Ausländerbehörde handelt, wie auch mit der weiteren Beschwerde geltend gemacht worden ist.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist eine vorherige richterliche Entscheidung in solchem Fall in der Regel auch erforderlich. Denn dem Betroffenen soll die Freiheit - vorübergehend - entzogen werden. So lag es auch hier: Bereits aus der vorangegangenen Haftanordnung vom 16. Juni 2005 ergab sich, dass die Ausländerbehörde die vorzuführenden Ausländer gerade nicht unmittelbar nach ihrem Aufgreifen zu deren Auslandsvertretung transportiert, sondern frühmorgens - hier um 6.30 Uhr - zunächst an ihrem Aufenthaltsort aufsucht, um sie dann zur polizeilichen Dienststelle am Tempelhofer Damm zu verbringen, wo sie festgehalten werden, bis der mit der Ausländerbehörde vereinbarte Termin im Laufe des Tages ansteht. Auch vorliegend hatte die Ausländerbehörde mit Schreiben vom 24. Oktober 2006 gegenüber dem Amtsgericht angekündigt, entsprechend verfahren zu wollen. Durch den Aufenthalt im polizeilichen Gewahrsam am Tempelhofer Damm wird aber jegliche körperliche Bewegungsfreiheit des Ausländers aufgehoben, so dass Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG vorliegt (vgl. BVerfG, a.a.O.). Ob diese Verfahrensweise notwendig ist, ist von der Frage nach der Rechtsgrundlage zu trennen und erst im Rahmen der richterlichen Entscheidung über den Haftantrag zu prüfen.

b) Die von dem Betroffenen angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts Schöneberg war jedoch rechtswidrig, weil der Beschluss unter Verstoß gegen zwingende Verfahrensvorschriften ergangen ist. Gemäß §§ 82 Abs. 4 S. 3 AufenthG, 40 Abs. 2 S. 2 BPolG richtet sich das Verfahren über die von dem Richter zu treffende Entscheidung nach den Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen. Danach hat das Gericht die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, mündlich zu hören und hierzu vorzuladen, § 5 Abs. 1 FEVG. Das Amtsgericht hat seine abweichende Verfahrensweise offenbar auf § 11 FEVG gestützt, auch wenn es diese Vorschrift nicht erwähnt hat. Ist Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt, kann das Gericht danach eine einstweilige Freiheitsentziehung anordnen, sofern dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung, § 2 Abs. 1 FEVG, vorliegen, und über die endgültige Unterbringung nicht rechtzeitig entschieden werden kann, § 11 Abs. 1 FEVG. Die auch für die einstweilige Anordnung nach §§ 11 Abs. 2 S. 1, 5 Abs. 1 S. 1 FEVG gebotene vorherige Anhörung kann bei Gefahr im Verzug unterbleiben, muss dann aber unverzüglich nachgeholt werden, § 11 Abs. 2 S. 2 FEVG. Das Amtsgericht hat daher auch den Anhörungstermin "nach Festnahme" bestimmt, allerdings "vorbehaltlich der Botschaftsvorführung".

Das Amtsgericht hat jedoch verfahrensfehlerhaft von der vorherigen Anhörung des Betroffenen abgesehen. Die von ihm angenommene Gefahr im Verzug war nicht gegeben. Sie konnte nicht mit dem feststehenden Vorführungstermin und der Gefahr seiner Vereitelung durch Untertauchen des Betroffenen begründet werden. Eine solche Gefahr besteht allgemein, wenn ein Ausländer zur persönlichen Anhörung gemäß 5 Abs. 1 S. 2 FEVG geladen wird. Gleichwohl ist die Vorladung zur Anhörung über den Haftantrag Voraussetzung dafür, dass die Vorführung des Betroffenen angeordnet werden kann. Deshalb bedarf es für die Annahme, der Ausländer werde in Kenntnis des Haftantrags auch die Durchführung der Vorführung bei der Auslandsvertretung vereiteln, konkreter Anhaltspunkte. Solche sind hier nicht ersichtlich und ergeben sich insbesondere auch nicht aus der Ausländerakte. Ihr ist vielmehr zu entnehmen, dass der Betroffene regelmäßig bei der Ausländerbehörde vorgesprochen hatte und auch über seinen Verfahrensbevollmächtigten mit der Behörde in regelmäßigem Kontakt stand. Auch war der Betroffene in der Vergangenheit bei seiner Auslandsvertretung vorstellig geworden. Zwar hatte dies nicht zur von der Ausländerbehörde geforderten Passbeschaffung geführt, doch begründet dies nicht die geforderte Gefahr im Verzug. Denn auch mit einer zwangsweisen Vorführung des Betroffenen vor die Auslandsvertretung ließen sich entsprechende Erklärungen in der Auslandsvertretung nur durchsetzen, wenn die - hierfür nicht vorgesehene - Haft als Druckmittel eingesetzt würde. So ist der Betroffene dem Bescheid vom 3. Mai 2005, in dem er zur Vorsprache bei seiner Heimatvertretung aufgefordert wurde, nachgekommen, indem er am 18. Mai 2005 bei türkischen Generalkonsulat erschienen ist, ohne allerdings die ihm abverlangten Erklärungen abzugeben. Gefahr im Verzug konnte das Amtsgericht auch nicht mit dem bei Beschlussfassung nahe bevorstehenden Termin zur Vorführung bei der Auslandsvertretung begründen. Der Antrag der Ausländerbehörde war bei dem Amtsgericht am 2. Oktober 2006 eingegangen, so dass ohne weiteres eine Ladung zur persönlichen Anhörung des Betroffenen hätte erfolgen können. Der Termin bei dessen Auslandsvertretung war erst für den 6. November 2006 vorgesehen. Im Übrigen wäre eine Gefahr im Verzuge allerdings auch nicht damit zu begründen, dass die Behörde den Antrag erst unmittelbar vor dem Termin stellt, wenn dieser längere Zeit vorher feststeht (BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 129/04; Juris, Rdn. 26)

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 16 Abs. 1 S. 1 FEVG. Danach hat das Gericht die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslange des Betroffenen der Gebietskörperschaft, die die Verwaltungsbehörde angehört, aufzuerlegen, wenn der Antrag der Behörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt wird und das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag. Hier hatte die Ausländerbehörde aber hinreichend begründeten Anlass zur Stellung des Haftantrags vor dem Amtsgericht, weil die Vorführung des Betroffenen mit einer Freiheitsentziehung verbunden war und nach den obigen Ausführungen hierfür eine gesetzliche Grundlage gegeben war. Deshalb war die Kostenentscheidung des Landgerichts abzuändern.

Ende der Entscheidung

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