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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 18.05.2004
Aktenzeichen: 1 W 482/02
Rechtsgebiete: BVormVG


Vorschriften:

BVormVG § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
Bei einem Betreuer, der ein Hochschulstudium der Politikwissenschaft abgeschlossen hat, liegen besondere, für die Führung einer Betreuung nutzbaren Fachkenntnisse im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BVormVG jedenfalls dann vor. Wenn sein Aufgabenkreis die Vertretung des Betreuten in finanziellen Angelegenheiten und vor Behörden und Einrichtungen umfasst.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 482/02

in der Betreuervergütungssache

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2. gegen den Beschluss der Zivilkammer 87 des Landgerichts Berlin vom 25. Oktober 2002 in der Sitzung vom 18. Mai 2004 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die am 28. November 2002 eingelegte sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2. (im Folgenden: Bezirksrevisor) gegen den ihm am 14. November 2002 zugestellten Beschluss des Landgerichts vom 25. Oktober 2002 ist gemäß den §§ 69e, 56g Abs. 5, 27 und 29 Abs. 2 FGG zulässig. Insbesondere hat das Landgericht die sofortige weitere Beschwerde zugelassen.

In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes, worauf die weitere Beschwerde allein mit Erfolg gestützt werden kann (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO). Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Vergütungsbemessung für den Beteiligten zu 1. in der Zeit vom 27. Oktober 1999 bis 27. Januar 2000 anhand eines Stundensatzes von 60,00 DM gebilligt hat.

Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass dem als Berufsbetreuer tätigen Beteiligten zu 1. ein Anspruch auf Vergütung seiner Betreuerleistung nach §§ 1908i, 1836 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BGB zusteht und sich dieser Anspruch wegen Mittellosigkeit des früher Betreuten, eines von Sozialhilfe abhängigen Künstlers, gegen die Landeskasse richtet (§ 1836a Abs. 1 BGB). Zu Recht hat das Landgericht auch die Voraussetzungen für eine Vergütungsbemessung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BVormVG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung bejaht und dem Beteiligten zu 1. den von ihm begehrten Stundensatz von 60 DM zugebilligt. Es durfte nach dem von ihm festgestellten Tatsachen und deren Wertung davon ausgehen, dass der Beteiligte zu 1. als Diplom-Politologe über besondere, für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse verfügt und diese durch ein Hochschulstudium erworben hat.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BVormVG a. F. ist für jede Stunde der für die Führung der Betreuung aufgewandten und erforderlichen Zeit aus der Staatskasse 35,00 DM zu zahlen. Diese Mindestvergütung erhöht sich auf 60,00 DM, wenn der Betreuer über besondere, für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse verfügt, die durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben worden sind (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BVormVG a. F.).

Besondere für die Betreuung nutzbare Kenntnisse sind Kenntnisse, die - bezogen auf ein bestimmtes Rechtsgebiet - über ein Grundwissen deutlich hinausgehen und den Betreuer befähigen, seine Aufgaben besser und effektiver zu erfüllen (vgl. BayObLG 2000, 81). Notwendig ist dabei nicht, dass die vorhandenen Kenntnisse das gesamte Anforderungsprofil der Betreuung abdecken. Es reichen auch Kenntnisse zur Bewältigung eines bestimmten Aufgabenkreises aus (vgl. BT-Drucks. 13/7158, S. 14,15). Da es sich bei der Betreuung in ihrem Wesen um eine rechtliche Betreuung handelt (§ 1901 Abs. 1 BGB), kommt rechtlichen Kenntnissen eine grundlegende Bedeutung zu, insbesondere Kenntnissen im Gesundheits-, Zivil-, Sozialleistungs- und Versorgungs-, Verwaltungs- und Steuerrecht einschließlich des jeweiligen Verfahrensrechts (BayObLG, a. a. O.). Betreuungsrelevant sind darüber hinaus auch - je nach den übertragenen Aufgabenkreisen - Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft (Senat, BtPrax 2002, 167 m. w. N.).

Durch welche Ausbildungsgänge für eine Betreuung nutzbare Fachkenntnisse erworben worden sind, hat der Gesetzgeber offen gelassen. Jedoch ist ein erhöhter Stundensatz nicht bereits deshalb gerechtfertigt, weil die Ausbildung wegen der Komplexität der betreffenden Fachrichtung gleichsam am Rande auch die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse zum Inhalt hatte. Erforderlich ist vielmehr, dass die Ausbildung in ihrem Kernbereich auf Vermittlung solcher Fachkenntnisse ausgerichtet war, wie das etwa bei den Studiengängen Rechtswissenschaften, Rechtspflege, Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Soziologie und Betriebswirtschaft regelmäßig der Fall ist. Dabei steht der Annahme, dass die Vermittlung bereuungsrelevanten Wissens zum Kernbereich der Ausbildung gehörte, nicht schon entgegen, dass die Ausbildung schwerpunktmäßig eine andere Zielrichtung hatte. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass ein erheblicher Teil der Ausbildung auf die Vermittlung solchen Wissens gerichtet war, das Niveau des dadurch erworbenen betreuungsrechtlichen Gesamtwissens über ein Grundwissen deutlich hinausging und dieses Wissen selbständiger Teil der Prüfung war (Senat, a. a. O.; BayObLG, FamRZ 2001, 187/188).

Die Feststellung, ob ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG erfüllt, obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter. Dessen Würdigung ist im Verfahren der weiteren Beschwerde nur auf Rechtsfehler zu überprüfen, also insbesondere darauf, ob das Erstbeschwerdegericht von zutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG), bei der Erörterung des Beweisstoffs alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (§ 25 FGG) und nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze oder gegen Verfahrensrecht verstoßen hat (vgl. Senat, BtPrax 2002, 167; Keidel/Kahl, FGG, 15. Aufl., § 27 Rn. 42 m. w. N.).

Fehler der genannten Art lässt die Beschwerdeentscheidung nicht erkennen. Das Landgericht hat die durch das Hochschulstudium der Politikwissenschaft erworbenen Kenntnisse des Beteiligten zu 1. ohne Rechtsfehler als besondere, für die Führung von Betreuungen nutzbare Kenntnisse beurteilt. Seine anhand der Studienordnung des Fachbereichs Politische Wissenschaften der Freien Universität Berlin vom 22. Oktober 1986 getroffenen Feststellungen tragen die Annahme, dass das Studium der Politologie mit dem Studium der "Rechtsordnung und gesellschaftlich-politischen Funktionen des Rechts", der "Wirtschaftsstrukturen und Wirtschaftsprozesse der Gegenwart" sowie der politischen Soziologie dem Beteiligten zu 1. betreuungsrelevantes Wissen vermittelt hat. So stehen nach der genannten Studienordnung als Grundkurse zu Politik und Recht Themen zur Auswahl, die insbesondere Fragen des Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialrechts, des allgemeinen und besonderen Verwaltungsrechts und der Grundrechte behandeln (§ 12 Nr. 4). Grundkurse zu Politik und Wirtschaft werden vor allem zu Themen wie Gesundheits- und Sozialsystem, Wohnungsversorgung, Einkommens- und Vermögensverteilung, Steuersystem und Haushaltspolitik angeboten (§ 12 Nr. 3). Und mit den Einführungskursen in die Politische Soziologie sollen die Lebensbedingungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen (in Bezug auf Arbeitsverhältnisse, Einkommen, Bildungschancen, soziale Sicherung u.a.) gezeigt und erarbeitet werden (§ 13 Nr. 3). Alle diese Studieninhalte beschäftigen sich mit Wirtschafts-, Rechts- oder allgemeinen Lebensbedingungen von Menschen oder Bevölkerungsgruppen, die sowohl für den allgemeinen Umgang mit Betreuten als auch für deren Interessenwahrnehmung gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber Behörden und Einrichtungen nützlich sein können. Zu Recht hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass diese Bereiche auch zu den für das Studium grundlegenden "zentralen Problemfeldern" zählen (§ 6 der Studienordnung) und die darin erworbenen Kenntnisse sowohl für den Abschluss des Grundstudiums nach vier Semestern als auch für die Diplomprüfung selbst nachgewiesen werden müssen (§ 5 Nr. 1 und § 7 der Diplomprüfungsordnung des Fachbereichs Politische Wissenschaft vom 22. Oktober 1986). Die Ausbildung des Beteiligten zu 1. wurde mithin durch die genannten Lehrfächer maßgeblich geprägt (vgl. zum Diplom-Politologen LG Frankfurt/Oder, FamRZ 2003, 190; LG Hamburg, FamRZ 2000, 1309)

Die Beurteilung des Landgerichts erweist sich auch nicht deshalb als rechtsfehlerhaft, weil die Ausbildung des Beteiligten zu 1. nicht auf die Vermittlung fundierter juristischer Grundkenntnisse in betreuungsrelevanten Bereichen wie dem Schuld-, Sachen-, Familien- oder Nachlassrecht gerichtet war. Der diesbezügliche Einwand des Bezirksrevisors in der sofortigen weiteren Beschwerde greift zu kurz. Er lässt außer Acht, dass betreuungsrechtlich nutzbare Kenntnisse auch aus den Bereichen des Verwaltungs-, Wirtschafts- und Sozialrechts stammen können, zumal im vorliegenden Fall der Aufgabenkreise des Beteiligten zu 1. die Vertretung des Betroffenen in finanziellen Angelegenheiten und vor Behörden und Einrichtungen umfasste (vgl. zum Verwaltungsfachwirt BayObLG FamRZ 2001, 187; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.4.2000, - 25 Wx 22/00 = FamRZ 2000, 1309; zum Diplomverwaltungswirt BayObLG Beschluss vom 8.1.2003, Az: 3Z BR 221/02; LG Kiel, BtPrax 2002, 174-175; zum Beamten des mittleren nicht-technischen Dienstes, BayObLG, FamRZ 2001, 304).



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